Shadow Hearts REVIEW
Erinnert sich noch jemand an das PSone-Spiel Koudelka? Mit diesem Titel versuchte Entwickler Sacnoth ein rundenbasiertes RPG mit einem Survival-Horror-Game zu kreuzen. Ähnlich durchwachsen wie dieses Grundkonzept klingt, fiel dann auch das Ergebnis aus – und so auch die Kritikermeinungen zum Endprodukt. Glücklicherweise hinderten diese Sacnoth jedoch nicht daran an ihrer Grundidee festzuhalten und einen (indirekten) Nachfolger zu Koudelka zu programmieren. Die Rede ist von Shadow Hearts! Jenem Rollenspiel das seinerzeit kaum einer beachten wollte und heutzutage zu Wucherpreisen im Internet veräußert wird. Aber hey! Wenn schon Preise gefordert werden, die über den ursprünglichen Verkaufspreis hinausgehen, muss es sich einfach um einen verkannten Klassiker handeln, nicht wahr!? Zeit dies herauszufinden!
Straßenkämpfer, dämonischer Gestaltwandler und unfreiwilliger Bodyguard
Wir befinden uns im Jahr 1913. Es ist finsterste Nacht, als ein älterer Gentleman dem hintersten Zugabteil des Transsibirischen Express entgegenschlendert. Dieses wird unpässlicherweise von einigen japanischen Soldaten bewacht, die ein hübsches, unschuldiges Mädchen gefangen halten. Der Grund für diese uncharmante Schandtat ist unseren feinen Herrn wohlbekannt. Aber vielleicht erhofft sich die junge Dame ja auch insgeheim Schutz durch ihre fernöstlichen Häscher? Kein Wunder, schließlich wurde vor kurzem ihr Vater, ein katholischer Priester, auf bestialischste Weise ermordet. „Doch diese Gesellschaft wird ihr herzlich wenig nützen.“, denkt sich der Gentleman wahrscheinlich, als er sich entschließt sein wahres Gesicht zu zeigen: Er entpuppt sich als extrem mächtiger Hexer der mit den bemitleidenswerten Soldaten kurzen – und vor allem sehr blutigen – Prozess macht! Sein Ziel ist eben jenes Mädchen namens Alice, deren Vater er vor gar nicht so langer Zeit im französischen Rouen ermordet hatte! Just in dem Augenblick als sich der grausame Hexenmeister am Ziel wähnt, taucht jedoch ein pöbelnder Rowdy auf, der den Alten zum Kampf herausfordert. Ein Sieger aus der kurz darauf folgenden Konfrontation zwischen den beiden übernatürlich begabten Männern ist zwar nicht auszumachen, doch gelingt es dem Burschen zumindest die hübsche Alice aus den Klauen des blutrünstigen Opas zu erretten … Der Name unseres Protagonisten lautet Yuri Hyuga. Er ist ein sogenannter Harmonixer. Ein Mensch der die Fähigkeit besitzt sich in verschiedene Dämonenrassen zu verwandeln! Und diese Fähigkeit hat der ruppige Straßenkämpfer auch bitter nötig, denn eine mysteriöse Geisterstimme hat ihn dazu verdonnert den Bodyguard für die hübsche Alice zu spielen. Eine Mammutaufgabe, wenn man bedenkt, dass es gleich mehrere Parteien gibt, die nach den geheimnisvollen Kräften dieses Mädchens lechzen …
Zunächst dürfte den erfahrenen Rollenspieler auffallen, dass er sich nicht in irgendeiner Fantasy- oder Sci-Fi-Welt befindet, sondern zur Abwechslung mal auf Mutter Erde wandelt. Allerdings fällt Sacnoths Interpretation unseres Heimatplaneten weitaus „interessanter“ aus, als er tatsächlich ist, denn überall stoßen unsere Helden auf mörderische Bestien und dämonische Ungeheuer. Okkultismus begegnet dem Spieler in Shadow Hearts auf Schritt und Tritt. – es geht weitaus düsterer zu als in anderen RPG’s. Für Zartbesaitete besteht aber kein Grund zur Sorge, denn in SH kommt auch der Humor keinesfalls zu kurz. Wenn (Anti)held Yuri die soeben gerettete Alice begafft und dabei seine schmutzigen Gedankengänge andeutet oder der Spieler plötzlich ein Pornomagazin in der Festung des Oberschurken aufsammelt, erzeugt dies durchaus den humoristischen Ausgleich zum erfreulich kranken Monsterdesign und einiger etwas blutigerer Renderscreens.
