Like a Dragon: Ishin! REVIEW
Die Zeiten, in denen japanische Spiele keine weltweite Veröffentlichung erhalten, gehören mittlerweile der Vergangenheit an. Einem großen Titel einer mittlerweile auch im Westen ziemlich populären Reihe, ist dieses Schicksal aber doch noch vor gar nicht so langer Zeit widerfahren: Ryū ga Gotoku Ishin!, das im Februar 2014 für die PlayStation 3 und PlayStation 4 veröffentlichte Spin-Off der bei uns als Yakuza bekannten und kürzlich für die westlichen Märkte offiziell als Like a Dragon umbenannten Reihe. Nachdem Fans den Entwicklern jahrelang in den Ohren lagen und Spiele wie Ghost of Tsushima und Nioh gezeigt haben, dass Games mit einem historischen Japan-Setting erfolgreich sein können, hat man es sich bei Publisher Sega nun aber zum Glück anders überlegt und veröffentlicht den Titel unter dem Namen Like a Dragon: Ishin! in Form eines Remakes für die aktuelle PlayStation und Xbox Plattformen sowie den PC. Heureka!
Geschichte trifft auf Fiktion
Like a Dragon: Ishin! spielt im Japan der ausklingenden Edo-Zeit (1603-1868). Aus historischer Sicht ist diese Epoche ungemein spannend, da sie eine Zeit darstellt, in der Japan sich über 200 Jahre lang nahezu komplett von der Außenwelt abgekapselt hat. Erst durch das Auftauchen der „Schwarzen Schiffe“ wurde dieser Status quo geändert, wobei er aus japanischer Sicht nicht freiwillig erfolgte. Mit den „Schwarzen Schiffen“ ist eigentlich eine Flotte von vier amerikanischen Schiffen gemeint, die im Jahr 1853 unter dem Befehl von Commodore Matthew Perry in die Bucht von Edo (dem heutigen Tokyo) segelten. Später wurde der Begriff Synonym für die Ankunft ausländischer Schiffe. Die ursprünglichen Schiffe waren Teil einer amerikanischen Expedition zur Öffnung Japans für den Handel und den Austausch mit dem Westen. Die japanischen Behörden waren sich der militärischen Überlegenheit der Amerikaner bewusst und unterzeichneten schließlich den Vertrag von Kanagawa im Jahr 1854, der das Inselreich schließlich öffnete. Die Ankunft der „Schwarzen Schiffe“ und die Öffnung Japans für den Westen hatten einen enormen Einfluss auf die japanische Geschichte und Kultur. Die Meiji-Restauration und die damit verbundene rasche Modernisierung und Industrialisierung Japans, die Übernahme westlicher Technologien und Ideen, aber auch der Aufbau einer großen Armee folgten.
Diese historische Einordnung ist nicht ganz unwichtig, da sich Like a Dragon: Ishin! dieses historischen Rahmens bedient. Mit dem spielbaren Protagonisten Sakamoto Ryoma übernimmt man die Kontrolle über eine für diese Zeit wichtige Figur, spielte Ryoma doch eine Schlüsselrolle bei der Meiji-Restauration. Bewusst sollte man sich aber auch darüber sein, dass hier kein wirkliches und wenn überhaupt nur grobes Geschichtswissen vermittelt wird, denn die Entwickler nehmen sich viele Freiheiten heraus, um die Geschichte „ihres“ Sakamoto Ryomas zu erzählen. In meiner Besprechung von Ghost of Tsushima habe ich von einem spielbaren Historien-Drama gesprochen. Und genau diese Bezeichnung trifft auch auf Like a Dragon: Ishin! zu. Nicht ganz von ungefähr kommt sicherlich auch der optional zuschaltbare Grafikfilter, welcher das Bild in die krisselige schwarz/weiß Optik alter Samurai-Filme taucht.
Verklärung und Romantisierung mit bekannten Gesichtern
Die abgewandelte Erzählung von Ryoma, der sich hier auf einen Rachefeldzug begibt und in Kyō (dem heutigen Kyōto) den Mörder seines Ziehvaters finden will, ist unterhaltsam gestaltet und wie ein Drama inszeniert. Ryoma trifft bei der Suche nach den Mördern seines Vaters alsbald auf die Shinsengumi, einer paramilitärischen Polizeieinheit, die sich selbst als Schutztruppe für das damals noch herrschende Shōgunat verstand. Die Einheit wurde ursprünglich im Jahr 1863 als eine Art Bürgerwehr gegründet, um die öffentliche Ordnung in Kyō aufrechtzuerhalten und gegen anti-shogunate Kräfte zu kämpfen. Man sollte sich keine Illusionen machen: die echte Shinsengumi war berüchtigt für ihre Brutalität und entsprechend gefürchtet. Allzu kritische Töne gegenüber den Methoden der Paramilitärs gibt es nicht, mehr als noch in der Hauptreihe herrscht eine gewisse Verklärung gegenüber den Figuren und ihren Taten vor. Wenn an einer Stelle von den Shinsengumi als „Mörderbande“ gesprochen wird, ist das fast schon das höchste der Gefühle. Die Mär vom edlen Samurai wird auch hier zu großen Teilen unkritisch erzählt, was alles andere als unkritisch ist. Vor allem da die Verehrung der Samurai und ihrer Methoden bis heute einen gewissen Nährboden für nationalistische Gruppierungen in Japan bilden. Und auch der japanische Faschismus des 20. Jahrhunderts zog viel aus der Bewunderung der Samurai-Kaste.
