NieR Replicant ver.1.22474487139…REVIEW

Als NieR vor ziemlich genau elf Jahren erschienen ist, war dem Spiel von Game-Designer Yoko Taro weder der kommerzielle Erfolg noch eine allzu euphorisch Besprechung vergönnt. Erst der Nachfolger NieR Automata konnte in beiden Belangen den Spieß komplett umdrehen und hat so in der Folge auch dem Erstling zu mehr Beachtung verholfen. Kein Wunder also das Publisher Square Enix NieR nun noch einmal für PlayStation 4 und Xbox One sowie PC neu auflegt und dem verkannten Klassiker von einst den verspäteten Ruhm einbringt.

Replicant/Gestalt/√1,5

Bevor ich mit der eigentlichen Besprechung zu NieR Replicant ver.1.22474487139… beginne, will ich zunächst einige Begrifflichkeiten und Fakten klären, damit alle im selben Bilde sind. In Japan ist das Original ursprünglich in zwei Versionen erschienen. An sich sind beide Varianten inhaltsgleich und erzählen dieselbe Handlung. Der Unterschied: während NieR Gestalt einen erwachsenen Mann als Protagonisten hat, besitzt NieR Gestalt eine wesentlich jüngere Hauptfigur. Letztere ist im Westen nicht erschienen, stattdessen konnte man das Abenteuer hier mit dem leicht grummeligen älteren Herren auf PlayStation 3 und Xbox 360 erleben. Das Remaster erscheint nun einzig mit dem jungen Protagonisten. Und die ewig lange Zahlenfolge im Titel? Das ist die Wurzel von 1,5.

Tatsächlich ist die Neuauflage ein Mischding zwischen Remaster und Remake und somit wirklich so etwas wie eine Version 1,5. Denn sowohl technisch als auch inhaltlich hat man einiges überarbeitet, ergänzt und neu hinzugefügt. Das Original wurde, so wie ich das sehe und einschätze, auf die Engine von NieR Automata übertragen und läuft nun in 60 Frames, wobei die Auflösung je nach System (PS4/5, Xbox One/Series und PC) variiert und bis zu 4k erreichen kann. Auch die Assets und Grafiksets sind teilweise neu bzw. überarbeitet, was gerade im Direktvergleich zwischen Original und Neuauflage sichtbar wird. Dennoch sollte man hier nicht mit der Erwartungshaltung herangehen, die durch aufwendige Remakes zu Spielen wie Resident Evil 2 entstanden sein könnten, denn sowohl bei den Texturen als auch den Figurenmodellen und einigen anderen Details sieht man aus welcher Konsolengeneration das Spiel ursprünglich stammt. Und auch die Gestaltung der Welt zeugt vom geringen Budget, welches das Ursprungsspiel besessen hat.

Der Nachfolger verbessert den Vorgänger

Das die Welt von NieR Replicant karg und leer ist, passt immerhin aber zum Setting. Die Geschichte spielt ziemlich weit in einer postapokalyptischen Zukunft, in der beinahe die komplette Menschheit durch eine mysteriöse Krankheit ausgerottet wurde. Die noch wenigen Überlebenden haben sich in kleine Siedlungen zurückgezogen. Wirklich sicher sind die Menschen aber auch dort nicht, denn nicht nur existiert nach wie vor die Schwarzschrift genannte Krankheit, auch bedrohen Schatten genannte Wesen das Leben der Bewohnerinnen und Bewohner der kleinen Gemeinden. In einer dieser Enklaven leben auch der Protagonist (dessen Namen man bei Spielstart selbst festlegt, den ich einfachheitshalber im weiteren Text Nier nenne) und seine Schwester Yonah. Als Yonah eines Tages von der Schwarzschrift-Krankheit befallen wird, macht sich ihr Bruder auf um eine Heilung zu finden.

