Harold’s Walk REVIEW
Harold’s Walk ist ein surrealer 3D-Platformer des US-Indie-Entwicklers Luke Vincent. Das Spiel wurde ursprünglich im Dezember 2020 exklusiv für den Nintendo 3DS eShop veröffentlicht. Nachdem der eShop im ersten Quartal 2023 von Nintendo geschlossen wurde, ging Harold’s Walk jedoch erst einmal verloren. Doch der Entwickler hält sein Spiel am Leben und portiert es zum 15. Juli 2024 auf Steam. Tatsächlich handelt es sich auch gar nicht um einen reinen Port, sondern um eine erweiterte Version mit neuen Inhalten, verbesserter Grafik und Bugfixes.
Dank eines befreundeten Youtubers bin ich an an einen Key für Testzwecke herangekommen. Was ich in Harolds bizarrer, virtuellen Welt alles erlebt habe, erfahrt ihr im folgendem Test.
Wo ist die Story?
Zur Handlung gibt es eigentlich nichts zu sagen, da es diese im Grunde genommen gar nicht gibt. Ohne irgendwelche Erklärung wird man direkt in den ersten Level geworfen. Man übernimmt die Rolle eines korpulenten Kerlchens namens Harold. Durch einige Andeutungen in den Levelumgebungen und durch die faden Enden, welche in Form kryptischer Boot-Up Screens daherkommen, kann man mutmaßen, dass es sich bei Harold wohl um eine Art Computerprogramm oder K.I. handelt. Was jedoch Harolds Zweck ist, oder wozu seine surreale Reise durch die Computer-Netzwelt dient, erfahren wir nicht.
Da hat es sich der Entwickler meiner Meinung nach zu leicht gemacht. Filme wie Tron, Ralph reichts oder auch die coole 3D-Animationsserie ReBoot haben schließlich gezeigt, wie spannend die Computer-Netzwelt doch sein kann, und welche unterhaltsamen Geschichten man in diesem Setting erzählen kann.
Das Grundgerüst eines 3D-Platformers
Man bekommt einen relativ simplen 3D-Platformer. Ziel in jedem Level ist es möglichst alle Sammelobjekte aufzuklauben und zum Levelausgang zu gelangen, damit man direkt im nächsten Level dasselbe wiederholt. Dies tut man solange, bis man eines der Enden erreicht hat, die jedoch nur in Form von wirren Boot-Up Screens daherkommen und den Aufwand daher nicht wert sind. Druck in Form von Zeitlimits, Extraleben und dergleichen gibt es hier übrigens nicht. Man kann Harold’s Walk daher sehr entspannt spielen. Es gibt sogar eine Minimap, welche die Standorte von Sammelobjekten und Ausgängen visualisiert.
Da es hier keine Hubworld oder dergleichen gibt, muss man mit einer schnöden Levelauswahl-Tabelle vorlieb nehmen. Diese darf man aber zumindest jederzeit aufrufen und gibt Auskunft darüber, wie viele Sammelobjekte und Ausgänge man im jeweiligen Level bereits gefunden hat. Zu den Sammelobjekten gehören die Bytes, welche in Form von Magenta-Kringeln daherkommen, sowie Crowns (Kronen). Die Ausgänge werden in Form von rotierenden Quader-Platten dargestellt, welche in drei Farben daherkommen. Die regulären Ausgänge sind weiß, alternative Ausgänge, welche oftmals schwerer zu erreichen sind oder etwas versteckt liegen, sind rot gefärbt. Und der ultimative Ausgang, welcher wohl zum besten Ende führt, ist blau. Der blaue Ausgang, als auch einige der roten Ausgänge sind jedoch mit einem Schutzgitter abgesperrt. Diese Gitter verschwinden erst, wenn man die erforderliche Anzahl von Bytes und Crowns eingesammelt hat, schließlich müssen die Gegenstände ja auch einen Gameplay-Sinn ergeben.
Die Steuerung ist angenehm simpel, wenn auch ein wenig unpräzise. Harold kann laufen, rollen und springen. Er beherrscht auch einen Doppelsprung und kann nach einem Doppelsprung sogar noch eine Rolle ausführen, um noch ein Stückchen höher und weiter zu gelangen. Wenn man nach dem ersten Sprung den Sprung- und Roll-Button gleichzeitig drückt, kann Harold sogar einen Megasprung ausführen, ein Move der nicht im Anleitungstext erklärt wird, der jedoch notwendig ist wenn man die sogenannte „Challenge Stage 7“ knacken will.
