Neverwinter Nights 2: Mysteries of Westgate DLC REVIEW
Mysteries of Westgate (kurz: MoW) ist die dritte und letzte Erweiterung zum Hit-CRPG Neverwinter Nights 2. Das Spiel wurde im April 2009 für aufgerundet 10 $ veröffentlicht, obwohl es bereits im September 2007 fertiggestellt war. Die Verzögerung soll auf Unstimmigkeiten zwischen den drei involvierten Unternehmen (Atari, Ossian und Obsidian) zurückzuführen sein. Auch Ataris Unfähigkeit ihr DRM-Kopierschutz-Gedöhns in die Gänge zu bekommen, soll einen großen Anteil zur Verspätung dieser Erweiterung beigetragen haben.
Unabhängig davon, handelt es sich bei MoW allerdings nicht um ein vollwertiges Add-on wie die beiden zuvor veröffentlichten Erweiterungen Mask of the Betrayer und Storm of Zehir, sondern um ein sogenanntes „Adventure Pack.“ Diese Bezeichnung ist jedoch nur eine schönere Umschreibung für einen kostenpflichtigen DLC. Fairerweise muss jedoch gesagt werden, dass der Begriff DLC (Downloadable Content) seinerzeit noch nicht vorhanden gewesen sein dürfte. Außerdem kommt dieses „Adventure Pack“ keineswegs aus der Luft, da bereits für den Vorgänger Neverwinter Nights insgesamt sechs kostenpflichtige DLCs verramscht wurden. Die DLCs für NWN 1 tragen übrigens die noch großspurigere Bezeichnung „Premium Packs.“ 😀
Weiterhin erwähnenswert ist die Tatsache, dass der zuständige, kanadische Entwickler Ossian Studios ohne weiteres in die Indie-Kategorie geschoben werden kann. Nachdem man mit Darkness over Daggerford bereits ein Preimum Modul für Neverwinter Nights produzierte, war die Entwicklung eines weiteren DLC-Moduls für NWN 2 wohl der logische Schluss.
Die DLC-Module der NWN-Titel konnten hierzulande übrigens nie so richtig Fuß fassen. Die Dinger wurden weder ins deutsche übersetzt noch großartig vermarktet und galten entsprechend als Kuriositäten, die höchstens für die ganz harten Fans von Interesse waren. Ich selber bin auch nur durch die Neverwinter Nights 2 Complete-Version über GoG an dieses „Adventure Pack“ herangekommen. Wie der Name bereits suggeriert beinhaltet GoGs Complete-Edition das komplette NWN 2-Paket, und dazu gehört eben auch Mysteries of Westgate. Dann wollen wir mal gucken, ob diese finale kommerzielle Erweiterung für NWN 2 was taugt oder nicht.
Eine verfluchte Maske beschert Alpträume
Die Handlung beginnt recht banal und hat im übrigen nichts mit den Stories des Hauptspiels und der Add-ons zu tun: Wir übernehmen die Rolle eines selbsterstellten relativ erfahrenen Abenteurers (Stufe 8). Dieser hatte irgendwann vor Spielbeginn eine schicke Domino Maske in irgend einem Dungeon eingesackt und leidet seitdem unter üblen Alpträumen, welche von garstigen Untoten handeln. Diese Träume werden übrigens ungemütlich real, wenn man es wagt die Maske anzulegen. Dummerweise ist die Maske verflucht, was bedeutet, dass man das Ding keineswegs einfach wegschmeißen oder sonst irgendwie entsorgen kann. Der einzige Weg wieder in den Genuss friedlicher Nachtruhe zu gelangen, ist es den dämlichen Fluch zu brechen.
Einige Nachforschungen ergeben, dass es sich bei dieser speziellen Domino Maske um das Markenzeichen der sogenannten „Night Masks“ handelt, einer ebenso mächtigen wie berüchtigten Diebesgilde. Diese treibt ihr Unwesen in der verruchten Hafenstadt Westgate, welche zur Region der Dragon Coast (Drachenküste) gehört. Die Dragon Coast ist eine Ansammlung von Stadtstaaten, in denen vorrangig die Korruption regiert – also genau der richtige Landstrich für skrupellose Halsabschneider wie die Night Masks. Die Frage ist nur, was das alles mit der verfluchten Maske zu tun hat?