Like a Dragon: Ishin! verwehrt sich einer kritischen Einordnung seiner Figuren und den abgebildeten Geschehnissen nahezu komplett und will eben das sein, was ich zuvor als spielbares Historien-Drama beschrieben habe. Als Ebensolches funktioniert es aber ganz hervorragend. Das eigentlich Spannende für Fans der Hauptreihe sind tatsächlich die Figuren. Ryoma hat etwa das Antlitz von Kazuma Kiryu, andere Figuren sehen aus wie Goro Machima und Taiga Saejima. Auch die Sprecher der bekannten Figuren sind mit an Bord und interpretieren die historischen Figuren entsprechend um. Das ist auf einer narrativen Ebene so unterhaltsam wie eh und je, die dem Franchise so lieb gewonnene Dramatisierung und Überspitzung, das Auskosten von Twists und Turns – alles findet man hier wieder. Und mit gewissen Durststrecken im Mittelteil, ist die Handlung auch gewohnt spannend und unterhaltsam inszeniert.
Ausflug in die alte Kaiserstadt
Like a Dragon: Ishin! greift auf ähnliche Gameplay-Mechaniken zurück wie die anderen Spiele der Serie und ist entsprechend eine Mischung aus Action-Kämpfen, Erkundung, Quests und Minispielen. Es gibt jedoch einige Unterschiede, der vor allem durch das Setting entsteht. Die Spielwelt unterscheidet sich aufgrund ihrer historischen Verankerung im Japan des 19. Jahrhunderts stark von den modernen Stadtumgebungen anderer Serienteile. Der zentrale Ort ist Kyō mit seinen aus heutiger Sicht historischen Gebäude und Landschaften. Nicht nur der Stadtkern, auch eher ländliche Gegenden werden abgebildet. Allerdings muss man Abstriche hinnehmen, denn der digitale Nachbau der historischen Kaiserstadt fällt eher unspektakulär aus. Der eigentliche Protagonist der Like a Dragon Spiele sind für mich schon immer die Städte gewesen, die mit ihrer von Teil zu Teil wachsenden Liebe zum Detail immer immersiver geworden sind und einem virtuellen Urlaub in Japans Metropolen am nächsten kommen. Kyō ist hingegen nicht mehr als eine Kulisse, die zwar in ihren zentralen Orten durchaus lebendig wirkt und ebenfalls schöne Details aufweist, im Vergleich zu der Hauptreihe aber dennoch stark abfällt. Ich bin mir natürlich im klaren das dieser Vergleich ein bisschen unfair ist, aber der Eindruck bleibt nun einmal.
Bei mir (vielleicht auch weil ich das Spiel schon aus von der Ursprungsversion her gut kannte) hat das den Effekt gehabt, dass ich weitaus weniger in der Spielwelt auf Erkundungstouren gegangen bin, als das normalerweise der Fall ist. Ich liebe es in jedem neuen Serienteil oder Spin-Off mir die Zeit zu nehmen und die Nachbauten von Tokyo, Osaka, Yokohama und Co. bis in den letzten Winkel zu erkunden. Zu entdecken gibt es nämlich immer etwas. In Kyō trifft das nur bedingt zu. Leider. Natürlich ist aber auch Like a Dragon: Ishin! mit den serientypischen Nebenbeschäftigungen und Sidestories zugepflastert, die gewohnt skurril und immer wieder auch herzerwärmend sind.
Sakamotos bunter Alltag
In einer Reihe aus Nebenquests muss ich beispielsweise einer geschwätzigen Frau bei ihren alltäglichen Problemen zuhören und sollte dies auch möglichst gut tun, da sie mich hinterher abfragt. In einer anderen Storyline helfe ich einem amerikanischen Mann, der unbedingt Samurai werden will und dabei auf die Ressentiments der Bevölkerung trifft. Mal gehe ich mit neuen Bekanntschaften trinken, mal vergnüge ich mich im Bordell mit Trinkspielen, der japanischen Variante von Papier-Stein-Schere und einem Shoot ´em Up Minispiel, welches quasi den Liebesakt darstellt (ja, richtig gelesen). „Karaoke“-Bars gibt es natürlich ebenfalls, ebenso wie Tanzhallen, in denen klassischer Tanz zelebriert wird und ziemlich gute Konzentration und Handhabe am Controller erwartet wird. Die Kampfarena der Hauptspiele ist da, das Baseball-Minispiel ebenfalls, nur abgewandelt. Statt mit dem Schläger Bälle ins Netz zu schlagen, halbiere ich mit meinem Schwert Kanonenkugeln. Eine etwa größere Plotline stellt das „Landleben“ dar. Recht früh im Spiel übernimmt Sakamoto nämlich noch ein altes Landhaus und pflanzt im Garten Gemüse an (welches verkauft werden kann), übt sich im Kochen oder entspannt im heimischen Bad. Und all die aufgezählten Aktivitäten und Schauplätze abseits der Haupthandlung sind nur ein lächerlich kleiner Bestandteil der tatsächlichen Vielfalt. Kurzum: es gibt wieder jede Menge zu tun. Und das meiste davon ist zumindest amüsant.