Die wahre Stärke von SH sind meiner Meinung nach aber die Charaktere bzw. der Hauptcharakter. Wer die Schnauze voll hat mit dauer-deprimierten Emos oder nervig-naiven Kindern durch die Pampa zu streifen, der bekommt mit Yuri endlich mal einen (Anti)helden vorgesetzt, der es wirklich wert ist Protagonist in solch einem Spiel zu sein! Ein rebellischer Straßenkämpfer der trotz harter Vergangenheit die Tränendrüse stecken lässt, aber sich dennoch sein gutes Herz bewahrt hat. Ein Mann der dein bester Freund aber auch dein schlimmster Feind sein kann und wesentlich authentischer wirkt als zehn Hauptakteure anderer RPG’s zusammengenommen.
Im Vergleich dazu können die anderen Charaktere natürlich nicht ganz mitziehen, aber auch sie wurden durchweg sympathisch umgesetzt und fügen sich zu einer herrlich schrägen Truppe zusammen. Auch die Schurken und Nebenfiguren können überzeugen und runden den Cast somit wunderbar ab. Dies ist aber auch das Mindeste, um eine Standard-RPG-Story vom Schlage „Böser missverstandener Hexenmeister gegen den Rest der Welt“ interessanter zu gestalten, denn ehrlich gesagt bietet die Grundstory nicht mehr als das. Die Handlung von Shadow Hearts lebt in erster Linie von ihrem (zumindest für damalige Verhältnisse) unverbrauchten Szenario mit Okkult- und Horror-Elementen, sowie dem genialen Hauptcharakter.
Ehre den Urteilsring
Trotz aller Eigenheiten ist Shadow Hearts vom Grundaufbau gesehen ein ganz gewöhnliches, um nicht zu sagen simples J-RPG. Zufallsbasierte Rundenkämpfe, Exp. und Geldeinheiten für getötete Monster, fliegender Wechsel zwischen Stadt- und Dungeongebieten … Man ging sogar so weit, dass Skillsystem aufs wesentliche zu reduzieren. So bekommt jede Spielfigur (mit Außnahme des Protagonisten Yuri) ab einer gewissen Levelstufe eine neue Fähigkeit freigeschaltet, die sich in einem offensiven oder defensiven Zauber/Skill äußert – unspektakulärer geht’s kaum! Zusätzlich dazu, entpuppt sich SH, selbst innerhalb seines Genres, als extrem lineares Vergnügen: Die erste Spielhälfte wird gnadenlos vorgegeben, eine frei begehbare Weltkarte existiert ohnehin nicht und es gibt recht viele „One-Time-Areas“ – also Gebiete, die nach Abschluss nicht wieder besucht werden können (Immerhin wird dieses One-Time-Area-System in der zweiten Spielhälfte abgeschafft). Und dennoch wartet das Spiel mit insgesamt vier Bonusdungeons, optionalen Bossen und vielen abwechslungsreichen Side- und Miniquests auf! Trotz der vergleichsweise geringen Spieldauer von maximal 40 Stunden (eine Zeitspanne die wirklich nur dann erreicht wird, wenn man versucht alle Nebenaufgaben zu lösen und hin und wieder Zeit mit Levelgrinding verbringt) hat man nach Abschluss des Titels keinesfalls das Gefühl, das irgendetwas gefehlt hätte! Denn abgesehen von einigen Minigames bietet SH einfach alles was das RPG-Herz begehrt – und sogar mehr als das! Damit spiele ich natürlich auf die Gameplay-Innovationen an, die das RPG trotz seines konservativen Grundgerüsts zu bieten hat:
Der Urteilsring: Herzstück des Spiels ist eben dieser Ring, der den (Miss)erfolg diverser Aktionen der Spielcharaktere festlegt. In erster Linie bestimmt er die Aktionen in den Rundenkämpfen, denn um einen Treffer zu landen gilt es mittels eines im Uhrzeigersinn drehenden Zeigers die eingefärbten Bereiche des Ringes zu treffen. Misslingt dies, scheitert der geplante Angriff oder Zauber. Selbst beim Einsatz eines Items gilt es den Urteilsring zu meistern. Wer glaubt dieses auf Timing aufbauende System zu beherrschen, kann den Ring aber auch zu seinen Gunsten nutzen. Einige besonders schmale Ring-Trefferzonen gewähren nämlich kritische Aktionen, die die Leistungsfähigkeit der entsprechenden Aktion um 20 % erhöht! Klar, dass hierbei eine große Gefahr des Misserfolges besteht. Aber die Programmierer gingen sogar noch einen Schritt weiter, indem sie dieses Timing-Spielchen auch außerhalb der Kämpfe platzierten. So kann selbst das erfolgreiche aufbrechen einer verklemmten Tür oder die Aufnahme eines wichtigen Schlüsselgegenstandes vom Urteilsring abhängen, der im übrigen auch mit Zustandsveränderungen, wie z. B. schmaler oder unsichtbarer Trefferzonen, belegt werden kann. Das Timing des Spielers wird also auf eine konstante Probe gestellt. Kenner erinnern sich jetzt vielleicht an „The Legend of Dragoon“, welches ein vergleichbares, wenn auch weniger ausgereiftes, Timing-System aufwies. Und genauso wie in Sonys RPG-Epos gilt auch hier das Sprichwort: „Übung macht den Meister!“
