Valkyria Chronicles REVIEW
Kriege dienen in Videospielen häufig als Grundthematik. Umso erstaunlicher ist es, das es bisher kaum ein Spiel geschafft hat das Setting mit einer intelligenten Rahmenhandlung und dreidimensionalen Charakteren zu füllen. Stattdessen werden zweifelhafte Weltbilder vermittelt, Pathos geschwängerte Sequenzen geschaffen und militaristische Proleten-Fantasien bedient. Dies wäre nicht weiter schlimm, immerhin gibt es auch im Film und der Literatur etliche Beiträge, die keinen nennenswerten Mehrwert aufweisen. Jedoch besitzen diese Medien zumindest auch die entsprechenden Gegenpole, das Medium Videospiel hingegen hat so etwas wie ein Anti-Kriegs-Genre nicht und auch von einer halbwegs sachlichen Aufarbeitung der Kriegsthematik ist man Meilenweit entfernt. Dies wirft per se kein sonderlich gutes Licht auf ein eigentlich sehr vielversprechendes Medium.
Der etwas andere Ansatz
Doch auch wenn sie nicht allzu zahlreich vorhanden sind, so gibt es doch ein paar Ausnahmen, die versuchen dem festgefahrenen Genre eine komplexere Seite zu geben. Zu diesen Ausnahmen darf sich ohne weiteres das von Sega entwickelte Valkyria Chronicles zählen, dessen Name alleine schon ganz andere Assoziationen weckt, als ein Call of Duty oder Battlefield es vermögen. Denn anders, als gefühlte 99 Prozent aller Videospiele mit Kriegsthematik, so untermauert das 2008 für die Playstation 3 erschienene Spiel des japanischen Traditionsentwicklers die Kriegsthematik nicht direkt mit historischen Daten oder aktuellen Bezügen. Stattdessen hat Sega eine mit allerlei historischen Analogien unterfütterte Fantasy-Welt geschaffen.
Valkyria Chronicles spielt im Jahre 1935 EC. Schauplatz ist eine alternative Version von Europa, in welchem die Staaten einigermaßen friedlich nebeneinander existieren. Doch der Wille nach technischen Fortschritt führt zu Spannungen zwischen der westlichen Föderation und dem östlichen Imperium. Dies hängt vor allem damit zusammen, das der so wichtige, aber seltene Rohstoff Ragnit immer knapper wird. Mit dem Einfall des Imperiums in die Gebiete der Föderation beginnt schließlich der Zweite Europäische Krieg und entfacht auf dem ganzen Kontinent ein Feuer der Verwüstung. Lediglich das kleine, sich Neutral gebende Fürstentum Gallia ist vorerst von den Kämpfen der beiden Staatenverbunde verschont. Nachdem die westliche Föderation jedoch unter der militärischen Macht des Imperiums einbricht und dieses auch in Gallia an die Ragnit-Reserven heran will beginnt auch in dem beschaulichen Kleinstaat die Mobilmachung der einheimischen Truppen.
Die von Sega geschaffene Analogie auf ein alternatives Europa im 20. Jahrhundert dürfte ohne weiteres offensichtlich sein. Dadurch, das man aber nicht im offiziellen historischen Kontext agiert, sondern sich stattdessen an diversen Bezügen aus der realen Historie des europäischen Kontinents, aber auch aus nordischen Mythologien und der allgemeinen Geschichte des europäischen Kontinents bedient, gelingt es Sega eine interessante Spielwelt zu schaffen, die nicht gebunden an faktischer Genauigkeit ist und sich daher gewisse Freiheiten erlauben darf. Nun mag man sich die Frage stellen, ob es wirklich passend ist, ein so sensibles Thema wie das des Krieges in eine Fantasy-Handlung mit historischen Aähnlichkeiten umzumünzen. Diese Frage stellt sich im vorliegenden Fall jedoch nicht weiter, da Sega sehr geschickt agiert und keinen Zweifel daran lässt, das die Handlung nicht mal eben so hingeschrieben wurde.
Anhaltspunkte dafür gibt es mehrere. Zwar sind die Protagonisten allesamt überzeichnete Figuren mit Anime-Charakteristik und auch bleibt der ein oder andere Pathos aufgeladene Moment nicht aus. Jedoch macht Sega diese für manchen sicherlich befremdlich wirkende Mischung insofern wieder wett, da es auch Szenen gibt, die ohne jeglichen Kitsch Themen wie das Verbleiben der Menschlichkeit im Krieg oder das militärische Mittel als letzte verbleibende Option zur Konfliktlösung ansprechen. Ganz konkret sind mir zwei Szenen nachhaltig in Erinnerung geblieben. Zum einen eine recht frühe Szene in welcher zwei der Hauptprotagonisten des Spieles auf einen verwundeten Soldaten der feindlichen Armee stoßen und versuchen diesen das Leben zu retten. Des weiteren besitzt das Spiel eine geradezu Mark erschütternde Sequenz, in der die vom Spieler gesteuerte Einheit Squad 7 nach einem Gefecht in einem Konzentrationslager ankommt, welches kurz nach dem Ende der verlorenen Schlacht von den verbleibenden Truppen des Imperiums niedergebrannt wurde.
