Catherine REVIEW
Videospiele, die von sich selbst behaupten, dass sie sich an ein überwiegend erwachsendes Publikum richten, gibt es einige. Viele Entwickler verwechseln erwachse Themen jedoch mit einem möglichst hohen Gewaltgrad, plumper Sexualisierung und der Überschreitung diverser Grenzen, die sich in den meisten Fällen als berechnende Kalkulation der Aufmerksamkeit willen herausstellen. Entsprechende Ausnahmen gibt es, allerdings sind diese meist in diversen Nischen verortet. So auch das von dem japanischen Studio Atlus entwickelte „Catherine“, welches auf den ersten Blick wie eine Anime Umsetzung wirkt. In Wahrheit verbirgt sich hinter dem unscheinbaren Spiel aber ein ziemlich klug erzähltes und spielerisch sehr anspruchsvolles Stück interaktives Medium.
Catherine erzählt die Geschichte des sympathischen Anfang 30er Vincent. Dieser steckt in einem Job, der ihn nicht wirklich zufriedenstellt, und in einer Beziehung, die ihn ebenfalls nicht so wirklich das gibt, was er wohl braucht. Einen Ausbruch aus seinem lethargischen Alltag gibt es nicht. Morgens steht er auf, geht zur Arbeit, trifft sich nach der Arbeit mit seinen Freunden in der immer gleichen Bar, dem „Stray Sheep“. Und dazwischen gibt es ja auch noch seine Freundin Katherine. Diese macht neuerdings ganz schön Druck auf Vince: er solle doch endlich mal in seinem Job ein bisschen mehr Engagement zeigen, und auch die nächste Stufe der Beziehung – sprich Heirat und Kind – sollte doch allmählich mal überdacht werden. Doch bei Vince bewirken diese Worte nicht den von Katherine erwünschten Effekt. Stattdessen verzieht er sich noch mehr in seiner Stammkneipe und trinkt Abend für Abend eine Rum-Cola nach der anderen.
Fiktion und Facetten
Eines Morgens erwacht Vince mit dicken Kopf und hat neben sich eine junge Blondine liegen. Diese stellt sich als Catherine vor und scheint ganz vernarrt in den völlig verdutzten Vince sein. Panisch und nicht wirklich wissend, was eigentlich geschehen ist, sucht Vince vorerst das Weite. Hat er seine Freundin wirklich betrogen? Wieso kann er sich an nichts mehr erinnern? Soll er Katherine den Seitensprung gestehen oder das ganze für sich behalten? Doch der Seitensprung, Catherine und Katherine sind nicht die einzigen Faktoren, die Vince Kopfzerbrechen bereiten. Da wären ja auch noch die furchtbaren Alpträume, die ihn in letzter Zeit plagen. Und wieso ist ihm zuvor eigentlich nicht aufgefallen, das in letzter Zeit eine Mordserie an offensichtlich untreue Besucher seiner Stammkneipe grassiert? Vince muss erst einmal nachdenken und das ganze mit seinen Freunden bereden. In Stammkneipe und mit jede Menge Rum-Cola…
Wie aus dem groben Handlungsrahmen ersichtlich sein dürfte, erzählt „Catherine“ eine eher untypische Videospielgeschichte. Der Protagonist ist ein Anfang 30er, der so vollkommen weit entfernt von den hoch-trainierten Soldaten („Resident Evil“) und geschundenen Antihelden („Max Payne“) ist, wie man sie ansonsten aus beinahe jedem halbwegs aktuellen Spiel her kennt. Auch sind seine Probleme keine Zombies, rivalisierende Gangster oder verfeindete Soldaten. Nein, Vincent plagen eher alltägliche Probleme, wie ein öder Job, eine öde Beziehung und ein allgemein ödes Leben, das auf der Stelle tritt. Dies mag zunächst eher uninteressant klingen und tatsächlich braucht man für „Catherine“ wenn nicht schon ein entsprechendes Alter, so zumindest eine gewisse Reife um mit dem Spiel wirklich warm zu werden. Denn viele Themen, die das Spiel behandelt (Seitensprung, Beziehungsangst, Lethargie im Alltag, eine sich anbahnende Midlife-Crisis) muss man zumindest schon einmal selbst erfahren haben um überhaupt wertschätzen zu können, wie toll Entwickler Atlus die Handlung und Charaktere hier handhabt.
