Mercury: Cascade into Madness REVIEW

Nach City of Chains und Outrage, ist das am 10. August 2017 veröffentlichte Maker-RPG Mercury: Cascade into Madness bereits das dritte Spiel, welches in Astronomic Games Cyberpunk-Universum angesiedelt ist. Mercury fungiert dabei als eine Art Prequel zu Outrage und erzählt die Ursprungsgeschichte der hochgefährlichen Titel(anti)heldin Mercury. Man muss die anderen beiden oben genannten Spiele jedoch nicht gespielt haben, um dieses neue Cyberpunk-Drama nachvollziehen zu können. Wer Outrage gespielt hat, bekommt jedoch viele altbekannte Charaktere zu Gesicht, was den Spaß freilich erhöht. Aber ich greife vor. Lasst mich euch im folgenden Review aufzeigen, ob dieses RPG-Maker-Spiel seine 8,99 Euro wert ist oder nicht.

Absturz in den Wahnsinn

Das Leben von Michelle Auclaire wird in einer einzigen verhängnisvollen Nacht nahezu zerstört. Da sie im Zug eingepennt ist und somit eine Station zu weit gefahren ist, muss sie nun zu Fuß ein ihr unvertrautes Stadtviertel durchqueren, um nach Hause zu gelangen. Es kommt wie es kommen muss. Michelle wird von zwei betrunkenen Gangmitgliedern überwältigt und fast vergewaltigt, kann sich jedoch in letzter Sekunde vor diesem Schicksal bewahren, indem sie die beiden Widerlinge im Affekt tötet. Kurz darauf wird Michelle von anderen Mitgliedern der Gang ertappt und durchs halbe Viertel gehetzt. Zum Glück taucht in letzter Sekunde ein Polizist auf, der den Spuk beendet. Doch der Schaden ist bereits angerichtet. Michelles Psyche ist völlig zerrüttet. Sie wird von Posttraumatischen Anfällen gepeinigt, entwickelt eine gespaltene Persönlichkeit und traut sich kaum noch auf die Straße. Und zwar aus gutem Grund, denn die Stadt wird Tag für Tag von den zahlreichen, immer brutaler agierenden Gangs tyrannisiert.

Eines Tages hat Michelle jedoch die Schnauze voll. Sie beschließt sich an den Gangs zu rächen und beschafft sich eine Maschinenpistole. Fortan zieht sie Nachts raus auf die Straßen, um als sogenannte Vigilante die Kriminalität zu bekämpfen – auch wenn das bedeutet selbst zu kriminellen Maßnahmen zu greifen. Mit der Zeit etabliert sich Michelle in der Vigilante-Szene und nimmt den Decknamen Mercury an. Sie findet recht bald heraus, dass die Gangmitglieder jener Nacht dem „Circle of Woe“ angehören, der berüchtigtsten und grausamsten Bande der Stadt. Als sich die Indizien häufen, dass diese Typen etwas großes Planen, scheint es fast schon zu spät. Kann Mercury ihre Peiniger bestrafen und verhindern, dass sie die Stadt ins Unglück stürzen, oder wird sie selbst zu dem werden, was ihr so übel mitgespielt hat?

Mathew Ashworth (Astronomic Games) hat ja schon immer recht ernsthafte Geschichten geschrieben, aber mit Cascade into Madness erforscht er erstmals sehr heikle Themen wie Vergewaltigung, Folter, Wahnsinn und Selbstjustiz. Für Minderjährige ist dieses Maker-RPG trotz der bescheidenen und somit abschwächenden Grafik also nicht unbedingt zu empfehlen.

