Paradise Killer REVIEW

Wenn von einem „Exploration Game“ die Rede ist, schellen bei vielen Spielern umgehend die Alarmglocken, denn oftmals gibt es in diesen Spielen gar nicht viel zu entdecken und das Ganze artet dann in faden Herumgelatsche aus, welches von einer pseudo-hochtrabenden Story zusammengehalten und mit hübscher Grafik garniert wird. Die beiden erfahrenen UK-Spieleentwickler Oli Clarke Smith und Phil Crabtree beschlossen wohl, dass daran schleunigst etwas geändert werden muss und gründeten ihr Indie-Studio „Kaizen Game Works.“ Ihr erstes Spiel trägt den Titel Paradise Killer und erschien am 04. September 2020 als Download für den PC und die Nintendo Switch.

Bei Paradise Killer handelt es sich um ein Spiel, welches die Bezeichnung „Exploration Game“ auch wirklich verdient hat und trotz seines abgedrehten Settings und schräger Charaktere im Kern einfach nur eine handfeste Murder Mystery-Handlung bietet, welche die Suche nach Indizien und Beweisen, und somit auch die ausgiebige Erkundung der Spielwelt rechtfertigt. Doch ich greife vor. Was dieses Schmuckstück aus der Indie-Trickkiste so alles zu bieten hat, soll folgender Test verraten.

Kosmische Gottheiten, Unsterblichkeit, synthetische Taschendimensionen … Ach ja, einen Massenmord gibts auch noch

Die grobe Handlung von Paradise Killer ist einfach zu erklären, beim Sagengut wird es hingegen mächtig kompliziert und abgedreht. Wir befinden uns auf der synthetischen Insel „Island Sequence 24.“ Warum 24? Nun, weil es bereits die 24te Variante einer Art Taschendimension ist, welche als Schlupfwinkel für das „Syndicate“ dient. Das Syndicate ist eine Gruppe von Menschen, welchen kosmischen Gottheiten huldigen, von denen Einige vor Urzeiten der Erde einen Besuch abstatteten und vergeblich versuchten die Menschheit zu versklaven. Doch selbstverständlich gibt es auch jene Knallköpfe, welche es eigentlich ganz dufte finden grausamen, zerstörerischen Alien-Göttern zu dienen und bei deren Wiederauferstehung zu helfen. Vor allem dann, wenn sie von ihren Gottheiten mit relativer Unsterblichkeit, Superkräften und futuristischer Technologie gesegnet werden.

Jene Menschen sind die heutigen Syndicate-Mitglieder. Und diese haben ihre Schlupfwinkel-Taschendimension über die Jahrtausende hinweg stetig weiterentwickelt, um diese weniger anfällig gegenüber feindlicher Zugriffe von Dämonen zu machen. Dämonen stellen nämlich auch für Jünger kosmischer Gottheiten eine tödliche Bedrohung dar. Natürlich müssen für die Infrastruktur der Taschendimensions-Inseln jede Menge Erdlinge als Arbeitssklaven herhalten, aber welchen gestandenen Unsterblichen kümmern schon solche Kleinigkeiten?

10 Jahre vor Spielbeginn wurde ein Dämon vom halbstarken Sklaven Henry Division beschworen. Dieses Ereignis läutete den Anfang vom Ende für Island Sequence 24 ein. Doch alles nur halb so wild, denn Taschendimension Nr 25, genannt „Perfect 25,“ ist beinahe fertiggestellt und die Evakuierung der Syndicate-Mitglieder und die Massenopferung der Sklaven ist nahezu abgeschlossen. Doch dann geschieht das Unfassbare: Die gesamte politische Führung des Syndicates (8 Personen) wird kurz vor dem Abschluss der Evakuierung ermordet. Um eine neue Taschendimension zu vollenden, muss die Führung nämlich ein Meditationsritual vollführen und ist daher gezwungen als Letzte zu flüchten. Diesen Umstand hat sich wohl jemand zu nutze gemacht, um einige alte Rechnungen zu begleichen.

