The Amazing Spider-Man REVIEW
1990 war das Jahr, als Nintendos Game Boy hierzulande erstmals veröffentlicht wurde. Im Erscheinungsjahr war die Spieleauswahl freilich noch recht überschaubar. Dementsprechend hatten auch schwächere Titel eine gute Chance auf einen Verkaufserfolg, sofern denn eine zugkräftige Lizenz vorlag. Und genau in diese Kerbe schlägt Rares The Amazing Spider-Man. Ein Action-Platformer rund um Marvels gleichnamigen Superhelden. Ja richtig gelesen. Dieses Spiel, welches die zweifelhafte Ehre hatte in einer AVGN-Episode aufzutauchen, wurde von einem der ikonischsten Entwicklerstudios überhaupt geschaffen. Warum also die mäßige Qualität? Schließlich hatte Rare ja schon damals qualitativ hochwertige Games programmiert. Nun, ein Grund hierfür mag wohl der Auftraggeber und Publisher LJN gewesen sein, welcher sich auf Lizenzumsetzungen zu Hollywood-Blockbustern und Superhelden spezialisiert hatte. LJNs Produktionen waren jedoch, bis auf wenige Ausnahmen, ziemlich mies, weswegen das schon längst aufgelöste Unternehmen bis heute als besonders schwarzes Schaf unter den Videospiel-Produzenten verhöhnt wird.
Damals, als es noch kein Internet gab, hatten Namen wie Rare und LJN aber ohnehin noch keine Bedeutung – vor allem nicht für Kinder. Was hingegen von Bedeutung war, waren coole Superhelden wie Spider-Man, dessen Fähigkeiten man natürlich zu gerne selbst in die Tat umsetzen wollte, und sei es nur auf dem ebenso coolen neuen Game Boy-Spielgerät. Lange Rede, kurzer Sinn: Das Modul war ein Verkaufserfolg. Ein Erfolg, der sogar zwei Fortsetzungen nach sich gezogen hat. Doch in diesem Review geht es lediglich darum, die fragwürdige Qualität des ersten Spider-Man-Spiels für den Game Boy zu besprechen.
Spider-Man rettet seine Maid in Not
Ob ihr es glaubt oder nicht, aber was die Handlung und deren Präsentation anbelangt, so gehört dieses Spiel zu den besseren Titeln, die ihr auf dem Game Boy Classic finden könnt.
Peter Parkers Identität als Spider-Man ist bei einigen seiner Superschurken-Feinde durchgesickert. Freilich entführt das Pack daraufhin Spideys Flamme Mary Jane, welche nun als Köder für Spider-Man herhalten muss. Mysterio, einer der verantwortlichen Schurken, meldet sich auf Parkers Handy und lotst ihn in die Hintergassen, wo er ihn zunächst einige Schläger auf den Hals hetzt, ehe er sich dem Superhelden letztendlich persönlich entgegen stellt. Doch das ist erst der Anfang. Denn immer wenn Spidey einen Superschurken erledigt, meldet sich schon wieder ein Anderer und das dumme Katz und Maus- oder besser gesagt Spinne und Fliege-Spielchen beginnt von vorne. Es handelt sich offensichtlich um eine Zermürbungstaktik. Hat Spider-Man genug Durchhaltevermögen um alle Superschurken zu bezwingen und Mary Jane zu retten?
Die Handlung mag nun nichts bahnbrechendes sein und bedient sich des Maid in Not-Klischees, welches ja vor allem in Retro-Videospielen sehr gern verwendet wird. Allerdings ist es schon bemerkenswert, dass es hier überhaupt ne sinnvolle Story gibt, welche hier auch in unterhaltsamen Zwischensequenzen präsentiert wird. Die Handygespräche zwischen Spider-Man und seiner Feinde sind nämlich allesamt sehr unterhaltsam zu lesen (aber leider nur auf englisch). Die Beteiligten schmeißen sich jedenfalls gerne fiese Spitznamen und kluggeschissene Sprüche um die Ohren. Und wenn Rare in das Gameplay genauso viel Elan investiert hätte wie in diese Dialog-Sequenzen, dann wäre vielleicht auch ein richtig gutes Spiel hierbei herausgekommen.
