Dying Light 2: Stay Human REVIEW
Dying Light 2 ist ein Spiel der großen Ambitionen. Damit meine ich nur indirekt die mittlerweile schon archetypischen Open World Auswüchse, denen sich auch das neueste Spiel von Studio Techland stellenweise unterwirft (Stichwort 500 Stunden). Vor allem meine ich den Anspruch der Entwickler, eine sich dynamisch anfühlende und ebenso entwickelnde Spielwelt zu schaffen, in denen die Entscheidungen der Spielerinnen und Spieler Auswirkungen auf den weiteren Verlauf nehmen. Das sich solche Versprechen gerne als PR-Phrasen entpuppen, ist mittlerweile gelernt und auch im Falle von Dying Light 2: Stay Human dauert es nicht lange, bis man hinter die Kulisse schauen und den Schein erkennen kann.
Nur Schema F?
Die Handlung spielt knapp 20 Jahre nach den Geschehnissen des ersten Teils. Mittlerweile sind große Teile der Erde und Menschheit dem Zombie-Virus mit den Genre-typischen Konsequenzen zum Opfer gefallen. Die Zivilisation und ihre Werteübereinkunft ist zusammengebrochen, marodierende Banden und Untote sorgen für Angst und Schrecken. Es gibt nur noch wenige Städte, die in der Lage sind, sich von der Außenwelt abzuschirmen und ein einigermaßen normales Leben für die Menschen im Inneren sicherstellen zu können. Einer dieser Orte ist Villedor, eine fiktive, irgendwo in Südosteuropa (?) angesiedelte Metropole, mit einst wunderschöner Altstadt und moderner Stadtmitte inklusive Hochbauten und Einkaufsmeilen. Über zwei Jahrzehnte Pandemie, Zombies und Mutanten haben das Antlitz der Stadt allerdings ganz schön in Mitleidenschaft gezogen. Die Bewohnerinnen und Bewohner hat es in Bahnhöfe und Markthallen gezogen, die zu befestigten Anlagen umfunktioniert wurden und auch die Dächer der Stadt bieten nicht nur Schutz vor den lebenden und untoten Monstern auf der Straße, sondern auch Wohnraum und ein Stück Lebensqualität.
Villedor ist für sich genommen keine sonderlich imposante Open World, gerade in Hinblick auf das Design. Es gibt die typischen Banditencamps, die man einnehmen und zu eigenen Lagern umfunktionieren muss, auch gibt es die für das Genre typischen Aussichtspunkte (hier Windräder), die man erklimmt, um einen Überblick über die nähere Umgebung zu bekommen. Und natürlich dürfen auch unzählige Markierungen auf der Map nicht fehlen, die mir vermeintlich interessante Orte anzeigen, die ich doch unbedingt mal besuchen soll. Ich habe mir ja mittlerweile angewöhnt entsprechende Hinweise komplett zu ignorieren und das HUD so weit wie möglich zu entschlacken, um mich bei meiner Erkundung durch digitale Welten nicht von jeder x-beliebigen Aufmerksamkeitskarotte stören zu lassen. Und glücklicherweise bietet Dying Light 2 in den Optionen die Möglichkeit zumindest aufpoppende Tipps, aber auch Dinge wie die Gesundheitsanzeige der Gegner sowie den eigenen Ausdauerbalken komplett auszublenden. Der Immersion ist dies zuträglich.
Postapokalyptische Gesellschaft
Das Erkunden von Villdeor auf eigene Faust ist durchaus lohnenswert, zumindest wenn man dieser Art der offenen Welt nicht überdrüssig ist. Gerade einige Ansätze in Hinblick auf die hier gezeigte Gesellschaft in der Postapokalypse finde ich spannend. Dass sich Menschen etwa auf Dächer zurückziehen, während es auf den Straßen von Untoten wimmelt, ist schlüssig, ebenso wie die Nutzung des in Raumes in Form von Lagern und Gärten. Immer wieder hat die Stadt auch optisch ansprechende Orte zu bieten, etwa die von Rankpflanzen überwucherten Wolkenkratzer oder eben die Altstadt, die als Anfangsgebiet dient.
Letztlich ist der Schauplatz aber vor allem ein Spielplatz, in dessen Rahmen man dank der akrobatischen Fähigkeiten von Protagonist Aiden von Dach zu Dach springt, an Wänden entlangläuft, blitzschnelle Drehungen vollführt und mittels Paragleiter nicht nur weite Strecken zurücklegt, sondern sich auch zu anfänglich kaum erreichbaren Höhen aufmacht. Die Bewegung und ihre Umsetzung ist zumindest auf der PlayStation 5 mit Dualsense-Controller intuitiv und griffig. Gerade wenn man etwas weiter im Spielfortschritt neue Fähigkeiten freischaltet und noch schneller laufen und noch weiter springen kann, ist das in der Kombination mit dem stark auf diese Art der Fortbewegung ausgelegten Design der Spielwelt ungemein befriedigend. Allerdings büßt die Welt natürlich an Glaubwürdigkeit ein, wenn komplette Straßenzüge mit Rampen für Sprünge sowie Matratzen und Müllsäcken zur weichen Landung zugepflastert sind.
