Gone Home REVIEW
Der zweite große Hit des Exploration Game-Genres: Es war nur eine Frage der Zeit, dass nach dem Überraschungserfolg von Dear Esther, dem Urgestein der sogenannten „Exploration Games“, weitere Titel dieser speziellen Machart folgen würden. Gone Home, das Erstlingswerk des US-Amerikanischen Indie-Entwicklerstudios „The Fullbright Company“, ist der zweite große Hit, den dieses Adventure-Subgenre hervorgebracht hat. Im August 2013, also ca. eineinhalb Jahre nach der kommerziellen Veröffentlichung von Dear Esther, schlug auch Gone Home ein wie eine Bombe. Die Fachpresse vergab überraschend hohe Wertungen und auch ein Großteil der Spieler war dem Titel sehr zugeneigt. Anders als bei Dear Esther hat es für Gone Home sogar zu ner handfesten Retail-Version gelangt, und neuerdings gibt es das Spiel sogar für die aktuelle Konsolengeneration (Xbox One, PS4) zu kaufen. Grund genug für mich, mir das Spiel einmal genauer anzuschauen, schließlich bin ich ja erst vor kurzem in dieses Subgenre eingetaucht, und habe daher noch das ein oder andere Game nachzuholen.;)
Kaitlin allein zu Haus
7ter Juni 1995, irgendwo im Nordwesten der USA: Kaitlin Greenbriar hat das letzte Jahr als Rucksacktouristin in Europa verbracht und kehrt nun endlich zu nachtschlafender Stunde nach Hause zurück. Doch kann sie dieses große fremdartige Haus wirklich ihr Zuhause nennen? Ihre Eltern haben während Kaitlins Abwesenheit nämlich den verstorbenen Großonkel beerbt, der ihnen sein Haus vermacht hat. Darüber hinaus muss die junge Frau recht bald feststellen, dass das Haus verlassen scheint. Ihre Eltern scheinen nicht anwesend zu sein und ihre kleine Schwester Samantha hat nur einen entschuldigenden Brief an der Haustür hinterlassen. Dieser enthält die Bitte nicht nach ihrem Aufenthaltsort zu forschen und dass sich die Schwestern eines Tages wiedersehen würden. Mit dieser schwammigen Botschaft ist sowohl die Neugier Kaitlins als auch die des Spielers geweckt. Also worauf wartet ihr noch? Es wird Zeit das neue Heim zu erforschen und herauszufinden was mit Samantha und den Eltern geschehen ist!
Gone Home ist so ein Spiel, was mit den Erwartungen des Spielers spielt und im Endeffekt eine überraschend bodenständige Auflösung präsentiert. Das Spiel tarnt sich die ganze Zeit über als Gruselspiel und setzt uns zu nächtlicher Stunde in ein fremdes Haus, während draußen gerade ein Unwetter tobt, welches die Kommunikation mit der Außenwelt verhindert. Und wie es der Zufall so will, ist die Familie, die unsere Protagonistin eigentlich begrüßen sollte, verschollen. Was ist nun mit ihnen geschehen? Sind sie entführt oder ermordet worden? Und wenn ja, von wem oder was? Vielleicht von einer übernatürlichen Macht, die das Haus heimsucht? Aber je weiter man spielt, desto klarer wird einem, dass Gone Home eigentlich gar keine Horror/Grusel-Geschichte erzählt, sondern die alltäglichen Probleme einer vierköpfigen amerikanischen Mittelschicht-Familie behandelt. Das primäre Augenmerk wird dabei jedoch auf Samantha gelegt. Der Spieler erfährt Stück für Stück von den Problemen, die ihr Lebensabschnitt so mit sich bringt: Wie sie an ihrer neuen Schule direkt am ersten Tag die Außenseiterrolle aufgedrückt bekommt, wie sie sich langsam aber sicher mit einem anderen Mädchen anfreundet und wie sie … Doch halt, den Rest müsst ihr jetzt schon selbst herausfinden. Wichtig ist nur, dass euch klar ist, dass Gone Home eine recht harmlose „Coming of Age“-Story über ein jugendliches Mädchen aus den 90er Jahren erzählt. Das geht so weit, dass sogar die Handlungsstränge um die Probleme der Eltern und des verstorbenen Großonkels völlig in den Hintergrund gedrückt werden. Sogar die Protagonistin Kaitlin ist wenig mehr als ein Avatar des Spielers – Samantha ist der eigentliche Hauptcharakter von Gone Home.
