Fantasian Neo Dimension REVIEW
Es kommt eher selten vor, dass man als vornehmlich auf Konsolen heimischer Spieler neidisch zu den Mobile-Games schielt. Hin und wieder finden sich in den von Free-2-play überwucherten App-Stores aber doch interessante Titel, wie etwa das 2021 exklusiv in zwei Teilen für iOS-Geräte veröffentlichte Fantasian. Interessant vor allem deshalb, weil mit Final Fantasy Erfinder Hironobu Sakaguchi ein Designer mit Klang und Namen federführend beteiligt ist. Neben diesen für das Genre der japanischen Rollenspiele so wichtigen Kopf stecken in dem Rollenspiel aber auch einige spannende Ideen und nicht zuletzt eine visuell geradezu einmalige Darreichungsform. Jetzt ist das Spiel im Komplettpaket und mit einigen Anpassungen auch für die gängigen Konsolen und den PC erschienen. Und das ist vor allem für traditionsbewusste Genre-Fans ein Grund zur Freude.
Tradition trifft auf Moderne
Es ist schon ulkig, wie zwei auf dem Papier durchaus ähnliche Spiele wie das kürzlich veröffentlichte Dragon Quest III HD-Remake und das mit den Beinamen Neo Dimension in die digitalen und weltlichen Stores gestellte Fantasian so unterschiedliche Wahrnehmungen auslösen können. Während ich die vor allem audiovisuell betörend tolle Neuauflage von DQ3 inhaltlich aufgrund seiner Verhaftung an die Designtugenden des NES-Originals als anstrengend empfand, gefallen mir die traditionellen Tugenden von Fantasian hingegen ziemlich gut. Zur Wahrheit gehört aber eben auch die Erkenntnis von Sakaguchi und seinem Team bei Entwickler Mistwalker und die logische Folgerung, alte und moderne Designphilosophie zu verknüpfen. Das beste Beispiel für mich ist der Umgang beider Spiele mit den Zufallskämpfen. In der Neuauflage von Dragon Quest III werden diese im Sekundentakt ausgelöst. Zwar kann man die Kämpfe automatisch und mit höherer Geschwindigkeit ausspielen lassen, dennoch nerven sie.
Auch in Fantasian gibt es Zufallskämpfe und gar nicht mal so wenige, wenn gefühlt auch wesentlich angenehmer getaktet. Zügig im Spielverlauf bekommt man Zugriff auf das sogenannte Dimengeon-System. Damit kann man Random Encounters quasi aus dem Weg gehen, zumindest vorerst. Hat man das entsprechende Tool aktiviert und es wird ein Kampf ausgelöst, wird dieser in eine Warteschlange geschoben. Das kann man mit bis zu 30 Gegnern machen, dann muss man kämpfen und gegen alle angesammelten Gegner auf einmal antreten und sie besiegen. Aufgeschoben ist eben nicht aufgehoben.
Dass mir diese Massenschlachten, die durchaus auch mal einige Minuten in Anspruch nehmen können, selbst nach Dutzenden Spielstunden nicht auf den Keks gegangen sind, hängt mit weiteren Faktoren im eigentlichen Kampfsystem zusammen. Mit vielen Angriffen kann man nämlich mehrere direkt hintereinander aufgereihte Gegner treffen, klassische Area-of-effect-Angriffe mit großer Reichweite und Umfang gibt es ebenfalls und einige Zauberangriffe kann man sogar in einer Kurve auf die Gegner heraufbeschwören. Gerade wenn die einzelnen Charaktere einen hohen Level und somit Zugriffe auf die besonders guten Aktionen haben, ist es ungemein befriedigend mitunter vier, fünf, sechs Gegner auf einmal zu besiegen. In der Theorie klingt das alles natürlich einfacher, als es sich in der Praxis darstellt. Denn – typisch JRPG – muss man auch Statuseffekte und Stärken sowie Schwächen von der eigenen Party und den Gegnern im Auge behalten. Fantasian gibt sich aber redlich Mühe ein nicht nur spaßiges, sondern auch motivierendes Kampfsystem zu gestalten. Nicht zuletzt, da hier jede Figur ein komplett unterschiedliches Set an Möglichkeiten besitzt, habe ich bis zum finalen Boss enormen Spaß an den Kämpfen gehabt.
Ein Final Fantasy namens Fantasian
Nun bin ich schon sehr weit auf die grundlegende Spielmechanik eingegangen, selbstredend stellt sich natürlich die Frage, worum es inhaltlich überhaupt geht. Man könnte Fantasian durchaus als ein Best-of von Sakaguchi und den frühen Final Fantasy Teilen beschreiben. Vor allem an den neunten Teil hat mich der Titel immer wieder erinnert, man findet aber quasi narrative Inhalte aus allen vorherigen Teilen auch.