Unschöner Stilistik-Bruch
Hier leistet Valkyria Chronicles sehr viel mehr Geschick, als es andere Vertreter seiner Art tun. Denn alle behandelten Themen – seien es Krieg, Rassismus, Freundschaft oder Liebe – werden sehr Niveauvoll behandelt ohne das man mit den eigenen moralischen Vorstellungen in Konflikt gerät. Das Sega dieses Kunststück schafft dürfte insofern manch einen Spieler verwundern, da Valkyria Chronicles auf den ersten Blick wie ein spielbarer Anime für eine vornehmlich jugendliche Zielgruppe wirkt. Wie erwähnt verzichtet Sega bei der Zeichnung der Figuren nicht auf gewisse Anime-Klischees und auch die japanische Affinität mit (vermeintlich) deutschen Namen und Begriffen um sich zu werfen wird hier vollends ausgelebt, was man etwa an der Hauptperson Welkin Gunther festmachen kann, der in einem Panzer namens Edelweiß seine Schlachten austrägt. Vielleicht aber auch gerade wegen dieser für viele (westliche) Spieler ungewöhnlichen Mixtur gelingt es Valkyria Chronicles eine ganz andere Stimmung aufzubauen, als andere Spiele mit Kriegsthematik in denen man in aller Regel in die Rolle eines namenlosen Soldaten schlüpft, der keine Charakter-Komplexität besitzt und denen moralische Bedenken, Ängste und überhaupt humane Gefühle fremd zu sein scheinen.
Ein großer Reiz von Valkyria Chronicles ist also tatsächlich seine sehr gut ausgearbeitete Handlung, sowie die fein skizzierten Figuren, die allesamt eine eigene Hintergrundgeschichte, eigene Motivationen, sowie Hoffnungen und Ängste haben. Das Spiel verwendet einen Großteil seiner Zeit auf die Handlung, die stilistisch aber nicht immer ganz elegant serviert wird. Denn das Buch benutzt als narratives Stilmittel die Erzählung quasi aus einem Buch, in welchem der Spieler einzelne Kapitel abarbeitetet. In jedem Kapitel gibt es mehrere Unterkategorien, welche neben Missionen (meistens eine, selten zwei pro Kapitel) auch Zwischensequenzen und Szenen beinhalten, die der Spieler anzuklicken hat. Hier findet leider ein etwas unschöner stilistischer Bruch statt, denn wenn ich alle zwei Minuten eine weitere Szene erst anklicken muss damit die nächste Zwischensequenz oder der nächste Dialog abläuft, dann bringt mich das etwas aus der eigentlich sehr gut aufgebauten Stimmung heraus.
Genre Hybrid
Auch spielerisch wagt Valkyria Chronicles einige Schritte in eine andere Richtung, was den Titel doch sehr von der Konkurrenz abhebt. Denn anstatt ein reiner Ego-Shooter oder ein reines Strategiespiel zu sein, hat man bei Sega einen Hybriden aus beiden Genres geschaffen und das Endergebnis mit weiteren Elementen des Japano-Rollenspiels garniert. Heraus gekommen ist ein Gameplay, das sich am ehesten noch mit der in westlichen Gefilden durchaus bekannten Brothers in Arms Reihe vergleichen lässt.
Wichtigster Ausgangspunkt ist das eigentliche Menü in welchem man nicht nur zwischen den einzelnen Kapiteln der Story (18 an der Zahl) und Missionen wählt, sondern auch noch auf andere Bereiche wie ein Trainingslager und einen Unterpunkt zur Waffenausrüstung Zugriff hat. Beide Kategorien erklären sich eigentlich von selbst: während man im Trainingslager die einzelnen Klassen wie Scharfschütze, Stoßtrupp und Späher mittels Einlösung von in den Missionen erhaltenen Erfahrungspunkten auflevelt, so hat man in der Werkstatt die Möglichkeit die Attribute der Waffen und Panzer zu verbessern. Das hierhinter stehende System ist sehr überschaubar und auch für Japano-Rollenspiel Neulinge schnell zu erfassen, da man im Prinzip nicht sehr viel mehr macht, als verfügbare Erfahrungspunkte einzutauschen. Auch bekommt man die Möglichkeit sein eigenes Squad in einem speziellen Unterpunkt zusammen zu stellen. Hier empfiehlt es sich nicht nur nach äußerlicher Sympathie zu urteilen, sondern auch darauf zu achten, wie die Stärken und Schwächen der einzelnen Kämpfer gelegt sind. Und mit welchen anderen Figuren sie gut oder nicht gut können. Letzteres hat in den Missionen insofern Ausschlag, das zwei Charaktere, die sich miteinander gut verstehen automatischen Feuerschutz geben.
