Citizens of Earth REVIEW

Das am 20.01.2015 auf Steam veröffentlichte Citizens of Earth ist bereits das zweite Spiel des Indie-Entwicklerstudios Eden Studios. Dieses ist bis dato nur durch das Geschicklichkeits-Spielchen Waveform aufgefallen. Von solch einem Casual-Spiel zu einem handfesten JRPG wie Citizens of Earth, welches sich bei großen Klassikern wie Earthbound und Suikoden bedient, ist es doch ein recht großer Sprung, möchte man meinen. Ob dieser Sprung nun geglückt ist und man kompetent von den großen Vorbildern abgekupfert hat, oder ob das Spiel um den etwas kleinwüchsigen Vizepräsidenten der Erde nicht mal ansatzweise die Größe alter Klassiker erreicht, möchte ich euch im folgenden Review verraten.

 

Sich immer schön brav bei den Wählern einschleimen

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Man übernimmt die Rolle des frisch gewählten Vizepräsidenten einer comichaft-parodistischen Version der USA (der Name des Landes wird jedoch nie genannt, offiziell geht’s um die ganze Erde). Eigentlich wollte unser Vize nach dem Wahlsieg erst mal ne Weile zu Hause bei Mutti ausspannen und den Sieg genießen, doch die harte Realität holt unseren kurz gewachsenen Politiker recht schnell ein. Fiese Demonstranten der Opposition belagern den Heimatort des Vizepräsidenten und verbreiten schlechte Stimmung und somit auch schrumpfende Wählerzahlen für die nächste Präsidentschaftswahl. Also gilt es handfeste Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Zu diesem Zweck werden erst mal Mütterchen und der kleine Bruder rekrutiert, damit sie sich in unseren Namen mit den Demonstranten prügeln. Ein Politiker macht sich schließlich nicht selbst die Hände schmutzig, sondern delegiert derlei Aufgaben an seine Bürger. Doch die eigene Familie reicht auf Dauer freilich nicht aus. Daher rekrutiert unser tapferer Vizepräsident mit der Zeit immer mehr Bürger für seine Schlägertrup… äähm ich meine natürlich für seine Bürgerwehr. Und Zuwachs hat der Tross des Vizepräsidenten auch bitter nötig, denn es stellt sich recht bald heraus, dass die Erde von seltsamen Kreaturen terrorisiert wird, deren Ursprung ein Rätsel darstellt. Die Erde von dieser Plage zu befreien wäre doch die perfekte Gelegenheit die Wiederwahl zu sichern, nicht wahr? Also los, worauf wartet ihr noch? Zeigt dem Gesindel was ein echter Politiker und Vizepräsident so alles drauf hat, aber macht euch dabei bloß nicht die Hände schmutzig!

Es dürfte wohl offensichtlich sein, dass sich das Spiel kein bisschen ernst nimmt und es eher darum geht Politiker, deren Bürokratie, sowie die US-Lebenskultur im allgemeinen zu persiflieren. Wer mehr als das erwartet, wird mit Citizens of Earth enttäuscht, denn die Handlung um das plötzliche auftauchen bizarrer Kreaturen und Monster ist öde, belanglos und nur Mittel zum Zweck, um das schräge Abenteuer zu rechtfertigen. Die zahlreichen Charaktere (über 40 für die eigene Truppe zuzüglich einiger NPCs) sind freilich auch nur wandelnde Klischeeschablonen oder eben schrullige Spinner. Da reicht die Bandbreite vom italienischen Klempner über den selbstverliebten Bodybuilder bis hin zur Esoterik-Spinnerin. Das Problem ist jedoch, dass sich kein einziger Charakter wirklich weiterentwickelt oder sonst irgendwie über Tiefgang verfügt. Aber wie gesagt: Hier geht es nicht um eine spannende Story, tiefgängige Charaktere oder dramatische Wendungen, sondern lediglich um die Parodie der US-Amerikanischen Lebenskultur und Politik. Und nach der letzten oberpeinlichen US-Wahl (Hillary Clinton vs. Donald Trump) ist das auch gar nicht so verkehrt.

 

Grundsolide Genre-Kost mit kleineren Besonderheiten und Mängeln?

