Arcania: Gothic 4 REVIEW
Ursprünglich unter dem Namen „Arcania: A Gothic Tale“ angekündigt, war eigentlich von vorneherein klar, dass es sich hier eher um eine Art Spin-off als eine echte Fortsetzung der Gothic-Reihe handeln würde. Irgendein Anzugträger aus der Marketingabteilung von JoWood kam jedoch auf die glorreiche Idee den Untertitel in „Gothic 4“ umzubenennen (wahrscheinlich um die Verkaufszahlen zu pushen). Wohl wissend, dass er dadurch Etikettenschwindel betreibt, denn mit den Gothic-Spielen hat Arcania zumindest in Sachen Gameplay nur noch wenig zu tun – aber ich greife vor. Abgesehen von dieser Problematik kann ja auch durchaus ein brauchbares Spiel dabei herausgekommen sein. Ob die Entwickler von Spellbound Entertainment in der Lage waren die großen Fußstapfen von Piranha Bytes auszufüllen oder nicht, wollen wir in folgendem Review ermitteln.
Ein Schafhirte sinnt auf Rache
Die Handlung spielt Jahre nach den Geschehnissen des letzten Gothic-Ablegers. Der namenlose Held ist inzwischen zum König von Myrtana aufgestiegen und nennt sich nunmehr Rhobar III. Mit dem Ziel die Menschheit unter einem Banner zu vereinen, hat er bereits die Herrschaft über das Festland erlangt und befindet sich aktuell auf einem Eroberungsfeldzug gegen die südlichen Inseln. Es wird jedoch auch deutlich, dass Rhobar III nicht mehr der abgeklärte, selbstbewusste Held alter Tage ist, sondern unter starken Erschöpfungserscheinungen und geistiger Umnachtung leidet.
Nach dem Intro findet sich der Spieler in der Rolle von Rhobar III wieder und muss sich in einem Alptraum gegen Untote und einen fiesen Dämonen behaupten, welcher unseren Helden verhöhnt. Es stellt sich recht schnell heraus, dass dies tatsächlich ein Alptraum war. Nämlich der eines unbeschwerten Schafhirten von Feshir, einer der südlichen Inseln, die so klein und unbedeutend ist, dass sie den Krieg zwischen Myrtana und den übrigen Inseln nicht zu fürchten braucht.
Obwohl ihn die Alpträume irritieren, kümmert sich unser Schäfer nicht weiter drum, schließlich hat er gerade wichtigere Dinge zu tun. Er möchte nämlich seine Freundin Ivy ehelichen, was aber gar nicht so einfach ist, da diese die Tochter des Dorfoberhauptes ist, der die Hand seiner Tochter natürlich nur dem besten Mann auf der Insel anvertraut. Um diesen zu ermitteln, gestattet er jedem Anwärter drei Prüfungen durchzuführen, womit unsere ersten Aufgaben auch schon abgesteckt werden. Im Verlauf der Prüfungen stellt sich auch recht schnell heraus, dass sich der Schäfer mit dem Schmuggler Diego angefreundet hat, von dem er insgeheim schon seit geraumer Zeit effektives Kampftraining erhält – und ja, es handelt sich um den Diego, den wir schon aus den Vorgängern kennen.
In Folge eines Botenganges für Diego kommt der Schäfer in Kontakt mit einer verrückten alten Hexe, die magische Fähigkeiten in ihm verspürt. Das Angebot diese Kräfte zu wecken, nimmt unser Hirte nach anfänglichen zögern an und meistert auch diese Prüfung mit Bravour. Er muss aber mit Schrecken feststellen, dass das hierfür notwendige Ritual mehrere Tage in Anspruch genommen hat. Das wahre Entsetzen folgt aber erst mit der Heimkehr ins Dorf, denn dieses wurde in der Zwischenzeit von myrtanischen Streitkräften niedergebrannt und dessen Bewohner gnadenlos abgeschlachtet. Nur Ivy lebt noch, geht aber kurz darauf in den Armen unseres Helden zugrunde. Der Hirte schwört daraufhin den ausländischen Invasoren Rache, womit König Rhobar III ganz oben auf seiner Todesliste landet.