Ironischerweise ist niemand geringeres als Henry Division der Hauptverdächtige, gelang ihm doch kurz zuvor der Gefängnisausbruch, welcher in der Festnahme des mit dem Blut der Politiker verschmierten Besessenen endete. Jedoch ist die Justiz des Syndicates eindeutig: Niemand darf einfach so hingerichtet werden. Erst wenn ein offizieller Ermittler die Schuld als Wahrheit beweisen kann, dürfen Hinrichtungen oder auch Verbannungen durchgeführt werden. Dummerweise befindet sich aufgrund der Evakuierung aber nur noch eine Person auf Island Sequence 24, welche für den Job als Ermittlerin in Frage kommt. Die Rede ist von Lady Love Dies, einer Verbannten, welche bereits seit über 8.000 Jahren im goldenen Exilknast schmort. Die Lady war verantwortlich für den Untergang von Island Sequence 13, da sie sich von einer Gottheit hat umgarnen lassen, und das obwohl sie Anführerin einer Syndicate-Spezialabteilung war, welche genau solche illegalen, da gefährlichen Szenarien ja eigentlich verhindern sollte. Peinlich, peinlich. Doch jetzt bekommt sie vom Richter der Insel endlich die Amnestie. Allerdings mit der Auflage, dass sie den Schuldigen des oben geschilderten Massenmords entlarvt.

Abgesehen vom „Zivilisten“ (so werden die Sklaven genannt) Henry gibt es noch acht Syndikatsmitglieder auf der Insel, welche als Täter in Frage kommen könnten. Sollte Lady Love Dies ihre Arbeit ernst nehmen und den Täter schnappen wollen, wird sie sich mit allen Verdächtigen befassen und auf Spurensuche gehen müssen. Die Tatsache, dass einige der Verdächtigen zu ihrem damaligen Freundeskreis gehören, macht die Sache auch nicht einfacher. Na immerhin bekam Love Dies eine Segnung als Unterstützung mit auf den Weg: Sie kann jetzt springen wie Super Mario und erleidet keine Verwundungen durch Fallschaden – ist ja nicht so, als ob das Spiel nicht schon seltsam genug wäre. 😉

Dementsprechend lass ich die eben getätigte Erläuterung zur Story auch einfach mal unkommentiert auf euch wirken. :p

Relaxte Inselerkundung, Ermittlungsarbeit und Hinrichtungen als Bonus obendrauf!

Nachdem die ersten Einführungsschritte in und vor dem Luxusknast, sowie das klärende Gespräch mit dem Richter abgewickelt wurden, werdet ihr quasi ohne Einschränkungen auf Island Sequence 24 losgelassen. In welcher Reihenfolge ihr euch mit den Verdächtigen befasst oder inwiefern ihr die Erforschung der Insel angehen möchtet, ist dabei einzig und allein euch überlassen. Ziel ist es natürlich möglichst viele Beweise und Zeugenaussagen für die Gerichtsverhandlung zu beschaffen, aber selbst das ist eigentlich rein optional. Paradise Killer erlaubt dem Spieler nämlich die Gerichtsverhandlung jederzeit zu starten. Natürlich wird dabei ohne Vorarbeit nichts interessantes herauskommen, also heißt es auf gemütliche Erkundungstour zu gehen, denn lästige Dinge wie Zeitdruck oder Gefahren sind im Spiel nicht vorhanden. Wer gründlich ermittelt und erkundet, kann dank der wohl dosierten Größe der Insel auch locker eine Spielzeit von 15-20 Stunden einplanen.

Und da möchte ich gleich noch erwähnt haben, dass der Aufbau der Insel extrem hochwertig ist! Diese wurde in liebevoller Handarbeit gestaltet und entfaltet eine unerwartet logisch aufgebaute Spielwelt (unterschiedliche Stadtviertel für Arm und Reich, Industriegebiet, Kraftwerk etc.), welche obendrein haufenweise an Gegenständen zum sammeln bietet. Das Spiel erlaubt dabei auch ein vorbildliches Maß an Freiheit. Ihr wollt eines der riesigen Bauwerke erklimmen? Dann strengt euch an, denn die Wahrscheinlichkeit, dass ihr aufs Dach gelangen könnt ist sehr sehr hoch! Hier wird eben nicht nur im Schnarchtempo rumgelatscht, sondern auch gesprungen, gerannt und gekrochen. Und wem das nicht ausreicht, der kann für die Lady auch noch einen Doppelsprung, einen Air-Dash und eine Hotspot-Anzeige freischalten. Und damit kommt man dann wirklich fast überall hin. Lediglich das kühle Nass bleibt einem verwehrt. Ein Sturz in tiefes Wasser wird grundsätzlich mit einer Schwarzblende zum nächsten Schnellreise-Automat quittiert. Letztere dienen auch als Speicherpunkte und wurden in fairer Regelmäßigkeit über die Insel verteilt. Die Beschränkung auf lumpige drei Saveslots nervt jedoch.