Das Spiel startet mit Leo, der in einer futuristischen Megacity einen Anschlag verübt (hust, Final Fantasy VII Auftakt, hust). Dabei geht aber irgendwas schief und Leo wird in eine andere Dimension geschickt. Oder besser gesagt zurückgeschickt, denn während Leo fortan an Amnesie leidet und nach und nach seine Erinnerungen und eigentliche Bestimmung wieder erlernen muss, können sich einige Menschen an den weiß-haarigen Recken erinnern und stoßen ihn gewollt oder ungewollt in die richtige Richtung. Warum Leo übrigens wie der verlorene Bruder von 2B aus Nier: Automata gestaltet ist: keine Ahnung. Seine High-Heel-Stiefel sehen aber ziemlich fesch aus und auch darüber hinaus habe ich mich nach und nach immer mehr mit dem Protagonisten identifizieren können. Und auch der restliche Cast, den man nach und nach einsammelt, ist mir ziemlich ans Herz gewachsen.
Auch wenn Sakaguchi nur als Produzent und Teil eines dreiköpfigen Autorenteams an der Entwicklung beteiligt war, so merkt man seine Handschrift doch stark. Hier steckt nämlich viel vom alten Final Fantasy drin, rein auf emotionaler Ebene. Dazu trägt natürlich auch die Musik bei, die von keinem geringeren als Nobuo Uematsu stammt. Online zeigen sich erstaunlich viele Fans enttäuscht vom finalen Werk des Komponisten, der aus gesundheitlichen Gründen mittlerweile in die Rente gegangen ist. Ich empfand das aber nicht so. Sicherlich ist es nicht Uematsus beste Musik, viel stimmt ganz klar auf bekannte Melodien an. Aber der musikalische Beitrag ist ebenfalls noch einmal ein schönes Best-of und hat ein paar wirklich tolle Stücke. Ich jedenfalls hatte so einige Male Gänsehaut und ja, auch hier und da ein paar Tränen. Uematsus Musik ist einfach etwas besonderes, selbst wenn er nicht auf der Höhe seines Schaffens ist.
Gelungene Portierung mit Schönheitsfehlern
Als Fantasian ursprünglich für Apple-Geräte erschien, wurde immer wieder mit der Optik geworben. Diese ist in der Tat etwas besonderes, denn die Entwickler haben über 150 Dioramen in Echt gebaut, diese fotografiert und ins Spiel übertragen. Dadurch besitzen viele Level-Umgebungen einen haptischen Touch, den ich absolut toll finde. Allerdings hätte man sich beim Upscaling mehr Mühe geben können. Was auf den kleinen Bildschirmen von iPhones und iPads noch gut aussieht, wirkt auf dem großen TV teilweise verwaschen und wird der Mühe der Künstler nicht gerecht. Ich habe die PS5-Version gespielt, die ansonsten technisch sauber ist (bis auf ein paar Abstürze in den ersten Spielstunden) und musste einige Male die Augen zusammenkneifen. Vielleicht ist man also besser beraten, wenn man das Spiel auf der Nintendo Switch erlebt oder dem Steam Deck. Bei der Switch-Version soll es aber wohl Probleme mit der Performance geben, dazu kann ich aber nichts Genaues sagen.
So bedauerlich die teils grob aufgelösten Hintergründe auch sind, ich konnte mit ihnen leben. Schöne Momente werden trotz technischer Einbußen erzeugt und auch die Integration der 3D-Figuren in die Optik empfinde ich als gelungen. Die Entscheidung auf eine Panzer-Steuerung zu verzichten, erweist sich als weiterer Makel. Prinzipiell funktioniert die oftmals in der Perspektive wechselnde Kamera samt Steuerung nämlich wie etwa die klassischen Resident Evil Spieles. Allerdings gibt es nur eine direkte Steuerung, die aber nicht bei Szenenwechseln umschaltet. Man muss die Steuerung also bei jedem Szenen- bzw. Perspektivwechsel anpassen. Das ist jetzt auch kein Beinbruch, aber eben eine Kleinigkeit, die man eleganter lösen kann.
Pro & Kontra
- spaßiges Kampfsystem mit Tiefgang und guten Ideen
- jede Figur der eigenen Party besitzt komplett eigenständige Fähigkeiten
- schöne Musik von Uematsu
- Hintergründe wurden in Echt als Dioramen gebaut und haben dadurch einen haptischen Touch
- für die Portierung wurde unter anderem eine komplette und gute englische Vertonung gemacht
- eine optionale Panzersteuerung wäre gut gewesen
- Hintergründe sehen mitunter grobschlächtig aufgelöst aus
- Story braucht etwas um in Fahrt zu kommen