Mittelerde: Schatten des Krieges REVIEW
Das Spielejahr 2014 war geprägt vom Ende der alten und dem Übergang in die neue Konsolengeneration. Entsprechend erhielten PlayStation 3 und Xbox 360 keine Exklusivkracher mehr spendiert, stattdessen gab es viele Großproduktionen, die zwischen den Generationen wandelten und sowohl für PS3/PS4 als auch Xbox360/Xbox One veröffentlicht wurden. Eines dieser Spiele war Mittelerde: Mordors Schatten, welches eine eigenständige Geschichte im vom J.R.R. Tolkien erdachten Kosmos erzählte und sich spielerisch an der Open-World versuchte. Das aus dem Hause Monolith (F.E.A.R.) stammende Spiel überraschte viele, vielleicht auch wegen der eher belanglosen Konkurrenz und einer Erwartungshaltung, die angesichts der eher mäßigen Umsetzungen des Herr der Ringe Stoffes der vorherigen Jahre niedrig angesetzt war. Beim jüngst erschienenen Mittelerde: Schatten des Krieges standen die Rahmenbedingungen hingegen anders, die Erwartung war vergleichsweise hoch und die Kontroverse im Vorfeld aufgrund der Einbindung von Mikrotransaktionen und Lootboxen aufgeladen. Leidet darunter das Endprodukt?
Offiziell abgesegnete Fancfiction
Schatten des Krieges setzt unvermittelt nach den Ereignissen von Mordors Schatten an: Waldläufer Talion ist noch immer mit dem Geist des Elbenschmiedes Celebrimbor verbunden, der einst den Einen Ring für Sauron fertigte und diesem somit die Grundlage seiner schier grenzenlosen Macht in die Hände legte. Dieser führt seinen unaufhaltsamen Marsch gen Mittelerde derweil fort und steht mittlerweile vor den Toren der Festung Minas Ithi, indessen Inneren sich das mächtige Artefakt Palantir befindet. Um zu verhindern, das Sauron seine Macht ausbauen kann, stellen sich Talion und Celebrimbor einmal mehr dem dunklen Herrscher und seiner Armee entgegen…
Die oftmals wirre und wenig nachvollziehbare Handlung war einer der großen Kritikpunkte am Vorgänger. Diesen Unkenrufen haben sich die Entwickler angenommen und diesmal merklich einen stärkeren Fokus auf eine kohärent erzählte Geschichte gelegt. Diese verliert sich dennoch immer noch viel zu häufig in zig Nebenhandlungen und -schauplätzen, schmeißt mit bekannten und weniger bekannten Figuren und Referenzen um sich, ohne daraus wirklich eine in sich stimmige Narration zu stricken. Das dürfte nicht nur Spieler verwirren, die sich mit der Lore des Tolkien Universums nicht allzu gut auskennen, sondern auch eingefleischte Fans ein wenig ratlos zurücklassen. Diese könnten sich zusätzlich an der Art und Weise stören, wie Schatten des Krieges mit dem zugrunde liegenden Werk und den dort festgelegten Grundlagen umgeht. Ein neuer Ring, der jetzt einfach mal aus der Taufe gehoben wird ist nämlich ebenso großer Humbug wie die gezwungen laszive Darstellung von Kankra, die sich von der ekligen Riesenspinne der Romane zur menschlichen Frau gewandelt hat und im knappen Kleidchen Talion bezirzt.
Same, but a little different
Am grundlegenden Konzept hat sich zwischen den beiden Mittelerde Spielen nicht allzu viel getan. Warum auch, schließlich war dieses schon im Vorgänger rund und – wenn auch sicherlich weit davon entfernt perfekt zu sein – in sich stimmig. Dennoch haben die Entwickler angesetzt und verschiedene Mechaniken verfeinert und ausgebaut. Dazu zählt insbesondere das Nemesis-System, jenes Feature, welches schon beim Erstling das Verkaufsargument schlechthin war und auch in Schatten des Krieges der unübertroffene Star ist.
Hinter dem Nemesis-System steckt eine Mechanik, mit der Talions Widersacher per Zufall mit individuellen Persönlichkeiten, Schwächen und Stärken zusammengestellt werden. Dies betrifft insbesondere die Offiziere von Saurons Armee, die sich vor allem aus Urks und Trollen zusammensetzen, und die nicht nur bei Erscheinen auf dem Bildschirm ihr Dasein fristen, sondern auch im Hintergrund agieren und quasi ihrem eigenen Ablauf nachgehen. So werden beispielsweise auch gerne mal Intrigen und Verrat geschmiedet, ohne das der Spieler davon direkt etwas mitbekommen muss. Wird Talion von einer Grünhaut getötet, so steigt der entsprechende Kämpfer im Rang und innerhalb der Ork-Gesellschaft auf. Selbst zuvor namenlose Fußsoldaten machen sich so einen Namen und nehmen innerhalb der orkschen Sozialstruktur eine wichtige Stellung ein. Durch diese Mechaniken wirkt die Welt lebendig und von Einflüssen geprägt, die nicht nur direkt vom Spieler ausgehen. Diese über weite Strecken sehr glaubhaft inszenierte Illusion macht viel vom Reiz des Spiels aus.
Deine Festung? Meine Festung!
