Crystalis REVIEW
Crystalis ist ein Action-RPG welches ursprünglich am 13. April 1990 für den NES veröffentlicht wurde. Das Ungewöhnlichste an Crystalis ist der verantwortliche Entwickler SNK, ein japanisches Unternehmen welches sich ja eigentlich auf Spiele für Arcade-Hallen konzentrierte. Das bedeutet, dass die meisten SNK-Spiele der Kategorie Action, Shmup oder Fighting angehören, und oftmals militärische Themen nutzen, um sich einer möglichst breiten Masse anzubiedern (Militär war damals noch cool). Da war ein Action-Rolli, welches den Spieler einen Setting-Mischmasch aus Postapokalypse, Fantasy und Science-Fiction bietet, sehr unerwartet.
Crystalis (bzw. God Slayer im japanischen Original) hat es leider nicht nach Europa geschafft, war allerdings erfolgreich genug, um 10 Jahre später eine GBC-Version zu erhalten, welche jedoch nur in den USA angeboten wurde. Den weltweiten Release bekam Crystalis erstmals als Bestandteil der „SNK 40th Anniversary Collection.“ Besagte Collection wurde bei uns ursprünglich für die Switch am 16. November 2018 veröffentlicht, und bekam 2019 Ports für PlayStation 4, Xbox One und PC. Ob sich die lange Wartezeit auf Crystalis gelohnt hat oder nicht, erfahrt ihr im folgendem Test.
Postapokalyptische Welten gab es schon zu NES-Zeiten
Am 01.10.1997 hatte sich die Menschheit durch einen nuklearen Weltkrieg an den Rand der Vernichtung getrieben. Nach dieser Katastrophe fielen Wissenschaft und Technik in Ungnade, und man beschloss zu einfacheren Lebensweisen zurückzukehren und sich alten Lehren der Magie zuzuwenden. Durch die radioaktive Strahlung wurden viele Landschaften verseucht und große Teile der Fauna und Flora mutierten in blutgierige Monster. Dennoch gelang es den Überlebenden der Menschheit unter der Führung von vier weisen Großmagiern die nächsten 100 Jahre ohne Kriegsführung zu überdauern.
Doch nun tritt der machthungrige Draygon auf den Plan. Dieser entdeckt die alten Mächte der Technologie und kombiniert diese mit seiner Magie, um einen Supercomputer innerhalb einer futuristischen, fliegenden Turmfestung zu kreieren. Der Rechner soll ihm dabei helfen die Weltherrschaft zu erlangen. Die politische Führung in Form der vier Großmagier findet das freilich nicht so witzig und erschafft vier magische Elementar-Schwerter, welche zum mächtigen Crystalis-Schwert verschmelzen können, das stark genug sein soll um Draygon und seinen Supercomputer zu zerlegen. Doch wer soll das Schwert führen?
Die Wahl fällt auf einen mysteriösen Überlebenden der alten Zivilisation. Ein junger Mann der die letzten 100 Jahre in einer Cryogenkammer überdauert hat und in Folge dessen sein Gedächtnis verlor. Er bekommt von den Einwohnern des nächstgelegenen Ortes das Windschwert in die Hand gedrückt und wird in die weite Welt hinausgeschickt, um Kontakt zu den vier Großmagiern aufzunehmen und letztendlich den Kampf gegen Draygon und dessen Imperium anzutreten. Ob er dabei Erfolg hat oder nicht, liegt nun in der Hand des Spielers.
Die Grundhandlung vom machtgeilen Irren, welcher ein Imperium gründet und die Weltherrschaft anstrebt ist nun nichts besonderes. Auch bei den Charakteren sollte man keinen nennenswerten Tiefgang erwarten. Der Protagonist ist z.B. nur ein stummer Avatar des Spielers. Spannend ist hingegen das Setting, dessen Kombination aus Postapokalypse, Fantasy und Science-Fiction für damalige Videospiel-Verhältnisse enorm kreativ war. Und angesichts der zugrunde liegenden NES-Hardware und des Alters des Spiels, kann man auch die klischeehafte Handlung leicht verzeihen.
