Emio – Der lächelnde Mann: Famicom Detective Club REVIEW

Als Nintendo im Juli 2024 auf seinen offiziellen Social Media Kanälen das verstörende Bild eines Mannes mit Papiertüte auf dem Kopf veröffentlichte, erwachte so manch einer mit der Hoffnung auf ein echtes Horrorspiel von Nintendo aus dem Sommerschlaf. Kurz darauf stellte sich heraus: kein Horror-Spiel, sondern der dritte Teil der Famicom Detective Club Reihe wurde hier angeteasert. Dieser hat den nicht wirklich gut von den Lippen gehenden Namen Emio – Der lächelnde Mann: Famicom Detective Club erhalten und ist vielleicht nicht unbedingt das, was man klassisch als Horror betiteln würde, aber doch so verstörend, dass ich gerne wissen würde, wer bei Nintendo das grüne Licht für dieses Spiel gegeben hat.

Nintendos vergessene Franchise


Die Famicom Detective Club Reihe startete ursprünglich – wer hätte es erraten! – auf dem Famicom und wurde mit zwei Teilen bedacht. Diese kamen nie in den Westen, auch das SNES-Remake von Teil 2 wurde nie offiziell übersetzt. Ganz zu schweigen vom 1997 exklusiv für das Satellaview veröffentlichten Spin-Off BS Detective Club: Yuki ni Kieta Kako, über dessen Existenz lustigerweise sogar Serienproduzent Yoshio Sakamoto im Rahmen der PR-Kampagne zu Emio schweigt. Aber ohnehin scheint man bei Nintendo nichts von der Skurrilität mehr wissen zu wollen, mit der man Mitte der 1990er Jahre in Japan einige ziemlich coole Spiele via Satelliten-Modem vertrieben hat. Aber ich schweife ab.

Obwohl die Reihe nie offiziell in den Westen gekommen ist und sie außer von ein paar Enthusiasten ohnehin für Jahrzehnte vergessen worden zu sein scheint, gab es immerhin vor einigen eine Fan-Übersetzung des SNES-Remakes. Vor drei Jahren veröffentlichte Nintendo zur Überraschung vieler mit Famicom Detective Club: The Missing Heir & Famicom Detective Club: The Girl Who Stands Behind zwei vollständige Remakes. Letztere waren offensichtlich erfolgreich genug, um nach all den Jahren einen komplett neuen Teil zu rechtfertigen. Ich habe ein Faible für die angenehm eigenwilligen Originale, fand die vor allem audiovisuell tollen Remakes gelungen und war sowieso mal wieder in der Stimmung für eine klassische Visual Novel. Und dann auch noch von Nintendo selbst!

Der Mörder mit der Papiertüte


Als die Leiche des Mittelschülers Eisuke Sasaki in der Nähe eines alten Pumpwerks entdeckt wird, ist die örtliche Polizei aufgeschreckt. Nachdem das Opfer offensichtlich brutal stranguliert wurde, wurde ihm post mortem eine Papiertüte mit aufgemalten Gesicht übergestülpt. Diese Herrichtung weist verblüffende Ähnlichkeiten zu einer Mordserie auf, die vor 18 Jahren stattgefunden hat. Damals wurden binnen weniger Wochen drei junge Frauen auf eine selbe Art ermordet und vom Täter präpariert. Da der Serienmörder von einst nie gefasst wurde, ist die Befürchtung groß, er treibt erneut sein Unwesen? Oder ist ein Nachahmer unterwegs, der sich der urbanen Legende von Emio, dem lächelnden Mann, bedient?

Wie schon in den beiden Vorgängern – über die übrigens keinerlei Vorwissen zum Verständnis nötig ist – schlüpft man in Emio erneut in die Rolle eines namenlosen Jung-Detektiven. Dessen Vorgesetzter, der angesehene Detektiv Utsugi, wird zum Mordfall Eisuke Sasaki gerufen, um der Polizei bei der Aufklärung der Tat behilflich zu sein. Das Gros der Arbeit übergibt Utsugi an seinen Jungspund, als der man fortan auf eigene Faust ermittelt, Zeugen befragt und Hinweise miteinander kombiniert. Ab und an wechselt man auch zur ebenfalls im Detektivbüro Utsugi angestellten Ayumi, diese Abschnitte sind aber an einer hand abzuzählen.