Der Friedhof und die Fusionsmonster: Anders als seine Mitstreiter, verfügt Yuri über ein äußerst komplexes Skillsystem, welches sich in den zahlreichen Dämonenformen (den sogenannten Fusionsmonstern) wiederspiegelt, in die er sich verwandeln kann. Um solch ein Monster „freizuschalten“, muss es aber erst einmal von Yuri im Kampf besiegt werden. Doch bevor unser Harmonixer diese Herausforderung überhaupt annehmen darf, gilt es wiederum genügend Elementarseelen zu sammeln, die von getöteten Monstern hinterlassen werden. Anschließend kann er sich auf den Friedhof (eine Art Manifestation von Yuri’s Unterbewusstsein) dem Kampf gegen das entsprechende Ungetüm stellen. Einen weiteren Haken hat die Sache aber immer noch: Die Bosheit getöteter Monster sammelt sich in Yuri’s Seele an und sollte beizeiten beseitigt werden (was wiederum durch einen Kampf geschieht), andernfalls muss er sich einem schier unüberwindlichen Gegner stellen – aber was es damit auf sich hat und welche Geheimnisse Yuri’s Friedhof sonst noch beherbergt, müsst ihr schon selbst herausfinden. Schade nur, das diese „Reinigungsaktionen“ auf Dauer recht nerven können. Auf jeden Fall werden etwaige Levelgrindsessions wegen der hierdurch erzwungenen Friedhofs-Ausflüge unnötig in die Länge gezogen. Allzu dramatisch fällt dieser Kritikpunkt glücklicherweise nicht aus.
Sonstiges: In einem Review zu Shadow Hearts sollten folgende coole Features keinesfalls unausgesprochen bleiben! Richtig genial ist der Einsatz von „Psycho Punkten“ im Kampf. Jede Spielfigur verfügt neben den obligatorischen HP und MP über mehr oder weniger PP, die sich Runde um Runde abbauen. Geht der Zähler auf Null, läuft der entsprechende Charakter Amok und lässt sich nicht mehr kontrollieren, solange dieser negative Zustand nicht mithilfe eines entsprechenden Heilitems regeneriert wird. Darüber hinaus bietet das Spiel Auflistungen sämtlicher besiegter Feindtypen und von NPC’s denen man im Spielverlauf begegnet. Die Beschreibungen die man dort zu lesen bekommt sind zum Teil recht unterhaltsam ausgefallen. Wer immer mal wissen wollte, wie eine Riesenspinne ihr Opfer verspeist, kann dies hier in Erfahrung bringen.
Auch zu Items, Waffen und Rüstungen gibt es in der Gegenstandsbeschreibung haufenweise Hintergrundmaterial nachzulesen. Für die Statistikfreaks unter euch bietet der Titel sogar einen Ranking-Screen, in dem man seine exakten Urteilsring-Trefferquoten, virtuellen Fußschritte usw. begutachten kann. Zu guter Letzt, können all diese Daten mittels Game+-Feature in das nächste Spiel übernommen werden, sobald man das Abenteuer einmal erfolgreich gemeistert hat und einen entsprechenden Spielstand anlegt.
Was mich an der Monsterauflistung jedoch etwas gestört hat, sind einige klare Fehler: So wird z. B. ein Scylla-artiges Monster als „Succubus-Queen“ bezeichnet, während schwebende, brennende Totenschädel laut Monsterbeschreibung irgendwelche Meeresquallen-Viecher darstellen sollen. An dieser Stelle hätte ich mir mehr Sorgfalt von Sacnoth gewünscht! Eigene Kreativität in ehren, aber wer noch nicht mal eine Succubus zuordnen kann, sollte besser einen Nachhilfe-Kurs zum Thema Okkult nehmen!
Aber dies ist im Grunde nur harmlose Nerd-Meckerei von meiner Seite aus.;) Denn Shadow Hearts ist definitiv eine fantastische Verschmelzung altbewährter J-RPG-Traditionen und gelungener Innovationen! Letztere treiben den Spielspaß gewaltig in die Höhe – was ja leider keine Selbstverständlichkeit ist, wie man immer wieder an Titeln wie Unlimited SaGa sehen muss. Ein dickes Lob haben sich allerdings nicht nur die Innovationen, sondern auch die teilweise sehr gut aufgebauten Dungeons und Rätselpassagen verdient. An manchen Stellen gibt es zwar nach wie vor Raum für Verbesserungen, aber wie gesagt: Nach Abschluss des Titels besteht keinesfalls das Gefühl, das irgendetwas gefehlt hätte!
