Tiny Thor REVIEW
Das am 05. Juni 2023 veröffentlichte Hüpfspiel Tiny Thor ist der bis dato ambitionierteste Titel des deutschen Indie-Entwicklers Asylum Square. Ursprünglich war Tiny Thor nur ein Beitrag für den Ludrum Dare-Wettbewerb von 2016. Jedoch wuchs das Projekt immer weiter an, als Jochen Heizmann, der Gründer von Asylum Square, den kreativen Einflüssen seiner Kindheitshelden Henk Nieborg und Chris Hülsbeck erlag, welche letztendlich tatsächlich als Grafiker bzw. Musiker am Projekt mitwirkten.
Beflügelt von derartiger Unterstützung wurde Tiny Thor über die Jahre immer weiter ausgebaut und verfeinert. Inspiriert von großen Titeln der 8- und 16-bit-Ära aus dem Konsolen- und Heimcomputer-Sektoren, darf man gespannt sein, was Tiny Thor letztendlich taugt. Schafft es das Spiel zu den großen Genreklassikern aufzuschließen, oder hat sich das Indie-Studio übernommen?
Sabotierter Geburtstag
Der kleine Thor hat seinen achten Geburtstag. Zuerst geht’s raus zum spielen. Dummerweise wird der Slide auf der Regenbogenbrücke von einer mysteriösen finsteren Macht sabotiert. Also geht es nach dem Absturz per Fußmarsch zu Papa Odin, um sich das Geburtstagsgeschenk abzuholen. Dieses kommt in Form des mächtigen Hammers Mjölnir daher. Odin ermuntert seinen Filius den Prügel in der Wildnis auszuprobieren, jedoch soll er rechtzeitig zur abendlichen Geburtstagsfeier zurück nach Hause kommen.
Während Thor die Wildnis unsicher macht, begegnet er plötzlich einem fremden Jungen, den er vor einigen fiesen Monsterschlangen rettet. Zum Dank warnt ihn der Junge vor der Bienenkönigin, welche einen Angriff auf Thors Geburtstagsfeier plant. Und so stürmt Thor ohne groß nachzudenken Richtung Bienenkönigin, um diese fertig zu machen.
Wer ein wenig Ahnung von der kommerziellen Variante des Thor-Mythos hat, kann sich bereits denken um wen es sich bei den fremden Jungen handelt, und das Thor in Begriff ist großen Mist zu bauen, den er anschließend freilich wieder geradebügeln muss. Aber das ist im Grunde genommen wurscht, da die Handlung von Tiny Thor, wie bei den meisten anderen Hüpfspielen auch, lediglich dazu dient das Abenteuer zu rechtfertigen. Komplexitäten bei Charakteren oder Story sind trotz des mythologischen Hintergrunds nicht zu erwarten. Das ist aber auch nichts, was man von einem Platformer erwarten sollte, von daher ist das jetzt nicht als ernsthafte negative Kritik gemeint.
Ein Schwierigkeitsgrad so hammerhart wie Mjölnir
Das Spiel stellt zwar viele Optionen zur Verfügung wie Steuerungskonfigurationen, ein Soundtest, ein aktivierbarer Speedrun-Timer und diverse Grafikspielereien für Scanline-Fetischisten (wers braucht), aber direkte Einflüsse aufs Gameplay werden vermisst. Soll heißen, dass es keine Schwierigkeitsgrad-Anwahl gibt (ich sag’s nur als kleine Vorwarnung).
Das Game setzt sich aus 27 regulären Levels, 7 Bossgegnern und 9 kurzen aber besonders fiesen Bonuslevels zusammen. Da sich ein regulärer Level angesichts des happigen Schwierigkeitsgrads auch gerne mal bis zu einer halben Stunde hinziehen kann, wird man mit Tiny Thor eine ganze Weile beschäftigt sein, sofern man denn gewillt ist entsprechende Geduld und Nerven zu investieren, aber alles der Reihe nach.
Eigentlich beginnt das Spiel sehr leicht und simpel. Thor kann laufen, hüpfen und an Schräglagen heruntersliden um seine Sprungweite zu erweitern und Gegner wegzugrätschen. Bereits in der Mitte des ersten Levels erhält er den Hammer Mjölnir. Dieser fungiert als Bumerang-Waffe, für den Fall, dass der altbekannte Kopfsprung nicht mehr ausreicht, um sich der Gegner zu erwehren. Ferner verfügt Mjölnir über eine Abprall-Mechanik á la Arkanoid. Hierdurch dient der Hammer nicht nur als Waffe, sondern muss auch für das Lösen von Rätseln genutzt werden, um etwa weit entfernte Schalter zu aktivieren oder Kisten zu bewegen. Leider hat die Sache einen Haken. Die Handhabung des Hammers ist nicht ganz durchdacht. Oftmals ist es erforderlich den Wurfwinkel zu präzisieren – manchmal auch unter Zeitdruck. Leider ist die Analogstick-Steuerung hierfür zu unpräzise, während die Steuerkreuz-Justierung wiederum zu träge ist. Aufgrund dessen sind Präzisionswürfe mit dem Prügel eher nervig als spaßig durchzuführen. Vielleicht klappts ja besser mit der Tastatur, aber Platformer spiel ich seit meiner Kindheit via Controller oder Handheld, und daran will ich auch nichts ändern.