Glücklicherweise war unsere alte Weggefährtin, die Halbelfen-Schurkin Rinara, einst ein Mitglied der Night Masks. Sie will uns dabei unterstützen uns in Westgate zurechtzufinden, und das ist auch bitter nötig, denn Kriminalität sowie Korruption gehören dort zum Alltag und die örtliche Stadtwache ist wohl die inkompetenteste die man jemals auf Faerûn gesehen hat. Auch der gefallene Paladin Mantides und die Klerikerin Charissa schließen sich unserer Sache an, in der Hoffnung irgendwo in Westgate ihren Seelenfrieden zu finden – denn warum sonst sollte man sich freiwillig in solch einem Drecksloch aufhalten?
Es stellt sich recht schnell heraus, dass die Night Masks mit den Ebon Claws einen ernstzunehmenden Konkurrenten in ihrem schmutzigen Gewerbe gefunden haben, und auch der örtliche Lathander-Tempel will der etablierten Diebesgilde ans Leder. Es wäre also nicht verkehrt uns einer dieser beiden Gruppierungen anzubiedern, um den Night Masks näher auf die Pelle zu rücken. Doch niemand hätte erwartet, was es mit dieser Organisation wirklich auf sich hat.
Wie gesagt beginnt die Handlung recht banal und unspektakulär. Der Protagonist hat keinen Bock mehr auf Alpträume die durch einen verfluchten Gegenstand ausgelöst werden und bricht auf, um den Fluch zu brechen. Letztendlich kommt er jedoch einer gewaltigen Verschwörung auf die Schliche und wird vor die Wahl gestellt. Bis dahin besteht die Hauptquest jedoch aus recht nervigen Schnipseljagd- und Handlangerquests für falsche Verbündete in einer ruchlosen Stadt. Das ungewohnte Setting soll wohl bei der Stange halten, bis man das letzte Spielfünftel erreicht und die wirklich interessanten Storyentwicklungen zu Tage treten. Leider gelingt es Ossians Interpretation von Westgate nicht wirklich den Flair eines brandgefährlichen Pflasters aufrecht zu erhalten. Im Endeffekt fühlte es sich wie eine Stadt unter vielen an. Der einzige Unterschied besteht darin, dass in Westgate auch Völker und Sitten toleriert werden, die anderswo geächtet werden würden (Echsenmenschen, Sklaverei etc.). Jedoch macht das Spiel nicht viel aus diesem Material, weswegen die angepeilte Exotik von Westgate leider völlig im Sande verläuft.
Stattdessen belästigt einen das Spiel mit nervigen Anspielungen und peinlichem Humor. So gibt es nicht nur die obligatorische Power Rangers-Parodie, sondern auch eine Sidequest in der man einen Krieg zwischen Hamstern und Frettchen entscheiden soll (ja, wirklich), was freilich hauptsächlich als billiger Querverweis auf die Baldur’s Gate-Charaktere Minsk und Boo dient. Mit derlei Dingen verspielt man sich freilich noch mehr von der Atmosphäre und riskiert das Interesse des Spielers zu verlieren. Darüber hinaus wirkt die Auflösung des Plots etwas weit hergeholt, auch wenn die Storyentwicklungen gegen Ende endlich mal spannend und interessant werden.