Das Famicom lässt grüßen


Emio ist eine durch und durch klassische Visual Novel. Die Haupttätigkeit ist also das Lesen von ziemlich ordentlich geschriebenen Dialogen und Monologen, die mit der Nintendo typischen Sorgfalt gut ins Deutsche übersetzt wurden. Eine Sprachausgabe gibt es ebenfalls, diese liegt aber nur im japanischen Original vor, ist aber geradezu vorzüglich besetzt worden und entsprechend in puncto Qualität richtig, richtig gut.

Beim Gameplay bleiben die Entwickler den Vorgängern treu – und damit meine ich die Spiele vom Famicom. Bereits die Remakes haben sich nah an der Formel ihrer Originale gehalten. Neben dem rudimentären Absuchen von Schauplätzen nach Hinweisen ist das einzig wirklich interaktive Element das Befragen von Zeuginnen und Zeugen.

Was willst du von mir Spiel?!?!


Für die Tätigkeit ein Gespräch anzufangen, Fragen zu stellen und zu antworten, gibt es im Menü mehrere Punkte, die mehr oder weniger das Gleiche machen. Diese Altlast aus den Originalen hätte durchaus schon in den Remakes auf andere Weise zusammengefasst werden können, kommt im dritten Teil aber erneut zur Reihe. Denn egal, ob man auf Rufen/Ansprechen oder Befragen/Zuhören klickt, prinzipiell wird stets die gleiche Aktion ausgeführt: man startet einen Dialog bzw. stellt eine Frage/gibt eine Antwort. Zusätzlich kann man noch Nachdenken, sich wie bereits erwähnt in der Umgebung umsehen oder einen Gegenstand nehmen bzw. zeigen. Jederzeit kann man auch das Handy in die Hand nehmen, was für den Fortschritt selten benötigt wird, und das Notizbuch zu Rate ziehen, in welchem die wichtigsten Erkenntnisse zu Personen und Ereignissen festgehalten werden. That´s it.

Leider hat man die serientypsiche Eigenheit beibehalten, den Spieler bzw. die Spielerin immer mal wieder vor eine Wand laufen zu lassen, indem in einem Dialog erwartet wird, dass in bestimmten Momenten mehrmals die gleiche Aktion (etwa Befragen) angeklickt wird, obwohl das Gespräch in einer realistischen Situation (ja, ja, ich weiß, Games und so) am Ende wäre. Diese Eigenheit der Famicom Detective Club Reihe empfand ich schon immer als leicht frustrierend, da sie mitunter jeglicher Logik zuwiderläuft. In einem der letzten Kapitel begegnet man etwa einem sichtlich verwirrten, wohl an Alzheimer-Demenz leidenden Mann, aus dem nicht wirklich etwas Zusammenhängendes rauszubekommen ist. Dennoch erwartet das Spiel von mir, mehrmals durch alle Optionen zu klicken, bis ein Fortschritt getriggert wird. Ich hatte zwei, drei ähnliche Situationen in Emio, bei denen ich einfach nur noch wild durch alle Möglichkeiten geklickt habe, die Umgebung abgesucht habe, nachgedacht habe, alles in anderer Reihenfolge wiederholt habe, bis das Gespräch schließlich weiterging, ohne das ich genau sagen könnte, was genau jetzt die von mir erwartete Auswahloption gewesen ist.

Das ist ein Nintendo-Spiel?


Abgesehen von diesen nervigen Stellen, hatte ich aber meinen Spaß. Emio war in den vergangenen Tagen für mich der perfekte Begleiter am Abend. Zwei Kapitel sind für mich die ideale Länge für eine Session gewesen. Sicherlich kann man auch mehr am Stück spielen, für meinen Geschmack wäre die Geschichte dafür aber mitunter etwas zu fad gewesen. Das mag negativer klingen, als es von mir beabsichtigt ist, aber der Mittelteil ist mitunter etwas schleppend, da vergleichsweise wenig neue Erkenntnisse gewonnen werden. Nach hinten raus zieht die Geschichte aber wieder richtig an und die letzten drei Kapitel sind schließlich so unangenehm und gruselig (das Englische creepy oder spooky trifft es eigentlich etwas genauer), ja geradezu verstörend. Die Vorgänger waren bereits ähnlich gelagert, stammen aber eben noch aus den späten 1980er Jahren und damit einer Zeit, in der Nintendo das familienfreundliche Image zumindest in Japan noch nicht zielstrebig verfolgte. Insbesondere das finale Kapitel sowie der Prolog, der eigentlich eine lange Anime-Episode ist, ist so düster und traurig…puh. Damit hätte ich auch als Serienkenner nicht gerechnet.

