The Callisto Protocol REVIEW
Das nach Jahren, in denen sich viele Spielerinnen und Spieler ein neues Dead Space gewünscht haben, mit The Callisto Protocol nicht nur ein von ehemaligen Entwicklern mitgestalteter spiritueller Nachfolger erscheint, sondern auch ein vollständiges Remake des Originals, entbehrt sich natürlich nicht einer gewissen Ironie, vor allem da zwischen der Veröffentlichung beider Titel kaum mehr als ein Monat liegt. Mit dieser Information und einigen eher unglücklichen Aussagen von Chefentwickler Glen Schofield im Hinterkopf wirkte The Callisto Protocol auf mich in den letzten Wochen wie ein Spiel, welches ohne wenn und aber seinen Dezember Release einhalten muss, um nicht in Anbetracht der namhaften Konkurrenz untergehen zu müssen.
Mit der heißen Nadel gestrickt?
Crunch und die negativen Folgen auf Entwicklerinnen und Entwickler, aber eben auch auf das Endergebnis, sind mittlerweile hinlänglich bekannt. Nicht zuletzt die ersten zwei Tage nach Veröffentlichung deuten eigentlich ziemlich klar darauf hin, dass die Zeit für die Finalisierung von The Callisto Protocol am Ende knapp wurde. Vor allem an der PC-Version lässt sich dies ganz gut feststellen, die einen regelrecht desaströsen Launch hingelegt hat. Die User-Reviews auf Steam fielen binnen Stunden nach Release ins Negative, auch die Xbox Series Versionen hatten offenbar mit technischen Problemen zu kämpfen, aber weitaus weniger als auf dem PC. Lediglich auf der PlayStation 5 hat man auch ohne die schnell nachgeschobenen Updates ein technisch recht einwandfreies Erlebnis bekommen. Letzteres kann ich aus eigener Erfahrung zumindest bestätigen.
Stattdessen sind mir aber immer wieder Entscheidungen beim Spieldesign aufgefallen, bei denen ich mir dachte „Hmm, da hätte man mit mehr Zeit sicherlich anders entschieden“. Ein Beispiel. Im Verlauf des Spieldurchgangs findet man diverse Blaupausen, um an 3D-Drucker ähnlichen Geräten neue Waffen und Upgrades für diese sowie Munition und Heilspritzen herzustellen. Jedes Upgrade, jede Munitionspackung muss einzeln hergestellt werden. Man kann also nicht einfach zwei Munitionspakete auf einmal herstellen oder die kompletten Credits auf einmal für mehrere Upgrades auf einmal ausgeben, sondern muss das Upgrade auswählen, es herstellen lassen, das nächste Upgrade auswählen, es herstellen lassen, die gewünschte Munition auswählen, sie herstellen lassen, erneut die gleiche Munitionsart wählen, herstellen lassen. Überspringen lässt sich dieses Prozedere nicht, man muss also jedes Mal dabei zusehen, wie das Objekt gerendert wird. Man kann so was ja immer mit der Immersion entschuldigen und ich bin mitunter ja durchaus auch ein Freund von „aufgezwungenen“ Mechaniken und Designentscheidungen, sofern sie sinnig erscheinen.
Seltsame Design-Entscheidungen noch und nöcher
Allerdings lässt sich die Problematik weiterführen. Im zweiten Drittel des Spiels gibt es einen Bosskampf. Das Ungetüm wird mit einem kleinen, kaum mehr als fünf Sekunden langen Video eingeführt. Stirbt man, lädt der Checkpoint den Kampf von Beginn an und zeigt wieder das Einführungsvideo des Bosses. Auch dieses lässt sich nicht überspringen. Nach dem dritten, spätestens nach dem vierten Mal nervt das. Das Gleiche gilt für die Todesanimationen. Die Entwickler hatten sichtlich Spaß dabei sich grausame Tode für Protagonist Jakob auszudenken. Je nach Gegner und Situation wird ihm mal der Kopf eingetreten, mal die Arme abgerissen, mal das Genick gebrochen. So detailliert die Animationen auch hier sind, irgendwann hat man sich eben auch mal sattgesehen. Und erneut: man kann die teilweise durchaus langen Sequenzen nicht abbrechen.
Als richtig schlimm habe ich das kriechen durch Luftschächte und das durchquetschen durch enge Gänge und Wände empfunden. Eigentlich ist das ja ein typisches Relikt aus der PlayStation 3/PlayStation 4 Ära und wurde eingesetzt, um das durchgängige Streaming einer Spielwelt ohne Ladebildschirm sicher zustellen. Was das nun aber in The Callisto Protocol zu suchen hat, ist mir unbegreiflich. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage das es teilweise Abschnitte gibt, in denen drei, vier dieser Sequenzen binnen weniger Sekunden aneinandergereiht werden.
