Eredia: The Diary of Heroes REVIEW
Das am 13. April 2018 veröffentlichte Maker-RPG Eredia: The Diary of Heroes ist das erste kommerzielle Spiel des Indie-Entwicklers Potatobrain Games, hinter dem sich der Inder Rishav Ganguli verbirgt. Das Spiel wird als „umfangreiches, nicht-lineares Open-World JRPG mit innovativen neuen Konzepten“ beworben. Wie viel Wahrheit hinter dieser Beschreibung steckt, und ob Eredia seinen aktuellen Steam-Preis von 7,99 € wert ist, soll folgender Test aufzeigen.
Ein Unsympath mit großen Ambitionen zieht in die weite Welt hinaus
Wieder einmal finden wir uns in einem mittelalterlichen Fantasyreich wieder. Sowohl die nördliche, als auch die südliche Hälfte des Kontinents haben jeweils einen machtgeilen Imperator hervorgebracht, welche die Weltherrschaft anstreben und sich gegenseitig bekriegen. Hierdurch entstehen in den Provinzen Machtvakuen, die von Kriminellen, Monstern, Sekten und Dämonen dazu genutzt werden, um an Einfluss und Macht zu gewinnen. Dem gegenüber stehen nur einige Bürgermeister und Söldnergilden, welche Aufträge für klingende Münze verteilen. Jene Söldner, die sich dieser Aufträge annehmen werden in der Regel „Hunter“ genannt und bilden derzeit den einzigen Schutz des kleinen Bürgers vor den oben genannten Gefahren einer Fantasywelt.
Der jugendliche Hunter Kenrad Krauser ist der Sohn eines berühmten Generals und der Schüler eines legendären Helden. Folglich sollte es niemanden verwundern, dass Kenrad das Ziel verfolgt diesen beiden Männern nachzueifern und seinerseits ein legendärer Hunter-Held zu werden, dem die Frauen zu Füßen liegen und dem das Gold aus den Taschen quillt. Dummerweise stellt sich Kenrad aber in gewisser weise selbst ein Bein, denn er verhält sich wie ein arrogantes, größenwahnsinniges Arschloch, der für den absoluten Großteil seiner Mitmenschen nur Hohn und Spott übrig hat. Lediglich hübsche Frauen werden halbwegs freundlich von ihm behandelt, aber auch nur, weil er versucht sie ins Bett zu kriegen (wobei er aber grundsätzlich scheitert).
Seine erste große Bewährungsprobe kommt in Form einer Kopfgeldjagd. Es soll der Psychokiller Zangierd beseitigt werden. Dummerweise darf Kenrad diesen Auftrag nur annehmen, wenn er mindestens einen Gefährten ins Team holt. In seinem Heimatdorf Midglen steht hierfür jedoch lediglich der seltsame Elric mit rosa Haaren und tumben Gesichtsausdruck zur Verfügung. Doch wenn Kenrad was erreichen möchte, muss er eben Kompromisse eingehen. Er hätte ja nicht ahnen können, dass die Jagd nach Zangierd nur eine kleine Kostprobe für das darstellt, was noch kommen wird. Ehe er es sich versieht muss er sich mit Dämonenlords anlegen, wird vom Imperator höchstpersönlich beauftragt und kommt einigen Individuen auf die Schliche, deren Kampfkraft derart überirdisch ist, dass sie die gesamte Welt ins Unglück stürzen könnten. Unabhängig davon kehrt eine alte Macht zurück, die vor Jahrhunderten den Untergang der Zwerge verursacht hat. Ob Kenrad wirklich Manns genug sein wird, all diese Herausforderungen zu meistern?
Ob ihr es glaubt oder nicht, aber die Handlung von Eredia ist wesentlich interessanter als sie jetzt erscheinen mag. Der Entwickler hat gute Arbeit geleistet eine lebendige Welt mit solidem Sagengut-Fundament und zahlreichen interessanten NPCs zu erschaffen. Es macht Spaß diese Welt zu erkunden und mehr über sie und ihre Bewohner zu erfahren.
