In Vitra: Illusion oder Wirklichkeit REVIEW
In Vitra: Illusion oder Wirklichkeit ist der neueste Streich des deutschen Indie-Entwicklerstudios bumblebee (Ghost Control Inc., Oh my Gore!). Es handelt sich hierbei um ein RPG im Japano-Stil, welches mithilfe des sogenannten „Smile Game Builders“ erstellt wurde. Bei Smile handelt es sich um eine Software zum erstellen eigener JRPGs, wobei allerdings keine Programmierfähigkeiten notwendig sind. Oder anders ausgedrückt: Einen RPG-Maker-Klon. Smile bietet altbackene 3D-Grafikbausätze und soll einfacher zu handhaben sein als der gute alte RPG-Maker, scheint dafür aber auch weniger Funktionen zu bieten als die Konkurrenz von Enterbrain. Wie sich das alles in In Vitra äußert, soll folgendes Review klären.
Kleine heile Welt?
Man übernimmt die Rolle von Noa, einem abenteuerlustigen Burschen, der zusammen mit seinem besten Freund Luke aufbricht, um ein Heilmittel für eine gefährliche Krankheit aufzutreiben, die seine liebe Großmutter und viele weitere Menschen befallen hat. Während sie ihre merkwürdig überschaubare Heimatwelt bereisen, treffen sie nicht nur auf die Apothekerin Lee-Belle und die Priesterin Billa, die sich ihrer Sache anschließen, sondern stoßen auch auf einige Ungereimtheiten die einige sehr unangenehme Fragen aufwerfen. Recht bald stellt sich heraus, dass die politische Führung ihres Königreichs ein gewaltiges Geheimnis hütet, welches das gesamte Weltbild der Bevölkerung auf den Kopf stellen könnte. Bringen Noa und seine Freunde genügend Mumm auf, um das Geheimnis aufzudecken?
In Vitra präsentiert zunächst eine völlig generische, um nicht zu sagen belanglose 08/15-Klischee-Handlung. Doch der erste Schein trügt, denn zum Ende hin trumpft die Story mit einer sehr krassen Wende auf, mit der niemand gerechnet hätte (The Twilight Zone lässt schön grüßen). Leider ist das Spiel an diesem Punkt auch schon vorbei und endet obendrein mit einem Cliffhanger (wobei es die Art von Cliffhanger ist, den man auch gerne so stehen lassen kann). Soweit so gut, dennoch lässt der Titel viel zu wünschen übrig. Die Charaktere sind eher langweilig und bieten nur wenig Hintergrundgeschichte. Die Biografien der Spielfiguren werden zwar hier und da angerissen, aber nicht vernünftig abgewickelt. So leidet zum Beispiel Luke unter einem alkoholkranken und abweisenden Vater und Billa ist das typische Waisenmädchen. Solche Probleme werden aufgegriffen aber eben nie vernünftig verarbeitet. Es gibt ein paar nette kleine Sagengut-Bröckchen im Spiel zu entdecken, doch hieraus wird auch nicht viel herausgeholt. Im Gegenteil: An einer Stelle wird sogar auf einen DLC oder eben ein neues Spiel hingedeutet, wo besagtes Sagengut vertieft werden mag. Na schönen Dank auch!
Liegt natürlich auch alles daran, weil das Spiel mit seinen sechs Stündchen Spielzeit recht kurz angesetzt ist (der Entwickler gibt fälschlicherweise eine Spielzeit von 15 Stunden an). Tatsächlich habe ich den starken Eindruck, dass das gesamte Spiel nur auf den großen Aha-Effekt des Endings hinarbeitet und dafür den Rest schleifen lässt. So genial das Ending auch sein mag, es hätte noch wesentlich mehr gepackt, wenn die Spielwelt und ihre Einwohner nicht so oberflächlich geblieben wären.
So standardmäßig wie es nur geht
Ich spiele solche Retro-JRPGs ja am liebsten gemütlich mit Controller, da ärgert es mich immer besonders, wenn kein (umfassender) Controller-Support zur Verfügung gestellt wird. Keine Ahnung ob In Vitra: Illusion oder Wirklichkeit den Xbox-Controller unterstützt, aber mein Pad vom Dritthersteller ist jedenfalls nicht kompatibel. Also schon mal der erste Nachteil zu einem x-beliebigen RPG-Maker-Spiel. Aber wenigstens ist die Tastatur-Steuerung gewohnt unkompliziert, und da das Spiel keine nennenswerten Optionen bietet (Schwierigkeitsgrade und so), kann man sich auch direkt ins Abenteuer stürzen.
