Saints Row REVIEW
Todbringendes Sexspielzeug, Alieninvasionen, Präsidenten, die aus der Hölle gerettet werden wollen – was ursprünglich mal als Satire auf Grand Theft Auto begonnen hat, wurde über die Jahre und neuen Serienteile zum absolut überdrehten Klamauk. Mit dem schlicht als Saints Row betitelten Reboot will Entwickler Volition die Reihe nicht nur wieder aus der Versenkung zurückholen, sondern auch erden. Daher spendiert man der Reihe nicht nur einen frischen technischen Anstrich, sondern setzt die Tonalität wieder etwas ernster. Albern ist der Ausflug nach Santo Ileso dennoch. Ist er aber auch gut?
Plötzlich woke?
Ich war nie der ganz große Freund der Reihe, was vor allem am Humor lag, der mir stets drei Nummern zu drüber gewesen ist. Bei Volition ist man offenbar auch nicht mehr mit dem infantilen Humor der späteren Teile im Einklang – wir werden schließlich alle älter. Development Director Jim Boone hat diesbezüglich vor einigen Monaten einen interessanten Kommentar getätigt: „Wir lieben (die alten Teile), aber wir wissen auch, dass diese Spiele aus einer Zeit stammen. Sie machten in dieser Zeit Sinn, und wir konnten Dinge tun, die sich damals gut anfühlten. Aber diese Tonalität ist nicht etwas, was wir heute tun wollen.“
Diese Haltung der Entwickler hat unter Teilen der vokalen Fans nicht unbedingt für Freudensprünge gesorgt (okay, nicht alle von uns werden älter). Mich haben diese Aussagen hingegen ins Boot zurückgeholt, und tatsächlich zeigt Saints Row schon kurz nach Spielstart, dass es anders sein will als seine Vorgänger. Das beweisen Entwickler und Spiel mit dem Editor zum Erstellen der eigenen Spielfigur, der so ziemlich der diverseste Baukasten dieser Art ist, den ich bisher in einem Videospiel gesehen habe und weit über die Repräsentation von Ethnien, Körperformen und Geschlechtern hinaus geht. Auch Prothesen für Arme und Beine sowie die chronische Erkrankung Vitiligo werden abgebildet. Natürlich erlaubt es der Editor nach wie vor komplett freizudrehen und bizarre Figuren mit Meme-Potential zu erstellen. Das hier im Kern aber ein sehr inklusive Tool zum Einsatz kommt, hat mich gleich zu Beginn positiv überrascht und gestimmt.
Millennials treffen auf alte weiße Männer
Die Geschichte setzt die Legende der Saints zurück auf Anfang – typisch Reboot eben. Gemeinsam mit den drei besten Freunden versucht man es in Santo Ileso zu etwas zu bringen. Während Neenah, Eli und Kevin Mitglieder der örtlichen Straßengangs sind, fängt man selbst bei einer ziemlich dubiosen Sicherheitsfirma an. Schnell wird der Gruppe klar: mit den aktuellen Jobs und Gangs wird das nichts mit dem großen Reichtum. Also gründet man selbst eine Gang und will die Führung in der an Las Vegas angelehnten Stadt übernehmen.
Der eigentliche Plot ist kaum der Rede wert und bedient sich stark an den altbekannten Tropes, welche diese Art von Spiel nun einmal gerne verwenden. Gleichzeitig tut dem Spiel bzw. der Reihe der tonale Wechsel aber tatsächlich gut. Natürlich sind die Figuren erneut überzeichnete Klischees, nur sind sie jetzt erträglicher und schmeißen nicht mehr mit leeren Machoattitüden um sich.
Spielbarer Referenz-Overkill
Die Aufmachung von Saints Row wirkt wie eine spielbare Action-Comedy. Filme wie Baby Driver, Hobbs & Shaw und John Wick wurden von den Entwicklern als Inspirationsquellen genannt, darüber hinaus gibt es auch zig Bezüge zu Breaking Bad und anderen aktuellen Werken der Popkultur. Allerdings ist das Spiel bei seinen direkten und indirekten Referenzen nicht immer zielsicher. Eine recht frühe Mission etwa lehnt sich sehr offensichtlich an eine Szene aus Mad Max: Fury Road an. Inszenatorisch, aber auch spielerisch ist die Szene kaum mehr als ein lauwarmer Aufguss. Wieder andere Szenen und Referenzen funktionieren hingegen gut. Allerdings habe ich mich häufig gefragt, wo der Mehrwert einiger Pointe liegt. Wenn ich immer wieder wie bekloppt auf einen Button hämmern muss, damit meine Spielfigur den Hintern vom Sofa hochbekommt und die Entwickler dabei offenbar auf das „Press x to“ Meme anspielen, dann wirkt das eher bemüht als wirklich lustig.
Doofe Kugelschwämme
Eines der größten Probleme von Saints Row liegt aktuell in einer ganz grundlegenden Mechanik. Gemeint ist das Gunplay. Weder das Feeling noch das Feedback fühlt sich befriedigend an. Ein weiteres Problem sind die Gegner, die reine Bullet Sponges sind. Ich habe zunächst auf einen der höheren Schwierigkeitsgrade begonnen, allerdings habe ich mich schon an normalen Gegnern stellenweise mit einem ganzen Magazin abgemüht. Aber selbst auf dem normalen Schwierigkeitsgrad halten die Gegner viel zu viel aus.