Spannungsarme Kämpfe
Oftmals ist die reine Bewegung das zu bevorzugende Mittel in Hinblick auf die feindliche Umwelt. Natürlich wird man immer wieder in Situationen geschmissen, in denen man kämpfen muss. Richtig spaßig sind die primär auf den Einsatz von Nahkampfwaffen ausgelegten Auseinandersetzungen aber nicht, auch wenn die Inszenierung durchaus wuchtig ist. Wenn ich etwa mit einem vernagelten Baseballschläger einen kritischen Treffer hinlege und höre, wie die Knochen meines Gegenübers zerbersten oder ich mit meiner Machete Gliedmaßen und Köpfe abtrenne, ist das im Rahmen dieser Spielwelt natürlich unterhaltsam. Gleichzeitig wirkt es aber seltsam, wenn ich mit einer Machete keinen kritischen Treffer lande und zig Mal auf meine Gegner eindresche und dabei das Gefühl habe, mit einem Stock gegen einen Baum zu schlagen. Vor allem aber, da die Kämpfe sich nach einer Weile ziemlich gleich spielen, verlieren sie zunehmend an Spannung. Die Untoten in ihrer geringen Variabilität verhalten sich halt immer gleich und selbst die menschlichen Gegner, die meine Angriffe blocken, kontern und auch ausweichen, sind eigentlich nie eine wirkliche Bedrohung.
Stattdessen macht es mir vielmehr Spaß mit meinen Gegnern und den verschiedenen Gadgets zu spielen. Es ist einfach immer wieder auf´s neue herrlich mitanzusehen, wie eine Gruppe Banditen von Zombies überrannt wird, die ich mittels Köder angelockt habe. Ebenso unterhaltsam ist es, Gegner mit einem gut sitzenden Tritt oder Dropkick von Dächern zu stoßen. Zusätzlich zum offenen Kampf gibt es noch die Möglichkeit zu Schleichen und Gegner leise mit Pfeil und Bogen und anderen leisen Angriffen auszuschalten.
Gute Geschichten, schlechte Geschichten und viel, viel Mittelmaß
Gerahmt ist das Gameplay von einer erstaunlich prominenten Story. Vor seinen Rausschmiss aufgrund von Belästigungsvorwürfen war Chris Avellone für die Story verantwortlich, was man stellenweise auch noch merkt. In den besten Momenten habe ich mich an die modernen Fallouts erinnert gefühlt, aber auch in den weniger guten Momenten kamen mir die Rollenspiele von Bethesda immer wieder in den Sinn. Und wie auch in diesen, so ist die eigentliche Handlung in Dying Light 2: Stay Human nicht sonderlich interessant. Protagonist Aiden ist die typische „fish out of water“ Figur. Er kommt auf der Suche nach seiner Schwester Mia als Außenstehender nach Villdeor und wird dort in den Strudel der Ereignisse reingezogen. Trotz Rückblenden hat mich der Verbleib seiner/meiner Schwester wenig gekümmert, auch die nach und nach klarer werdende Vergangenheit von Aiden als Testobjekt von unmenschlichen Experimenten hat mich sonderlich in meine Spielfigur investiert. Spannend wird es, sobald sich der Fokus von Aiden und Mia wegbewegt und auf die Konflikte in der Stadt gelegt wird.
Dort gibt es mit den „Überlebenden“ und den Peacekeepern (Überresten des Militärs) zwei große Fraktionen, deren Waffenstillstand allmählich brüchig wird. Auf beiden Seiten finden sich teilweise interessante und gut vertonte Figuren. Gerade die englische Lokalisation ist über jeden Zweifel erhaben und selbst der eigentlich so nach 08/15 Schema charakterisierte Aiden erhält dank seinem Sprecher Jonah Scott eine angenehme Persönlichkeit. Übrigens sind auch die deutschen Sprecher gut gewählt, nur ausgerechnet bei Aiden wurde hier absolut danebengegriffen. Nicht nur klingt der deutsche Aiden wesentlich jünger, sondern wird auch ziemlich nervig charakterisiert.
Die Qualität der Dialoge schwankt. Teilweise wird es unfreiwillig komisch bis hin zum Meme-Potenzial, teilweise reden Figuren nur des Redens willen und sagen mit vielen Worten eigentlich gar nichts. Die Ausreißer nach oben sorgen aber durchaus für spannende Momente, bedauerlicherweise steht die statische Inszenierung der Dramaturgie immer wieder im Weg.
Marginale Konsequenzen
Früh legt Dying Light 2 nahe, dass meine Entscheidungen einen spürbaren Einfluss auf den Verlauf der Handlung haben. Allzu viel erwarten sollte man hier aber nicht. Schmerzhaft wurde mir dies durch einen ziemlich gemeinen Bug vor Augen geführt. Während einer Mission in der zweiten Hälfte stürze mir das Spiel nach rund 16 Stunden zum ersten Mal ab. Aufgrund eines nicht mehr ausgelösten Scripts innerhalb der Quest ist es mir seitdem nicht mehr möglich, die Haupthandlung fortzuführen. Auch der Day One Patch konnte bisher keine Abhilfe schaffen.
Zähneknirschend habe ich diesen Umstand zum Anlass genommen und einen zweiten Spieldurchlauf gestartet und bewusst andere Entscheidungen getroffen als beim ersten Mal. Und siehe da: so richtig tiefgreifend sind die Unterschiede nicht. Oftmals beschränken sich die Auswirkungen meiner Entscheidungen auf den Tod einer Figur oder das Ansehen bei einer der beiden großen Konfliktparteien in der Stadt. Und ob nun Figur A oder B stirbt, ist eigentlich nur ein kleines Detail.
Pro & Kontra
- tolles und griffiges Bewegungsgefühl
- teils interessante Ansätze bei der Darstellung einer Gesellschaft in der Postapokalypse
- sehr gute englische Synchro
- teilweise interessante (Neben)Quests
- eine mit typischen Fleißaufgaben vollgestopfte Open World
- Kampfsystem ohne Tiefgang
- technische und inhaltliche Bugs, die sogar den Spielfortschritt stoppen
- öde Hauptstory
- Entscheidungen haben nur marginale Konsequenzen