Lost Judgment REVIEW

Nach über 15 Jahren, sechs Hauptteilen, einem Prequel und diverser Spin-Offs hat die Yakuza-Reihe mit Teil 7 einen ziemlich mutigen Wechsel im Kerngameplay vollzogen. Hat man sich mit Kazuma Kiryu, Goro Machima und Co. zuvor in einem auf brachiale Action ausgelegten Echtzeitsystem durch die japanische Unterwelt geprügelt, wurde mit Yakuza 7 rundenbasierte Kämpfe eingeführt, die in der Tradition zu klassischen JRPGs stehen. Offenbar will man diese Ausrichtung für die Hauptreihe auch erst einmal beibehalten und die alte Spielweise stattdessen in Rahmen von Ablegern fortführen. Das diese Strategie auf Dauer durchaus aufgehen kännte, beweist das dieser Tage erscheinende Lost Judgment.

Stolpersteine


Beim Spielen von Lost Judgment musste ich mich mehrere Male vergewissern, ob das Spiel tatsächlich eine Altersfreigabe von „ab 16 Jahren“ erhalten hat. Die Themen, die hier aufgemacht werden und vor allem auch die Bilder, deren sich das Spiel immer wieder bedient, sind nämlich nicht gerade von der leicht verdaulichen Sorte. Unter anderem geht es um Mobbing, sexuelle Belästigung, Selbstmord und eine Justiz, die nicht imstande ist für Gerechtigkeit zu sorgen. Es geht aber auch um eine (in diesem Falle um die japanische) Gesellschaft, in der häufig weggeguckt wird und in der insbesondere Opfer sexueller Gewalt und von Mobbing stigmatisiert werden und die Täter noch immer häufig ohne Konsequenzen davon kommen.

Weder die Hauptreihe, noch der Vorgänger Judgment haben im Rahmen ihrer Hauptgeschichte und der abgebildeten Themenkomplexe je einen Blatt vor den Mund genommen und sich stets mit den Opfern solidarisiert. Das ist im Falle von Lost Judgment eigentlich nicht viel anders, allerdings kommt das Spiel wesentlich häufiger ins Wanken als vorherige Titel der Reihe. Da wird beispielsweise ein sexueller Übergriff letztlich nur als Plottwist instrumentalisiert, was sowohl während des entsprechenden Moments aber insbesondere in der späteren Reflexion einen negativen Beigeschmack hat.

Bitte nicht falsch verstehen: natürlich dürfen, sollen, ja müssen Videospiele in der Lage sein jegliche Problematiken abbilden zu können. Allerdings sollte dann auch die Umsetzung feinfühlig sein. Vielleicht hätte es dem Autorenteam um Toshihiro Nagoshi und Tsuyoshi Furuta gut getan, hätte man noch eine weibliche Einsicht miteinbezogen. Umso stärker fällt erneut auf, wie regressiv die Reihe mit weiblichen Figuren umgeht. Gerade in Yakuza gibt es zwar auch starke Frauenbilder, doch werden diese im Kontext der Geschichte häufig als damsel in distress eingesetzt, die vom männlichen Protagonisten beschützt und gerettet werden müssen. In Lost Judgment sind nahezu alle Frauen entweder Opfer oder Täterin. Erst abseits der Hauptgeschichte gibt es wieder positiver konnotierte Frauenbilder.

Düsterer, härter, schonungsloser


Dieser Aspekt legt sich negativ über die Geschichte, die ansonsten eigentlich ziemlich gut die Töne trifft und mir noch einen Ticken besser gefallen hat, wie die des Vorgängers. Protagonist ist erneut Detektiv Takayuki Yagami, dessen Auftragslage in Kamurocho derzeit ziemlich zu wünschen übrig lässt. Da kommt ein Hilfegesuch von Sugiura und Tsukumo, zwei Freunde von Yagami, gerade recht. Diese haben in Yokohama mittlerweile selbst eine Detektei aufgemacht und sollen an der örtlichen Seiryo High School einen Mobbingfall untersuchen. Derweil läuft in Tokyo ein Prozess gegen einen hochrangigen Polizisten. Der Vorwurf: er soll eine Frau in einer U-Bahn sexuell belästigt haben. Die Tat kann eindeutig mit mehreren Zeugenvideos belegt werden, der Mann wird schuldig gesprochen. Bei seiner Urteilsverkündung bricht er sein Schweigen, nicht aber, um seine Tat zu bereuen, sondern von einer bisher noch unidentifizierten Leiche zu berichten, die kurz vorher in Yokohama gefunden wurde.

Jump Street auf Japanisch


Zwangsläufig werden beide Fälle zusammengeführt und ergeben ein durch und durch spannendes Crime-Drama. Abseits der Hauptgeschichte gibt es mit den Schulgeschichten erneut wieder einen ziemlich großen Nebenschauplatz. Auch in diesem Rahmen werden durchaus komplexe Themen und Erscheinungsformen aufgemacht, allerdings ist die Aufmachung wesentlich entkoppelter von allzu ernsten Tönen. Das ist häufig amüsant und hat mich ziemlich an Jump Street erinnert, etwa wenn der weit das vierzigste Lebensjahr überschrittene Yagami sich einer jugendlichen Motorrad-Gang anschließt, als Tanzcoach für die hiesige Schultanzgruppe fungiert oder sich Skateboard-Rennen mit Schülern liefert.