Grobe Designschnitzer trüben den Spielspaß
Da das Modul keine Optionen zur Verfügung stellt, kann man sich direkt ins Spiel schwingen. Es gilt 6 von links nach rechts scrollende Stages zu absolvieren, welche allesamt mit einem Bosskampf gegen einen ikonischen Superschurken der Comicvorlage enden. Besagte Schurken wären Mysterio, der Goblin, Scorpion, Rhino, Dr. Octopus und Venom. Die Bosskämpfe erfordern freilich die Erlernung der feindlichen Angriffsmuster, um möglichst ohne Blessuren davonzukommen. Das Spiel nervt zwar nicht mit einem Zeitlimit, aber dafür mit einer teilweise verqueren Steuerung, welche die Rettungsmission schwieriger gestaltet, als sie sein sollte.
Mit dem Steuerkreuz bewegt man sich nach links und rechts, klettert in spezifischen Levelabschnitten nach oben oder duckt sich. Der B-Knopf dient für Angriffe. Aus dem Stand heraus schlägt man mit der Faust, aus der Hocke mit einem Tritt, und einen Sprungkick gibt es auch. Hält man den B-Knopf gedrückt, verschießt Spidey übrigens ein Netzprojektil.
Für Sprünge ist dann natürlich der A-Knopf zuständig. Es gibt zwei verschiedene Sprünge: Für den normalen Sprung einfach A drücken, für den wesentlich wichtigeren Hochsprung, muss man aber erst etwas Anlauf nehmen, indem man ein Stück läuft. Vor allem der Unterschied zwischen den beiden Sprung-Varianten ist für Spieler ohne Handbuch enorm irritierend. Erschwerend kommt hinzu, dass der Hochsprung schon ab der ersten Stage sehr wichtig ist, um überhaupt ordentlich voranzukommen, da einige Kistenstapel ohne diesen nicht zu überwinden sind. Später wird es sogar noch trickreicher, denn die Hochhaus-Stages erfordern Spideys Netzschwung-Manöver. Dieses kann man jedoch nur aus einem Hochsprung heraus aktivieren (während des Hochsprungs die B-Taste gedrückt halten). Mithilfe des Netzschwungs kann man sich quasi durch den gesamten Level hangeln, um unter anderem ansonsten unüberwindbare Hindernisse zu überbrücken (z.B. die Abgründe zwischen Hochhausdächern).
Die Sache hat allerdings einen Haken, denn Spider-Man verfügt nur über eine begrenzte Reserve von Netz-Flüssigkeit, die in Form eines zweiten Energiebalkens präsentiert wird (einen Balken für die reguläre Lebensenergie gibt es freilich auch). Ist die Netz-Flüssigkeit aufgebraucht, kann man weder das Netzprojektil verschießen, noch den Netzschwung ausüben. Und gerade letzteres ist ein grober Designmangel, da der Netzschwung nun einmal absolut notwendig ist, um an manchen Stellen ohne Verlust eines Lebens voranzukommen. Gerade Stage 5 basiert auf dem exzessiven Einsatz des Netzschwungs und stellt einen vor ein ernstes Problem sobald man alle drei Leben verbraucht hat und somit eines von drei Continues aktivieren muss. Beim Einsatz eines Continues darf man zwar, wie auch beim Verlust eines Lebens, direkt an Ort und Stelle weitermachen (man wird also nicht zum Levelanfang zurückgeworfen oder so), allerdings bekommt man die zusammengesparte Netzflüssigkeits-Munition abgeknöpft, die jedoch essenziell ist, um das Spiel in den späteren beiden Stages vernünftig spielen zu können. Das Leveldesign der letzten beiden Stages ist also alles andere als gut durchdacht und konfrontiert einem in Ernstfall mit jeder Menge unnötiger Bildschirmtode, die freilich auf Dauer zum Game Over führen, sobald man alle Extraleben und Continues verbraucht hat. Weitere Leben und Continues lassen sich nämlich nicht hinzuverdienen, und das obwohl der allgemeine Schwierigkeitsgrad im fortlaufenden Spiel immer kniffliger wird.