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Die Grundspielmechaniken von Citizens of Earth unterscheiden sich freilich nicht großartig von anderen Genrevertretern. Ihr steuert den Vizepräsidenten und drei seiner rekrutierten Bürger aus der Vogelperspektive durch die Umgebung, sprecht mit NPC’s, erkundet die Spielwelt, öffnet Schatztr … Ähhm ich meine Pappkartons und bekämpft rundenbasiert diverse Monster und andere gefährliche Kreaturen, wie z.B. Demonstranten, Polizisten und Jogger. Zufallskämpfe gibt es glücklicherweise nicht, die Gegner sind sichtbar und können somit gezielt attackiert werden. Hierzu kann man auch das Charge-Manöver durchführen, wodurch der VP seine Bürger vorpreschen lässt, um eventuell einen Präventiv-Angriff herauszuschlagen, indem man den Gegner hierbei wortwörtlich in den Rücken fällt. Gelingt dies, gibt es vor Kampfbeginn einen Energiepunkt für jeden Bürger als Belohnung (gelingt wiederum den Gegnern ein Präventivangriff, bekommt man diesen Punkt jedoch abgezogen).

Energiepunkte werden benötigt, damit die Bürger ihre mächtigeren Fähigkeiten im Kampf einsetzen können. Jeder Bürger hat eine völlig individuelle Fähigkeitenpalette, die entweder Energiepunkte erzeugen, oder verbrauchen. Der Pool an Energiepunkten pro Bürger ist jedoch in der Regel auf drei Einheiten begrenzt, was freilich für die Kampfplanung mit einberechnet werden soll. Hierdurch sollen taktische Kämpfe und Abwechslungsreichtum aufrecht erhalten werden. Allerdings läuft es letztendlich darauf hinaus, dass man sich eine Handvoll favorisierter Bürger aussucht und seine Grinding-Bemühungen auf diese konzentriert. Dementsprechend verkommen die Kämpfe dann doch zur ziemlich eintönigen Angelegenheit, wie man sie von den meisten anderen Genrevertretern gewohnt ist. Und das trotz 40 verschiedener Charaktere mit drastisch variierenden Fähigkeiten! Diese Problematik liegt aber auch darin begründet, dass die Kampfabwicklung viel zu träge abläuft. Die Kampfgeschwindigkeit ist einfach zu langsam und das Steuerungsinterface wurde offensichtlich für die Touchscreen-Eingabe konzipiert, was die Auswahl aus den zahlreichen Fähigkeiten sehr unübersichtlich und unbequem wirken lässt.

Wesentlich interessanter als die Kampfabwicklung, ist da hingegen die Erforschung der Spielwelt. Zu Beginn wird die Spielwelt zwar durch Straßensperren begrenzt, doch sobald man die ersten paar Storymissionen abgeschlossen hat, öffnet sich die Welt komplett und offenbart haufenweise von Nebenquests, versteckten Schätzen und natürlich rekrutierbaren Bürgern. Jeder einzelne Bürger bietet ein spezielles Talent, welches oftmals interessante neue Möglichkeiten offenbart. Der Autoverkäufer schaltet ein Auto frei, mit dem man ungestört die Straßen befahren kann, der Penner kann Mülltonnen und -container für zusätzliche Schätze plündern, der Programmierer kann die Truppe ins Internet hacken, welches sich als optionaler Dungeon mit mehreren Ein- und Ausgängen entpuppt … Jeder neue Bürger erweitert das Spiel um neue spannende Optionen. Das geht sogar so weit, dass man den Schwierigkeitsgrad abändern kann oder Einfluss aufs Ingame-Wetter oder die Urzeit (inklusive Tag- und Nachtwechsel) nimmt.

Manchmal werden diese Talente auch benötigt, um Hindernisse zu beseitigen und somit in neue Areale vorzudringen, was auch oft notwendig ist, um die Hauptquest weiterzuverfolgen. Besonders toll hierbei ist jedoch, dass es oftmals mehrere Wege gibt, um zum Zielort vorzudringen. Eben je nachdem, welche Bürger und somit Talente man zur Verfügung hat, kommt man eben auf anderen Wege zum Ziel. Doch um die notwendigen Bürger rekrutieren zu können, gilt es oftmals eine mehr oder weniger knifflige Sidequest für besagte Person zu lösen. Die Feuerwehrfrau muss man etwa aus einem überfluteten Gebäude retten, während man für den Psychologen eine seiner Therapie-Sitzungen erdulden muss. Oder wie wäre es mit einem Wetttrinken-Minigame für den Limoverkäufer? Die Entwickler haben hierbei jede Menge Kreativität und Abwechslungsreichtum gezeigt. Das „sammeln“ der Bürger ist jedenfalls ohne weiteres die Hauptmotivationsquelle in Citizens of Earth!