Erwachsene Spieler erwartet hingegen ein gelungenes Cyberpunk-Drama über die Gratwanderung der Selbstjustiz und die Motivation jener Leute, die eben diese Selbstjustiz ausüben. Die Vigilantes sind übrigens keine strahlenden Helden, sondern hochgefährliche Individuen, welche keinen Spaß verstehen und auch nicht vor Mord und Totschlag zurückschrecken. Insbesondere die Protagonistin Mercury treibt es gerne auf die Spitze, indem sie zivile Lagerhäuser ausplündert, Leute entführt, foltert und sogar soweit gehen kann unschuldige Polizisten zu ermorden. Die Betonung liegt hierbei jedoch auf dem Wort „kann,“ denn letztendlich liegt es in der Hand des Spielers, ob sich Michelle/Mercury, vollends der Gewalt hingibt, oder nicht doch versucht einen besseren Weg zu finden. Viele der Dinge die ich vorhin aufgezählt habe sind nämlich glücklicherweise lediglich ein „kann“ aber eben kein „muss.“ Man kann Cascade into Madness durchspielen ohne einen einzigen Einbruch, Folterung oder Polizistenmord zu begehen. Es gibt für dieses Spielsystem sogar einen eigenen Menüunterpunkt, welcher derartige Vergehen festhält. Und es versteht sich natürlich von selbst, dass unangebrachte Verbrechen und Gewaltakte später negative Konsequenzen folgen lassen könnten.

Aber auch unabhängig davon wird man im Spiel immer wieder vor unangenehme Entscheidungen gestellt. Rette ich das Gangmitglied vor dem Flammentod, obwohl er zu meinen Peinigern gehört? Opfere ich die Geisel, um einen grausamen Auftragskiller endlich aus dem Verkehr zu ziehen? Töte ich mein Folteropfer zwecks Rache, oder lasse ich ihn davonkommen? Jede Entscheidung kann kleine und große Konsequenzen davontragen. Sei es nun ein abweichender Nachrichtenbericht oder die Option durch kluges und umsichtiges Verhalten den finalen Bosskampf zu vermeiden (ja, das ist hier tatsächlich möglich). Bei Mercury werden Choices & Consequences großgeschrieben, was freilich auch den Wiederspielwert erhöht. Das ist bei solch einem kurzen Spiel von ca. 6 Stunden aber auch Ehrensache – aber ich greife abermals vor.

Unterm Strich ist Mercury eine angenehm düstere Erfahrung. Die psychischen Qualen und der damit einhergehende Wandel der Titelheldin werden ziemlich gut präsentiert und gegen Ende gibt es diesbezüglich sogar eine völlig unerwartete Wendung. Die eigentliche Story um den Rachefeldzug gegen die Circle of Woe-Gang und deren finster Pläne, kann da hingegen nicht wirklich vom Hocker hauen. Da ist sogar das Wiedersehen mit den übrigen Outrage-Vigilantes spannender. Letztendlich stellt jedoch die Titelheldin den Kernpunkt der Handlung dar. Ob das alleine reicht, muss freilich jeder für sich selbst entscheiden. Mich konnte Cascade into Madness überzeugen, aber City of Chains hatte dann doch die bessere Gesamtstory.

Etwas entschlackt, aber immer noch spannend

Nach dem experimentellen Outrage, richtet sich Cascade into Madness wieder an jene Spielschemata, die in City of Chains etabliert wurden. Nicht das das schlimm wäre, denn im Vergleich zu den ganzen uninspirierten JRPG-Wannabes, die RPG-Maker-Entwickler sonst herausspucken, wirken die City of Chains-Mechaniken immer noch enorm frisch und unverbraucht.

Das Spiel bietet mit „Normal“ und „Challenging“ zwei Schwierigkeitsgrade. Auf der höheren Stufe setzen die Gegner neue Kampftaktiken ein, die Bossgegner sind allgemein stärker und Heilstationen dürfen nur einmal eingesetzt werden. Auf „Normal“ haben die Heilstationen eine unbegrenzte Nutzung, aber das ist eigentlich egal, denn wie schon in City of Chains, gibt es auch in Cascade into Madness eine versteckte Selbstregenration, welche die Heilstationen ad absurdum führen. Immer wenn man ein paar Schritte läuft, wird ein kleiner Teil der Lebenspunkte geheilt. Man muss also nur eine kleine Weile hin- und herlatschen, um verlorene Lebenspunkte zu regenerieren. Schade, dass man hier nicht nachgebessert hat.