Weiterhin nervt, dass man für die Schnellreise bezahlen muss. Überall im Spiel liegen die sogenannten „Blood Crystals“ herum. Diese sind das Zahlungsmittel der Insel. Und es gibt auch eine Menge Dinge für die man die Crystals ausgeben kann, wie eben das Schnellreise-System, die Upgrades in Form von Fußbädern, Informationen, Getränke und weiteres.

Zur Orientierung gibt es eine eher nutzlose Inselkarte im Ingame-Menü sowie eine Art NPC-Radar, mit dem man den Standort und die Entfernung eben dieser hervorheben kann – nützlich! Auch bereits entdeckte aber noch ungehackte Computersysteme werden hierdurch visualisiert. Und ja, es gibt ein Hacking-Minigame, welches jedoch sehr simpel gehalten ist und entsprechend langweilt. Hier muss man vorgegebene Piktogramm-Bildchen aus deren Schnipseln zusammensetzen. Auch das Hacking-Programm kann mit bis zu drei Upgrades verbessert werden, damit man auch hartnäckige Systeme knacken kann. Darüber hinaus gibt es noch drei, vier Schalterrätsel im Spiel zu finden. Das ist aber nichts was vom Hocker reißt. Es ist eben ein reines Erkundungsspiel und kein Adventure.

Aber mehr als Erkundung wird auch nicht benötigt um die Faszination des Spielers zu wecken. Viele Sammelgegenstände sind zwar eigentlich nutzlos, gewähren aber einen kleinen Sagengut-Text oder eine kurze Gesprächssequenz zwischen zwei anonymen Syndikatsmitgliedern auf Paradise 25. Und wenn man am Ball bleibt stolpert man auch mal über handfeste Beweise für den anstehenden Prozess. Dieser ist natürlich das große Highlight im Spiel und wird, je nach Gründlichkeit des Spielers, auch sehr umfangreich, akribisch und vor allem verdammt befriedigend gehandhabt. Und das, obwohl man hier nicht mehr tut, als den Verdächtigen seiner Wahl zu präsentieren und die Beweise und Aussagen via Textbox-Auswahl vorzutragen. Nein, ein Phoenix Wright dürft ihr hier nicht erwarten, aber das habe ich hier auch ehrlich gesagt zu keiner Sekunde vermisst. Übrigens haben die Ermittler des Syndicates auch noch eine Doppelfunktion als Scharfrichter.

Grafik und Sound

Auf Basis der Unreal 4-Engine haben die Entwickler einen faszinierenden Vaporwave-Fiebertraum geschaffen, welcher den 80er Jahre Miami Vice-Flair mit bizarren Statuen kosmischer Gottheiten, blutgetränkten Tempelanlagen, Pyramiden und pompöser Bauwerke garniert. Kritisch betrachtet entsprechen viele Texturen nicht dem, wozu die Unreal 4-Engine in der Lage ist, aber der spezielle Stil und die faszinierende Farbwahl, die obendrein von einem Tag- und Nachtzyklus untermauert wird, fegt jegliche Bedenken umgehend beiseite.

Eigenwillig sind die Charaktermodelle, welche in striktem 2D gehalten sind und somit der stylischen 3D-Umgebung spotten. Allerdings kann dafür das Artwork der Charaktere überzeugen, welches sehr stark vom Hit-Anime JoJo’s Bizarre Adventure inspiriert scheint und entsprechend markant und erinnerungswürdig ausfällt. Und da es nur verhältnismäßig wenige NPCs in der Spielwelt gibt, fallen deren unbeholfenen 2D-Sprites auch nicht stark ins Gewicht.

