Season: A Letter to the Future REVIEW

2017 und 2018 rollte der Battle Royale Hype durch das Videospiel-Medium und ließ sowohl kleine wie auch große Entwickler vom schnellen Geldsegen träumen. Vielen dieser Projekte sah man ihren Grund an, andere konnten zumindest mit einer eigenständigen Idee oder spannenden Prämisse auf sich aufmerksam machen. So auch Darwin Project des noch jungen Entwicklerteams Scavengers Studio, die mit ihrer Post-Apokalypse einen zumindest einigermaßen kreativen Spin auf das noch junge Genre fanden. Das von dem gleichen Studio nun mit Season: A Letter to the Future ein erzählerisches Adventure erscheint, welches schon auf den ersten Blick schreit „ich bin alles andere als Mainstream“ ist aber dennoch überraschend.

Hüterin der Erinnerungen


Das Spiel ist mir zum ersten Mal bei der Ankündigung auf den The Game Awards 2020 aufgefallen: Der visuelle Stil, das entschleunigte Gameplay, die wunderschöne Kulisse – ich war sofort begeistert, vielleicht sogar ein bisschen verliebt (wenn man sich in ein Videospiel verlieben kann). Diejenigen, die mich kennen, würden sagen, dass Season: A Letter to the Future ein typisches Adrian-Spiel ist – und sie haben vollkommen Recht.

Die Prämisse ist einfach: Du schlüpfst in die Rolle von Estelle, einer jungen Frau, die ihre Heimat verlässt, um die Welt zu entdecken. Auf ihrer Reise hält sie ihre Erlebnisse in einem Tagebuch fest, ausgestattet mit Kamera und Audiorekorder macht Estelle Foto- und Tonaufnahmen von ihren Erlebnissen und fügt diese den visuell betörend schön gestalteten Aufzeichnungen hinzu. Doch Estelle macht das alles nicht zum Spaß, sondern um der Zukunft ein Zeugnis der Welt zu hinterlassen, in der sie gelebt hat. Denn ein großer Wandel steht bevor, der sich vor allem auf die Erinnerungen der Menschen auswirken wird.

Der Weg ist das Ziel


Season: A Letter to the Future behandelt eine breite Palette von Themen: Krieg, Spiritualität, Rituale, Familie, Liebe, aber auch Kultur und Ökologie. Das klingt viel, eigentlich zu viel, um es in ein kompaktes Spiel von – je nach individueller Spielzeit – acht bis sechzehn Stunden zu packen. Umso erstaunlicher ist es, wie gut es den Entwicklern gelungen ist, ihre Überlegungen und Ideen unterzubringen und gleichzeitig genügend Freiraum zu lassen, damit sich die Spielerinnen und Spieler ihre eigenen Gedanken machen können. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass Season: A Letter to the Future eines jener Spiele ist, die vielleicht erst dann wirklich so funktionieren, wie sie sollen, wenn man selbst eine gewisse Reife und Lebenserfahrung mitbringt. Damit will ich nicht sagen, dass hier nur diejenigen abgeholt werden, die mit Zigarre und Whiskey in der Privatbibliothek des Elfenbeinturms sitzen. Ganz im Gegenteil.

Stellenweise fühlte ich mich an Death Stranding erinnert, auch ein Spiel, das von vielen als Nicht-Spiel abgetan wurde. Solche Aussagen sind natürlich Quatsch, genauso wie es Quatsch ist, Filmen abseits einer vermeintlichen Norm vorzuwerfen, sie seien keine Filme. Wie Hideo Kojima spielt auch Scavengers Studio jene Töne auf der Klaviatur der Möglichkeiten, die das Medium eben nicht so oft spielt wie andere.