Wenig überraschend handelt es sich um ein typisches JRPG. Man erkundet die Spielwelt aus der Vogelperspektive, plündert Schatztruhen, tratscht mit NPCs die auch gerne mal ne (Side)quest springen lassen, bekämpft rundenbasiert Monster um Erfahrungspunkte und Geld zu verdienen und bahnt sich seinen Weg durch ein paar Dungeon-Abschnitte. Das Problem bei In Vitra, ist der akute Mangel an Besonderheiten. Neue Skills und Zauber werden schnöde per Level-Up freigeschaltet, die Dungeons und Landschaftsabschnitte sind entweder lineare Korridore oder nervige (Hecken)labyrinthe, die wenigen „Verschieb die Kiste“- und „Aktivier die Schalter“-Rätsel sind beim besten Willen nicht der Rede wert … Es gibt einfach nichts, was nicht schon hundertmal zuvor und in besserer Version dagewesen wäre. Einziger Lichtblick ist die ansatzweise offene Welt im ersten Spieldrittel, die zum erkunden einlädt. Eine Weltkarte gibt es jedoch nicht, die Spielwelt ist nämlich bewusst klein gehalten und alle Gebiete greifen direkt ineinander über. Leider ist der Übergang in neue Spielabschnitte nicht immer sinnvoll visualisiert und lästige Backtracking-Segmente gibt es später auch noch, da es keine Teleport-Zauber oder Vergleichbares gibt.
Darüber hinaus mangelt es auch an vielen gängigen Komfort-Optionen und Feinschliff. So vermisse ich ein Questlog, welches jedoch durchaus wünschenswert gewesen wäre, da es zumindest in der ersten Spielhälfte doch einige Sidequests abzustauben gibt, die man eventuell erst später abwickeln möchte, wenn man etwas aufgelevelt hat. Apropos aufleveln, das ist leider manchmal echt notwendig, da die Stärke der Gegner hier und da auch mal sprunghaft ansteigt. Das Zufallskampfsystem hilft da auch nicht weiter, vor allem da die Quote eben derer im letzten Spieldrittel sehr stark ansteigt und somit gewaltig auf den Geist geht. Ein Autofight-Modus, um die ebenso öden wie generischen Rundenkämpfe schnell und unkompliziert abzuwickeln, fehlt im übrigen ebenfalls. Wirklich hässlich wird es jedoch, wenn man feststellt, dass die Kampfzauber der Priesterin Billa viel zu schwach sind (habe oftmals mehr Schaden mit ihrem regulären Angriff verursacht) und die Treffer-Fehlquote zu hoch ausfällt. (wieso schlägt bei einer Trefferquote von 90 % jeder zweite Angriff fehl?). Warum darf ich die Dash-Funktion der Spielfigur nicht als Standard-Laufgeschwindigkeit festlegen? Warum gibt es keine Achievements? Sogar ein konkreter Bug ist mir untergekommen: Ein Rastplatz in einem Wald-Dungeon bewirkte keine Regeneration der HP und MP.
Sicherlich hört sich das jetzt alles nach Erbsenzählerei an, doch dürft ihr dabei nicht vergessen, dass ich schon sehr viele RPG-Maker-Spiele gespielt habe und daher ziemlich genau weiß, welche Komfortoptionen man in diesem Genre zur Verfügung stellen sollte, um nicht hinter der harten und vor allem zahlreichen Konkurrenz hinterherzuhinken. Fakt ist nun einmal, dass das Gameplay von In Vitra keine Chance gegen ein 08/15-RPG-Maker-Spiel hat.
Grafik und Sound
Die 3D-Grafikbausätze des Smile Game Builders sind wohl der prägnanteste Unterschied zum altbekannten RPG-Maker-Programm. Dummerweise ist die 3D-Grafik bei weitem nicht so pralle wie erhofft und kann noch nicht mal mit alten PSone oder N64-Games mithalten. Außerdem wird die texturarme und generell recht langweilige 3D-Grafik gar nicht vollständig durchgezogen, denn innerhalb der Kämpfe schwenkt das Spiel in 2D-Grafiken zurück, die sich dort ausschließlich auf Artworks der Szenerien, Hauptcharaktere sowie der Monster und Gegner beschränken. Auch wenn man anfangs dankbar darüber ist, endlich mal einen optischen Ausgleich zum hundertsten RPG-Maker-Titel vorgesetzt zu bekommen, dauert es nicht lange, ehe man realisiert, dass man von Smile auch nichts dolles geboten bekommt. Wenigstens wurden die Artworks der Charaktere von den Entwicklern selbst erstellt.
Die Technik lässt auch etwas zu wünschen übrig, denn das Programm lässt sich zu viel Zeit, ehe es endlich startet. Und während dieser Wartezeit frieren es auch gerne mal andere Computerprogramme ein.
Zum Soundtrack von In Vitra: Illusion oder Wirklichkeit gibt es spontan nicht viel zu sagen. Es sind typische 08/15-JRPG-Melodien ohne Ausreißer nach oben oder unten. Definitiv nichts prägnantes dabei, aber eben auch nichts, was einem verleitet den Lautsprecher herunterzuregeln.