Rise of the Ronin REVIEW
Im Laufe des Jahres 1853 legen immer mehr ausländische Marineschiffe vor den Häfen Japans an. Das Ziel: das bis dato fast 300 Jahre isolierte Inselreich solle sich öffnen und einen Handelspakt mit US-amerikanischen und anderen westlichen Mächten eingehen. Die erzwungene Öffnung und ihre Folgen führten zu politischen und sozialen Unruhen, in deren Verlaufe blutige Aufstände und ein Bürgerkrieg ausbricht, die Ära des Shōgunats schließlich endet und der Tennō wieder eingesetzt wird. In den folgenden Jahren vollzog Japan im Rahmen der Meiji-Restauration eine nahezu beispiellose Modernisierung und die Umwandlung in einen Nationalstaat nach westlichen Vorbild. Diese für die Geschichte des Landes so prägenden Jahrzehnte erzählt Entwickler Team Ninja jetzt im PlayStation 5 exklusiven Rise of the Ronin nach.
Adieu Fantasy
Es ist nicht das erste Mal, dass das ursprünglich für die Ninja Gaiden und Dead or Alive Reihen bekannt gewordene Studio sich ein historisches Setting vornimmt. Sowohl Nioh (Sengoku-Ära) als auch Wo Long: Fallen Dynasty (Zeit der Drei Königreiche) verorteten sich in der realen Geschichte, vermischten diese aber mit fantastischen Elementen der japanischen bzw. chinesischen Sagen- und Legendenwelt. Rise of the Ronin verzichtet darauf nahezu komplett und ist wesentlich geerdeter, abgesehen von einigen erzählerischen Freiheiten sowie Eingeständnissen für das Gameplay.
Da wäre etwa der Protagonist bzw. die Protagonistin, die es so in der Realität nicht gegeben hat. Zum Spielstart erstellt man im entsprechenden Editor nicht nur eine, sondern gleich zwei Figuren und legt Geschlecht, Aussehen und Startattribute fest. Welche der beiden „Zwillingsklingen“ man im Großteil des Spiels übernehmen wird, wird recht schnell entschieden. Die nicht gewählte Figur taucht im Laufe der Geschichte hingegen als Nemesis auf und will immer wieder bekämpft werden. Die zentrale Handlung legt den Schwerpunkt dennoch auf die realen Ereignisse und beginnt mit dem Eingangs erwähnten Jahr 1853.
Zeiten des Umbruchs
Man selbst durchstreift das Land als herrenloser Samurai (Ronin) und kann sich einer der streitenden Parteien anschließen. Wer genau das ist, wechselt im Laufe der Geschichte, im Großen und Ganzen gibt es aber stets eine Seite, die für den Status quo einsteht und das Shōgunat erhalten will sowie die Gegenseite, die das herrschende System stürzen und durch ein Neues ersetzen möchte. Für welche Seite man sich entscheidet, hat zwar hier und da kleine Auswirkungen auf den Verlauf der Story, im Endeffekt hält sich das Spiel aber dann doch an den realen Verlauf der Geschichte und gesteht dem Plot nur kleine Abänderungen dieser zu.
Spannend ist das Ganze dennoch, vor allem da sich Team Ninja hier am Modell Assassin´s Creed orientiert und unzählige zeithistorische Figuren auftauchen lässt. Ryōma Sakamoto, Tokugawa Yoshinobu, Okita Sōji, Yoshida Shōin und, und, und. Wer ein bisschen Freude an Geschichte und insbesondere jener Ära Japans hat, wird hier Spaß haben. Im Umkehrschluss bedeutet die unfassbare Menge an historischen (und nicht-historischen) Figuren aber auch, dass man sich einiges merken muss, wenn man zwischen den ganzen Kriegern, Philosophen, Organisationen und Politikern den Durchblick behalten möchte. Zumal die Handlung teilweise große Zeitsprünge macht, vormals wichtige Figuren in den Hintergrund verbannt und wieder mit einem Dutzend neuen Gesichtern um die Ecke kommt. Immerhin gibt es eine jederzeit aufrufbare Enzyklopädie, die Figuren und ihre Zusammenhänge für die Handlung erläutert.
