Metro Exodus REVIEW
Videospiele, die auf literarischen Vorlagen basieren, sind nach wie vor eine Seltenheit. Es ist aber nicht nur dieser Umstand, der die auf den Büchern von Dmitry Glukhovsky basierenden Metro-Spiele zu einer gewissen Einzigartigkeit verhilft. Die in einem Russland nach dem atomaren Krieg verorteten Spiele haben es bisher nämlich wunderbar verstanden, mit ihrem ganz eigenen Mix aus Endzeit und Einflüssen aus der slawischen Kultur und Geschichte den eigentlich ausgetrampelten Pfaden des Genres einen spannenden Gegenentwurf zu geben. Mit Metro Exodus verlassen Serienheld Artjom und das verantwortliche Studio 4A Games nun aber den Untergrund Moskaus und machen sich auf eine Reise quer durch Russland. Funktioniert das?
Sind wir wirklich die Einzigen?
Nach dem Krieg galt lange der Glaube, dass es außerhalb der Moskauer Metro kein menschliches Leben mehr gibt. Einzig Serienheld Artjom wollte nie so recht an dieses Narrativ glauben und begibt sich daher in der Hoffnung, irgendwo auf Spuren anderer Überlebender zu treffen, immer wieder an die Oberfläche – ganz zum Unmut seiner Freunde und Kameraden. Denn eigentlich sollte Artjom als Teil einer Sondereinheit die Bewohner der Metro vor den Gefahren von außen und innen schützen und nicht seine Zeit mit den vermeintlichen Hirngespinsten verplempern. Wie es der Storyschreiber von Metro Exodus aber nun einmal will, überschlagen sich in den ersten zwei Spielstunden die Ereignisse und Artjom findet nicht nur heraus, dass es tatsächlich Leben außerhalb von Moskau gibt, auch muss er gemeinsam mit seiner Frau Anna und weiteren Mitgliedern der Einheit aus der einstigen Hauptstadt fliehen und einen sicheren Platz suchen. Gut nur, das ihnen eine alte, aber noch sehr tüchtige Dampflok in die Hände gefallen ist. Mit dieser macht sich die kleine Gruppe fortan quer durch Russland auf.
Roadtrip durch das gar nicht so verstrahlte Russland
In den bisherigen beiden Spielen lautete die Devise stets: viel Untergrund, wenig Oberfläche. Bei Metro Exodus verhält es sich genau andersrum. Das ist gerade zu Beginn eine mehr als willkommene Abwechslung. Zwar finden Teile der Handlung zu Beginn und am Ende in den bekannten und wie eh und je ungemein atmosphärischen U-Bahnschächten statt, dazwischen darf sich Artjom aber erstmals für längere Zeit und meist ohne Gasmaske unter freien Himmel aufhalten und die ihm neue Welt erkunden. Man kann sich den Verlauf dabei wirklich wie einen spielbaren Roadtrip vorstellen, bei welchen man in einem trockenen Ödland etwa starke Fallout und Mad Max Vibes zu spüren bekommt, während sich in einem dichten Wald in der Taiga die Schönheit der vom Menschen entfesselten Natur offenbart.
Visuell sind die Orte immer wieder eine kleine Offenbarung, was nicht nur an der potenten Inhouse-Engine liegt, sondern auch an dem kreativen Umgang mit dem eigentlich ausgelutschten Thema der Endzeit und den regionalen Besonderheiten, die sich etwa in prächtigen Bauten der Sowjetzeit ausdrücken und nach wie vor für ein ganz eigenes Flair sorgen. Einzig die Wüstenregion fällt hier etwas raus und erinnert optisch leider zu sehr an andere Spiele aus dem Genre. Auch in spielerischer Hinsicht hat mir dieser Mittelteil nicht sonderlich zugesagt und fühlte sich daher sehr zäh an. Ziemlich zäh sind übrigens auch die Ladezeiten, die bei der mir vorliegenden PlayStation 4 Version teilweise über drei Minuten lang waren. Das gilt sowohl, wenn ich das Spiel neugestartet habe, als auch, wenn ich gestorben bin oder ein neues Kapitel begonnen hat.
Wesentlich positiver fällt der Verzicht auf eine komplett offene und zusammenhängende Welt aus. Statt einer ausufernden Open World, die mit unzähligen Fetch Quests und Sammelaufgaben vollgemüllt ist, eröffnen die Entwickler in jedem Kapitel ein neues Areal, welches mal größer, mal kleiner ausfällt und in welchen man sich mal mehr und mal weniger frei bewegen kann. Dadurch behalten die Entwickler über weite Strecken die Strippen in ihren eigenen Händen und inszenieren das Abenteuer erstaunlich geradlinig. Doch eben diese Linearität wirkt sich zeitweise durchaus positiv auf die Geschichte aus, dennoch haben Handlung und Inszenierung auch einige eklatante Schwachstellen.