Zusammen mit Diego setzt er zur großen Nachbarinsel Argaan über, wo die Myrtaner aktuell Krieg gegen die Einheimischen der Insel führen. Diego macht dem Schäfer verständlich, dass er und die übrigen Inselbewohner keine Chance mehr gegen die Myrtaner hätten, sollte es diesen gelingen zur Heiligen Schmiede vorzudringen. Ein Ort wo man besonders mächtige magische Waffen produzieren könne. Um zu verhindern, dass dem Feind diese Macht in die Hände fällt und sich stattdessen selbst mit einer mächtigen Waffe auszustatten, begibt sich der einsame Streiter auf eine Reise kreuz und quer über die Insel um diese ominöse Schmiede aufzuspüren …
Die Handlung gefällt anfangs durch ihre angenehm bodenständige Art, die meines Erachtens gut zum Stil der Gothic-Reihe passt. Leider gibt es im Mittelteil des Spiels jede Menge Leerlauf und Fillerquests, außerdem driftet die Story gegen Ende hin in wirre High-Fantasy-Schemata ab, als eine alte Göttin und deren Hinterlassenschaften ins Spiel gebracht werden. Ferner wird die Handlung stellenweise etwas schlampig erzählt. So wird recht früh im Spiel erwähnt, dass der Schafhirte ein Findelkind ist und seine vermeintliche Mutter nur seine Adoptivmutter sei. Ein Storyelement, welches im späteren Handlungsverlauf keinerlei Relevanz erfüllt und auf das auch nicht weiter eingegangen wird. Irgendwann erfährt man dann auch aus heiterem Himmel, dass der Hirte den Mörder seiner Freundin identifiziert hat, da er zwischenzeitlich irgendwo ihren Verlobungsarmreif fand. Nur dummerweise gab es vorher scheinbar kein Ereignis in dem der Held jenen Armreif zurückerlangt, wodurch ich an dieser Stelle entsprechend irritiert war. Erst nach langem nachdenken kam mir eine passende Dialogsequenz in den Sinn, in derer dieses Ereignis wahrscheinlich stattfand. In dieser Sequenz wurde dem Spieler aber nicht explizit erklärt, dass der Held gerade eine wichtige Erkenntnis erlangt hat. Das klingt jetzt zwar alles ein bisschen nach Erbsenzählerei, kann einen Spieler der Interesse an der Handlung hat aber schon sehr stören.
Immerhin können die Charaktere überzeugen. Der neue Held ist zwar nicht ganz so liebenswürdig wie das Original, weiß aber dennoch zu gefallen und neben vielen alten Bekannten wie Diego, Gorn, Lester und Milten fügen sich auch die neuen Nebencharaktere gut ins schroffe aber herzige Gothic-Universum ein. Ok, ein wenig aufgesetzt wirkt es schon, dass die alten Veteranen wieder mit von der Partie sind und sich natürlich nach und nach mit dem neuen Protagonisten anfreunden, aber ein bissel Fanservice ist schon erlaubt. Selbst ohne die oben erwähnten Schlampereien würde ich in diesem Bereich keine gute Wertung geben, aber immerhin wird recht solide Arbeit geliefert.
Die Arcania Show: Mit Prügel um die Insel
Bevor man ins Spiel einsteigt gilt es erst einmal sich für einen der vier Schwierigkeitsgrade zu entscheiden. Zur Auswahl stehen Leicht, Mittel, Schwer und Gothic. Ich habe mich letztendlich für „Schwer“ entschieden und endete mit einem Schwierigkeitsgrad, der mich in der ersten Spielhälfte eher an „Leicht“ und in der Zweiten an „Normal“ erinnerte. Also ja, Arcania ist nicht wirklich ein hartes Game, was für ein Spiel welches „Gothic“ im Titel trägt schon recht enttäuschend ist. Und ich bezweifle, dass der Schwierigkeitsgrad „Gothic“ sonderlich viel herausgerissen hätte.
Aber nun gut, dies mag auch an der einfach zu handhabenden Steuerung liegen. Die Aktionsmöglichkeiten des Helden lassen sich einfach und bequem umsetzen. Irgendwelche Fingerakrobatiken wie zu alten Zeiten sind also nicht zu befürchten. Alleine mit WASD zur Fortbewegung, der Leertaste zum Springen und Rollen, der F-Taste zum Waffe ziehen/wegstecken, der E-Taste zum reden und einsammeln von Items, sowie den beiden Maustasten zum Angreifen und Verteidigen hat man bereits das Meiste abgedeckt. Ansonsten gibt’s halt noch ein paar Tasten um Menüs aufzurufen. Also wie gesagt: Es ist alles sehr einfach und eingängig gehalten. Ebenso wie in vielen anderen vergleichbaren Action-RPG’s auch. Und damit meine ich jetzt Titel wie Two Worlds 2 oder Divinity 2, mit denen Arcania weit mehr zu tun hat als mit den vorherigen Gothic-Teilen, was ich jetzt auch gar nicht negativ meine. Es ist nur wichtig, dass ihr wisst was für eine Art Spiel euch hier erwartet. Ein Gothic 4 findet ihr hier jedenfalls nicht.