Abseits ihrer teilweise absurd hohen Lebensenergie stellen sie keine Herausforderung da. Die KI ist auch in Momenten ohne Aussetzer (und die sind während der Testphase ziemlich oft in Form von nicht reagierenden Widersachern aufgetreten) nicht gut. Ich verstehe: Saints Row will kein The Last of Us sein und legt den Schwerpunkt mehr auf groß angelegte Over-The-Top-Action anstatt auf intime und wuchtige Auseinandersetzungen. Das ist natürlich vollkommen in Ordnung, aber dann muss sich das bitte auch griffig und befriedigend anfühlen.
Sandbox von gestern
Die Spielwelt ist gefüllt mit Aktivitäten, die man abseits der Storymissionen absolviert. Ein wichtiges Element für die Geldbeschaffung der Saints sind die kriminellen Geschäfte, die man in der Stadt aufziehen kann. Eine Aktivität dreht sich etwa darum, Tatorte aufzuräumen und Leichen verschwinden zu lassen. Bei einer anderen Beschäftigung muss man in Santo Ileso und Umgebung abgestellte Trucks mit Giftmüllcontainern finden und diese – mitten in der Innenstadt – beseitigen. Auch kann man Versicherungsbetrug begehen. Hierfür stellt man sich für mehrere Minuten auf eine viel befahrene Straßen und lässt sich von Autos umfahren. Je mehr Autos man hintereinander mitnimmt, desto höher steigt der Kombozähler und damit die Summe, die man der Versicherung abluchsen kann. Das entsprechende Minispiel hat etwas von Burnout meets Goat Simulator, und nein, ich scherze nicht.
Macht das Laune? Mitunter ja. Das gleiche zählt auch für andere Aktivitäten, in denen man etwa als Beifahrer nach eine Raubüberfall Polizisten mit Waffengewalt fernhält, Rennen fährt oder sich an kleinen Schatzsuchen beteiligt, um die Stadt und ihre Geschichte näher kennenzulernen. Ich habe von allem ein bisschen was gemacht, spüre aber keine Motivation eine Beschäftigung zu 100% zu komplettieren. Viele Tätigkeiten sind für ein-, zweimal spaßig, aber damit hat es sich auch erledigt. Und Open World/Sandbox wie Saints Row nun einmal ist, will es, dass man seine Aktivitäten im Dutzend erledigt.
Hätte noch Zeit gebraucht
Saints Row ist ganz klar ein Last-Gen-Titel, der auf der PlayStation 5 aber wirklich ganz hübsch aussieht. Schön sind die vielen unterschiedlichen Settings, die man wählen kann. Ich habe hauptsächlich im 60 Frames Modus mit 1440p Auflösung gespielt. Die Framerate ist selbst in actionreichen Momenten mit vielen Figuren, Partikeln usw. stabil. Wer weniger Wert auf eine hohe Bildwiederholungsrate hat und einen entsprechenden Monitor bzw. Fernseher besitzt, fährt aber sicherlich mit dem 2160p UHD/4K Modus am besten.
Stellenweise besitzt die Spielwelt ein paar wirklich schöne Orte und Szenen, aus Designperspektive wird einem aber nichts besonderes geboten. Ich bin erstaunt, wie konservativ (man könnte auch gemein sein und altbacken sagen) sich die Spielwelt anfühlt. Positiv: Santo Ileso verweigert sich der absurden Ausmaße vieler anderer moderner Open Worlds. Mit einem Helikopter hat man die Karte gar erstaunlich schnell abgeflogen. Aber auch mit geskripteten Events wie Polizeistreifen, die Personen anhalten, wirkt die Spielwelt unterm Strich leblos und nicht mehr als eine Kulisse.
Ein weiterer Knackpunkt ist der technische Zustand. Ich hatte während meiner rund 35 Stunden mit dem Spiel viele Probleme. Abstürze sind da noch das kleinste Übel. Nerviger waren Momente, in denen Skripts nicht ausgelöst wurden und ich inmitten einer Mission einfach nicht weitermachen konnte, da eine Szene nicht ausgelöst wurde oder die KI nicht gemacht hat, was sie soll. In Verbindung mit den weit auseinanderliegenden Checkpoints eine ziemliche Geduldsprobe. An anderer Stelle hing ich mal in einem Objekt fest und konnte mich nur mit dem Laden eines Spielstands befreien, wieder ein anderes Mal stand ich nach einer Cutscene plötzlich ohne Waffen im Inventar dar. Kurzum: Saints Row hätte noch mehr Zeit in der Entwicklung benötigt.
Pro & Kontra
- Spielwelt ist angenehm kompakt gehalten
- Humor ist geerderter alsbei vorherigen Titeln und bedient sich vermehrt an Referenzen aus Filmen, Serien & Games
- teilweise amüsante Nebenaktivitäten
- schicke Grafik und viele Einstellungsoptionen auf Current-Gen Konsolen & PC
- umfangreicher und diverser Editor zum Erstellen der Hauptfigur
- zahlreiche Bugs
- unbefriedigendes Gunplay
- generische Spielwelt wirkt wie eine Kulisse
- viele Aktivitäten, die aber selten mehr als zwei-, dreimal wirklich Spaß machen