Der Soundtrack ist eine sehr attraktive Mischung aus City Pop und Vaporwave. Er passt super zum Setting und wurde sogar logisch in die Spielwelt eingebaut. Auf der Insel wurden nämlich zahlreiche Lautsprecher installiert und der OST des Spiels schallt auch tatsächlich aus eben diesen Lautsprechern. Entfernt man sich von den Lautsprechern verringert sich dann auch die Lautstärke des OSTs – genial! Ebenso clever ist die Tatsache, dass man sich Stück für Stück einen Soundtest freispielen kann, indem man die Musikkassetten der Tracks aus Ingame-Funktürmen stibitzt. Eine derartige Liebe zum Detail ist verdammt eindrucksvoll!

Weniger Eindrucksvoll ist jedoch die Sprachausgabe. Diese wurde nämlich nur sehr abgehackt integriert. Die Charaktere verfügen allesamt über eine handvoll synchronisierter Sprüche und Sätze, welche dann teilweise sehr beliebig in den Textbox-Dialogen abgespielt werden. Ich habe irgendwo gelesen, dass dies eine gängige Praxis in Anime-Games sei, um Synchronisationskosten zu sparen. Aber wie dem auch sei, da der Dialogtext von Paradise Killer jetzt gar nicht mal soo umfangreich ausfällt, ist eine derart mickrig angesetzte Synchro schon ein größerer Schwachpunkt – eigentlich sogar der einzige ernsthafte Schwachpunkt im gesamten Spiel. Aber immerhin kann man sich anhand der Stimmen ein besseres Bild von den Charakteren machen. Eine eventuelle Fortsetzung sollte bei der Synchro aber ordentlich die Schrauben ansetzen. Übrigens gibt es für Paradise Killer keine deutsche Übersetzung. Englischkenntnisse sind also von Vorteil.

Pro & Kontra

thumbs-up-icon

Pros
  • herrlich kreative Spielwelt und Sagengut
  • der Erforschungs-Aspekt wurde dank einer liebevoll aufgebauten Spielwelt und flexiblen Charakter-Moves exzellent hervorgehoben
  • haufenweise von Sammelgegenständen belohnen die Erkundung
  • coole Vaporwave-Ästhetik und -Soundtrack
  • großer Umfang von 15-20 Stunden
  • sehr befriedigende Abschluss-Gerichtsverhandlung

thumbs-up-icon

Cons
  • sehr abgehackte Sprachausgabe. Es wurden nur einzelne Sprüche und Sätze synchronisiert was sehr seltsam und billig wirkt
  • der Adventure-Anteil wird zwar anhand eines Hacking-Minigames und einiger Schalterrätsel geteasert, aber mehr als das sollte man nicht erwarten
  • keine Achievements

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Spiel Bewertung
Singleplayer
90
90
Super
-
Multiplayer

FAZIT

Ich glaube nicht, dass ich mich weit aus dem Fenster lehne, wenn ich mutmaße, dass Paradise Killer das beste Spiel sein wird, welches ich dieses Jahr gespielt habe. Hier haben wir endlich mal ein Exploration Game, welches den Spieler auch wirklich mal erkunden lässt, statt ihn mit einem glorifizierten virtuellen Spaziergang zu konfrontieren. Das Spiel ist der Beweis, dass das noch junge Genre der Erkundungsspiele wesentlich mehr Potential zu bieten hat, als bislang geboten wurde. Dabei macht Paradise Killer eigentlich im Grunde genommen nicht mehr, als die Erkundung mit einigen Elementen aus 3D-Platformern anzureichen. Wenn bereits ein halbwegs solides Jump-System in Kombination mit allerlei Sammelobjekten einen derartigen Mehrwert an Spielspaß einbringt, will ich nicht wissen, was man sonst noch aus dem Genre machen kann! Natürlich bietet Paradise Killer noch viele weitere Vorzüge, wie eine liebevoll und logisch aufgebaute Spielwelt, ein herrlich abgedrehtes und überraschend düsteres Sagengut, die coole Vaporwave-Ästhetik und schriller Anime-Modegeschmack. Unter Strich ist Paradise Killer ein echter Überraschungshit innerhalb seines Genres. Ein Pflichtkauf für jeden, der Erkundungsspiele und Indie-Kreativität zu schätzen weiß.

- Von  Volker

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