Der Nahkampf ist simples Totklicken, der je nach Skillung auch (träge) Komboattacken und starke aber langsame Kraftschläge erlaubt. Zur Auswahl stehen Einhänder mit Schild oder wuchtige Zweihänder. Im Fernkampf mit Bogen zielt ihr einfach per Fadenkreuz auf die Gegner, haltet die Angriffstaste gedrückt, um die Spannkraft und somit den Schaden zu erhöhen und lasst dann los. Bei Armbrüsten ist das Anspannen dann nicht mehr notwendig. Ähnlich funktionieren auch die drei Zauberschulen Inbrunst (Feuer/Innos), Gleichmut (Wasser/Adanos) und Dominanz (Elektrizität/Beliar). Einfach anvisieren und feuern. Das Aufladen geht bei Zaubern erst auf höheren Skillstufen.
Apropos Skills: Pro Level-Up gibt’s neben den üblichen Verbesserungen der Statistikwerte drei Skillpunkte für acht verschiedenen Skillbalken. Diese sind im groben in Nahkampf, Fernkampf und Magie-Skills unterteilt. Da man nicht genügend Skillpunkte erhält, um einen Alleskönner zu züchten, sollte man schon gucken wie man den Schäfer spezialisieren möchte, wobei man aufgrund des laschen Schwierigkeitsgrades jetzt auch nicht so wahnsinnig viel falsch machen kann. Natürlich werden die Monster im späteren Spielverlauf hartnäckiger und teilen ordentlich aus, aber wer die Ausweichrolle beherrscht (was nicht schwer zu meistern ist) und auch mal ab und zu aus der Entfernung agiert, hat hier echt nichts zu befürchten. Kleinere Hilfsmittel wie Zauberrunen, welche temporär die Laufgeschwindigkeit erhöhen oder einen Zeitlupeneffekt aktivieren, benötigt man dann auch nicht wirklich.
Die zweite große Beschäftigungsquelle neben dem Kampf ist wohl das äußerst simple Crafting-System. Die ganzen Pflanzen, Körperteile und Erze die ihr in den relativ weitläufigen Arealen aufsammelt, müssen schließlich für irgendwas gut sein. Anders als zuvor könnt ihr via Menü an jedem x-beliebigen Ort craften. In diesem Menü wählt ihr dann einfach den Gegenstand aus den ihr herstellen wollt und fertig, vorausgesetzt ihr habt die notwendigen Materialien und Crafting-Rezepte. Letztere erhaltet ihr, neben anderen Krempel, in Schatztruhen, als Belohnung für absolvierte Quests oder kauft sie bei Händlern. Schatztruhen dürfen neuerdings übrigens ungestraft geplündert werden. Den NPC’s ist es furzegal was ihr in deren Häusern treibt und dort klaut. Ab und an muss beim öffnen einer Truhe auch mal ein extrem simples und dadurch unnötiges Schlösserknacken-Minispiel bewältigt werden. Dinge wie Lagerfeuer und Alchemietische an denen ihr lustige Charakteranimationen bestaunen könnt, die sich seit den ersten Teilen nicht allzu groß verändert haben, sind zwar nach wie vor in der Spielwelt vorhanden, erfüllen nun aber keinen praktischen Zweck mehr.
Das Itemmenü ist recht übersichtlich, da der Krempel in mehrere Unterkategorien aufgeteilt wird und dort manuell sortiert werden darf. Die schier absurd hohe Anzahl unterschiedlicher Ausrüstungsstücke, Tränke und Crafting-Materialien sorgt aber dennoch recht bald für eine Vermüllung des Inventars. Zumal man den Großteil dieses Krempels gar nicht benötigt. Wieso soll ich mich mit großen Mengen Nahrungsmitteln heilen, wenn ein einzelner Verband denselben Zweck erfüllt? Wieso gibt es dutzende verschiedene Sorten von Elixieren, wenn ich in der ersten Spielhälfte gar keine Tränke benötige und in der Zweiten nur mal ab und zu einen regulären Heiltrank einwerfe? An all diesen Macken erkennt man dann auch recht schnell, dass die Kreuzung zwischen Casual-Action-RPG und Gothic-Wannabe nicht ganz geglückt ist und das Spiel unter einer kleinen Identitätskrise zu leiden scheint.
Damit wäre dann auch schon das wesentliche erläutert, was es zum Spielinhalt zu erklären gibt. Natürlich gibt es noch viele nennenswerte Kritikpunkte wie unsichtbare Wände, Selbstregeneration bei einem ohnehin schon leichten Spiel, bescheidene künstliche Intelligenz der Gegner, ein unzulängliches Teleportersystem oder eine Spielfigur die nicht schwimmen kann. Die Quests sind in der Regel recht uninteressante Fetch- und Tötungsaufgaben. Die Spielwelt ist, im Gegensatz zu den Vorgängern, sehr linear aufgebaut, es besteht also nie die Gefahr, dass ihr Viechern gegenübersteht, die euch mit einem Schlag von der Platte putzen. Viele der Spielgebiete sind zwar weitläufig aber auch relativ leblos und lassen spannende Entdeckungen vermissen. Die Spielgebiete im letzten Spieldrittel werden übrigens deutlich übersichtlicher als die vorherigen Ortschaften, am schlimmsten sind jedoch die sterbenslangweiligen, schlauchförmigen Höhlen und Minenstollen, die alle gleich aussehen und keinerlei Atmosphäre aufkommen lassen. Die Oberweltgebiete sind dafür recht schön gestaltet, vor allem die Stadtgebiete sind hübsch anzuschauen. Die permanenten Wald- und Wiesen-Szenarien kann man jedoch irgendwann nicht mehr sehen.