Auch auf die Charaktere möchte ich zu sprechen kommen. Mit Mantides und Charissa haben wir gleich zwei typisch rechtschaffen gute Charaktere in der Truppe. Wer sich auskennt wird jetzt bereits mit den Augen rollen – und zwar völlig zurecht. Solche Charaktere leben in ihrer eigenen kleinen Welt und sehen oftmals nur ihre Sicht der Dinge, was sie letztendlich enorm naiv, dumm und nervig wirken lässt. Und auch Mantides und vor allem Charissa bilden da keine Ausnahme. Es war schon stellenweise recht anstrengend mit denen umherzuziehen und ihre jeweiligen Ansichten und Streitereien über sich ergehen zu lassen. Freilich können die beiden Rinara nicht ausstehen, da sie ja eine Diebin ist. Ironischerweise können sich Mantides und Charissa auch untereinander nicht ausstehen. Das alles sorgt freilich für reichlich Zündstoff in der eigenen Gruppe. Als Hauptcharakter fühlt man sich da eher wie ein Kindermädchen als der Anführer einer kompetenten Abenteurer-Gruppe. Aber wenigstens verfügt jeder der drei Begleiter über eine eigene Charakterquest, welche ihnen angemessenen Tiefgang verleiht und die vorherigen Kapriolen zumindest stellenweise vergessen lässt.
Merkwürdige Entscheidungen im Gamedesign
Allzu viel habe ich an dieser Stelle nicht zu erzählen, da sich gameplaytechnisch logischerweise nicht wirklich etwas getan hat. Wer das Hauptspiel Neverwinter Nights 2 gespielt hat, weiß was ihn hier erwartet. Und da MoW noch vor den Add-ons fertiggestellt wurde, gibt es hier auch kein Material aus Mask of the Betrayer oder Storm of Zehir zu finden. Dennoch gibt es einige Dinge zu besprechen. MoW findet ausschließlich in der Namen-gebenden Stadt Westgate statt, was bedeutet, dass sich sowohl Spielumfang als auch Abwechslungsreichtum des Szenarios in Grenzen halten. Die Spieldauer beträgt ca. 15-20 Stunden. Westgate setzt sich aus insgesamt drei offiziellen Bezirken, einem inoffiziellen Kanalisations-Bezirk, sowie diversen Häusern, Gebäuden und einigen Dungeons zusammen. Mithilfe einer Stadtkarte erhält man Zugriff auf einige Schnellreisepunkte, welche die Masse der virtuellen Latscherei etwas geringer halten. Leider öffnet sich besagte Stadtkarte nur dann, wenn man zum Ausgang des jeweiligen Stadtviertels stiefelt.
Sehr früh im Spiel hat man die Auswahl aus zwei verschiedenen Gruppierungen und gegen Ende erhält man die Wahl, ob man auf der guten oder bösen Seite weiterkämpfen will. Diese Entscheidungen führen alternative Quests und Storyentwicklungen nach sich, was natürlich auch den Wiederspielwert erhöht. Abseits der Hauptquests gibt es auch viele Pseudo-Sidequests zu entdecken. Warum Pseudo? Weil man im späteren Spielverlauf 40.000 Goldeinheiten anhäufen muss, damit man eine bestimmte Hauptquest antreten darf. Und um einen derart hohen Betrag anhäufen zu können, muss man jede Menge Sidequests abwickeln, ob man nun will oder nicht. Solch eine Designentscheidung ist gefährlich, da einige Spieler ihr Gold sicherlich in teure Ausrüstung investieren, bevor sie überhaupt erfahren, dass bis zum Abschluss besagter Hauptquest sparen angesagt ist. Im Ernstfall könnte man also sogar in einer Sackgasse landen, da man für einen verkauften Gegenstand logischerweise nicht die volle Wertsumme zurückerhält. Wobei es jedoch eine Arena gibt, in der man wiederholt kämpfen darf und mit angemessenen Goldsummen ausbezahlt wird. Ich vermute besagte Arena dient als eine Art Failsafe für die eben erwähnte Bankrott-Sackgasse.