Manch einer dürfte sich auch daran stören, dass man das Spielsystem entschlackt hat. So wurden sowohl das Munitions-, als auch das Moral-Punkte-System komplett gestrichen. Eine Maßnahme, die wohl darin begründet liegt, dass es hier keine vierköpfige Truppe mehr gibt. Tatsächlich ist man die meiste Zeit des Spiels mit Mercury alleine unterwegs. In manchen Hauptmissionen schließt sich ihr auch ein zweiter Charakter an. Und in wirklich seltenen Fällen bekommt man sogar eine dreiköpfige Truppe. Aber das gewohnte Zusammenspiel aus vier Charakteren mit individuellen Stärken und Schwächen ist nicht mehr vorhanden. Die größte taktische Finesse liegt darin begründet, welche der vier verschiedenen Waffengattungen man ausrüstet. Wie schon in Outrage reagieren bestimmte Gegnertypen empfindlicher auf bestimmte Waffengattungen. So sind etwa Menschen gegen Flammenwerfer empfindlich, während Roboter mit elektrischen Waffen bearbeitet werden sollten. Auch ein Großteil der Kampfskills wird von der ausgerüsteten Waffe bestimmt. Neben der Waffe, gibt es auch noch Slots für eine Rüstung und bis zu drei Implantate. Auf die Ausrüstung der Gastcharaktere hat man übrigens nur begrenzten Einfluss. Die Gefährten lassen sich lediglich mit Implantaten bestücken, aber an deren Waffe und Rüstung darf man nicht herumfummeln.

Da man erneut auf Erfahrungspunkte und Level-Ups verzichtet hat, sind neben der oben erläuterten Ausrüstung auch hier die Skillpunkte die einzige Möglichkeit Mercury zu verbessern. Für jeden absolvierten (Neben)auftrag bekommt sie ein paar Skillpunkte spendiert, die man dann völlig frei in ein paar aktive und passive Skills investieren darf. Aktive Skills sind neue Kampftechniken, die z.B. den Gegnern negative Zustandsveränderungen zufügen oder Mercury heilen. Wirklich interessant sind jedoch die passiven Skills, die entweder ihre Statuswerte verbessern, oder coole Sonderfähigkeiten freischalten. Es gibt hierbei drei Sonderfähigkeiten: Stealth/Schleichen, Charisma/Überredungskunst und Lockpicking/Schlösser knacken. Schleichen wird benötigt, um einige Feinde von hinten zu erdolchen und somit einige Kämpfe zu umgehen oder zumindest die Gesamtanzahl der Gegner im Kampf um einen Teilnehmer zu reduzieren. Charisma dient dazu, um einige NPCs zu bequatschen. Damit kann man z.B. einen Polizisten bestechen, einen Buff in einem Bosskampf auslösen oder eine physische Folter vermeiden, indem man seinem Opfer einfach auf psychische Weise terrorisiert. Schlösser knacken dürfte sich hingegen von selbst erklären. Das wird benötigt, um verschlossene Truhen und Türen zu öffnen. Für jede Sonderfähigkeit gibt es freilich mehrere Ausbaustufen und wenn man die alle ausbauen will, muss man freilich auf einige Kampf- oder Status-Skills verzichten.

Konfrontationen werden erneut in einem klassischen Rundenkampf abgewickelt. Es gibt einen Punkte-Balken, den man durch Einsatz regulärer Waffenskills aufladen muss, damit man eben jene Punkte anschließend für stärkere Skills aufwenden darf. Nach ihren Einsatz erfordern stärkere Skills dann oftmals eine Cooldown-Phase, bevor sie erneut angewendet werden dürfen. Weitere Besonderheiten im Vergleich zu einem Standard-JRPG-Kampfsystem gibt es jedenfalls nicht zu erläutern. Auffällig ist jedoch, dass der Schwierigkeitsgrad von Cascade into Madness selbst auf Challenging niedriger ausfällt als in vorherigen Titeln wie City of Chains oder Atonement 2. Ob das gut oder schlecht ist, muss freilich jeder für sich selbst entscheiden. Fakt ist, dass der Kampf dieses mal definitiv kein Highlight im Spiel darstellt.

