198X REVIEW
198X ist der Debuttitel des schwedischen Indie-Entwicklers Hi-Bit Studios. Es handelt sich hierbei um eine Art Demo-Spielesammlung deren Bestandteile von einer Art selbstlaufender Visual Novel zusammengehalten werden. Das Gesamtpaket fungiert dabei als Verbeugung an die 80er Jahre, Synthwave-Ästhetik und vor allem an die Arcade-Gaming-Kultur.
198X wurde erstmals am 16.06.2019 auf der PlayStation 4 und vier Tage später auf Steam veröffentlicht. Am 23. Januar 2020 wurde dann auch noch die Nintendo Switch bedient. Nur die versprochene Xbox One-Version lässt nach wie vor auf sich warten. Sehr zum Ärgernis einiger Kickstarter-Backer, wo das Spiel immerhin 676.558 von 500.000 gewünschten SEK (Schwedische Kronen) einheimsen konnte. Ob das Spiel überzeugen kann oder nicht, erfahrt ihr im folgendem Review.
Der depressive Teenager und die Arcade-Spielhalle
Der jugendliche „Kid“ leidet spürbar unter seinem eintönigen Alltag in irgendeinem US-Amerikanischen Großstadt-Vorort. Die hieraus resultierende Langeweile-Depression treibt Kid zu langen, einsamen Spaziergängen, welche ihn eines Tages zu einer zwielichtigen Arcade-Spielhalle führen. Diese lockt, trotz ihrer versifften Lage in einem alten Kellerloch, viele Gäste in Form von Nerds, Punks und sonstigen Halbstarken an. Kid ist absolut begeistert von den coolen neuen Arcade-Games und dem lässigen Klientel. Er will auf jeden Fall mitzocken sowie dazugehören und wird zum Stammkunden der Spielhalle. Doch auch das scheint nur eine Schmerzlinderung zu sein, denn Kid hat dann doch größere Probleme als nur die Langeweile. Und dann passiert etwas unerwartetes … Und dann ist das Spiel auch schon zu Ende.
198X ist nämlich ein verdammt kurzes Vergnügen, welches nach allerspätestens 2 Stunden Spielzeit durchgezockt sein dürfte. Darüber hinaus handelt es sich um eine unvollständige Geschichte, denn gerade zu dem Zeitpunkt, als es interessant wird, gibt es einen Cliffhanger, welchen Kid mit dem Kommentar „The game was not over.“ kommentiert. Zwar teilten die Entwickler auf Kickstarter mit, dass inzwischen an einer zweiten Episode gewerkelt wird, aber das löst freilich nicht die Kernprobleme dieses 9,99 € teueren Spiels. Die belaufen sich natürlich in einer sehr kurzen Spieldauer, dem daraus resultierenden wackligen Preis- Leistungsverhältnis und der Tatsache, dass man eben nur eine unvollständige Story geboten bekommt.
Auch der Protagonist Kid ist mit seiner depressiv-weinerlich-quengeligen Art nicht unbedingt ein großer Sympathiebolzen. Vor allem auch nicht deswegen, da das Spiel darauf hinausläuft, dass er seine alleinerziehende Mutter als Schurkin betrachtet – nicht cool! Wirklich nicht cool! Ich denke alleinerziehende Mütter haben was besseres verdient als als SHODAN-Referenz herhalten zu müssen.
Fünf Demos
Bevor ich auf die fünf enthaltenen Spiele(demos) eingehe, möchte ich erst noch erwähnt haben, dass sich das Spiel ziemlich stark geweigert hat meinen Controller zu erkennen. Ich habe einen Controller der zwischen moderner Xinput- und alter Direct Input-Variante wechseln kann, jedoch hat 198X keine dieser beiden Varianten erkannt. Glücklicherweise bietet Steam in den Einstellungen die Möglichkeiten den Controller via Steam-Eingabe zu aktivieren. Hierdurch konnte ich 198X doch noch via Controller zocken. Jedoch ist es die Aufgabe des Entwicklers die Notwendigkeit für solch einen Zwischenschritt (der vielen Spielern auch nicht bekannt ist) zu unterbinden. Aber wie auch immer, gehen wir auf die eigentliche Games ein:
- Beating Heart: Ein Brawler á la Final Fight und Streets of Rage. Ihr bewegt euch gemächlich von links nach rechts und verdrescht jeden der sich euch in den Weg stellt. Ein paar Heilitem und Waffen-Pick Ups machen euch die Sache leichter. Es gibt hier nur zwei Levelabschnitte und das Spiel endet kurz bevor es zum Bosskampf der Stage kommt.
- Out of the Void: Ein Shoot’em Up (Shmup) welches in visueller und thematischer Hinsicht stark von R-Type inspiriert ist. Man kann seinen Schuss aufladen, jedoch fehlt das ikonische Force-Modul. Stattdessen gibt es generische Power Ups zur Verbesserung der Schiffsgeschwindigkeit und Schusswaffe. Anders als in „Beating Heart“ bekommt ihr in Out of the Void einen vollständigen Level geboten – inklusive Zwischen- und Bossgegner.