Die Geschichte ist in zwei große Kapitel aufgeteilt. In der ersten Hälfte spielt man als junger Bruder und macht sich mit der Welt vertraut und findet während der Suche nach einer Heilung neue Begleiter, darunter auch das sprechende Buch Grimoire Weiss. Der um die Spielfigur schwebende Laberkasten ist nicht nur herrlich im englischen von Liam O’Brien mit einem hochgestochenen britischen Akzent vertont, sondern auch ziemlich mächtig, kann man Dank ihn doch Magie wirken. Während man mit Nier mit Schwertern im Nahkampf agiert, schießt man mit Grimoire Weiss Kugeln, magische Speere und andere mächtige Attacken auf die Gegner. Das Kampfsystem war eine der großen Schwächen des Originals, für das Remaster wurde das Ganze an Automata ausgerichtet und mit dem Sequel auf eine Linie gebracht. Dadurch spielen sich die Kämpfe nun deutlich flotter, es gibt neue Animationen und Kombos und auch die einst störende Kamera wurde massiv verbessert. Persönlich vermisse ich zwar den Tiefgang des Nachfolgers, dennoch machen die Kämpfe Spaß. Vor allem in der zweiten Spielhälfte.

Langsamer Start, grandiose zweite Hälfte

Ich will an dieser Stelle gar nicht so stark auf den Inhalt der zweiten Hälfte eingehen, nur so viel: es gibt einen kleinen Zeitsprung, wodurch Nier nicht nur ein bisschen älter, sondern auch erfahrener im Kampf wird. Zu den einhändigen Schwertern gesellen sich ab sofort auch grobschlächtige Zweihänder sowie Speere. Nicht zuletzt da auch die Gegner ein bisschen knackiger und variantenreicher werden, wird das Kampfsystem in der zweiten Spielhälfte erst zum Höhepunkt gebracht – insbesondere bei den Bosskämpfen.

Tatsächlich kommt eigentlich das gesamte Spiel erst nach dem ersten Kapitel so richtig in Schwung. Nicht nur spielerisch, auch narrativ werden hier nach und nach die Dämme gebrochen, sodass sich für mich als Erstspieler von NieR Replicant so allmählich herauskristallisiert, warum der Erstling bei Kennern einen so hohen Stellenwert einnimmt. Was Yoko Taro später in Automata fortgeführt und zur absoluten Perfektion gebracht hat, erhält hier sein Fundament. Entsprechend ist Replicant dadurch aber auch noch wesentlich ungeschliffener, was sich in vielen Aspekten bemerkbar macht und vor allem bei den oftmals seltsam schnell abgehandelten Spannungsmomenten bedauerlich ist. Grausame Schicksalswendungen, die mich an den Rand der Tränen gebracht haben, werden nach wenigen Sätzen der Figuren bereits als gegeben abgehackt und auch die dramaturgische Kurve weist stellenweise ein eigenwilliges Gefälle auf. Dennoch kann ich an dieser Stelle nicht genug betonen, welch absolut grandiosen Wendungen die Geschichte macht, wie toll der Supporting-Cast um Nier ist und wie stark mich der Verlauf letztlich an meine Emotionalität gepackt hat.

Mehrmals durchspielen ein Muss

Und ja, bei Replicant gilt wie auch bei Automata: um das gesamte Bild der Geschichte zu erhalten, muss man das Spiel mehrere Male durchspielen. Das klingt sicherlich anstrengender als es das letztlich ist, denn man behält beim zweiten und jeden folgenden Durchgang Waffen, Erfahrungslevel etc. bei. Dennoch gibt es einige Passagen mit starken Leerlauf und viel, viel Backtracking. Da sich die Spielwelt eigentlich kaum ändert und nahezu keine neuen Mechaniken eingeführt werden, ziehen sich die weiteren Durchläufe stellenweise zwar, da man im Grunde aber bereits weiß, was zu tun ist, sind die folgenden Playthroughs aber wesentlich schneller, als die vorherigen. Und der letztendliche Payoff entschuldigt definitiv für jeden Moment, an den man an Taro und seine Designentscheidung gezweifelt hat.