Spannend ist übrigens auch, wie die Entwickler mit den historischen Figuren umgehen. Viele Figuren und ihre Ansichten sind ziemlich ambivalent und werden auch so dargestellt. Die zunächst rational wirkenden Vertreter des Anti-Shōgunats sind mitunter beinharte Rassisten, welche die „Barbaren“ aus dem Ausland am liebsten massakrieren würden – und dies mitunter auch tun. Auf der Seite der herrschenden Klasse ist hingegen ein zutiefst verankertes Festhalten am Kastensystem vorhanden, der diese Denke mit kapitalistischen und machtpolitischen Ansichten aus dem Westen vermengt. Immer wieder aber wechseln die Ansichten innerhalb der Organisationen und ihrer Wortführer, was die schiere Komplexität zeigt, mit der man es hier eigentlich zu tun hat. Dass ausgerechnet Rise of the Ronin sich so sehr wie kaum ein anderes mir bekanntes Spiel darum bemüht, eine klare schwarz/weiß Malerei der Protagonisten jener Zeit zu verhindern, ist fast durchaus bemerkenswert. Denn in Japan gelten viele der wichtigen Personen jener Zeit heute als Nationalhelden und werden selten durch eine moderne Linse hinterfragt.
Freiheiten und Freiheit
Am Ende ist das Spiel zwar nur bedingt in der Lage, die vielschichtige Gemengelage jener Zeit aufzudröseln und ein eindeutiges Gesamtbild zu zeichnen. Dennoch schafft es Team Ninja einen guten Abriss jener Zeit zu geben und Interesse für die wahre Geschichte zu wecken. Auch, da man sich nicht nur bei der Geschichte und den Figuren, sondern auch der Darstellung der Spielwelt um Glaubwürdigkeit bemüht.
Rise of the Ronin ist das erste Spiel des Studios mit offener Welt. Im Laufe der Geschichte bereist man die alte Kaiserstadt Kyoto, Edo (das heutige Tokyo) sowie die Hafenstadt Yokohama. Interessanterweise sind die drei großen Gebiete, die nach und nach im Laufe des Spielfortschritts freigeschaltet werden, Synonym für die Stärken und Schwächen des Spiels. Auf dem Höhepunkt befindet man sich im letzten Drittel mit Kyoto. Die Stadt und ihre Stimmung wurde vor allem visuell toll eingefangen und arbeitet – natürlich – mit den gängigen Klischees von Kyoto (rot-gelbe Blätter, ruhige Gassen, viele Tempel und Schreine). Das Gleiche gilt für Edo, wo man den überwiegenden Mittelpart des Spiels verbringt und eine Stadt im Umbruch erlebt. Ausgerechnet der Einstieg mit Yokohama ist das schwächste, was sowohl narrativ als auch spielerisch geboten wird. Dabei ist Yokohama mit seinen ausländischen Vierteln auf dem Papier die für mich eigentlich spannendste der drei Städte.
Überhaupt ist Rise of the Ronin ein Spätzünder. Die ersten fünf, sechs, sieben Stunden habe ich mich fast schon ein bisschen durch das Spiel gelangweilt. Die anfänglichen Missionen sind simpel gestrickt und wenig aufregend, die urbanen Gebiete wirken seltsam leer (ein Problem, welches aber alle Gebiete teilen), die Handlung wenig interessant. Dass ich mich nicht gequält und den Controller beiseite gelegt habe, lag letztlich am tollen Kampfsystem (dazu gleich mehr). Erst ab Edo kommt die Story einigermaßen in die Gänge und auch spielmechanisch werden neue Aspekte aufgemacht, die dem Gesamtwerk guttun. Ob Team Ninja nun unbedingt von der Missionsstruktur der „Vorgänger“spiele abrücken musste, um eine Open World zu inszenieren? Darüber kann man sicherlich geteilter Meinung sein. An und für sich hat mir die weitläufige Spielwelt nach hinten raus immer besser gefallen, auch wenn es abseits der Story und einiger Nebenmissionen eigentlich nicht wirklich viel Interessantes zu tun gibt. Herausforderungen, in denen ich auf einem Pferd mit Pfeil und Bogen Ziele abschieße oder mit dem Gleiter in Flugübungen versuche, habe ich einmal und anschließend nie wieder gemacht.