- The Runaway: Ein Arcade-Racer mit Checkpoint-Mechanik. Ihr fahrt also nicht gegen Kontrahenten, sondern gegen die Uhr. Innerhalb des jeweiligen Zeitlimits muss der nächste Checkpoint erreicht werden. Einige scharfe Kurven und der Zivilverkehr versucht euch freilich auszubremsen. The Runaway bietet zwei Levels, von denen der Zweite jedoch ausschließlich der Story-Narrative dient, nicht gewonnen werden kann und daher keine spielerische Herausforderung darstellt.
- Shadowplay: Ein Autorunner mit Ninja- und Yōkai-Thematik. Eure Aufgabe besteht darin fünf Levels zu knacken, indem ihr Fallen ausweicht, über Abgründe springt und Gegner beseitigt. Eure Spielfigur rennt automatisch, ihr könnt die Spielfigur jedoch innerhalb des scrollenden Screens hin- und herbewegen. Gegner werden mit Schwerthieben beseitigt. Die Reichweite des Schwertes wird von einem blauen Energiebalken reguliert, den man mit Hilfe blauer Energiekugeln aufbauen kann. Die Spielfigur verfügt über fünf Hitpoints, weswegen die fünf Level auch gut zu schaffen sind. Shadowplay ist das längste Spiel in der Sammlung und auch jenes, welches sich halbwegs vollständig anfühlt.
- Kill Screen: Ein CRPG-Dungeon-Crawler im Stil der alten Wizardry-Games. Ihr bekommt eine übersichtliche, simpel strukturierte Dungeonmap ohne Gimmicks, in derer ihr drei Drachen finden und beseitigen sollt. Es gibt gemächlich frequentierte Zufallskämpfe gegen eine vernünftige Palette von Gegner-Varianten (inklusive Palette-Swaps) und könnt bis Stufe 10 aufleveln. Dem rundenbasierten Kampf liegt ein simples Gimmick zugrunde. Ihr verfügt über drei verschiede Angriffe und jeder Gegner ist Anfällig gegen eine dieser drei Attacken. Darüber hinaus habt ihr auch einen Heilungsskill.
Jedes der fünf Games steuert sich sehr solide und bietet einen angenehm gut ausbalancierten Schwierigkeitsgrad. Keines der fünf Spiele ist wirklich schwer, aber sie sind eben auch keine totalen Spaziergänge und erfordern zumindest ein Mindestmaß an Können. Da euch 198X unbegrenzte Continues/Leben zur Verfügung stellt ist der Sieg auch immer nur eine Frage der Zeit. Ist eines der fünf Spiele erst einmal erreicht, darf man es direkt vom Titelbildschirm aus anwählen. Dies ist in erster Linie für Achievement-Hunting sinnvoll, da jedes der fünf Games zumindest ein optionales Achievement mitbringt, welches man nur für gute Leistungen erhält. Hierdurch wird zumindest ein kleiner Mehrwert für dieses kurze Spiel bereitgestellt.
Grafik und Sound
Mit Abstand die größte Stärke von 198X ist die tolle audiovisuelle Präsentation. Das Spiel bietet wirklich wunderschöne Pixelgrafiken – und zwar sowohl für die fünf Games, als auch die Visual Novel-Erzählsequenzen. Und da das Spiel quasi auf sechs verschiedenen Ebenen stattfindet, gibt es auch einen enormen Abwechslungsreichtum bei den Szenarien. Wer also einfach nur ein hübsches Pixel-Feuerwerk erleben möchte braucht nicht weiterzusuchen und sollte sich schleunigst 198X zulegen! Hier wirkt jeder Screen wie ein kleines Kunstwerk!
Auch beim Soundtrack enttäuscht 198X zu keiner Sekunde. Der OST bietet feinste Sythwave-Stücke, welche einen enormen Ohrwurm-Faktor auffahren und ihre jeweiligen Spiele und Storysequenzen wunderbar unterstützen.
Ferner bietet das Spiel sogar eine Sprachausgabe. Die Geschehnisse werden von Kid kommentiert. Die Sprecherin von Kid ist zwar sichtlich mit Herz bei der Sache, nervt jedoch mit einer Stimmlage die zu krampfhaft versucht depressiv-erschöpft zu klingen, was bereits nach kurzer Zeit gewaltig auf den Zeiger geht. Darüber hinaus nervt es auch, dass die Entwickler versucht haben Kids Geschlecht neutral zu halten. Ein dürrer androgyner Typ mit einer weiblichen Stimme die krampfhaft versucht androgyn, depressiv und abgehalftert zu klingen. Da kann ja nichts Gescheites bei rauskommen. Andererseits ist es lobenswert, dass man sich überhaupt um eine Sprachausgabe bemüht hat.
Pro & Kontra
- sehr nettes Grundkonzept
- tolle audiovisuelle Präsentation für Anhänger von Pixelkunst und Synthwave
- alle fünf Spiele(demos) bieten eine gute Spielbarkeit, Spaß und einen vernünftigen Schwierigkeitsgrad
- der krampfhaft auf androgyn getrimmte Protagonist ist ein weinerlicher Unsympath
- offene Story
- läppischer Umfang mit entsprechend wackligen Preis- Leistungsverhältnis