Kowloon High-School Chronicle REVIEW
Nach der ersten Stunde mit Kowloon High-School Chronicle musste ich mich erst einmal zurücklehnen und tief durchatmen. Was zur Hölle spiele ich da eigentlich gerade? Dieses Spiel ist wild. Absolut WILD! Meine Gefühlslage habe ich kurz darauf auch auf Twitter geteilt und folgenden Tweet abgesetzt.
So, I just started playing Kowloon Highschool Chronicle and holy me, it's a wild trip that manages to blend in a japanese school drama with Indiana Jones and Cowboy Bebop. Just look at the intro! And thats just the beginning! pic.twitter.com/65qyRcYw1C
— Adrian (@hype_me_not) April 2, 2022
Ein verkannter Klassiker?
Kowloon High-School Chronicle ist die Neuauflage des ursprünglich 2004 in Japan für die PlayStation 2 erschienenen Kūron Yōma Gakuen-Ki (九龍妖魔學園紀) von Entwickler Shout! Design Works und ist ein Spin-Off der Tokyo Majin Gakuen Denki Reihe. Wem das jetzt gar nichts sagt: kein Wunder. Denn das hier besprochene Remaster ist nach Tokyo Twilight Ghost Hunters erst der zweite Titel der Franchise, die überhaupt eine westliche Lokalisation erhalten haben. Darüber hinaus ist die Reihe der Inbegriff von Nische. Nischiger geht es wirklich kaum noch.
Eine kurze Zusammenfassung? Gerne. Kowloon High-School Chronicle ist ein mit Rollenspiel- und Visual Novel Elementen versehener Dungeon-Crawler, in welchem ihr in die Rolle eines Abenteurers schlüpft. Normalerweise treibt dieser sich in ägyptischen Gräbern herum und sucht nach Artefakten, eine offenbar von deutschen Okkultisten angeführte Verschwörung verschlägt den stummen Helden aber nach Tokyo, wo er sich in bester 21 Jump Street Manier an eine örtliche Hochschule einschreibt. Dort verschwinden nicht nur regelmäßig Schülerinnen und Schüler, auch befindet sich unter dem Friedhof der Schule (kein Witz!) eine umgedrehte Pyramide (wieder kein Witz!).
Hommage oder schamlose Kopie?
Eingeführt wird das Spiel von einem Intro, welches herrlich dreist die audiovisuelle Ästhetik von Cowboy Bebop kopiert, im weiteren Verlauf kommen ebenso schamlose Referenzen auf Indiana Jones und Die Mumie und noch vielen, vielen anderen Werken der westlichen Popkultur dazu. Und das Gameplay und seine vertrackten Mechaniken sind noch einmal eine ganz eigene, absolut erwähnenswerte Sache. Es würde mich nicht einmal wundern, wenn irgendjemand auf die Idee kommt und Kowloon High-School Chronicle das Dark Souls der Dungeon Crawler RPGs nennt und damit eine Abwandlung der beliebten Meme erschafft.
Was sich mir hier binnen der ersten Spielstunden dargeboten hat, hat mein Herz höher schlagen lassen. Ja, Kowloon High-School Chronicle war Liebe auf den ersten Blick. Zwar hat sich dieser Eindruck mittlerweile etwas relativiert, aber dennoch: so ein Spiel habe ich schon lange nicht mehr erlebt. Und mindestens genauso lange gesucht.
Morgens Visual Novel, abends Dungeon Crawler
Der Ablauf ist quasi in zwei große Abschnitte unterteilt. Tagsüber befindet man sich hauptsächlich in der Schule und folgt Visual Novel typischen Dialogen. Hier kommt ein Emotion Input Control genanntes System zum Einsatz. Anstatt aus einer Reihe von vorgegebenen Sätzen zu antworten, antwortet man quasi mit Emotionen. Von diesen gibt es hier insgesamt neun unterschiedliche (Cold, Somber, Joy, Amity etc.). Sagt ein Gegenüber etwas für mich unpassendes, kann ich beispielsweise die Emotion „Cold“ anwählen. Ich könnte aber auch zustimmen. Aber was nehme ich da? Joy? Amity?