Boxsimulation trifft Survival-Horror
Und dann wäre da ja auch noch das Kampfsystem, welches online ebenfalls ziemlich viel abbekommen hat. Ausgerechnet hier muss ich aber widersprechen und feststellen: so schlimm, wie es mancherorts dargestellt wird, ist das Kampfsystem nicht. Es ist vor allem aber umständlich erklärt. Zu Beginn setzt man vor allem auf direkte Konfrontationen. Wehren kann sich Protagonist Jakob zunächst einmal nur mit einem Metallrohr einfach auf die mutierten Wesen einhämmern, ist aber keine gute Taktik. Stattdessen will das Spiel, das man aktiv ausweicht. Statt eines dafür zuständigen Ausweichbuttons funktioniert das Ausweichen durch das Halten des linken Analogsticks. Man denke hier eher an Punch-Out und nicht so sehr an die Konventionen von Survival-Horror und ja, das ist erneut eine etwas eigentümliche Designentscheidung und auch nicht sonderlich intuitiv, da man mit dem linken Stick in der Regel ja die Spielfigur aus laufen lässt. Gleichzeitig ist es aber so simpel, wie ich es erkläre: einfach den Stick in eine Richtung halten und so dem Angriff ausweichen, den Folgeangriff abwarten und den Stick in die andere Richtung halten, selbst angreifen und den Ablauf wiederholen.
Im Laufe des Spiels öffnet sich das Kampfsystem und wird um zusätzliche Möglichkeiten erweitert. Man bekommt eine Reihe von Schusswaffen sowie einen Handschuh, ähnlich funktionierend wie die Stasis aus Dead Space. Mit dem Handschuh kann man Gegner beispielsweise in sehr offensichtlich für diesen Zweck platzierte Fallen, wie etwa stachlige Wände, werfen oder auch Gegenstände auf die Gegner schmeißen. Als meine Lieblingstaktik hat sich das abschießen der gegnerischen Beine erwiesen. Kriechen die Monster erst einmal auf einen zu, kann man sie einfach mit einem akustisch herrlich krachenden Stampfer erledigen.
Auf Callisto hört dich niemand schreien
Auch wenn es viele Ähnlichkeiten zwischen beiden Spielen gibt, so tut der von den Entwicklern selbst heraufbeschworene Vergleich zu Dead Space dem Spiel nicht gut. The Callisto Protocol schafft den seltsamen Spagat sehr offensichtlich wie das Vorbild und gleichzeitig doch etwas Eigenes zu sein. Das Gamedesign weist viele Baustellen auf, viele Mechaniken sind nicht zu Ende gedacht und es würde auch mir leicht fallen, jede Kleinigkeit des Spiels auseinanderzunehmen und die Fehler den Entwicklern vorzuhalten. Aus irgendeinem Grund macht mir das, was viele als Unzulänglichkeiten empfinden, aber im Großen und Ganzen wenig aus. Rundum hatte ich eine gute Zeit mit dem Spiel, auch weil das Pacing ein angenehmes Tempo besitzt.
Die Story selbst ist behelfsmäßig. Man spielt mit Jakob einen für mich nicht sonderlich greifbaren Protagonisten, der nach einem Zwischenfall auf den als Gefängnisplaneten genutzten Jupiter-Mond Callisto notlanden muss und dort ohne Weiteres inhaftiert wird. Kurz darauf bricht in dem Komplex die sprichwörtliche Hölle aus und mutierte Menschen mit Fleischhunger treiben ihr Unwesen. Hier und da streut das Spiel ein paar Twists und Nebenfiguren ein, allesamt aber hat die Erzählung für mich nicht funktioniert. Sie ist eben nicht mehr als ein Rahmen für das Gameplay und leider kein sonderlich spannender.
Atmosphäre ja, Horror nein
Auch der Horroraspekt fällt – abseits des hohen Gore- und Splatter-Gehalts – eher klein aus. Hier und da ein mal müßig platzierte Jumpscares und eklige Installationen und Form von wabernden organischen Massen und viel Gekröse, das war´s aber auch schon. Dennoch hat das Spiel eine ziemlich packende Atmosphäre, die zum großen Teil aber auch durch die unverschämt hübsche Optik entsteht.
Vor allem die Lichtstimmung haben die Entwicklerinnen und Entwickler hervorragend gesetzt. Auch die stetig wechselnden Schauplätze sind toll inszeniert und weisen eine hohe grafische Qualität aus. Und in puncto Vertonung spielt The Callisto Protocol (zumindest in der englischsprachigen Variante) auch auf einem hohen Niveau, das Gleiche gilt auch für die intensive Klangkulisse.
Pro & Kontra
- wuchtiges und durchaus vielfältiges Kampfsystem
- atmosphärische Klangkulisse und tolle (englische) Sprecher
- fantastische Grafik mit stimmungsvoller Lichtsetzung und abwechslungsreichen Arealen
- ordentliches Pacing, welches keinen Platz für Langeweile lässt
- seltsame Entscheidungen beim Spieldesign
- nicht abbrechbare Zwischensequenzen und Todesanimationen
- umständlich erklärtes Kampfsystem
- kein dynamisches Verhalten der Gegner
- viel Splatter, aber wenig Horror