Und damit haben wir auch schon die wichtigsten Dinge abgewickelt. Ein paar Kleinigkeiten sind vielleicht noch für Neueinsteiger erwähnenswert. Das Spiel ist kurz (6 Stunden), linear und in 12 Kapitel eingeteilt, dennoch gibt es so einige Nebenquests zu entdecken, die man freilich auch verfehlen kann, was im Extremfall sogar dazu führt, dass eine weitreichende Questreihe verloren geht. Man sollte die Umgebungen der Stadt also besser gründlich erforschen, damit man nichts verpasst. Im Zweifelsfall kann man freilich einen weiteren Speicherstand anlegen, von denen, wie gewohnt, 15 Stück zur Verfügung stehen. Neben den Choices & Consequences motivieren übrigens auch Steam-Achievements zum wiederholten durchspielen. Die Steuerung basiert auf dem RPG-Maker-Standard und ist entsprechend simpel und unkompliziert. Neben der Tastatur wird hier auch umfassender Controller-Support bereitgestellt.

Grafik und Sound

In optischer Hinsicht wird gewohnte Astronomic Games-Kost geboten. Erneut beschränkt sich die Grafik auf gewisse Grafik-Erweiterungspacks des RPG-Maker-Programms. Besagte Erweiterungspacks verleihen dem Spiel einen westlichen Stil, womit es zwar weniger abgenutzt aussieht, als die ganzen Maker-RPGs im Anime/Manga-Stil, aber dafür auch auf den klassischen Nostalgie-Effekt verzichtet, welcher für manch einen eine größere Relevanz aufweisen könnte. Obendrein sehen besagt Erweiterungspacks einfach trashig aus, da kann man einfach nichts anderes zu sagen. Aber immerhin unterstützen sie den düsteren Stil des Spiels.

Der Soundtrack fällt dafür deutlich besser aus. Auch er unterstützt die finstere Cyberpunk-Atmosphäre ziemlich gut und bietet einige nette elektronische Tracks. Unterm Strich hat man es freilich mit einem RPG-Maker-Produkt zu tun. Wer eine opulente audiovisuelle Präsentation erwartet ist also ohnehin an der falschen Adresse. Und Fans dieser kleinen Rollenspiel-Nische dürfte so etwas ohnehin nicht allzu wichtig sein.

Wertung: 74

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Spiel Bewertung
Singleplayer
74
74
-
Multiplayer

FAZIT

Mercury: Cascade into Madness entpuppt sich als überraschend harter Tobak. Wäre das Spiel in AAA-Qualität entstanden, so wäre es wohl inzwischen indiziert worden. Es gibt jedenfalls wenige Computerspiele in denen man derart grausam agieren kann. Freilich ist viel davon rein optional und die gewohnt bescheidene RPG-Maker-Präsentation schwächt ohnehin vieles ab. Ich finde diesen Aspekt trotzdem erwähnenswert. Glücklicherweise ruht sich Astronomic Games nicht auf diesen Kontroversen aus, sondern sorgt dafür, dass auch der Rest vom Spiel Astronomics gewohnten Qualitätsstandard hält und teilweise sogar übertrifft. Was Choices & Consequences anbelangt orientiert sich Cascade into Madness an einschlägigen CRPG-Klassikern wie etwas Fallout. So gibt es hier z.B. sogar die Möglichkeit den finalen Bosskampf komplett zu umgehen, was für so ein kleines RPG-Maker-Spielchen doch enorm bemerkenswert ist! Da kann man es auch leicht verzeihen, dass einige Spielelemente aus dem Quasi-Vorgänger City of Chains der Schere zum Opfer fielen und die Grundhandlung um die Ausschweifungen einer brutalen Gang nicht ganz so fesselnd ist, wie die Stories vorheriger Astronomic Games-Titel. Wer die vorherigen Spiele des Entwicklers mochte, kann auch hier wieder bedenkenlos zugreifen. Ich würde sogar so weit gehen und sagen, dass Mercury eine seiner besseren Produktionen ist.

- Von  Volker

MS Windows

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