Jedoch gibt es auch Schwachpunkte, der Größte ist jener, dass es sich bei „The Diary of Heroes“ im Endeffekt nur um einen ersten Teil einer längeren Reihe handelt. Man sollte also nicht erwarten, das alle Probleme bis zum Ende hin gelöst sind. Wirklich ärgerlich in diesem Zusammenhang ist auch, dass der Entwickler keine Anstalten machte dieses Spiel als ersten Teil oder dergleichen zu kennzeichnen. Aber wenigstens wird derzeit am zweiten Teil gearbeitet, und man soll auch den Endspielstand aus diesem Teil mit in den nächsten übernehmen dürfen – coole Sache.
Das zweite Problem ist der Protagonist Kenrad Krauser, der nun einmal als absoluter Kotzbrocken konzipiert wurde, der sehr gerne homophobe und chauvinistische Sprüche raushaut und auch sonst einfach nur ein Riesenarsch ist. Dieses Gehabe geht einem mit der Zeit natürlich ziemlich stark auf den Geist. Und Szenen in denen sich Kenrad erwachsen verhält sind rar gesät. Immerhin gibt es aber ein Gesinnungssystem. Man kann es also zumindest so drehen, dass Kenrad ein Arschloch mit einem Herz aus Gold ist. Außerdem merkt man, dass der Entwickler diesen Charakter bewusst so dargestellt hat, um zahlreiche lebendige Dialoge zwischen den Mitgliedern seiner Gruppe zu erzeugen. Und besagte Gruppe wächst im Spielverlauf immerhin auf sieben abwechslungsreiche Personen an.
Das dritte, eher subjektive, Problem ist die Dragon Ball Z-Problematik. Genau wie dort wird in Eredia sehr gerne mit übermächtigen Individuen gearbeitet, deren Power-Level sehr gerne weit über die 9000 hinausschnellen. Das kann nerven, muss aber nicht. Unterm Strich hatte ich aber sehr viel Spaß mit der Handlung von Eredia. Die zweite Episode würde ich mir definitiv kaufen!
Bewährtes RPG-Maker-Einerlei wird mit Bausteinen aus den ganz großen Titeln angereichert
Im Kern werden in Eredia natürlich die typischen RPG-Maker Gameplay-Bestandteile verarbeitet. Man erkundet die Welt aus der Vogelperspektive, erkundet Siedlungen, Dungeon-Gebiete und die Weltkarte, bewältigt bei der Erkundung durch feindliche Gebiete zahlreiche rundenbasierte Zufallskämpfe, verdient Erfahrungspunkte, levelt auf, öffnet Schatztruhen usw. Ich möchte das alles jetzt echt nicht zum hundertsten mal bis ins kleinste Detail breittreten. Stattdessen möchte ich mich auf die Besonderheiten fokussieren.
Eredia bietet vier Schwierigkeitsgrade, die man übrigens auch innerhalb des Spiels wechseln darf, sofern man sich den entsprechenden Gegenstand im Start-Dorf kauft. Ich entschied mich für den zweithöchsten Grad und kann sagen, dass das Spiel auf diesem zunächst wirklich sehr schwer ist, und man sich besser daran gewöhnen sollte, dass die Gruppenmitglieder häufig im Kampf verrecken. Das ist glücklicherweise nur halb so schlimm, da selbst gefallene Charaktere Erfahrungspunkte gutgeschrieben bekommen. Lediglich Charaktere auf der Ersatzbank gehen diesbezüglich leer aus. Und da man hier nur 4 Leute in die aktive Gruppe nehmen darf, sollte man diese auch mal auswechseln, um Schlusslichter zu vermeiden.
