Paranoia Agent REZENSION
Kindisch, gerne mal sexistisch und nicht wirklich ernst zu nehmen – oftmals haftet an Anime der Ruf, das sie nicht sehr viel mehr als seichte Unterhaltung mit geringen Anspruch sind. Dass es aber auch in der japanischen Animationskunst komplexes Storytelling und die Behandlung von ernsten Themen, ja gar Gesellschaftskritik gibt, das weiß jeder, der sich einigermaßen mit dem Medium auseinandersetzt und bereit ist über den Tellerrand zu blicken.
Einer, auf den das Oben genannte zutrifft, ist der mittlerweile leider verstorbene Satoshi Kon. Egal ob seine Weihnachtsgeschichte der etwas anderen Art (Tokyo Godfathers) oder seine kritische Auseinandersetzung mit der japanischen Unterhaltungsindustrie (Perfect Blue): Kon wollte sein Publikum mit gesellschaftlichen Problemen konfrontieren, es intellektuell herausfordern und zum Nachdenken animieren. Davon zeugt auch seine einzige TV-Produktion Paranoia Agent, die nun endlich in Blu-ray Fassung neu auf dem deutschen Markt veröffentlicht wurde.
Wer ist Shōnen Bat? Was ist Shōnen Bat?
Die Handlung von Paranoia Agent beginnt zunächst wie ein klassischer Crime-Thriller. Die junge und durch ihre Erfindung der Figur Maromi äußerst populäre Designerin Tsukiko Sagi wird eines Abends auf ihrem Nachhauseweg hinterrücks angegriffen. Sie beschreibt den Täter als vermutlich juvenil, auf goldenen Rollerblades unterwegs und mit einem zerschmetterten, ebenfalls goldenen Baseballschläger bewaffnet. Die mit dem Fall betrauten Polizisten Keiichi Ikari und Mitsuhiro Maniwa glauben der Geschichte zunächst nicht zurecht, bis sich weitere Fälle häufen und die Öffentlichkeit und Medien auf den Zug aufspringen. Schon bald ist der schlicht Shōnen Bat genannte Täter in aller Munde und wird zum regelrechten Mysterium. Was steckt hinter ihm?
In insgesamt 13 Episoden entsinnt Satoshi Kon eine nach und nach immer weiter ins Bizarre abdriftende Handlung, die nicht ganz zu unrecht mit den Werken eines David Lynch verglichen wird. Denn auch in Paranoia Agent spielen Themen wie der unbequeme Blick hinter die Fassade, psychische Erkrankungen, Neid und Missgunst, aber eben auch Verrohrung und Medienhysterie eine wichtige Rolle. Obwohl sich die Serie mit visuellen Gewaltspitzen zurückhält, so ist jede Episode ganz schön harter Tobak und das Gezeigte nicht immer ganz leicht zu schlucken.
Grandiose erste Hälfte, aber danach…
Angesichts der behandelten Themen ist es wohl umso erstaunlicher, dass Paranoia Agent eine regelrechte Suchtspirale auslöst. Zumindest mir ist es so ergangen, dass ich gar nicht mehr aufhören konnte und die erste Hälfte der Serie an einem Stück weggeguckt habe. Das Niveau der ersten sieben Folgen ist derart hoch, das ich fast gewillt bin von einem Meisterwerk zu sprechen. Umso tiefer ist der qualitative Abfall in der zweiten Hälfte und umso gedämpfter der Rückblick auf die Serie als Gesamtwerk.
Denn ab der achten Folge findet ein krasser narrativer und zuweilen auch stilistischer Bruch statt. Nicht nur werden (positiv) verschiedene Zeichenstile probiert und ausgetauscht, auch werden die vorherigen Protagonisten zunächst aus dem Fokus der Erzählung genommen (negativ). Fortan fungieren die einzelnen Episoden als in sich abgeschlossene Handlungen und tragen nur am Rande noch zum großen Ganzen etwas bei. Zwar kann ich die Intention von Kon nachvollziehen und finde die eigentliche Idee Shōnen Bat noch mehr als urbanen Mythos, der im wahrsten Sinne des Wortes ein Eigenleben annimmt, zu stilisieren zunächst reizvoll. In der Umsetzung funktioniert das aber nur bedingt und es hätte genügt, dieses Experiment für maximal zwei Episoden zu versuchen.
Stattdessen verläuft sich die Handlung aber immer mehr ins Unsinnige und man hat schon fast das Gefühl Kon wollte mit abgehobener Bildsprache und immer weiteren Mysterien etwas in Paranoia Agent projizieren, was es gar nicht gebraucht hätte. Das Konzept geht leider nicht auf und führt auch zu einem nicht ganz zufriedenstellenden Ende, welches im Kontext der Handlung aber funktioniert.
Makelloses Seherlebnis
Die nun von KAZÉ Anime veröffentlichte Gesamtausgabe bringt Paranoia Agent erstmals ins Blu-ray Format zu uns. Gerade ein visuell so umfangreicher Anime wie der Vorliegende profitiert von dem schärferen Bild ungemein, auch wenn für mein Empfinden wohl nicht auf das originale Master zurückgegriffen wurde/werden konnte. Denn an manchen Stellen wirkt das Bild etwas körnig und nicht ganz auf der Stufe mit aktuellen Veröffentlichungen. Andererseits haben wir es hier ja auch mit einem Anime von 2004 zu tun, weshalb kleine Unfeinheiten im Bild verziehen werden dürfen. Die Animationen stammen übrigens von dem mir sehr lieb gewonnenen Studio Madhouse. Dieses ist gerade im Bereich der Psycho-/Mysterie- Anime ein echter Garant und schafft es meiner Meinung nach wie kein zweites Studio Abgründe und Wahnsinn zu visualisieren. Insbesondere die entrückten Gesichtsanimationen oder auch das hypnotische Intro schaffen es bei mir, ein Gefühl des Unwohlseins hervorzuholen.
Bei der Synchronfassung gibt es wie üblich die Wahl zwischen deutscher und japanischer Sprache. Die deutschen Sprecher machen ihre Arbeit sehr gut und das Casting der Sprecher ist in sich stimmig, wer das Original bevorzugt, greift hingegen zu der japanischen Tonspur mit optionalen Untertiteln. Das Tonformat liegt in DTS-HD 2.0 vor.
Neben dem wirklich sehr schönen Schuber, liegen den beiden Blu-ray´s noch acht Postkarten, ein Poster und ein Episodenguide bei. Als Extras auf den Silberlingen finden sich leider nur Trailer. Die Gesamtlaufzeit beträgt 325. Minuten.
Fazit
Lange schon stand Paranoia Agent auf meiner To watch Liste und letztlich bin ich sehr froh, dass ich mich diesem Werk endlich angenommen habe. Ja, die zweite Hälfte ist teilweise ziemlicher Murks und hätte aus meiner Sicht andere Schwerpunkte verfolgen sollen. Dafür sind die ersten sieben Folgen mit das Beste, was man im Genre der Psycho-Thriller in einem Anime finden kann und entschuldigen gut für die strauchelnde zweite Hälfte. Insgesamt wird der Gesamteindruck durch den nicht ganz so runden Abgang zwar etwas gemildert, aber das sollte nicht davon abhalten, dass man Paranoia Agent eine Chance gibt. Die Heimkinoumsetzung auf der anderen Seite erlaubt sich keinerlei Fehler und liefert den gewohnt hohen Standard, den man vom Verleiher KAZÉ gewohnt ist.