Life is Strange: True Colours REVIEW

Life is Strange hat sich einen Ruf als Serie erarbeitet, in denen Gefühle und Themen einen Platz haben, die von den meisten anderen Videospielen vernachlässigt werden. Im ersten Teil war es eine homosexuelle Coming-of-Age Geschichte, im zweiten Teil war es die Feindseligkeit Amerikas gegenüber lateinamerikanischen Migranten aus der Sicht zweier Kinder. In Life is Strange: True Colours ist es hingegen der Umgang mit Verlust und Trauer, aber auch die Suche nach einen Ort und Menschen, die Zugehörigkeit schaffen.

Neubeginn


Einen solchen Ort hat es für Alex Chen nie gegeben. Die Protagonistin des Spiels wurde als Kind durch verschiedene Heime und Pflegefamilien gereicht. Liebe, Zustimmung, Empathie – all das hat sie nie wirklich erfahren. Stattdessen ist sie in die Mühlen eines Systems geraten, welches Kinder schützen soll, damit aber offensichtlich maßlos überfordert ist. Mittlerweile ist Alex Anfang 20 und weiß nicht so wirklich, wohin sie mit ihrem Leben soll. Hoffnung kommt nun aber von ihrem Bruder Gabe, den sie seit über acht Jahren nicht mehr gesehen hat. Dieser hat sich mittlerweile in dem beschaulichen Ort Haven Springs niedergelassen und dort sein Glück in Form von neuen Freunden und einer eigenen Familie gefunden.

Sichtbare Emotionen


Inhaltlich und tonal knüpft True Colours auffällig stark an den Erstling an, findet aber durchaus einen eigenen Dreh. Das liegt nicht zuletzt an dem Cast, der beinahe komplett aus erwachsenen Figuren besteht, die in ihren 20ern bzw. weit darüber hinaus sind. Themen wie Alzheimer und Eifersucht finden statt, auch der Umgang mit der eigenen Identität wird verhandelt. Vor allem geht es aber um Trauer. Denn schon kurz nachdem Alex in Haven Springs angekommen ist, verliert sie ihren Bruder bei einem tragischen Unfall. Dieses Ereignis wirft nicht nur die Protagonistin, sondern auch die anderen Bewohner des Ortes aus der Bahn. Gabe war beliebt, vor allem da er sich Zeit für andere Menschen und ihre Probleme genommen, ihnen zugehört und versucht hat zu helfen. Alex ist da nicht viel anders und obwohl sie selbst am Boden zerstört ist versucht sie ihren Mitmenschen und neu gewonnenen Freunden beizustehen.

Und hier kommt auch schon das übernatürliche Element zum Tragen. Denn wie die Hauptfiguren der vorherigen Serienteile, so besitzt auch Alex eine übersinnliche Gabe. Sie ist nämlich in der Lage, die Gefühle ihrer Mitmenschen wahrzunehmen. Das Spiel codiert Emotionen wie Wut, Angst und Freude mit einer Farbaura, welche die Figuren umgibt. Auf Knopfdruck kann Alex in die Gedankenwelt eintauchen und so herausfinden, was ihr Gegenüber denkt und vor allem fühlt. Auf diese Art und Weise kann sie wiederum versuchen zu helfen. Durch das Lesen der Gedanken bekommt man häufig neue Gesprächsoptionen, immer wieder tritt man sogar wortwörtlich in die Gedankenwelt ein und kann wichtige Informationen in Erfahrung bringen und der betroffenen Person direkt helfen.

Aus großer Kraft folgt große Verantwortung


Spielerisch bleibt Entwickler Deck Nine Games der Linie der Reihe treu. Das in fünf Episoden aufgeteilte Spiel besteht vor allem aus Dialogen, bei denen man die Auswahl zwischen mehreren Optionen hat. Im Detail mögen sich die Antwortmöglichkeiten zwar unterscheiden, letztlich laufen sie aber meist auf ähnliche Ergebnisse hinaus. Ebenso gibt es aber auch wieder Momente, die einen stärkeren Einfluss auf den Verlauf der Geschichte haben und nicht zuletzt das Ende beeinflussen, welches man nach rund zehn bis zwölf Stunden sehen wird. Hier entscheidet man dann, ob man beispielsweise eine Enkeltochter über den Gesundheitszustand ihrer Großmutter aufklärt oder sie einfach ziehen lässt. An einer anderen Stelle kann man einer Person die Wut nehmen, die sich auch gegen Alex richtet. Man kann es aber auch sein lassen. In solchen Momenten wird man durchaus auch mit der eigenen moralischen Haltung und Empathiefähigkeit konfrontiert, was zweifelsohne interessant ist. Leider geht die Geschichte aber nur wenig auf die ethischen Fragen ein, die man sich als Spieler/Spielerin immer wieder stellt.