Der Kampf an sich ist Standard-Kram. Es werden die typischen Maker-Konzepte der MP und TP verwendet. Diese beiden Punkte-Pools erlauben den Einsatz von Zaubern oder Spezialtechniken. HP und MP kann man durch Rasteinlagen, Items oder Level-Ups regenrieren. TP hingegen werden durch Aktionen im Kampf angehäuft. Interessanterweise bietet jeder Charakter sowohl einen MP als auch TP-Pool und einige Techniken sind auch an beide Pools gekoppelt. In den meisten anderen Maker-RPGs wird das ja kategorisch getrennt. Ferner bieten die Charaktere über verschiedene Kampfstile, mit denen man Einfluss darauf nehmen kann, unter welchen Voraussetzungen die TP im Kampf steigen sollen. Dies erlaubt dem Spieler taktische Spielereien und zeigt, dass man auch bei einem ausgelutschten RPG-Maker-System noch ein Minimum an Kreativität rausquetschen kann.
Ein Grund warum Eredia in den Anfangsphasen so schwer ist, ist der Mangel an Geld. Die meisten Gegner hinterlassen nämlich nur Exp, aber kein Geld, Und wenn doch mal Geld hinterlassen wird, so sind diese Summen sehr gering. Um Geld zu verdienen sollte man also eher nach Loot in den Maps ausschau halten und Questaufträge bewältigen.
Dieses sehr spannende und unübliche Konzept wird jedoch ad absurdum geführt, sobald man Zugriff auf das Casino erhält. Dort kann man Glücksspiel-Minigames wie den Einarmigen Banditen, Bingo oder ein Würfelspiel tätigen. Die hierdurch gewonnenen Chips kann man in wertvolle Ausrüstung umtauschen, welche wiederum für teures Geld an die Händler im Spiel vertickt werden darf. Und voila, schon ist das mühevoll aufgebaute Geldsystem komplett im Eimer. Und ja, mit etwas Cleverness und ein wenig Geduld ist es nicht schwer das Casino in die Knie zu zwingen.
Aber das sollte euch nicht daran hindern die wirklich zahlreichen Quests in Angriff zu nehmen, denn diese sind oft an Gilden gekoppelt, in denen ihr im Rang aufsteigen könnt. Höhere Ränge innerhalb einer der vier Gilden schalten mächtige Ausrüstungsstücke in deren Shops frei, und gewähren sogar Zugang zu neuen Zaubern, Kampftechniken und Stile. Darüber hinaus sind viele der Quests liebevoll aufgezogen. Hier gibt es nicht nur stupide Such und töte-Aufgaben, sondern auch detektivische Ermittlungsaufgaben mit variablen Questausgang, je nachdem wie gründlich und erfolgreich man vorgeht, oder welche Entscheidungen man trifft.
Und auch außerhalb der Quests bietet das Spiel viel zu entdecken. Die Dungeons können angenehm weitläufig ausfallen, und auch mal mit kleineren Rätseleinlagen aufwarten. Es gibt versteckte Bossgegner und Dörfer. Ein simples Crafting-System. Man bekommt im Spielverlauf sein eigenes Haus mit Ausbau-Möglichkeiten. Es gibt sogar ein Bioware-artiges Freundschaftssystem zu den Gruppenmitgliedern, welche dann sogar spezielle Charakterquests springen lassen können.
Auch an den Spielkomfort wurde gedacht. So gibt es ein Teleporter-Netzwerk, ein umfassendes Questlog und Gegenstände, um die Zufallskampfrate zu drosseln.
Besonders bemerkenswert ist jedoch das Datums- und Uhrzeit-System. Die Zeit schreitet in Eredia stetig voran. Es gibt einen Tag- und Nachtwechsel, was in sehr seltenen Fällen auch Einfluss auf Quests haben kann. So lässt einen der Türsteher der Diebesbande nur zur Abend- und Nachtzeit hinein. Der Knaller ist jedoch die Integration von Feiertagen oder Sonderevents, welche nur zu bestimmten Tagen im Jahr stattfinden. Zu Beginn des Spiels bekommt man netterweise einen Kalender, in dem die wichtigen Tage festgehalten werden.