Abwechslungsreiche Kämpfe und…Karten?
Wie bei so ziemlich allen Bestandteilen des Gameplays, so wurde auch das Kampfsystem für die abgebildete Epoche entsprechend adaptiert. Man kann sich zwar wie gewohnt mit Fäusten durchschlagen und dabei auch jede Menge Waffen von der Straße auflesen und mit diesen auf die Gegner eindreschen. Vor allem wird man im Kampf gegen Banditen, Ronin und andere Samurai aber auf Schwerter und historische Schusswaffen zurückgreifen. Insgesamt wechselt man im Kampf nach Lust und Laune zwischen den vier Kampfstilen (Schwertkampf, nur Schusswaffe, Mischung aus Schwert und Schusswaffe sowie Fäusten) hin- und her. Jeder Kampfstil kann um unzählige Kombos und Spezialangriffe über entsprechende Talentbäume erweitert werden. Besonders starke Manöver lernt man bei entsprechenden Lehrmeistern. Und das Aufleveln und Anfertigen von komplett neuen Waffen (die nur noch wenig mit irgendeiner Art von historischer Authentizität zu tun haben) ist eine Wissenschaft für sich.
Worin sich das Kampfsystem ebenfalls noch einmal von der Hauptreihe unterscheidet, sind die sogenannten Trooper Cards. Im Original waren diese noch auf die optionalen Dungeons beschränkt, die man als Kommandant der Shinsengumi räumen muss. Nun sind die Karten Bestandteil von nahezu allen Kämpfen. Die Karten geben euch diverse Buffs und Debuffs und lassen sich grob in die Kategorien Angriff, Verteidigung, Finte und Spezial einteilen. Jede Karte hat einen Kostenwert, der angibt, wie viel Energie benötigt wird, um sie zu verwenden. Ist der Wert erreicht, wird die Karte per Tastendruck aktiviert, passive Fähigkeiten lassen sich aber auch bei Bedarf automatisch aktivieren. Teilweise sind die Karten enorm mächtig, selbst gegen Bosskämpfe. Meine beiden Lieblinge: ein Tiger und ein Bär, die ich im Kampf für mächtig Schaden herbeirufen kann. Herrlich.
Was ist hier eigentlich Remake?
Sega und Ryu ga Gotoku Studio bezeichnen die Neuveröffentlichung von Like a Dragon: Ishin! als Remake und ein bisschen musste ich mir angesichts dieser Bezeichnung schon am Kopf kratzen. Zunächst einmal: Inhaltlich ist die Neuauflage nahezu identisch mit dem Original. Es gibt einige Neuerungen, die sich aber vor allem auf das zuvor erläuterte Kartensystem beschränken sowie die angefertigte Lokalisation für die westlichen Märkte. Deutsche Texte sind auch dabei und diese sind diesmal auch richtig gut geworden! Bei der Sprachausgabe bleibt es beim japanischen Original. Darüber hinaus gibt es noch ein paar Accessibility-Optionen, wie etwa das Ausschalten von Quick-Time-Events und ein dauerhaftes Abspeichern.
Die eigentlich spannendste Neuerung aus technischer Sicht ist das Fundament, denn erstmals überhaupt setzt man nicht auf eine hauseigene Engine, sondern auf die Unreal Engine 4. So ganz sehe ich den Grund dafür nicht, vielleicht soll das Projekt aber auch eine Fingerübung für die Entwicklerinnen und Entwickler für kommende Titel sein, bei der man Unreal verwenden möchte. Im direkten Vergleich zwischen Original und Remake muss man auf jeden Fall sehr genau hinsehen, denn aus visueller Sicht halten sich die Unterschiede zunächst gering. Offensichtlicher werden sie bei der Performance. Auf der PS5 erreicht das Remake bis auf eine Ausnahme während eines großen Feuers saubere 60 Frames und eine Auflösung nah an den 4K, die Grafikqualität selbst ist auch eine Spur knackiger. Hier und da hatte ich während meines Spieldurchlaufs ein paar grafische Glitches, die aber eher amüsant als nervig sind.
Pro & Kontra
- spaßiges Kampfsystem mit vier verschiedenen Stilen und umfangreichen Talentbäumen
- unterhaltsame Story, die ähnlich überzogen inszeniert wird, wie die Hauptteile der Serie
- gewohnt spaßige Minispiele und Nebenquests
- ordentliches Remake mit hoher Framerate und Auflösung
- sehr gute deutsche Testlokalisation
- Darstellung der Figuren, der Samurai und der Shinsengumi ist wenig kritisch, eher romantisierend
- die Spielwelt bietet wenig Anreize zum Erkunden und fällt visuell eher unspektakulär aus
- gelegentlich auftauchende Grafik-Glitches