Darüber hinaus wirft das Spiel auch nicht gerade mit Power-Ups um sich. Eigentlich gibt es nur zwei relevante Power-Ups. Hamburger tauchen hier und da in den Stages auf und regenerieren ca. ein Drittel von Spider-Mans Lebensenergie. Erledigte Gegner droppen wiederum eines von drei verschiedenen Objekten. Baseballs und das kleine quadratische Objekt dienen nur dazu den überflüssigen Highscore zu pushen, welcher mangels Batterie ohnehin nicht vom Modul gespeichert wird. Wirklich nützlich sind nur die Netzpatronen, welche numerisch gesammelt werden und im Endeffekt einen zusätzlichen Balken an Netzenergie einbringen. Diese Gegenstände müssen übrigens umgehend eingesammelt werden, bevor sie auf den Boden fallen und somit verschwinden. Außerdem werden diese Gegenstände nur von den Standard-Schlägertypen fallen gelassen. Andere Gegnertypen wie aggressive Tiere oder die Echse, die gerne aus Kanalisationsdeckeln heraus angreift, bringen nichts.
Und damit wäre auch eigentlich schon fast alles gesagt. Erwähnenswert ist noch, dass die Stages 2 und 5 mit einer witzigen vertikal-scrollenden Klettereinlage aufs Hochhausdach eingeleitet werden. Hier muss man freilich zahlreichen Hindernissen ausweichen, was aber recht gut funktioniert. Schön zu sehen, dass man, trotz der GB-typisch kurzen Spieldauer von ca. 25 Minuten, an etwas zusätzliche Abwechslung gedacht hat. Aber das hilft auch nicht dabei, die oben beschriebenen Macken auszubügeln. Eine unnötig verschachtelte Movepalette und grobe Designschnitzer, die im letzten Spieldrittel greifen, kosten nämlich sehr viel Spielspaß!
Grafik und Sound
Für ein Spiel, dass im selben Jahr veröffentlicht wurde, wie der Game Boy, sieht The Amazing Spider-Man eigentlich richtig gut aus. Die Ortschaften (z.B. Hintergassen, U-Bahn, Stadtpark) spiegeln das, was sie darstellen sollen sehr gut wieder und die Proportionen der Charaktersprites sind auch nicht so winzig wie jene in Super Mario Land. Auch die Charakterartworks innerhalb des Titelbildschirms und der Dialog-Zwischensequenzen brauchen sich nicht zu verstecken.
Was jedoch stört ist der Ingame-Charaktersprite von Spider-Man selbst. Dieser ist nämlich in einer seltsamen gebückten Haltung gestaltet, was einfach unglaublich beknackt aussieht. Da bekommt man den Eindruck Spider-Man wäre ein alter Rentner, der unter Rheuma leidet und für den es folglich unmöglich ist aufrecht zu laufen. Glücklicherweise hat man diese Peinlichkeit bei Spideys Gegenspielern vermieden. Weiterhin ärgerlich ist die Tatsache, dass man das Setting des Hochhauswand-/Dachlevels recycelt hat. Diese Location wird sowohl für Stage 2 als auch Stage 5 angewandt, was bei einem kurzes 25 Minuten-Spiel mit 6 Stages echt nicht hätte sein müssen.
Auch der Soundtrack ist eine etwas zwiespältige Angelegenheit. Einige Tracks, wie der Bosskampf-Theme sind richtig gut, aber viele Stücke klingen auch sehr seltsam und eigenwillig. Bei den meisten Musikstücken hat man wohl irgendwie versucht eine bedrohliche Atmosphäre zu erzeugen, die hier aber einfach nicht so richtig greifen will. Im endeffekt ist es eben ein kleines Game Boy-Spielchen mit Spider-Man-Lizenz. Da haben es die Verantwortlichen vielleicht etwas zu gut gemeint. Ich selbst weiß jedenfalls nicht, wie ich den merkwürdigen OST einordnen soll.
Die Soundeffekte sind da schon besser gelungen. Ich finde es zum Beispiel bemerkenswert, dass man variable Soundeffekte für Itemdrops erledigter Gegner eingebaut hat. Das soll wahrscheinlich auch ein akustischer Ausgleich zu deren schlechter Erkennbarkeit sein – gut mitgedacht Rare!
Pro & Kontra
- netter Versuch Spider-Mans Superkräfte auf dem Game Boy umzusetzen
- gute Grafik für solch ein frühes GB-Spiel
- gute Umsetzung der Lizenz (nette Story, viele Charaktere aus der Vorlage, witzige Dialoge)
- einige wichtige Moves von Spiderman sind unnötig kompliziert umzusetzen
- die letzten beiden Stages sind teils schlecht designed und zu schwer
- das Szenario von Stage 2 wurde für Stage 5 recycelt
- der Spider-Man-Sprite sieht beknackt aus