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Onoda – 10.000 Nächte im Dschungel REZENSION


Als Holdout oder auch Straggler wurden japanische Soldaten bezeichnet, die teilweise mehrere Jahrzehnte nach Ende des Zweiten Weltkrieges nach wie vor und isoliert ausharrten, um den Krieg des (nicht mehr existenten) Kaiserreiches fortzuführen. Die Gründe dafür waren unterschiedlich. Manche erkannten die Legitimität der Kapitulation nicht an, andere warteten schlicht darauf, dass Japan erneut einen Krieg anzettelte. Wieder andere wollten die Niederlage schlicht nicht wahrhaben und verharrten in ihren Verstecken. Einer dieser Soldaten war Onoda Hirō, der bis in das Jahr 1974 auf der philippinischen Insel Lubang ausharrte.

Onoda, der in seinem Heimatland mittlerweile eine verklärte Figur mit teilweise durchaus zweifelhaften Zügen ist, wurde 1944 mit der Mission „Überleben um jeden Preis“ in den Krieg geschickt. Ein kompletter Gegenentwurf zu der eigentlichen Doktrin des japanischen Kaiserreiches, welches seine Soldaten in einen Kampf schickte, für die nur der Sieg über den Feind oder der „ehrenhafte“ Tod galt. In Onoda – 10.000 Nächte im Dschungel des französischen Regisseurs Arthur Harari gibt es eine beklemmende Szene, in der der geringe Wert des Lebens für die eigenen Leute mit einem einzelnen Satz zementiert wird: „Dein Körper ist dein Vaterland“.

Für Onoda (Endō Yūya) galt diese Maxime aber nicht. Im Falle einer Niederlage sollten er und andere Soldaten Widerstand leisten. Und so kam es auch. In den fast 30 Jahren, die Onoda im Dschungel lebte, terrorisierte er die örtliche Bevölkerung. Rund 30 Menschen soll er getötet haben, 100 verletzt. Nach seiner Rückkehr in die Heimat wurde Onoda für seine Verbrechen vom damaligen philippinischen Diktator Ferdinand Marcos begnadigt. In Japan hingegen waren viele Menschen sich der Haltung gegenüber Onoda uneinig.

Er war ein Sonderling, ein Mysterium. Vor allem aber war er eine Erinnerung an eine Vergangenheit, an die sich viele Japaner bis heute nicht erinnern wollen. Ausgerechnet bei den Extras der Blu-ray von Third Window Films ist die verbreitete Denkweise über den Krieg zu finden. Im Interview mit Kanji Tsuda, der im Film den älteren Onoda spielt, schildert dieser nämlich, wie er vor den Dreharbeiten am Yasukuni-Schrein bei Onoda um Erlaubnis für den Film gebeten hat. Am Yasukuni-Schrein in Tokyo wird den Soldaten der kaiserlichen Armeen gedenkt, die seit der Meiji-Restauration von 1868 gestorben sind. Dort wird aber eben auch verurteilten Kriegsverbrechern gedenkt. Die Besuche hochrangiger Politiker am Schrein löst regelmäßig Kritik aus, vor allem aus China und Südkorea.

Von diesen Kontroversen, der Symbolträchtigkeit von Onoda und auch von Fragen der Moral hält sich Harari in seinem Film fern. Das hätte ich von einem japanischen Regisseur erwartet, von einem ausländischen hingegen eher nicht. Vor allem die Verbrechen von Onoda an der Zivilbevölkerung werden nahezu ausgeklammert, obwohl der Film in seiner Spielzeit von fast drei Stunden mehr als genug Zeit gehabt hätte, um diesem Thema zumindest ein paar Minuten zu widmen. Nicht einmal eine Texteinblendung am Ende mit entsprechenden Informationen gibt es. Schwierig. Dennoch kann man Onoda – 10.000 Nächte im Dschungel als Parabel auf Realitätsverweigerung und den Folgen einer menschenverachtenden Doktrin verstehen. Auch wenn Onoda von seinen Vorgesetzten dazu ausgewählt wurde, nicht zu sterben, so war er letztlich nicht viel mehr als ein Werkzeug.