Grafik, Sound und Präsentation
Grafik: Der Hauptgrund, warum die von der „Fach“presse nicht sonderlich gut auf SH zu sprechen waren (wenn sie überhaupt darüber berichteten), war – wie so oft – die Grafik. Diese sieht nämlich so aus wie in einem PSone-RPG. Altmodische Renderbilder in denen 3D-Figuren herumlaufen, waren damals eben nicht mehr „in“, folglich konnte das Spiel wohl einfach nichts taugen … Aber ärgern wir uns nicht weiter über die journalistische Inkompetenz gewisser Fachmagazine. Es stimmt schon, das SH in optischer Hinsicht nicht die beste Figur macht. Selbst die einschlägigen Genrevertreter der Vorgängerkonsole hinterlassen im Vergleich zu Sacnoths Spiel einen irgendwie besseren Eindruck. Vor allem die steifen Charakteranimationen, sowie die bescheidene 3D-Grafik im Kampfscreen geben SH einen faden Beigeschmack. Einsparungen wurden auch bei den Zwischensequenzen vorgenommen. Es gibt zwar durchaus einige recht hübsch anzuschauende Rendervideos, aber ein gewisser Teil der Storysequenzen besteht lediglich aus Standbildern mit Artwork-Zeichnungen. Schade auch, dass das Ganze ein wenig flimmert, aber vielleicht bin ich ja nach der ganzen PC-Zockerei auch keinen TV-Screen mehr gewohnt …
Sound: Am OST gibt es nichts zu kritisieren. Er bietet eine gesunde Mischung aus düsteren Ambient-Stücken, Gute-Laune-Tracks für die Stadtgebiete und herrlich eigensinniger Kampfthemes die allesamt gut ins Ohr gehen und einen großen Anteil zur unverwechselbaren Atmosphäre des Titels beitragen! Meckern muss ich hingegen bei der Sprachausgabe. Und ich rede noch nicht mal davon, dass es diese nur innerhalb der Storyzwischensequenzen und in Form einiger Kampflaute gibt. Ich meckere auch nicht darüber, dass man sich eine deutsche Synchronisation gespart hat. Aber die Schlamperei kotzt mich an! Denn es fällt nicht schwer englische und japanische Wortfetzen innerhalb der Kampfscreens voneinander zu unterscheiden. Ist es denn wirklich so schwer eine saubere, vollständige Synchronisation auf die Beine zu stellen? Muss es immer halbarschig sein? Naja, vielleicht rege ich mich ja auch nur über Details auf, die den Spielspaß nicht wirklich beeinträchtigen. Etwas mehr Mühe an dieser Stelle wäre aber trotzdem wünschenswert gewesen!
Präsentation: Das Game wurde soweit sauber nach PALien gebracht. Die Balken halten sich stark in Grenzen und die deutschen Texte gehen auch in Ordnung. Wer es jedoch dennoch lieber auf englisch oder französisch spielen möchte, kann auch diese Sprachen auswählen (die Sprache lässt sich innerhalb des Spielstandes aber nicht mehr ändern). Und ja, das war’s auch schon, aber noch mal zur Zusammenfassung: Das Spiel ist in grafischer Hinsicht schlicht und einfach veraltet. Kleinere Lokalisationsmängel und Detail-Fehlerchen können nerven, müssen aber nicht. Die Vorzüge sind hingegen nicht von der Hand zu weisen. Sei es nun das unverbrauchte Szenario, der coole Mainchar oder die gut durchdachten Gameplay-Innovationen. Shadow Hearts macht eine sehr gute Figur!
Pro & Kontra
- innovatives, funktionierendes Urteilsring-Spielsystem
- cooler Hauptcharakter
- origineller Szenarienmischmasch mit Horror, Real World und Okkult-Elementen
- aufregendes Skillsystem für den Hauptcharakter
- für mich perfekter Umfang von maximal 40 Stunden
- gelungener Humor
- viele Secrets, Side- und Miniquests
- unterhaltsame Statistiktabellen und Monsterlisten
- veraltete Grafik im PSone-Stil
- keine nennenswerten Minigames
- dürfte für Hardcore Rollenspieler vielleicht etwas zu kurz sein
- langweilige Skillsysteme für die übrigen Spielfiguren
- erste Spielhälfte extrem linear
- kleinere Schlampereien bei der Synchro und den Hintergrundinfos