Stimmungskiller
Sonderlich spannende Geschichten haben ja schon die Vorgänger nicht erzählt, stattdessen lebte Metro stets von der Atmosphäre und dem Setting und machte dadurch narrative Mängel weitestgehend vergessen. In Exodus wollen die Entwickler merklich mehr und haben den Anspruch, eine intime Geschichte zu erzählen. Gerade den zahlreichen Nebenfiguren wird viel Raum gegeben, sodass man immer wieder mit ihren Gedanken und Ansichten konfrontiert wird, was durchaus so etwas wie ein Gruppengefühl auslöst. Das große Problem an der Sache ist Artjom. Zum nunmehr dritten Mal bleibt der Protagonist nämlich stumm und überlässt das Reden den anderen, was die eigentlich dichte Stimmung viel zu oft kippen lässt. Panische Funkrufe werden an ihn adressiert? Artjom bleibt stumm. Seine Frau Anna denkt über die gemeinsame Zukunft und Kinder nach? Artjom bleibt stumm. Die Gruppe feiert ausgelassen und genießt die neu gewonnene Freiheit? Artjom bleibt stumm.
DieseDesignentscheidung stellt sich als absolut fatal für das gesamte narrative Konstrukt heraus. Die „Dialoge“ wirken absurd, wenn Artjoms Gegenüber letztlich Selbstgespräche führt, ganz geschweige, dass emotionale Momente aufgrund der fehlenden Interaktion durch Artjom gar nicht die Möglichkeit haben, eine Wirkung zu entfalten. Absurderweise hat Artjom ja sogar einen Sprecher, der aber nur in der Ladezeit zwischen den einzelnen Kapiteln kurz die jüngsten Geschehnisse rekapituliert. Ein weiterer Stimmungskiller ist die deutsche Vertonung, die immer wieder auch noch asynchron ist. Zumindest mussten sich die Synchronsprecher keinen russischen Akzent abmühen. Immerhin.
Waffenbau in Eigenregie
Spielerisch leisten sich 4A Games hingegen weniger Schnitzer und legen einen angenehm kompakten Shooter vor. Nach wie vor gibt es keinen Fähigkeitenbaum, dem Trend zur viel zu großen Open World wurde ebenfalls eine Absage erteilt und einen aufgezwungenen Multiplayer-Modus gibt es auch nicht. Schön!
Die wenigen Neuerungen sind überschaubar. Beispielsweise wurde das Upgradesystem der Waffen noch einmal überarbeitet und ist jetzt richtig motivierend. Man findet etwas mehr, als ein halbes Dutzend Feuerwaffen und kann diese in viele unterschiedliche Richtungen entwickeln, sofern man entsprechende Bauteile findet. Immer wieder habe ich während meines Abenteuers die Waffen umgemodelt, um zu sehen, wie sie sich anders verhalten und tatsächlich lohnt sich das ausprobieren. Egal wie hochgerüstet die Waffen aber auch sein mögen, sie wirken stets etwas ranzig und handgemacht, was super zum Setting passt. Auch die Ausrüstung lässt sich teilweise verbessern, sodass man etwa mehr Schaden aushalten oder eine stärkere Variante des Nachtsichtgerätes nutzen kann. Medikits, Munition und andere wichtige Verbrauchsgüter erhält man diesmal übrigens nicht mehr bei einem Händler, sondern müssen entweder von getöteten Gegnern oder der Umgebung entnommen werden, oder selbst hergestellt werden, was man nicht nur an stationären Werkbänken, sondern auch unterwegs machen kann. Bei letzterer Variante gibt es allerdings ein paar Einschränkungen. So lässt sich neue Munition etwa nur an Werkbänken herstellen.
Guter Artjom? Böser Artjom?
Die dafür nötigen Ressourcen sind rar gesät, gerade Munition ist konsequent knapp gehalten, weshalb jeder Schuss ins Leere gleich doppelt weh tut. Doch auch in anderer Hinsicht ist der Griff zur Waffe und dem konfrontativen Weg nicht immer die beste Wahl. Zum einen kann man die sowieso nicht sonderlich intelligente KI erschreckend einfach umgehen und austricksen, zum anderen haben die Entwickler ein Ethiksystem eingebaut. Je nachdem, wie ihr euch im Spielverlauf verhaltet, hat dies Auswirkungen auf das Ende. Anders, als etwa in Red Dead Redemption 2, wird das aber nie direkt vom Spiel kommuniziert (oder ich habe eine entsprechende Einblendung schlicht übersehen), stattdessen fällt hier und da mal ein Kommentar einer Nebenfigur, das man auch gewaltlos vorgehen kann.
In klassischer Stealth-Manier kann man nicht nur an Gegnern vorbei schleichen. So lassen sich beispielsweise Lichtquellen ausschalten, sodass man in der sicheren Dunkelheit unentdeckt bleiben kann, gesammelten Schrott kann man hingegen nutzen, um Gegner abzulenken und in eine andere Richtung zu locken. Geht es doch nicht anders, so kann man Gegner auch KO schlagen. So richtig toll spielt sich Metro Exodus in dieser Variante aber nicht, letztlich kommt das Spiel aus seiner Shooter-Haut eben doch nicht so ganz heraus.