Dies ist jedoch nicht der einzige Fehlschlag in Sachen Gamedesign. Wie bereits im Storysegment dargestellt, bietet MoW nur drei Gefährten: Eine Schurkin, einen gefallenen Paladin (also einen schlecht geskillten Krieger) und eine Klerikerin. Wer einen Magier (mit nützlichen Steinhaut-Zauber) in der Gruppe haben will, hat also keine andere Wahl als diesen selbst in Form seines Hauptcharakters zu erstellen. Und das ist wieder so etwas, was man im Vorfeld einfach nicht weiß, und was einem im Ernstfall in eine richtig beschissene Lage bringen kann. Sorry, aber das sind einfach ganz miese Designentscheidungen, die deutlich machen, dass die verantwortlichen Entwickler nicht wirklich Ahnung von dem haben, was sie überhaupt tun. Sicherlich steckt viel Herzblut in Mysteries of Westgate, vor allem der Abwechslungsreichtum der Quests macht dies deutlich (man muss Rätsel lösen, schwere Entscheidungen treffen, es gibt unerwartete Überraschungen), aber wenn einem dann solche Klöpse vor die Füße gelegt werden, fällt es schon recht schwer ein Auge zuzudrücken.
Grafik und Sound
Neutral betrachtet handelt es sich bei MoW um eine kommerzielle Mod von Neverwinter Nights 2. Obendrein werden hier die Inhalte der beiden Add-ons nicht berücksichtigt, da diese erst nach der Produktion von MoW veröffentlicht wurden. Und dann ist da freilich die Tatsache, dass das Spiel nun einmal in einer einzigen Stadt stattfindet. Das sind eigentlich recht schlechte Voraussetzungen für dieses Spiel, aber überraschenderweise gelang es Ossian ungewöhnlich detailverliebte und atmosphärisch dichte Maps zu gestalten. Ich würde sogar so weit gehen und behaupten, dass die Maps in MoW besser gelungen sind als im Hauptspiel! Man ging sogar so weit eigene Grafiksets und Modelle einzufügen. Grafisch gibt es also nichts zu kritisieren, und da sich der Umfang auf eine einzelne Stadt beschränkt, sind auch die Ladezeiten kürzer als gewohnt.
Das Adventure-Pack verwendet darüber hinaus zu großen Teilen seinen eigenen Soundtrack. Dieser orientiert sich sehr stark am etablierten Stil des Hauptspiels, womit er sich gut ins Gesamtbild einfügt. Das bedeutet leider auch, dass es dem OST von MoW an eigener Identität mangelt. Es gab jedenfalls keinen neuen Track, der mir im Gedächtnis hängen geblieben ist.
Auch die Sprachausgabe ist angenehm hochwertig, aber leider nur sehr sporadisch vertreten. Selbst in wichtigen Dialogen gibt es oftmals gar keine Sprachausgabe oder nur eins, zwei vertonte Sätzchen, ehe man wieder selber lesen muss. Der Knaller war jedoch ein bestimmter Dialog zum Schluss von Charissas Charakterquest. Da wurden die Textzeilen des betroffenen NPCs nur teilweise vertont, was bedeutet, dass man abwechselnd einen synchronisierten Satz hatte, dann wieder selber lesen musste und dann wieder gesprochen wurde usw. Angesichts solch eines groben Präsentations-Schnitzers, kann man sich ein mitleidiges Schmunzeln für die verantwortlichen Indie-Entwickler nur schwer verkneifen.
MoW wurde übrigens nicht ins deutsche übersetzt, was leider auch bedeutet, dass sich die deutschen Texte des Hauptspiels und die englischen Texte von MoW teilweise überlappen. So tauchen immer wieder einzelne Wörter auf, die trotz der englischen Sprache fälschlicherweise auf deutsch wiedergegeben werden. Entsprechend holprig fällt dann auch mal der Lesefluss aus.
Pro & Kontra
- überraschend detailverliebte Maps
- hoher Wiederspielwert dank alternativer Questreihen
- abwechslungsreiche Quests mit netten Überraschungen
- ein paar neue Grafiken und Soundtracks
- nur drei Companion-Charakter die keinen Magier abdecken
- zwingt dazu 40.000 Goldeinheiten zusammenzusparen, damit man später vorankommt
- Sprachausgabe ist zwar gut, aber nur seeehr sporadisch vertreten
- wurde nie ins deutsche übersetzt, obendrein rutschen einige eingedeutschte Wörter aus dem Hauptspiel in die englischen Texte
- teils alberner Humor und nervige Klischee-Companion-Charaktere