Nun ist eine mit möglichst grausamen Motiven aufgeladene Geschichte nicht per se auch eine gute und hier und da hat die Story von Emio auch so ihre Längen und Fallstricke. Dennoch wurde ich gut unterhalten und habe immer auch dann mal wieder an die Story gedacht, wenn ich die Switch nicht gerade in den Händen gehalten und ermittelt habe. Und das ist eigentlich immer ein gutes Zeichen für ein Spiel.

Eine Visual Novel mit sichtbar hohen Budget


Häufig sind Visual Novels eher im niedrigen Budget angesiedelt, nicht aber Emio. Nintendo hat Geld für das Spiel bereitgestellt und das hört und sieht man. Die tolle Sprachausgabe habe ich bereits erwähnt, die stimmungsvolle Musik schließt sich der hohen Qualität an. Die visuelle Inszenierung ist aber das wirkliche Highlight. Die Entwickler nutzen verschiedene Kamerawinkel und Überblenden, Gesichter sind animiert und auf die japanische Sprachausgabe abgestimmt. Und obwohl die schön gestalteten Hintergründe statisch sind und selten Bewegung in ihnen stattfindet, wirken sie dennoch sehr lebendig. Kurzum: audiovisuell ist Emio eine der besten Visual Novels, die es gibt.

Schön übrigens, dass das Artdesign trotz einer sichtbaren Modernisierung an den ersten beiden Teilen angelehnt ist. Zwar hat gerade das SNES-Remake von Teil 2 für mich noch ein bisschen mehr Charme, was auch einer nostalgischen Verklärung meinerseits geschuldet sein mag. Dennoch ist klar erkennbar, das Emio ein Spiel der Famicom Detective Club Reihe ist. Und das muss man nach über 30 Jahren ohne neuen Teil auch erst einmal hinbekommen.

Pro & Kontra

thumbs-up-icon

  • spannende Story mit einigen interessanten Figuren
  • gut geschriebene Texte, tolle deutsche Lokalisation
  • der Prolog ist ein purer, verstörender Horrortrip (ist das nun Pro oder Contra? Hmm...)
  • hochwertige Production Value, welches man sieht und hört

thumbs-up-icon

Cons
  • der Mittelteil ist etwas zäh
  • ein paar frustrierende Stellen, die dem Gameplay geschuldet sind

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Spiel Bewertung
Singleplayer
82
82
Gut
-
Multiplayer

FAZIT

Nintendo ist in der Switch Ära auch im finalen Zyklus der Konsole noch immer für eine Überraschung gut. Schon die vor drei Jahren veröffentlichten Remakes der beiden Serienerstlinge von Famicom Detective Club waren eine große und sehr schöne Überraschung. Dass man in Kyoto aber tatsächlich nochmal einen komplett neuen Teil in Auftrag geben würde, hätte ich nie für möglich gehalten. Ich will ehrlich sein: die anfängliche Euphorie beim Start von Emio – Der lächelnde Mann: Famicom Detective Club konnte das fertige Spiel nicht ganz halten, denn weder im Genre noch in der Reihe ist dies eines der besten Spiele bzw. der beste Teil. Dennoch wurde ich für rund 12 Stunden bestens unterhalten, auch wenn Unterhaltung gerade in den letzten Kapiteln nicht unbedingt das Wort ist, welches ich mit guten Gewissen verwenden würde. In Emio steckt im Kern eine ungemein tragische Geschichte, in denen Figuren vorkommen, die normalerweise kein Mitleid verdient hätten, deren Handlungen unfassbar grausam und egoistisch sind. Und am Ende saß ich trotzdem da, konnte Motivationen nachvollziehen und war im Schicksal der handelnden Figuren äußerst investiert. Chapeau!

- Von  Adrian

Nach mehr als 30 Jahren bedenkt Nintendo Famicom Detective Club mit einem komplett neuen Serienteil und sorgt für einen unvergesslichen Horror-Trip.
Nintendo Switch

Emio – Der lächelnde Mann: Famicom Detective Club REVIEW

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