Ab dem zweiten (von insgesamt drei) Akten gewährt euch Schatten des Krieges die Möglichkeit eure eigene Armee aufzubauen. Offiziere können eben nicht nur im Kampf getötet, sondern durch die manipulativen Fähigkeiten von Celebrimbor auch auf die eigene Seite gezogen und zu Verbündeten gemacht werden. Je mehr Orks ihr um euch schart, desto stärker wird eure Vormachtstellung in Mordor. In Arenakämpfen werden die Fähigkeiten eurer Krieger ausgebaut, außerdem könnt ihr einen persönlichen Leibwächter ernennen und Krieger im Kampf zur Hilfe rufen.
Der Aufbau der eigenen Streitmacht gipfelt schließlich in den Eroberungen von gegnerischen Festungen. Diese sind phasenweise aufgebaut und benötigen in der Regel ein bisschen Vorlauf. Bestenfalls habt ihr zuvor die Hauptmänner der Festung ausgeschaltet und dadurch deren Verteidigungsanlagen geschwächt. Beim Angriff selbst müssen verschiedene Checkpoints erreicht und erobert werden, im letzten Teil steht schließlich der Kampf gegen den obersten Herrscher der Burg. Ist dieser gelegt, so fallen Festung und das umliegende Gebiet in die Hände von Talion.
Belangloses Überangebot in Mordor
Der Aufbau einer eigenen Armee, der Sturm auf die verschiedenen Festungen und das im Vorder- und Hintergrund agierende Nemesis-System machen mir selbst nach mehreren Dutzend Spielstunden noch enorm viel Spaß und täuschen über lange Zeit gut über manche Schwächen im Open-World Design weg. Hier ist Schatten des Krieges nämlich erneut nicht mehr als gutes Mittelmaß. Die vielen Haupt- und Nebenmissionen kommen selten über den Eindruck „nett“ hinaus, die unzähligen Sammelaufgaben und Herausforderungen sind auch nicht viel mehr als eine Beschäftigungstherapie. Zusammengehalten wird das Ganze von dem nach wie vor befriedigenden Kampfsystem, welches sich wie gehabt am Freeflow Combat von Rocksteadys Batman Spielen orientiert und wunderbar flüssige Gefechte auf den Bildschirm zaubert. Der spielerische Anspruch ist hier eher gering, hat man einmal den Bogen raus und kombiniert gekonnt Angriffe mit Kontern und Spezialaktionen fühlt man sich dennoch wie ein allmächtiger Orkschlitzer.
Wie so viele Sandbox-Spiele dieser Tage, so leidet also auch das virtuelle Mordor ein wenig am eher belanglosen Überangebot. Bis zu einem gewissen Punkt absolviere ich die (Fleiß-)Aufgaben ja noch ganz gerne, irgendwann bin ich aber einfach übersättigt. Die mit zig Symbolen vollgepackte Karte, die nie enden wollende Missionsliste mit ihren offenen Aufträgen und die unzähligen Fähigkeiten im Talentbaum verstärken diesen Eindruck nur noch mehr. Warum nicht einfach mal einen Gang zurückfahren, eine kleinere Spielwelt bieten und diese dafür mit interessanteren Inhalten füllen?
Auch visuell hinterlässt Schatten des Krieges einen zweiseitigen Eindruck. Während innerhalb der Ork-Reihen große Vielfalt herrscht und gerade die Offiziere allesamt individuell gestaltet und mit einer eigenen Persönlichkeit ausgestattet wurden, so hinkt das die visuelle Präsentation der Welt ziemlich hinterher. Die insgesamt fünf Gebiete sind zwar thematisch unterschiedlich aufgebaut, gleichen sich abseits ihrer Schneelandschaften, dunklen Wälder und Lavagegenden stark und besitzen nur wenig Eigenständigkeit.
Ork in the box
Abschließend muss auch die im Vorfeld viel gescholtene Implementierung von Mikrotransaktionen und Beutekisten zur Sprache kommen. Für das Erledigen von Aufträgen und Herausforderungen und für das Besiegen von Offizieren erhaltet ihr immer wieder neue Ausrüstungsgegenstände, mit denen ihr Parameter von Rüstung und Waffen verstärkt. Sämtliche Gegenstände sind in verschiedenen Seltenheitsstufen kategorisiert und innerhalb des Spieles mehr als großzügig verteilt, zur Wahrheit gehört aber eben auch, das sie in Form von Lootboxen erworben werden können. Diese können mit der IngameWährung Mirian und mit Echtgeld gekauft werden. Neben besagten Items finden sich in den Kisten auch Orks, die ihr in eure eigene Armee eingliedern könnt, und Multiplikatoren, die euch etwa für eine gewisse Zeit mehr Erfahrungspunkte spendieren.
Sämtliche Beute aus den Kisten orientiert sich stets an der aktuellen Stufe von Talion, ihr werdet also zu keinem Zeitpunkt Gegenstände erhalten, die euch zum besagten Zeitpunkt übermäßig stark machen. Dadurch wird die Balance des Spieles nicht großartig beeinträchtigt. Problematisch: nach dem dritten Akt lockt im Endgame noch das „wahre Ende“. Um dieses zu Erreichen ist noch einmal ein hohes Zeitinvestment notwendig, nachvollziehbar also, das sich einige Spieler schließlich zum Kauf der Lootboxen genötigt fühlen könnten.
Persönlich habe ich eine solche Gängelung nie empfunden, allerdings ist schon ein Spieler, dem es anders ergeht, einer zu viel. Darüber hinaus wirkt sich die Einbindung von Mikrotransaktionen und Beutekisten auf das Spieldesign und die Immersion negativ aus und verleiht Schatten des Krieges einen Beigeschmack, auf den ich gut und gerne verzichtet hätte.