Und auch in anderen Details ist True Colours nicht so ausgereift, wie ich es mir manchmal gewünscht hätte. Über manche Dinge wie das unnatürlich flott wirkende Pacing kann ich ja noch hinwegsehen. Das Alex nach wenigen Tagen schon in der Dorfgemeinschaft aufgenommen ist und man ihr komplett vertraut? Geschenkt. Warum die Geschichte zum Ende hin aber krampfhaft versucht noch irgendwie die familiäre Geschichte von Gabe und Alex in die Vergangenheit von Haven Springs einzubetten (ja, es wirkt genau so aufgezwungen, wie man annehmen könnte), geht mir wiederum ab. Und auch die böse Firma, die ihr Unwesen in Haven Springs treibt und letztlich natürlich auch noch für den Tod von Gabe mitverantwortlich ist, hätte man sich schenken können. Von wegen weniger ist mehr und so. Überhaupt ist die Rahmenhandlung um den Tod von Gabe der weniger spannende Aspekt der Narration. Es sind vor allem die Nebengeschichten und persönlichen Schicksale, welche True Colours seine Ausnahmemomente bescheren.

Da wäre etwa Ethan, der quasi Stiefsohn von Gabe. Dieser macht sich große Vorwürfe und glaubt Schuld an dem Tod Alex´ Bruder zu tragen. Um ihn aufzumuntern, initiiert Steph (Spielerinnen und Spieler kennen sie bereits aus dem Prequel Before the Storm) ein Live-Rollenspiel, bei welchem gefühlt die ganze Dorfgemeinschaft zusammenkommt, um dem Jungen einen schönen Tag zu machen. Ich liebe diesen Part der dritten Episode! Ebenso wie die wirklich süße Liebesgeschichte, die sich zwischen Alex und Ryan bzw. Alex und Steph (man hat die Wahl, wem das die virtuelle Liebe zufallen soll) entwickelt.

Magische Musik


Ein treibender Faktor für die Wirkung oder Nichtwirkung ist erneut die Musik. Der Soundtrack speist sich vor allem aus lizenzierten Stücken, darunter auch Thank You von Dido und Kings of Leon, die immer wieder fantastisch in die jeweiligen Momente einfließen. Darüber hinaus stimmt auch Alex selbst immer wieder Songs an und wird hier von der amerikanischen Singer & Songwriterin mxmtoon performt, die ebenfalls ein paar gute Stücke hinzufügt. Und nicht nur musikalisch sondern auch in Hinblick auf die Sprecherinnen und Sprecher ist True Colours grandios, wobei ich hier Erika Mori (die englischsprachige Stimme von Alex) hervorheben muss.

Pro & Kontra

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Pro
  • durch die Bank guter Figurencast
  • die Nebengeschichten und ihre rührenden Momente
  • tolle Musik
  • gut geschriebene und fantastisch vertonte Dialoge
  • Haven Springs ist eine wunderschöne Ortschaft

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Contra
  • Rahmenhandlung ist eher wenig spannend
  • manche Elemente innerhalb der haupthandlung wirken arg forciert

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Spiel Bewertung
Singleplayer
82
82
Gut
-
Multiplayer

FAZIT

Der Entwicklerwechsel von Dontnod hin zu Deck Nine Games hat der Serie gutgetan. Sicherlich könnte man dem Team hinter Life is Strange: True Colours vorwerfen, sie gehen auf Nummer sicher und verwerfen der Reihe sowohl narrativ und insbesondere spielerisch die nächste Evolutionsstufe. Letztlich funktioniert die Geschichte in weiten Teilen aber gut genug, um für ihre Verweildauer zu fesseln. Vor allem die Menschen und ihre Geschichten von Haven Springs haben dafür gesorgt, dass ich eine wirklich schöne, manchmal auch sehr nachdenkliche Zeit in der beschaulichen Kleinstadt hatte und mehr über die unterschiedlichen Schicksale wissen wollte. Wer will, kann nämlich durchaus sehr geradlinig der Haupthandlung folgen und die Nebengeschichten außer acht lassen. Hierdurch verliert man aber gerade den Aspekt, der True Colours so sehr ausmacht: seine ruhigen, oftmals auch sehr intimen und vor allem menschlichen Momente.

- Von  Adrian

Das vielleicht beste Life is Strange bisher!
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