Das zentrale Gameplay von Valkyria Chronicles gestaltet sich als eine Mischung aus rundenbasierten Kampfsystem und Third-Person-Shooter. Gespielt werden pro Mission in der Regel maximal 20 Runden wobei der Spieler in jeder Runde eine gewisse Anzahl an Zügen zur Verfügung hat. Während die Fußsoldaten immer nur einen der hier genannten Command Point pro Zug vertilgen, brauchen Panzer gleich zwei. Auch bekommt man im fortschreitenden Spielverlauf die Möglichkeit Befehle zu erteilen, welche zwischen einen und sechs Command Points verbrauchen. Mit jedem Zug muss man also sehr genau überlegen, was man macht, wobei natürlich auch das Missionsziel die Spieltaktik beeinflussen sollte. Denn neben Angriffsaufträgen gibt es auch Missionen, in denen man einen bestimmten Punkt verteidigen muss oder unter Zeitdruck eine Befreiung vornehmen.
Letztlich lässt sich die eigentliche Spielmechanik auf drei Elemente her unterbrechen. Über den Kommandomodus wählt man eine Einheit aus, daraufhin wird in den in Echtzeit ablaufenden Aktionsmodus gewechselt. Hier kann man seine Einheit wie in einem Third-Person-Spiel frei über das Areal lenken. Achtung ist allerdings geboten, da sich die Einheiten nicht unendlich lange fortbewegen können, sondern eine bestimmte Anzahl an möglicher zurücklegbarer Strecke haben. Als letztes geht man schließlich in den Zielmodus aus welchen heraus in aller Regel attackiert wird. Dabei gibt es wieder viele verschiedene Aspekte zu beachten. Etwa sind die Gegner in der Regel während des Zuges des Spielers nicht passiv, sondern verteidigen sich automatisch (selbiges gilt auch umgekehrt). Man sollte also vermeiden frontal auf die Gegner zuzulaufen, sondern sie von den Seiten oder einer Deckung heraus zu attackieren. Hier offenbart sich auch schließlich die sehr angenehme Komplexität von Valkyria Chronicles, den der Spieler wird sehr früh dazu gezwungen seine Züge genau vor zu planen. Spätestens ab den zweiten Drittel sind die Missionen mit Glück und zielloser Spielweise kaum zu schaffen. Das ist stellenweise selbst für gestandene Spieler etwas frustrierend. Trotz der ein oder anderen unglücklichen, schlicht unfairen Stelle gelingt es dem Spiel aber den Spieler sehr stark zu motivieren, sodass er der rund 30-35 stündigen Kampagne treu bleibt.
Wie aus einem Gemälde
]Schließlich ging Sega auch bei dem visuellen Stil einen eigenen Weg. Die Grundoptik orientiert sich ganz klar an der Ästhetik moderner Anime. Die Figuren besitzen große Augen, vielen männliche und weibliche Figuren weisen androgyne Züge auf. Dem Anime untypisch und eher im westlichen Comic beheimatet ist die Visualisierung von Geräuschen wie „Kabumm“ und „Plonk“ in Sprechblasenform, die während der Missionen immer wieder auftauchen. Über die gesamte Optik hat Sega darüber hinaus noch einmal einen Aquarell-Filter gelegt, der dem Spiel einen wirklich außergewöhnlichen Charakter verleiht, den ich so noch nie gesehen habe. Vor allem einige der aufwendig gezeichneten Zwischensequenzen sehen manchmal aus, als sei ein Gemälde zum Leben erwacht. Überhaupt hat sich der Entwickler sehr viel Mühe bei der visuellen Ausarbeitung gegeben, die ebenfalls die vielen Ideen gebenden Vorlagen widerspiegeln.
Musikalisch fährt das Spiel ebenfalls groß auf und bietet stets zu den jeweiligen Stimmungen passende Untermalung. Bei der Sprachausgabe haben die Spieler die Wahl zwischen der englischen und japanischen Sprachausgabe. Die Englische ist qualitativ gelungen, besitzt aber wiederum einen gänzlich anderen Charme, als das japanische Original, welches ich persönlich bevorzuge. Eine deutsche Sprachausgabe liegt wie so häufig nicht vor und auch die Spieltexte sind allesamt in Englisch verfasst.