Obwohl ihre Geschichte sehr liebevoll und ansprechend erzählt wird, wirkt diese hartnäckige Fixierung auf Samantha ehrlich gesagt ziemlich verbohrt. Es wäre besser gewesen, man hätte auch den anderen Mitgliedern der Greenbriar-Familie entsprechendes Augenmerk geschenkt. Die Tatsache, dass Gone Home als Gruselspiel getarnt wurde, wirkt ebenfalls recht befremdlich. Sicherlich wird dadurch eine angenehme Spannung aufgebaut, aber es erweckt auch den Eindruck, dass die Entwickler kein volles Vertrauen in die eigentliche Handlung hatten, die sie erzählen wollten – und das ist, wenn man genauer darüber nachdenkt, doch äußerst beschämend. Noch beschämender ist jedoch, dass man die Kunden mit der falschen Prämisse eines Grusel-Spiels aufs Glatteis geführt hat. Nicht umsonst haben fast ein Viertel der Steam-Kunden schlechte Wertungen für ein eigentlich gelungenes Spiel hinterlassen. Glücklicherweise wusste ich im Vorfeld, dass ich es eben nicht mit einem Gruselspiel zu tun habe und konnte somit ohne falsche Erwartungen an die Sache herangehen. Ich persönlich finde so etwas weitaus wichtiger als einen billig aufgebauten Aha-Effekt.
Virtuelle Schnitzeljagd
Ihr steuert Kaitlin aus der Ego-Perspektive durch das Haus und versucht herauszufinden, wo die kleine Schwester und die Eltern abgeblieben sind. Hierfür wühlt ihr hauptsächlichen in Schubladen und Schränken herum, sammelt ab und zu einen Schlüssel ein, damit ihr die ein oder andere verschlossene Tür öffnen könnt und lest diverse Briefe und Dokumente, aus denen ihr mehr über Kaitlins Familie erfahrt. Drei mal im Spiel werdet ihr auch mit Zahlenschlössern konfrontiert, deren Kombinationen freilich erst einmal aufgespürt werden müssen. Zwei dieser Zahlenschlösser sind jedoch rein optional und für ein erfolgreiches Durchspielen irrelevant.
Bei manchen Items oder bestimmten Dokumenten, die ihr euch genauer anguckt, aktiviert sich ein synchronisierter Tagebucheintrag von Samantha. Diese bilden sozusagen das Herzstück der Handlung und können auf Wunsch jederzeit im „Journals“-Unterpunkt des Inventarmenüs erneut abgespielt werden. Das Inventar dient übrigens lediglich dazu, die mitgeführten Gegenstände genauer zu betrachten. Inventarrätsel oder dergleichen sucht man vergeblich. Wesentlich relevanter ist da schon die Map-Funktion, welche eine Automap aufruft, die jeden Raum des Hauses selbstständig kartografiert und somit die Orientierung erheblich erleichtert.
Die Tastatur- und Maus-Steuerung von Gone Home arbeitet nach bewährtem Muster von Titeln die aus der First-Person-Perspektive gesteuert werden und gestaltet sich entsprechend eingängig und unkompliziert. Mit WASD bewegt man die Spielfigur und mit der Maus die Kamera. Die linke Maustaste dient zur Interaktion und die Rechte zum heranzoomen. Ferner darf Kaitlin ducken und kriechen, was dabei hilft untere Schubladen zu öffnen oder auch mal unters Bett oder Sofa zu gucken. Controller-Support wird ebenfalls bereitgestellt, allerdings konnte ich mit meinem Pad vom Dritthersteller die Kamera nicht nach oben und unten bewegen, wodurch diese Steuerungsvariante komplett unspielbar wurde. Und anders als bei Tastatur- und Maus, gibt es für Controller komischerweise keine Tastenbelegungsoptionen.