Gelingt es einen Bossgegner zu beseitigen gibt es einen neuen Skill als Belohnung. So erlangt Thor nach und nach weitere Fähigkeiten wie einen Doppelsprung, Wandsprünge oder einen Dash-Move. Leider wird erwartet, dass man diese Fähigkeiten möglichst perfekt beherrscht – und zwar am besten sofort, denn der Leveldesigner hatte seine sichtliche, sadistische Freude den Spieler bis aufs Blut zu trietzen. Das was einem hier an Herausforderungen entgegengeworfen wird ist echt nicht mehr spaßig. Schon der dritte Bossgegner hat mich beinahe zur Aufgabe gezwungen, aber das was in Level 20 abgeht ist einfach nur noch krank. Das Spiel belässt es nämlich nicht nur bei der immer breiter werdenden Movepalette, sondern wirft einem dann noch Dinge wie zerbröselnde Plattformen, Windströme, durchaus knifflige Puzzle-Passagen, fies platzierte Gegner mit entsprechenden Angriffsmustern usw. entgegen.
Nun ist das alles nichts Neues im Genre, aber die Art und Weise wie diese Mechaniken umgesetzt und auf die Spitze getrieben wurden, wirkt fast schon böswillig. Oftmals muss man seine gesammte Movepalette miteinander kombinieren und bekommt dann noch weitere Einflüsse wie Gegner, Hochwasser, Luftströme etc. an die Backe geklebt. Der resultierende Stressfaktor zerstört den Spielspaß und wird einen sehr großen Teil der Spielerschaft in die Knie zwingen. Ein Blick auf die Steam-Achievements (Stand 16.06.2023) verrät mir, dass derzeit nur 7,7 % der Spielerschafft die Muße gefunden hat den vierten Boss zu überwinden. Für Boss Nummero 5 sind es dann nur noch 3,9 %. Diejenigen, die bis in das letzte Spieldrittel vorstoßen gehören also zur Minderheit. Ich finde es wichtig solche Daten aufzuzeigen, da den Entwicklern auch mal vor Augen geführt werden muss, was sie eigentlich anrichten. Nur 7,7 % bekommen das letzte Drittel zu Gesicht. Ist es wirklich das, was ein Entwickler „erreichen“ will, der sieben Jahre Entwicklungszeit in sein Spiel investiert hat!? Ich versteh es nicht.
Dabei gibt es auch vorbildliche Dinge im Gameplay, wie z.B. der Verzicht auf Extraleben (die hätten es ohnehin nie aus den Arcade-Hallen herausschaffen sollen), oder die größtenteils gut durchdachte Platzierung von Checkpoints. Diese tauchen in fairer Regelmäßigkeit auf, wurden aber auch nicht an jeder zweiten Ecke platziert. Es gibt auch ein Herz-Power-Up, welches bei einem eingesteckten Treffer vor den Tod bewahrt und danach sogar wieder eingesammelt werden kann, sofern dessen Timer nicht abläuft.
Toll finde ich auch, dass die Sammelobjekte in Form von roten Diamanten und blauen Juwelen einen praktischen Zweck erfüllen. Mit den Diamanten kann man die Bonuslevel freischalten und die Juwelen dienen als Zahlungsmittel für permanente Upgrades für Mjölnir und ein paar weitere Hilfen und Goodies.
Es steckt definitiv ein richtig gutes Spiel in Tiny Thor verborgen, dieses wurde jedoch vom Sadismus des Leveldesigners lebendig vergraben – schade.
Grafik und Sound
In audiovisueller Hinsicht gibt es nicht viel zu meckern. Die Grafik präsentiert sich im 16-bit-Stil und wirkt sehr ansprechend. Die Animationen sind gelungen und das Artdesign ist zuckersüß. Zu kritisieren ist jedoch der mangelnde Abwechslungsreichtum bei den Ortschaften. Man startet in einer Wald- und Wiesenregion mit ein paar Höhlen und Bienenstöcken, geht danach in ein gigantisches Höhlensystem mit ein paar Ruinen-Bauten und findet sich danach in einer Schnee und Eis-Bergregion wieder. Ein paar mehr Biom-Zonen, die sich auch untereinander abwechseln, wäre sicherlich nicht verkehrt gewesen (die drei Biom-Varianten in Tiny Thor werden strikt voneinander getrennt). Nichtsdestotrotz ist die Grafik schön gelungen und trägt zur Attraktivität des Spiels bei.
Selbiges gilt für den tollen Soundtrack, der sein Bestes versucht den Spieler bei Laune zu halten und dazu zu motivieren die sperrigen Level doch noch zu knacken. Die Soundeffekte passen ebenfalls, eine Sprachausgabe sucht man jedoch vergebens, ist aber auch nichts, was man in einem derartigen Spiel erwartet. Es sollte vielleicht noch erwähnt werden, dass die audiovisuelle Präsentation eher an den Heimcomputer-Sektor erinnert (also Amiga und so), als an 16-bit-Konsolen. Aber das verhilft dem Spiel zu seinem ganz eigenen Charme.
Pro & Kontra
- recht großer Umfang
- sympathische audiovisuelle Präsentation
- Bonuslevel und Upgrades motivieren dazu die Sammelobjekte einzusacken
- einige interessante Spielmechaniken wie Mjölnir und eine immer größer werdende Move-Palette
- das Leveldesign zeigt immer wieder Anfälle von Sadismus und sabotiert somit den Spielspaß
- die Level werden recht bald zu langwierig
- einige Stellen wirken fast schon kaputt (z.B. Boss Nr. 3, die Kombination von zwei Gelatinblöcken und anderes)
- zu wenig Abwechslung bei den Ortschaften/Biomen