Abseits der Hauptquest gibt es übrigens einiges zu tun. Leider merkt man aber auch hier das geringe Budget des Ausgangsspiels und gerade im Vergleich mit dem Nachfolger muss man doch einige Abzüge machen. So ist die Welt zwar voller Nebenquests, allerdings beschränken sich diese oft auf das Schema „besorge Gegenstand X and Ort Y und bringe sie zum Questgeber zurück“. Das hatte Automata zwar auch, dort wurden aber selbst die spielerisch banalsten Fetchquests noch mit einer interessanten Handlung verknüpft, während das in Replicant seltener der Fall ist. Etwas Spannender sind schon die „15 Nightmares“ genannten Extra-Dungeons. Diese sind ehemals nur in Japan für das Original erschienen und bringen „Dad Nier“ zurück als spielbare Figur, wenn auch nur in einer Abfolge von stetig schwieriger werdenden Kämpfen. Immerhin gibt es für das Spielen der Dungeons neue Waffen und Outfits.

Und auch ansonsten zeigen sich die Verantwortlichen ziemlich ausladend was neue Inhalte angeht. Die ohnehin schon geniale Musik von Keiichi Okabe wurde neu aufgenommen und teilweise auch neu arrangiert. Nach wie vor erhält man einen absolut einmaligen Soundtrack auf die Ohren, welcher den Figuren, der Geschichte und der Welt erst ihre emotionale Wucht verleihen. Neu ist auch eine Hauptquest in der zweiten Spielhälfte inklusive einer neuen Location und einen neuen Boss. Auch die Sprachaufnahmen und das Skript wurden überarbeitet und überhaupt hat man die Geschichte nicht zuletzt dank eines neuen Endes noch mehr mit der Geschichte von NieR Automata verzahnt. So viel Gespür für das eigene Werk und die Erwartungen der Fans ist schon ziemlich bemerkenswert.

Pro & Kontra

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Pro
  • sinnig erweiterte und überarbeitete Neuauflage
  • einige der besten Figuren, die es jemals in einem Videospiel gegeben hat
  • (ab der zweiten Hälfte) eine spannende Geschichte, die nicht mehr los lässt
  • Kampfsystem an den Nachfolger ausgerichtet und nun wesentlich fluffiger als im Original
  • grandiose Musik

thumbs-up-icon

Contra
  • mehrmaliges Durchspielen für alle Enden erfordert einiges an Sitzfleisch
  • häufiges Backtracking
  • Dramaturgie nicht immer ausgearbeitet

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Spiel Bewertung
Singleplayer
83
83
Gut
-
Multiplayer

FAZIT

NieR Automata ist eines der besten Spiele, die ich jemals gespielt habe. Noch heute gibt es Figuren, Momente und Wendungen, die in mir eine wohlige Nostalgie, Gänsehaut und schöne Erinnerungen wachrufen. Entsprechend neugierig war ich natürlich stets auf den Vorgänger. Das ich diesen die ganzen Jahre über trotz enormen Interesses nie nachgeholt habe, lag letztlich an meinen unbändigen Glauben daran das die Verantwortlichen den Erfolg von Automata nicht einfach stehen lassen, ohne zumindest einen einfachen Port anzubieten. NieR Replicant ver.1.22474487139... ist nun wesentlich mehr geworden als eine simple Portierung auf aktuelle Systeme. Zwar habe ich das Original auf PS3/Xbox 360 nie gespielt, sehr wohl waren mir einige Aspekte durch Videos und Diskussionen aber durchaus bekannt. Insofern muss man Publisher Square Enix und das mit der Neuauflage anvertraute Studio Toylogic wirklich auf die Schulter klopfen. Denn auch wenn man hier nicht das Production-Value aufruft, wie etwa Capcom bei ihren Remakes von Resident Evil, so ist die Neuauflage von NieR Replicant dennoch eine, die Bilderbuchcharakter hat. Das man sich nach wie vor mit einigen Altlasten des Originals herumquälen muss ist zwar bedauerlich, hat meiner Freude am Spiel aber nahezu keinen Abbruch getan. Denn alleine die Figuren und die Richtung, in die sich die Geschichte hinbewegt, lassen die zugegeben nicht wenigen Augenblicke, in denen ich nur mit knirschenden Zähnen weitergespielt haben, absolut vergessen.

- Von  Adrian

Sinnvoll überarbeitete Neuauflage eines ehemaligen Geheimtipps, der ab sofort als Klassiker gelten darf.
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