Eigentlich wollte Onoda als Pilot in den Krieg, dafür war er jedoch komplett ungeeignet. Stattdessen wurde er mit einigen anderen Soldaten für den Widerstand auserkoren. Jedes Mittel sei Recht, Hauptsache überleben – diese Maxime wurde Onoda eingebläut. So sehr, dass er das Ende des Krieges nicht akzeptieren wollte oder konnte. Mehrere Male haben die philippinischen und japanischen Behörden nach Kriegsende versucht Onoda zu finden. Im Film gibt es eine sehr eindrückliche Szene, in der wenige 100 Meter von Onoda entfernt dessen Vater mit einem Megafon seinen Sohn bittet, sich endlich zu ergeben. Der Vater? Eine Marionette. Nie hätte er westliche Kleidung getragen! Die zurückgelassenen Zeitungen und Magazine? Fälschungen der Alliierten. Die angeblich eingesetzt Demokratie in Japan? Nur eine Phase. Die Informationen, die über das Radio hereinkommen? In Echtzeit angefertigte Fälschungen.

Diese absolute Verweigerung der Tatsachen hat nicht nur in Angesicht von Coronaleugnern und Querdenkern eine erschreckende Aktualität. In diesen Momenten ist der Film am stärksten und hat mir ein ums andere Mal eine Gänsehaut eingejagt. Das ist auch dem tollen Schauspiel von insbesondere Kanji Tsuda und Testsuya Chiba zu verdanken. Chiba spielt Kinshichi Kozuka, der bis 1972 mit Onoda im Dschungel ausharrte, bevor er von der örtlichen Polizei in einem Kampf erschossen wurde (im Film wird er von Fischern getötet, warum auch immer).


Das Zusammenspiel von Tusda und Chiba ist eine der weiteren Stärken des Films. Die Intimität, die Harari zwischen den beiden Männern einfängt, ist erstaunlich, vor allem wenn man Onoda – 10.000 Nächte im Dschungel als japanischen Film begreift. Beide Männer liegen sich in den Armen, zeigen offen gegenüber Gefühle, weinen, trauern. Ein derart offenes Zeigen von Gefühlen ist in der japanischen Öffentlichkeit selten, vor allem unter zwei Männern. Und hier schafft der Film etwas, was ich ihm gerade zu Anfang nicht zugetraut hätte. Er schafft Sympathie mit seinen beiden Figuren, die eigentlich gegen mein moralisches Verständnis gehen. Er macht aber eben auch deutlich, das Onoda, Kozuka und viele anderen Männer wie ihr ebenfalls Opfer der Kriegstreiber waren. Das sie sich dennoch schuldig gemacht haben, hätte der Film nicht derart ausklammern sollen. Zwar wird durchaus gezeigt, wie Onoda und seine nach und nach schwindende Gefolgschaft die Reisernte der örtlichen Bauern anzünden oder mit Bewohnern der Insel kämpfen. Fast immer geht die Aggression aber von den anderen aus.

Adrian sagt:

Am Ende fragt man sich dann doch, was der Film eigentlich aussagen will. Antikriegsfilm? Ja, irgendwie schon. Biografie? Nein. Eine tiefgehende Studie? Manchmal aber eher selten. Mit Schauwerten protzt der Film nicht. Das war aber wohl vor allem auch eine Frage der Budget. Die wenigen Kämpfe sind nicht gerade gut inszeniert, Schusswechsel wirken fast schon theateresk und leider mitunter auch etwas albern. So bleibt ein Film, der definitiv seine Momente hat, dessen Intention immer wieder durchscheint, der dann aber doch hinter den Möglichkeiten zurückbleibt.

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