Das alte und zugegebenermaßen wenig kreative Sprichwort „Der Weg ist das Ziel“ passt perfekt auf Season: A Letter to the Future. Zwar bekommt man, sobald sich die Spielwelt öffnet, eine Karte ins Inventar gelegt, die grob die wichtigsten Orte der Umgebung darstellt. Ich habe sie aber nie benutzt. Auch Wegmarkierungen oder andere Hinweise, was man als Nächstes tun oder lassen sollte, gibt es nicht. Die Entwickler entlassen den Spieler in eine offene Welt, die er in seinem eigenen Tempo erkunden und entdecken soll. Das ist vor allem deshalb reizvoll, weil diese Spielwelt einerseits so vertraut, andererseits aber auch so eigen ist. Die religiösen Rituale zum Beispiel erinnern mich an buddhistische Bräuche, mit meinem Laienwissen will ich aber auch eine Spur von Taoismus erkannt haben. Wie bei so vielen Dingen, die uns vertraut erscheinen, haben die Entwickler Bekanntes verfremdet und mit kleinen Details verfremdet. Das Ergebnis ist eine faszinierende Welt, die mich für etwa 10 Stunden in ihren Bann gezogen hat.

Eine Welt voller Geschichten


In dieser Zeit ist man sowohl mit dem Fahrrad, vor allem aber zu Fuß unterwegs. Man trifft auf einige Personen, mit denen man ins Gespräch kommt und von ihrem Leben und ihrer Vergangenheit erfährt. Vor allem erfährt man aber durch die Umgebung selbst von der Welt, was in ihr geschehen ist, bekommt Andeutungen, was die Zukunft für sie bereit hält. Man hält mit der Kamera verlassene Bauernhöfe und ihre grasenden Bewohner fest, knipst die wunderschönen Tempelanlagen, in denen seltsame Gottheiten angebetet werden. Man macht Bekanntschaft mit einer Organisation namens „graue Hände“, welche das Tal räumt, um einen angeblich alten Staudamm zu sprengen. Man lernt von einer längst vergangenen Liebschaft, hilft einer Witwe beim aussortieren, nimmt mit einem Jungen Abschied von seiner Heimat. Neben der Kamera kann man diese Momente auch mit einem Tonbandgerät festhalten. Singende Vögel, seltsame Melodien aus autark laufenden Musikinstrumenten, das Plätschern eines Baches, der Wind in den Bäumen.

All diese Erinnerungen hält man fest, für die Zukunft, aber eben auch ein bisschen für sich selbst. Am Ende von Season: A Letter to the Future hat man noch einmal Gelegenheit durch die vielen, vielen Seiten zu blättern, die man in den vorherigen Stunden gefüllt hat. Manchmal ist es schwer die eigenen Gefühle zu beschreiben und genauso geht es mir auch mit diesem Spiel. Doch all diese kleinen Geschichten, die im Kern so geerdet sind und eigentlich jeden Menschen ansprechen, haben bei mir einen starken Eindruck hinterlassen. Kennt ihr das, wenn euch ein Spiel, ein Film, ein Song, ein Buch auf Anhieb ein wohliges Gefühl gibt? Genau dies ist hier – für mich – der Fall.

Pro & Kontra

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Pros
  • entschleunigtes Gameplay mit Fokus auf Erkunden
  • wunderschöne audiovisuelle Gestaltung
  • liebevoll ausgestaltete Figuren & eine faszinierende Spielwelt
  • es werden viele Themen aufgegriffen und auf spannende Art und Weise verhandelt

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Cons
  • auf der PS5 flackern hin und wieder Texturen und Schatten

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Spiel Bewertung
Singleplayer
85
85
Gut
-
Multiplayer

FAZIT

Season: A Letter to the Future ist wunderschön, einfach wunderschön. Es gibt viele Elemente, die das Spiel ausmachen und es zu einem ganz besonderen und gesunden Erlebnis machen. Seien es die angesprochenen Themen und die Art und Weise, wie sie verhandelt werden, sei es die liebevoll gestaltete Spielwelt, die mich allein schon durch ihre ästhetische Inszenierung in ihren Bann gezogen hat. Oder sei es die Soundkulisse, die vor allem jene Geräusche wertschätzt, die man im normalen Leben kaum noch wahrnimmt. Season: A Letter to the Future ist ein warmer, zugleich positiver und melancholischer Eskapismus - und schon so früh im Jahr ein persönlicher Kandidat für meine Topliste 2023.

- Von  Adrian

Das Jahr 2023 hat mit Season: A Letter to the Future seinen ersten Indie-Hit bekommen.
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USK 0 PEGI 3

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