Ballernde Elementar-Schwerter
Crystalis stellt keine Einstellungsoptionen zur Verfügung, weswegen man sich direkt ins Spiel stürzen kann. Ihr dürft der Spielfigur einen Namen mit maximal sechs Buchstaben verpassen und los geht’s. Das Geschehen wird aus der Vogelperspektive dargestellt und es dauert nicht lange, ehe man feststellt wie bemerkenswert flüssig und flott sich die Spielfigur durch die Umgebung lenken lässt. Großes Kompliment hierfür! Auch die Aktionsbuttons wurden sinnvoll belegt, jedoch merkt man, dass das Spiel unter der Button-Begrenzung des NES-Controllers leidet. So wird sowohl der Angriff als auch der Einsatz eines Gebrauchsgegenstands auf denselben Button gelegt. Es ist also nicht möglich einen Heilgegenstand zur Vorbereitung zu aktivieren, da man ansonsten nicht mehr vernünftig angreifen kann. Auch ist es nicht möglich bequem zwischen den verschiedenen Elementar-Schwertern und Zaubersprüchen umzuschalten. Dies hat zur Folge, das man regelmäßig im Menü umrüsten muss, was verdammt nervig werden kann. Vor allem bei den Schwertern muss man regelmäßig umrüsten, da fast jeder Gegner Immunitäten gegen bestimmte Elemente aufweist.
Darüber hinaus verstehe ich nicht, wieso das Speichermenü so versteckt liegt. Um dieses zu aktivieren, muss man zuerst das Inventarmenü aufrufen und dort dann das Speicher-/Lademenü mit der Start-Taste aufrufen – extrem unintuitiv. Aber dafür bietet Crystalis einen Batteriespeicher mit zwei Speicherslots. Gespeichert werden darf jedoch nur in Siedlungen. Es gibt aber auch eine Art Autosave. Nach einem Game Over könnt ihr im Titelbildschirm auf Continue drücken und werdet dann zu einem fair gelegten Checkpoint auf der Weltkarte oder im Dungeon zurückgebracht – überraschend fortschrittlich für ein altes NES-Game.
Ansonsten folgt Crystalis etablierten RPG-Formeln. Ihr bekämpft die Monster der Spielwelt in Echtzeit, um Erfahrungspunkte für Level-Ups und Geldeinheiten für bessere Ausrüstung zu erlangen. Geldeinheiten werden jedoch nicht automatisch gutgeschrieben, sondern werden von beseitigten Gegnern hinterlassen und müssen eingesammelt werden.
In Siedlungen treibt ihr Handel und quatscht mit NPCs, um die Story voranzutreiben oder wichtige Informationen zu einigen Adventure-Aufgaben zu erhalten. So muss man auch mal Schlüsselgegenstand XYZ auftreiben, und beim entsprechenden NPC gegen ein notwendiges Ausrüstungsstück eintauschen. Solche Adventure-Aufgaben begleiten euch durch das gesamte Spiel und können auch mal für etwas Verwirrung sorgen, da man auch mal Backtracking betreiben muss, um bestimmte Eventtrigger auszulösen, oder zu Bereichen zurückzukehren, die vorher blockiert waren. Die Elementarschwerter können nämlich dazu genutzt werden, um Energieprojektile bzw. -zauber in drei verschiedenen Aufladestufen abzufeuern. Hierdurch kann man dann auch Wände einreißen oder Flüsse einfrieren. Natürlich muss man die höheren Aufladestufen erst einmal durch entsprechende Ausrüstung freischalten, und die maximale Aufladestufe verbraucht obendrein MP.
Freilich dienen diese Projektile/Zauber auch für den Kampf. Die Schwerter kann man durch gedrückt halten des Angriffs-Buttons aufladen. Dies geschieht wesentlich schneller als man denken mag. Durch diese Auflade-Mechanik fühlt sich der Kampf auch gänzlich anders an als in vergleichbaren Spielen. Hierdurch hat SNK ein sehr gelungenes Alleinstellungsmerkmal für Crystalis geschaffen, da sich der Kampf dadurch einerseits dynamisch, aber auch überraschend taktisch anfühlt. Somit sind Kämpfe in Crystalis eine spaßige und durchaus anspruchsvolle Angelegenheit.