Eredia hat also eine Menge cooles Zeug zu bieten. Der Open World-Aspekt des Spiels entpuppt sich jedoch eher als eine Semi-Open World (was ja nun auch nichts schlechtes ist). Euch werden also nur nach und nach größere Brocken der Welt zugänglich gemacht. Diese Brocken können dann allerdings nach eigenem Gusto erforscht werden, wobei einzelne Schlüsselgebiete aber nur mit entsprechender Quest geöffnet werden. Und natürlich muss man auch erst mal gucken, ob man die jeweiligen Monster des Gebiets überhaupt überlebt. Denn selbst mit oben genannten Geld-Trick, muss man erst mal gute Grinding-Gebiete finden und sich ein entsprechendes Polster antrainieren. Level-Ups verbessern übrigens nicht nur die Statistika, sondern schalten auch neue Zauber/Techniken frei. Ab Stufe 30 bekommt der jeweilige Charakter auch noch Zugriff auf eine Supertechnik. Diese muss sich erst über mehrere Runden aufladen, und bekommt nach deren Einsatz eine Cooldown-Phase aufgebrummt.
Man schaltet sogar Multitechniken und Perks frei, von denen man aber nur eine begrenzte Anzahl ausrüsten darf. All das sorgt dafür, dass es sehr viel Spaß macht seine Leute aufzuleveln und zu gucken, was der nächste Level-Up so mit sich bringt. Und natürlich bekommt man eine immer breitere Palette an Optionen für die knackigen Kämpfe.
Grafik und Sound
Grafisch gelangt Eredia kaum über den Status eines generischen RPG Maker VX (Ace)-Spiels hinaus. Das liegt natürlich daran, da hier zu 99 % mit vorgefertigten Grafiken und Sprites aus dem entsprechenden Maker-Baukasten gearbeitet wurde. Lediglich fürs Artwork der Charaktere hat sich der Inder, laut eigenen Angaben, den japanischen Künstler Sage Takeda ins Boot geholt. Und tatsächlich profitiert das Charakterartwork davon und stellt zumindest einen kleinen Mehrwert zu anderen Maker-RPGs dar. Auch möchte ich eingestehen, dass Ganguli ein gutes Händchen dafür hatte die Bausatzgrafiken geschickt einzusetzen – das bekommt auch nicht jeder hin. Jedoch muss gesagt werden, dass es mitlerweile zu viele Maker-RPG-Entwickler gibt, welche fast sämtliche Grafiken selbst erstellen. Da kann Potatobrain Games freilich nicht mithalten.
Selbiges gilt auch für den OST. Die Tracks passen gut zu den jeweiligen Settings und Situationen, aber sie entstammen halt aus dem Baukasten und stellen somit nichts Neues dar. Und ein Ohrwurm ist auch nicht hängengeblieben. In technischer Hinsicht leidet das Spiel unter Lagging, welches seltsamerweise hauptächlich in Häusern auftritt. Irgendwann hatte ich herausgefunden, dass das Lagging von den HUD-Anzeigen provoziert wird, welche man glücklicherweise im Optionsmenü deaktivieren kann (auch wenn das Uhr und Datum-HUD eigentlich zu wichtig dafür ist). Kein Bug, aber ein weiteres Problem welches ich nennen möchte, sind herumwandernde NPCs, welche manchmal Gänge und Türen blockieren, und lange brauchen, ehe sie aus dem Weg gehen – sehr lästig!
Pro & Kontra
- sehr große Semi-Open World mit haufenweise Quests und viel zu entdecken
- überraschend interessante Handlung, Charaktere und Sagengut
- cooles Datums- und Zeitsystem
- nette Implementation von Bioware-typischen Gesinnungs- und Freundschaftssystemen
- 4 Schwierigkeitsgrade
- es ist der erste Teil einer Serie, erwartet keinen Abschluss der Story
- der Protagonist wurde als extremer Unsympath konzipiert
- der „Over 9000“-Faktor á la Dragon Ball Z kann nerven
- es wird hauptsächlich Material aus dem RPG-Maker-Bauskasten verwendet
- Lagging-Probleme