Auch die mit einem Ausrufezeichen markierten Events innerhalb der Spielwelt können nicht die Dynamik vorgaukeln, die von den Entwicklern gewünscht ist. Was ich hingegen mochte, war die Spielwelt auf eigene Faust nach interessanten Orten zu erkunden. Davon gibt es nämlich einige. Angehalten diese zu suchen und zu finden, wird man übrigens auch im Rahmen einer Nebenbeschäftigung, in der man mit der Ingame-Kamera Fotos von besagten Orten schießt. Und als großer Katzenliebhaber MUSSTE ich einfach jede Katze streicheln, die auf der Karte markiert gewesen ist und nur darauf wartet, von mir in meine polygonalen Arme genommen zu werden. Dass dahinter ebenfalls eine Sammelbeschäftigung steckte, war mir hingegen egal.
Klingentanz
Mit Nioh hat Team Ninja eine eigenständige Abwandlung des Genres der Souls-likes gefunden, welches für die nachfolgenden Spiele des Studios als Kernmechanik gedient hat. Wer die vergangenen Titel des Studios gespielt hat, wird also wissen, was in Rise of the Ronin wartet. Wem die Kämpfe bisher zu anstrengend waren, darf sich freuen, denn der hohe Schwierigkeitsgrad der brachialen Nahkämpfe wurde etwas entschärft. Zu Spielbeginn kann man nicht nur zwischen drei Schwierigkeitsgraden wählen, auch im Spielverlauf kann man diesen den eigenen Fähigkeiten hin anpassen. Auch gibt es eine ganze Reihe von Optionen zur Barrierefreiheit sowie Quality-of-Life-Anpassungen, die das Gameplay innerhalb und außerhalb der Kämpfe angenehmer gestalten. Wer eine Herausforderung möchte, erhält diese dennoch auf dem höchsten Schwierigkeitsgrad.
Noch mehr als je zuvor ist das Kampfsystem auf defensives Spielen ausgelegt. Natürlich kann man mit Katana, Odachi, Speer und Co. offensiv auf die Gegner zulaufen und diese malträtieren. Man wird aber schnell merken, dass diese Herangehensweise schon auf dem mittleren Schwierigkeitsgrad nicht sonderlich erfolgreich sein wird. Stattdessen wollen Angriffe im richtigen Moment pariert werden. So senkt man die Ausdauerleiste des Feindes und ist diese einmal unten, kann man zum mächtigen Gegenschlag ausholen. Das simple Blocken oder Ausweichen ist ebenfalls eine Option, verbraucht aber eigene Ausdauer.
Ich liebe dieses stark auf Kontern ausgelegte Kampfsystem und finde, Team Ninja hat hier noch einmal ordentlich zugelegt. Es tut dem Spiel gut, dass auch innerhalb der Kämpfe die Fantasy-Elemente auf ein Minimum reduziert wurden. Es fliegen keine Geister mehr durch die Gegend, Spezialangriffe ballern den Bildschirm nicht mehr mit Partikeln und Farben voll. Das sorgt für viel mehr Übersicht als zuletzt noch in Wo Long: Fallen Dynasty. Dieses mochte ich zwar auch, aber es war mir irgendwann zu viel, was auf dem Bildschirm abgeht. Meine Augen sind eben auch nicht mehr die jüngsten.