Irgendwann kann man dann auch das eigentliche Spiel nicht mehr sehen. Nach der ersten Spielhälfte fing ich langsam an mich zu langweilen. Nach drei Vierteln wollte ich es dann einfach nur noch zu ende bringen. Dabei ist das Spiel jetzt nicht soo zeitintensiv. Ich hab zwar nicht auf die Uhr geschaut, aber mit einem Two Worlds 2 oder Divinity 2 habt ihr ein längeres Spielvergnügen vor euch.
Grafik, Sound und weiteres
So weit ich weiß, wurde das Spiel ja konzipiert um grafisch zu beeindrucken. Und auf dem ersten Blick sieht es auch sehr schick aus. Saftige Wiesen, Wälder und idyllische Dörfer. Liebevoll gestaltete Siedlungen, gut modellierte Charaktermodelle und nette Wettereffekte wie Regenschauer der sich auch auf den Charaktermodellen bemerkbar macht, verbreiten anfangs eine tolle Atmosphäre. Was halt nervt sind Dinge, die ich weiter oben bereits erwähnt habe: Auf Dauer eintöniges Setting, langweilig gestaltete Höhlen, Tempelanlagen und Minenstollen. Animationen die einen zu sehr an die ersten Teile aus den Jahren 2001 und 2002 erinnern. Hinzu kommen Rendervideos die zwar ganz ordentlich sind aber nicht mit der Konkurrenz mithalten können … Tja, auf dem zweiten Blick ist halt nicht alles Gold was glänzt, was jetzt nicht heißt, dass Arcania schlecht aussieht, ganz im Gegenteil! Aber im Vergleich zu den Risen-Spielen oder Two Worlds 2 sieht es dann halt doch nicht soo toll aus, obwohl es sehr hohe Hardware-Anforderungen hat! Auf meinen alten Rechner wo ich Risen 1+2 und Two Worlds 2 mühelos zocken konnte, wollte Arcania z.B auch nicht mehr vernünftig laufen. Ich musste mich also gedulden, bis ich einen stärkeren PC erwarb. Grafisch kann ich dies jedoch nicht genau nachvollziehen. Ganz davon abgesehen sind mir auch viele ärgerliche Grafikfehler aufgefallen, auch wenn das Spiel ansonsten ohne Bugs auskommt. Als amüsant empfinde ich obendrein die Option zwischen amerikanischen und europäischen Farbfilter auszuwählen. In der Euro-Variante bekommt die Umgebung einen bräunlichen Farbfilter drübergelegt, was wohl „realistisch“ aussehen soll. Nur blöd, dass grün im echten Leben eben grün aussieht und nicht bräunlich. Soviel also zum Thema „realistisch.“ Dementsprechend meine klare Empfehlung für die Ami-Variante.
Der Soundtrack ist hingegen sehr schön gelungen und verbreitet gelungene Fantasy-Atmosphäre die auch gut zu einem richtigen Gothic-Spiel gepasst hätte. Bei der Sprachausgabe hat man sich um die alten Sprecher bemüht, so dass jeder altbekannte Charakter immer noch dieselbe Stimme hat wie im ersten Teil anno 2001 – tolle Sache! Sicherlich mag es einige Sprecher geben die jetzt nicht unbedingt supertolle Arbeit abliefern, aber wer die klassischen Synchronisationen und Dialoge eines Gothic-Spiels mag, wird auch hier wieder seine helle Freude haben. Die Geräuscheffekte sind recht stimmig, lassen meines Erachtens jedoch die Genialität und Intensität der Originale vermissen. Minecrawler und Orks klingen hier bei weitem nicht mehr so bedrohlich wie in den ersten Teilen.
Das einzige was ich noch erwähnt haben möchte ist das enttäuschende Ending, welches nicht nur recht unspektakulär ausfällt, sondern auch noch mit einem unnötigen Cliffhanger aufwartet. Es sollte nicht überraschen, dass diese Maßnahme dazu diente ein Add-on mit dem Untertitel „Fall of Setarrif“ auf den Markt zu bringen, welches die Handlung dann auch endlich abschließt. Doch dazu kommen wir nächstes mal.