Ich will ehrlich sein: auch nach über 20 Spielstunden habe ich noch nicht so ganz raus, wie dieses System eigentlich genau funktioniert. Das fängt ja schon bei der stilisierten Schrift der Emotionen an. Bis ich manche Wörter überhaupt entziffern konnte, musste ich erst einmal in der entsprechenden Beschreibung für dieses System nachschauen. Und dennoch ist dieses Entnahme einer direkten Kontrolle im Dialog spannend, da man selbst bei Figuren, die man zu kennen scheint, nie wirklich sicher sein kann, ob man nun die „richtige“ Antwort gewählt hat oder nicht. Ob es überhaupt so etwas wie richtig und falsch gibt, ist sicherlich auch Auslegungssache.
Man kann nahezu alle wichtigen Figuren und Nebenfiguren der Geschichte rekrutieren und in die nächtlichen Ausflüge in die Dungeons als Begleiter mitnehmen. Das macht auch deshalb Sinn, da alle potenziellen Gruppenmitglieder unterschiedliche und teilweise enorm nützliche aktive oder passive Sonderfertigkeiten haben, die man im Kampf einsetzen kann.
Klappstuhl vs. Mythologisches Wesen
Im Übrigen ist auch das Kampfsystem ziemlich spannend (und glücklicherweise auch etwas leichter zu durchschauen als das Dialogsystem). Dungeon Crawler typisch spielt man aus der First-Person-Perspektive. Eine komplett freie Bewegung im klassischen Sinne gibt es nicht, stattdessen bewegt man sich quasi auf quadratischen Feldern vorwärts, rückwärts bzw. seitlich. Gekämpft wird gegen Monster, die mal der ägyptischen, mal der schintoistischen Mythologie entlehnt sind. Jede Aktion im Kampf verbraucht Aktionspunkte, von denen man nur eine begrenzte Anzahl pro Runde hat. Alle Gegnertypen haben unterschiedliche Schwachpunkte. Das ist mal der Kopf, mal das Gesicht, mal die Beine. In der Regel ist es ratsam, sich bei Gegner hinter oder seitlich von ihnen zu positionieren und anzugreifen.
Das macht man mit unterschiedlichen Schusswaffen, einem Kampfmesser oder Granaten. Selbst Schulinventar, wie Kulis und Klappstühle, lassen sich in die Dungeons mitnehmen und zum kämpfen benutzen. Besonders spannend finde ich ja die Möglichkeit sogar Bosse quasi in der ersten Runde zu besiegen. Das ist nicht ganz einfach, aber möglich! Weiß man den Schwachpunkt und hat die richtige Waffe (häufig Granaten), dann kann man selbst im späteren Verlauf Bosse quasi oneshoten.
Knifflig hoch drei
Auch wenn das nun ziemlich einfach klingt, ist Kowloon High-School Chronicle alles andere als ein Sonntagspaziergang bei Sonnenschein. Im Gegenteil. Das hat teilweise mit der eher mäßigen englischen Lokalisation zu tun, die selbst mit der Sprache gut vertrauen Menschen immer wieder komisch vorkommen dürfte. Aber auch bei den Rätseln gibt sich das Spiel alle Mühe, das man es nicht versteht. Ab dem vierten Kapitel wurden die Ingame-Hinweise und Rätsel derart verworren, dass ich auf einen Guide zurückgegriffen habe. Und selbst mit diesem bleibt vieles absolut konfus. In den Dungeons muss man etwa immer wieder mit Items interagieren, um weiterzukommen. Mal muss man einen schlüssel in eine Tür einsetzen, wobei der Schlüssel in einem benachbarten Raum zu finden ist. Mal muss man in eine Schüssel ein Säuregemisch einfüllen. Aber welches? Zwar gibt es Hinweistafeln, aber um diese zu verstehen muss man häufig viel um die Ecke denken. Und dann braucht man ja auch noch die nötigen Basisgegenstände. Mal findet man diese in den Dungeons, mal muss man sie aus der Schule mitbringen.
Und dann wäre da ja auch noch das Geld. Um Geld zu verdienen, muss man zusätzliche Aufträge abschließen. Um diese Aufträge überhaupt zu aktivieren, muss man aber bereits Geld einsetzen. An sich sind viele der Geld bringenden Missionen einfach, da man lediglich Items abgegeben muss. Aber diese muss man eben auch erst einmal finden oder herstellen.
Pro & Kontra
- faszinierende Geschichte mit seltsamen Figuren
- spannendes Dialogsystem
- anspruchsvolle Kämpfe
- viele Spielsysteme sind absolut konfus und werden kaum erklärt
- englische Übersetzung eher durchschnittlich