Der Schwierigkeitsgrad provoziert hier und da leider zu Levelgrind-Orgien, da vor allem die kniffligen Bosse keinen Spaß verstehen und die HP sehr schnell zusammenschrumpfen lassen. Im krassen Gegensatz dazu steht jedoch der zu niedrige Level-Cap von Stufe 16. Dies sorgt dafür, dass man in den letzten paar Dungeons nicht mehr aufleveln wird, und somit eher dazu angehalten ist den stets respawnenden Gegnern auszuweichen, statt diese zu bekämpfen.
Und apropos Dungeons: Diese sind auch kein Glanzstück des Spiels. Ihr werdet hier hauptsächlich durch eintönige Gänge mit Abzweigungen geschickt. Viele Abzweigungen führen in Sackgassen, die eventuell mit Schatztruhen aufwarten. Zwar treten später auch mal Gimmicks wie schädigende Bodentiles oder bewegliche Platformen auf, aber im Kern wird nichts tolles geboten. Die Oberwelt ist da schon interessanter und reizt mit einem gewissen Erkundungsfaktor.
Erwähnenswert sind da noch die acht Zaubersprüche. Diese umfassen neben Heilzaubern auch spannende Sachen wie Telepathie, womit man sich Tipps von den vier Großmagiern holen kann, oder Verwandlung in andere Charaktere, um bestimmte NPCs zu täuschen. Crystalis bietet viele coole Ideen für ein altes NES-Game. Da wundert es nicht, dass es von vielen Spielern derart hoch geschätzt wird.
Grafik und Sound
Für ein NES-Spiel aus dem RPG-Sektor sieht Crystalis wirklich sehr schick aus. Die Sprites bieten eine angemessene Größe und sind schön animiert. Die Landschaften sind abwechslungsreich und die Farbpalette ist einerseits farbenfroh, bietet aber auch eine gewisse Bodenständigkeit, welche einem postapokalyptischen Setting zu Ehre gereicht. Die Intro und Outro-Sequenzen sind obendrein sehr schön gelungen.
Zu kritisieren ist jedoch der merkwürdig kolorierte und gestaltete Sprite des Protagonisten. Hier bekommt man eher den Eindruck man würde ein Mädel und keinen Kerl spielen, außerdem nervt die lila Haarfarbe. Auf dem US-Cover ist der Typ schwarzhaarig und im japanischen Original hat er braune Haare. Wieso er also im eigentlichen Spiel lila Haare hat, ist mir schleierhaft. Solch ein grober Fehler sollte nicht passieren. Darüber hinaus stört auch das langweilige Dungeondesign. Die ständigen Höhlen- und Tempel-Korridore sind nicht nur spielerisch schwach, sondern werden auch optisch irgendwann langweilig.
In technischer Hinsicht nerven starke Slowdowns, wenn mal viel auf dem Screen los ist. Aber trotz dieser Macken ist das Spiel für NES-Verhältnisse grafisch sehr gut gelungen. Viel mehr konnte der NES halt auch nicht bieten.
Auch der Soundtrack überzeugt mit launigen Melodien, welche je nach Situation fröhliche Abenteuer-Stimmung verbreiten oder gefährliche Gebiete untermauern. Der OST geht gut ins Ohr und macht Spaß. Es mangelt jedoch an einem echten Ohrwurm-Kult-Track, der sich ins Gehirn brennt. Aber das ist Meckerei auf hohem Niveau. Die Soundeffekte können ebenfalls überzeugen und tragen viel zur Gameplay-Action bei. Da das Spiel nie in Europa veröffentlicht wurde, muss man freilich mit englischen Textboxen vorlieb nehmen.
Pro & Kontra
- sehr flottes Gameplay mit bemerkenswert flüssiger Bewegungssteuerung
- sehr gute audiovisuelle Präsentation
- guter Mix aus Action- und Adventure-Elementen sowie Erkundung der Spielwelt
- cooles Setting
- eher langweiliges und nerviges Dungeon-Design mit langen, verzweigten Korridoren
- die Adventure-Elemente werden gegen Ende hin etwas unfair
- starke Slowdowns, wenn zu viel auf dem Bildschirm los ist
- ist einerseits zu Grindlastig und nervt andererseits mit einem niedrigen Level-Cap von Stufe 16