Es gibt nur einen einzigen Gegnertyp im Spiel, die zudem recht selten aufkreuzen. Diese rennen einfach nur auf Harold zu, wenn sie ihn zu Gesicht bekommen, und können daher leicht ausgeschaltet werden. Hierfür einfach auf die Dinger draufspringen oder in sie hineinrollen.
Die Level sind recht abwechslungsreich aufgebaut. Da rangiert die Bandbreite von Präzisions-Platforming, über Erkundung weiter Flächen, bis hin zu Gimmick-Levels mit Hochwasser oder Turbofeldern und Trampolinen. Komplexitätswunden wie bei den großen Hits sollte man jedoch nicht erwarten. Das was ich eben aufgezählt habe war eigentlich schon fast alles an Besonderheiten. Zudem sind die Level ziemlich kurz gehalten, weswegen es unwahrscheinlich ist, dass sich der Durchschnittsspieler mehr als 3 Stunden mit Harold’s Walk beschäftigen dürfte.
Das Spiel bietet 32 Level, jedoch sind einige von denen nur schwer zu erschließen, da man z.B. in einem der Enden ein Passwort eingeben muss, welches man ohne externe Hilfe kaum herausfinden wird.
Während meines Vorveröffentlichungs-Spieldurchlaufs bin ich auf einige derbe Bugs gestoßen, die mittlerweile natürlich schon gepatcht worden sein können. Ich möchte sie an dieser Stelle dennoch nennen: Bei Levelwechseln über die Tabelle ist mir das Spiel mehrmals abgestürzt. Es ist sogar vorgekommen, dass das Spiel komplett verglitchte und zwei, drei Level miteinander verschmolzen. Dies ließ die Performance in den Keller rutschen und setzte sogar Teile meines Spielfortschritts zurück.
Später wurde ein neuer „Time Attack“-Modus ins Spiel integriert. Hier geht es darum einen Level möglichst schnell zu gewinnen, wofür man je nach Schnelligkeit mit einer Medaillen-Bewertung belohnt wird. Leider sind bei mir einige Level in diesem Modus nicht gestartet. Da gab es nur einen Blackscreen und ich musste das Spiel extern schließen.
Grafik und Sound
Grafisch setzt Harold’s Walk auf Retro-3D-Grafik im Stil der frühen fünften Konsolengeneration. Dieser Grafikstil passt wunderbar zum surreal-abstrakten Netzwelt-Setting, auch wenn es die 3D-Areale an Details vermissen lassen. Dafür wird jedoch eine breite Palette an Ortschaften geboten. Ob nun Inseln in einem Säuremeer, Binärcode im Datennirvana oder ein Sammelsurium von schier endlos platzierten rosafarbenen Platformen – der Reiz herauszufinden welche wirren Landschaften das Spiel als nächsten präsentiert, ist nicht zu verachten. Und wer eine Ader für das Surreale und Abstrakte hat, wird hier auch gut bedient. Allerdings wirken die Landschaften reichlich leblos, da es hier keine NPCs gibt und der eine im Spiel enthaltene Gegnertyp nur selten anzutreffen ist. Die Surrealität täuscht also nicht vollends darüber hinweg, dass das Spiel visuell etwas trocken daherkommt.
Ganz und gar nicht trocken ist hingegen der tolle Soundtrack. Die Stücke verbreiten eine überraschend gelassene, mitunter heitere Atmosphäre. Sie sind prägnant ohne sich aufzudrängen und bieten sogar richtiges Ohrwurmpotential. Es macht einfach Spaß sich den OST anzuhören, und er dürfte wohl ohne weiteres das Beste sein, was das Spiel zu bieten hat.
Bei den Soundeffekten fällt wohl in erster Linie Harolds Gegrunze bei Sprüngen auf. Diese wirken anfangs irritierend bis nervig, aber man gewöhnt sich schnell daran.
Der wenige Schrifttext, den das Spiel zu bieten hat, liegt übrigens nur in englischer Sprache vor.
Pro & Kontra
- toller Soundtrack
- launiges surreal-abstraktes Setting
- grundsolides, kompetentes 3D-Platforming-Gameplay ohne Druck-Mechaniken
- der Megasprung wird nicht vom Anleitungstext erklärt
- ist noch relativ verbuggt (könnte natürlich alles schon gepatcht sein)
- das Gameplay wirkt recht trocken, da nur wenige Features geboten werden
- bietet im Grunde genommen keine Story
- recht geringer Umfang und daher auch ein eher schwaches Preis- Leistungsverhältnis