Stil ala Atlus
Das Spielkonzept selbst besteht aus zwei großen Elementen. Ersteres wäre die Kneipe „Stray Sheep“, in der sich Vincent allabendlich mit seinen Freunden trifft. Hier verbringt der Spieler einen sehr großen Teil des Spieles, denn nicht nur hat man jede Menge Gespräche mit seinen Trinkkumpanen zu führen, auch wollen die anderen Barbesucher, der mysteriös erscheinende Barbesitzer, sowie Bardame Erica mit Vince ein Schwätzchen halten. Aus dieser Situation zieht „Catherine“ bereits einen sehr großen Teil seiner grandiosen Grundstimmung. Denn jeder Barbesucher hat so seine ganz eigenen Probleme, weshalb immer wieder auch nach Rat erfragt wird. In dieser entsprechenden Situation bekommt der Spieler mehrere Möglichkeiten zur Auswahl, je nachdem, wie man sich entscheidet, beeinflusst man einen Counter, der über den Ausgang des Spieles mitentscheidet. Denn „Catherine“ besitzt mehrere Enden (8 sind es insgesamt), die es in mehreren Durchläufen freizuspielen gilt. Doch nicht nur gibt es im „Stray Sheep“ jede Menge zu bereden, auch kommuniziert man von hier aus mit Catherine und Katherine via Handy, spielt ein Arcade-Game namens „Rapunzel“ oder wählt an der Jukebox ein zur eigenen Stimmung passendes Stück. Das mag monoton klingen und wer will, der kann sich auch auf ein geringes Maß an Interaktion in der Kneipe beschränken. Wer dies tut, der wird aber sehr viele Nuancen und sehr viel vom Charme, der „Catherine“ sehr stark ausmacht, verpassen.
Das zweite große und „eigentliche“ Gameplay Element bilden die nächtlich wiederkehrenden Alpträume von Vincent, in denen sich unser Held immer wieder in einem seltsamen, von Schafen behausten Turm wiederfindet. Schnell wird klar, das die anderen Schafe ebenfalls Männer sind, die hier ihren Alptraum dröhnen. Spätestens hier springt das Spiel auf seine übernatürliche Ebene, denn neben den verzweifelten Schafen muss auch Vincent ergo der Spieler pro Nacht mehrere Prüfungen in Form eines Puzzle-Marathons überstehen. Pro Nacht wird Vincent nämlich auf mehrere Plattformen geschmissen, welche komplett aus Blöcken besteht. Die Krux an der Sache: die Blöcke brechen nach und nach weg, weshalb Vincent – will er nicht das Zeitliche segnen – schnellstmöglich den Gipfel erreichen und dort eine Glocke läuten muss. Das gestaltet sich aber mitunter ziemlich schwer, denn der Weg muss erst einmal mit den zur Verfügung stehenden Blöcken gebaut werden. Dies macht man, in dem man die großen Quadrate aus dem Gesamtmonument zieht und sich so nach und nach eine Treppe an die Spitze erbaut. Mit der Zeit wird dies immer anspruchsvoller, denn nicht nur sitzt einem ein gnadenloser Timer im Rücken, auch gesellen sich zu den Blöcken bald diverse Fallen in Form von Eisblöcken (auf denen man ausrutscht), mit Stachelfallen gespickte Blöcke und Blöcke, die bei betreten explodieren oder zu Staub verfallen. Darüber hinaus trifft man auf der nächtlichen Klettertour immer wieder auf andere Schafe. Manche von diesen sind ähnlich verzweifelt, wie Vincent und wollen einfach nur in ihrem kuscheligen Bett aufwachen. Andere wiederum stoßen uns ohne Rücksicht an die Seite. Wer nicht aufpasst und von der Plattform fällt, der fällt tief. Und sieht das Game Over. Unendliche Neuversuche hat man nicht, allerdings gibt es in den Leveln neben anderen nützlichen Items auch Continues zu sammeln. Diese wird man spätestens nach der ersten Spielhälfte auch bitter nötig haben.
Die Mischung aus eigentlich eher dem Visual Novel verwandten langen Dialogsequenzen und dem innovativen Puzzle-Spiel machen „Catherine“ auf dem ersten Blick zu einem sicherlich eigenwilligen Werk. Umso erstaunter werden Zweifler sein, wie gut das Konzept gelingt. Was Entwickler Atlus hier geschaffen hat, ist ein zwar nicht vollkommen rundes, aber dennoch sehr stimmiges Videospiel, das alle seine Elemente auf einem sehr hohen Niveau beherrscht. „Catherine“ gelingt der Spagat zwischen einer obskuren schwarz-humorigen, mit aber dennoch reichlich ernsten Themen besetzten Handlung und einem fordernden, aber nie frustrierenden Puzzel-Konzept nahezu grandios.
Technik
Was das ganze schließlich in die Sphären der nahen Perfektion katapultiert, ist die audiovisuelle Umsetzung. Der Grafik-Stil von „Catherine“ orientiert sich stark an der visuellen Ästhetik reifer Anime. Die Figuren sind sehr liebevoll gezeichnet, aus dem limitierten Set Design wird sehr viel raus geholt. Allgemein versteht es das Spiel durch seinen reifen Stil genau den richtigen Ton zu treffen.
Apropos Ton: auch hier gibt es nichts zu mäkeln. Die englische Sprachausgabe (die Bildschirm- und Dialogtexte liegen in Deutsch vor) ist großartig und vor allem die Musik aus der Feder von Shoji Meguro spielt mit ihrer Mischung aus Pop-Klängen und neu interpretierten Klassik-Arrangements von unter anderem Handel, Chopin und Beethoven in einer ganz anderen Liga.