Leider gibt es aber auch immer wieder nervige kleine Treppchen. So sind die Minigames oftmals nervig oder langweilig und die Talente der Bürger müssen oftmals erst einmal aufgelevelt werden, bevor sie ihr volles Potential entfalten (für gewonnene Kämpfe gibt es freilich wie gewohnt Erfahrungspunkte, Geld und eben die Talentpunkte). Auch wirkt das Spiel durch seine zahlreichen Feinheiten manchmal sehr überladen. So beeinflussen z.B. die Bürger in der aktiven Kampfgruppe, welche zusätzlichen Statistiken bei einem Level-Up verbessert werden, und wenn man lästiges Gestrüpp entfernen möchte, welches die Straße blockiert, muss man erst mal die Gärtnerin in die aktive Kampfgruppe einwechseln, damit sie dem Gestrüpp den Garaus machen kann (glücklicherweise hat man jederzeit Zugriff auf alle rekrutierten Bürger). Das sind alles Kleinigkeiten, die den Spielspaß unnötig schmälern. Dennoch fühlt sich das Spiel angenehm frisch an und bietet einigen Spaß für Freunde von JRPG’s.

 

Grafik und Sound

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Statt wie zahlreiche andere Genrevertreter auf den 8-/16-bit-Stil oder gar die RPG-Maker Engine zu setzen, geht Citizens of Earth einen anderen Weg. Grafisch wirkt das Spiel wie eines dieser kleinen Flashspielchen, die man auf Newgrounds und Co. findet. Ob das nun gut oder schlecht ist, liegt freilich am persönlichen Geschmack. Ich selbst bin ehrlich gesagt nicht der größte Fan dieses Grafikstils, was aber bis zu einem gewissen Grad auch an der Umsetzung in diesem Spiel liegt. Viele Umgebungsgrafiken werden zu oft recycelt und man hat sich auch nicht die Mühe gemacht zusätzliche NPC-Charaktermodelle zu kreieren. Die NPC’s im Spiel sind entweder die rekrutierbaren Charaktere oder Gegner-Modelle. Das macht zwar durchaus Sinn, wirkt aber auch ziemlich billig. Generell mangelt es den Stadtgebieten an NPC’s, wodurch die Umgebungen etwas leblos wirken. Aber trotzdem lieber so, als das hundertste Maker-RPG mit Bausatz-Grafiken.

Innerhalb der Kämpfe wird man mit wirren Farbgewitter-Hintergrundgrafiken konfrontiert, welche freilich ebenfalls stark von Earthbound inspiriert sind. Das Artwork der Charaktere und Gegner ist witzig und angemessen schräg.

Passend zum parodistischen Comic-Blödelcharme präsentiert sich auch der Soundtrack recht schräg und lustig. Die Tracks passen gut zum Spiel und dessen absurder Thematik und verbreiten gute Laune. Einige Tracks bohren sich auch angemessen ins Gedächtnis, ohne dabei jedoch auf die Nerven zu gehen.
Netterweise bietet das Spiel sogar eine Sprachausgabe. Jeder der Bürger bekam einen Sprecher, der eine kompetente Leistung darbietet. Freilich ist die Sprachausgabe nicht durchgängig, aber umfangreich genug, um als Pluspunkt gewertet zu werden. Eine Sprachausgabe ist bei Indie-JRPG’s ja keine Selbstverständlichkeit.

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Spiel Bewertung
Singleplayer
74
74
-
Multiplayer

FAZIT

Citizens of Earth ist ein toller Mix aus dem absurden Humor eines Earthbounds und der motivierenden Rekrutier-Mechanik eines Suikoden. Garniert wird diese Mischung mit einem gesunden Schuss Open World, was für ein JRPG im Retro-Stil ja sehr ungewohnt ist. Klingt nach einem Hit-Award, und diesen hätte das Spiel auch einsacken können, wenn es nicht über seine endlos-trägen Kämpfe, sowie der billig wirkenden Flash-Grafik stolpern würde. Man wird halt nie das Gefühl los, dass man gerade an einem kostenlosen Newgrounds-Spielchen sitzen würde. Aber Citizens of Earth ist nun einmal ein kommerzielles Produkt mit einem stolzen Preis von 11,99 €. Unabhängig davon ist es aber ein schönes Spiel für Genrefans, zumal Earthbound und Suikoden ja nicht die schlechtesten JRPG's sind, von denen man abkupfern kann. Einen Evergreen, wie oben genannte Klassiker, sollte man aber auch nicht erwarten.

- Von  Volker

MS Windows

Citizens of Earth REVIEW

USK 12 PEGI 12

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