Japanische Tradition trifft auf westliche Brachialität
Dennoch haben es die Entwickler noch immer nicht geschafft, mit anderen bekannten Problemen aufzuräumen. Die Kamera in engen Räumen ist wie gehabt ein Gegner für sich. Schlimmer wird es, wenn man in engen Räumen mit mehreren Gegnern gleichzeitig kämpfen muss. Wenn man dann auch noch zwei Begleiter dabei hat (diese können sowohl von der KI gesteuert als auch in Form von anderen Spielerinnen und Spielern online eingeladen werden), ist es mit der Übersicht schnell vorbei.
Im Gegensatz stehen spannende Neuerungen im Gameplay. Pfeil und Bogen und Shuriken werden durch westliche Schusswaffen in Form von Revolvern und Gewehren ergänzt. Letztere sind vor allem im Fernkampf praktisch, da man mit einem gezielten Kopfschuss Gegner sofort aus dem Spiel nehmen kann. Revolver hingegen sind eine gute Variante, um im Nahkampf einen Gegner kurzzeitig auf Abstand zu halten, zusätzlichen Schaden an der Ausdauerleiste vorzunehmen oder um Angriffe zu unterbrechen. Bei den Nahkampfwaffen gibt es ebenfalls Neuzugänge. Am spannendsten finde ich das Bajonett, mit welchem man sowohl zuschlagen, als auch schießen kann. Nicht zuletzt, da jede Nahkampfwaffe auch noch zig verschiedene Spezialangriffe besitzt und man sich in verschiedeneren Haltungen führen kann, ergibt sich ein angenehm komplexes Kampfsystem mit vielen Möglichkeiten.
Der Ronin mit dem Flammenwerfer
Auch außerhalb der Kämpfe gibt es Neues zu verkünden. Die Spielwelt kann man nicht nur auf einem Pferd bereisen, sondern auch mit einem Gleiter. Diesen bekommt man bereits ziemlich früh im Spiel und kann mit diesem schnell von hohen Höhen in andere Areale gelangen. Das Sichtbar machen von Gegnern durch Wände, wird jetzt ebenfalls ermöglicht. Anders als in Assassin´s Creed und Co. ist dies hier aber keine übernatürliche Fähigkeit, sondern wird durch ein Item ermöglicht. Dieses erhält man von Igashichi Iizuka, einem Erfinder, der im Rahmen einer Nebenquest auch noch eine an einen Flammenwerfer erinnernde Waffe spendiert.
Was die Nebenquests angeht, so kann man diese übrigens in gut und schlecht unterteilen. Gut ist alles, was mit einer der prominenten Nebenfiguren zu tun hat. Das Missionsdesign ist zwar nicht immer grandios und beschränkt sich wie fast alle Herangehensweisen an Probleme (Schwert ziehen, Gegner töten), wird aber immerhin von einer kleinen Handlung begleitet und lässt mehr Zeit mit den durchaus interessanten Figuren verbringen. Wo diese nicht in einer Nebenhandlung auftauchen, muss man sich nahezu immer auf langweilige Fetch-Quests einstellen.
Pro & Kontra
- wuchtiges Kampfsystem, welches dank neun unterschiedlicher Waffenarten viel Tiefgang und Möglichkeiten bietet
- spannendes Setting, in welchem man auf viel Geschichte und historische Persönlichkeiten trifft
- an Nebenfiguren gebundene Quests werden mit kleinen Geschichten unterfüttert
- packende Bosskämpfe mit angenehmer Lernkurve
- mitunter schön inszenierte offene Welt
- trotz schöner Orte, ist die offene Welt wenig dynamisch und schwankt visuellen Darstellung der drei Hauptgebiete
- öde Fetch-Quests und Open World Aktivitäten (Schießübungen etc.)
- Team Ninja hat das inflationäre Loot-System der "Vorgänger" übernommen