Und ja, das war auch schon alles was zu es erklären gibt. Das Spiel ist im Grunde genommen eine Art Schnitzeljagd nach den Tagebucheinträgen von Samantha, die getriggert werden, wenn man bestimmte Objekte aufhebt oder Dokumente liest. Ziel ist es die Handlung um Samantha auf diese Weise zu einem Abschluss zu bringen und nebenbei das gesamte Haus zu erkunden, welches doch einige Überraschungen bereithält und obendrein mit allerlei schönen Fundstücken aus den 90er Jahren gefüllt ist. So findet der Spieler in Samanthas Zimmer einige SNES-Module oder entdeckt immer wieder Kassettenrekorder und Musikkassetten. Letztere dürfen dann sogar in die Rekorder eingelegt werden, um sich Punk-Rock-Musik der Riot Girl-Bewegung reinzuziehen. Schöne Idee, auch wenn ich mit Punk Rock nichts anfangen kann.
Das alles liest sich jetzt recht unspektakulär uns wird es für viele Spieler auch sein, aber für mich war es doch überraschend (ent)spannend in aller Ruhe solch ein riesiges Haus zu erkunden, in dem man so gut wie jede Schublade öffnen und jeden Gegenstand aufheben darf, um ihn ausgiebig unter die Lupe zu nehmen. Wer Exploration Games mag, kommt hier also sicherlich auf seine Kosten. Vor allem Leute wie ich, die in den 90ern aufgewachsen sind, werden sich im Haus der Greenbriars recht bald heimisch fühlen.;) Leider ist die Spurensuche nach Kaitlins Familie selbst bei gründlicher Spielweise bereits nach ca. 3 Stunden abgeschlossen. Bedenkt man, dass der Preis nach wie vor bei rund 20 Euro liegt, ist das schon etwas dürftig.
Grafik, Sound und weiteres
Das Haus wurde auf Basis der Unity-Engine gestaltet und weiß, abgesehen von den doch eher bescheidenen Texturen, in grafischer Hinsicht durchaus zu gefallen. Absolute Top-Grafiken eines Triple-AAA-Titels sollte man jedoch nicht erwarten. Eindruck wird jedoch durch die tolle Beleuchtung geschindet. Viele Räume sind zunächst dunkel, so dass der Spieler erst mal den nächstgelegenen Lichtschalter umlegen oder die nächstbeste Lampe einschalten muss, um überhaupt etwas zu sehen. Durch diese Spielerei mit der Dunkelheit, wird freilich auch etwas Gruselstimmung erzeugt, die jedoch letztendlich im Sande verläuft, wie weiter oben bereits klargestellt. Darüber hinaus hat man jegliche Mühe gescheut, die Desillusion der schwebenden Kamera zu brechen. Kaitlin bekommt man im Spiel lediglich in Form eines Familienfotos oder Passbildes zu Gesicht. Als animiertes Ingame-Modell existiert sie jedoch nicht.
Der Soundtrack besteht in erster Linie aus melancholischen Melodien, die während Kaitlins Tagebucheinträgen abgespielt werden. Der OST leistet eine sehr gute Arbeit dabei emotionale Empfindungen wachzurütteln, steht aber nichtsdestotrotz auf verlorenem Posten, weil die Handlung einfach zu banal ist, um dem Spieler große Emotionen abzuringen. Samantha macht halt auch nichts schlimmeres durch, als viele andere Teenager – so what? Daneben gibt es freilich noch die Musikkassetten mit Punk-Rock-Mucke. Diese ist jedoch, wie bereits gesagt, Geschmackssache.
Die Sprachausgabe besteht hauptsächlich aus Samanthas vorgelesenen Tagebucheinträgen. Zu Beginn des Spiels darf auch Kaitlin ein paar Sätze von sich geben, danach bleibt sie für den Rest des Spiels aber ärgerlicherweise stumm wie ein Fisch. Per Anrufbeantworter bekommt man dann auch mal kurz Samanthas Freundin zu hören. An der Qualität der Sprachausgabe gibt es nichts auszusetzen. Die Sprecherinnen leisten einen guten Job. Das Problem ist halt, dass dieser Job nicht sonderlich aufwändig ausgefallen sein dürfte, denn die Quantität der Sprachausgabe ist halt etwas arg übersichtlich.