Spielerisch sorgt der Nebenschauplatz übrigens für viel Abwechslung. Das Tanzen wird als Rhythmusspiel umgesetzt, das Skateboarden ist eine zwar mechanisch ziemlich runtergedampfte, aber dennoch recht launige Angelegenheit, im Boxclub werden gar Erinnerungen an Nintendos Punch Out wach und die Gefechte, die man sich im Rahmen des Roboter Clubs mit anderen Schulen liefert, werden als taktisch recht komplexe Tetris-Alternative umgesetzt.

Vollgepackter Alltag


Langeweile oder Leerlauf habe ich beim Spielen nahezu nie verspürt, was umso mehr zeigt, wie gut das Gesamtpaket erneut funktioniert. Natürlich gibt es noch zahlreiche Sidequests, die serientypisch gewohnt albern und schrill ausfallen. Außerdem kann man wieder viel Zeit mit Drohnenrennen verbringen, sich in Casinos und den zahlreichen traditionellen japanischen Glücksspielen verlieren, in Arcades jede Menge Sega-Klassiker zocken und sogar im Büro von Yagami steht nun eine Sega Master System mit zahlreichen Klassikern, wie Alex Kidd und Penguin Land.

Alte Tugenden nicht verlernt


Und dann wären dann ja auch noch die Kämpfe, das wohl zentralste Element des Spiels. Das Kampfsystem wurde noch einmal spürbar verfeinert und ist mittlerweile das vielleicht beste aller bisherigen Spiele der Reihe. Nicht nur fühlt es sich unsagbar gut an sich in die wuchtig anfühlenden Kämpfe mit Kleinkriminellen und Delinquenten zu stürzen, auch gibt es wieder unzählige Kombomöglichkeiten und zusätzlichen neue Fähigkeiten, die man nach und nach über den umfangreichen Fähigkeitenbaum freischaltet. Besonders der neue, eher defensive „Schlangen“-Kampfstil hat es mir ziemlich angetan. Es geht hier weniger um den direkten Angriff als vielmehr um das Kontern von Angriffen und das schnelle Ausüben von Gegenangriffen. In Verbindung mit den beiden Kampfhaltungen des Vorgängers entfaltet sich ein wunderbarer Flow, der selbst nach Dutzenden Spielstunden nichts an seinen Reiz verliert.

Ezio Auditore lässt grüßen


Darüber hinaus haben die Entwickler bei einem der größten Mankos des Vorgängers aufgeräumt. Selbstredend besteht die Wirklichkeit eines Detektiven aus dem Beschatten und Observieren, was im Vorgänger mitunter ziemlich mühselig war. Gerade die Verfolgungsseqeuenzen haben sich als ziemlich ermüdend herausgestellt, sind in Lost Judgment aber nahezu komplett auf Sidequests ausgelagert und kommen selbst in diesen nur selten vor. Glücklicherweise kommt auch das neue Stealth-System selten zum Einsatz. Sicherlich ist dieses gut gemeint, spielmechanisch und in Verbindung mit der mäßigen KI ist das Ganze aber wenig spannend. Besser gefällt mir da schon die Möglichkeit, nun in bester Assassin´s Creed Manier an Häuserwänden hochzuklettern. Allerdings geht dies nur an bestimmten Stellen und in der Regel auch nur im Rahmen von Missionen.

Das gleiche gilt für einen Großteil der neuen Gadgets. Unter anderem hat man nun einen Wanzendetektor und ein Richtmikrofon, auch kann man mit einem Hund an der Leine Gerüchen nachgehen. Leider verwehrt sich Lost Judgment wie auch schon der Vorgänger aber nach wie vor, richtig in die Tiefe zu gehen, was die eigentliche Arbeit eines Detektiven angeht. Selbst das Untersuchen von Tatorten ist nicht vielmehr als ein Abklicken von meist eng abgesteckten Arealen nach Hinweisen, was ziemlich bedauerlich ist, da man sich durch etwas mehr Komplexität stärker von der Hauptreihe hätte absetzen können.

Pro & Kontra

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Pro
  • spannendes Crime-Drama
  • brachiales Kampfsystem mit vielen Kombos und einem neuen Kampfstil
  • gewohnt gute Vertonung und Soundtrack
  • Schulgeschichten als großer Nebenschauplatz
  • zahlreiche neue Aktivitäten (Boxclub, Sega Master System Spiele, Tanzen etc.)

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Contra
  • sexuelle Belästigung als Plottwist? Hätte man sich wirklich schenken können!
  • Detektiv-Anteil nach wie vor sehr oberflächlich gehalten

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