Elden Ring REVIEW
Als ICO 2001 für die PlayStation 2 erschien, war von Computer- und Videospielen als ernsthaftes künstlerisches Ausdrucksmittel noch kaum die Rede. In einer Zeit, in der das Videospiel noch als „Spielerei“ betrachtet wurde, traf das Werk von Director Fumito Ueda einen Nerv, stellte es sich doch entgegen gängiger Konventionen und erschuf etwas bis heute fast Unerreichtes. Das machte seinerzeit auf mich großen Eindruck und eröffnete mir in meinem noch jungen Alter erstmals einen anderen Blickwinkel auf das Medium. Für Hidetaka Miyazaki war das Spiel wohl sogar ein Erweckungserlebnis. Kurz nachdem er ICO spielte, verließ er seinen sicheren und gut bezahlten Job in der IT-Branche, um bei einem kleinen, für seine obskuren Spiele (un)bekannten Entwickler namens FromSoftware anzuheuern. Dort arbeitete er an mehreren Projekten mit, bis er schließlich ein intern bereits als katastrophal abgestempeltes Projekt für die PlayStation 3 übernahm. Der Glaube seitens der Chefetage in das Projekt war derart gering, dass man Miyazaki komplett freie Hand gab, dieser Konzepte umwarf und das Spiel nach seinen eigenen Wünschen umgestaltete. Gemeinsam mit seinem Team schuf er Demon´s Souls (2009). Der Rest ist Geschichte.
Meine Begegnung mit dem Riesen
Ich mag die Anekdote mit Miyazaki und ICO deshalb so sehr, weil sie zeigt, welch enorme Kraft das Medium besitzt, welche Wirkung ein gutes Spiel entfalten und welchen Einfluss es auf Individuen nehmen kann. Beim Spielen von Elden Ring habe ich mich allerdings weniger an ICO erinnert gefühlt, sondern vielmehr an Shadow of Colossus (2005), dem zweiten großen Spiel von Ueada.
Irgendwann jenseits der 60 Stunden Marke begegnete ich auf einem verlassenen Eisfeld einem Riesen. Die imposante Gestalt hatte etwas Trauriges an sich. Anders als bei den meisten anderen Bossen und Gegnern des Spiels fühlte ich mich plötzlich als Eindringling, als Aggressor, der hier eigentlich nichts zu suchen hat. Wie es mich das Spiel und verwandte Soulslikes aber nun einmal beigebracht haben, war mein Schwert schnell gezückt. Auf dem Rücken meines treuen Rosses Torrent raste ich auf den Riesen zu, schnitt ihm immer und immer wieder die Klinge ins Fleisch. Der Riese hingegen setzte sich mit Feuerattacken und Stampfangriffen zur Wehr, hatte aber letztlich keine Chance. Nach mehreren Minuten des Kampfes fällt das Geschöpf in sich zusammen, ein letzter Schrei hallt über das Schlachtfeld. In meinem Inventar landen die Überreste des Riesen. Aus diesen kann ich mir später unter anderem eine mächtige Waffe herstellen, interessant ist aber vor allem ein Blick auf die Beschreibung. Diese verrät mir nämlich, dass mein Widersacher der Überlebende einer großen Schlacht war und verflucht wurde. Vor allem aber war er der letzte seiner Art. Und ich habe ihn getötet. Irgendwie setzt mir dieser Moment zu und fügt nach Dutzenden Spielstunden eine neue Empfindung auf der Klaviatur der Emotionen zu – Mitgefühl. Elden Ring, was für ein Spiel!
Fragmente
Es gibt da noch eine zweite Anekdote, die Miyazaki zugeschrieben wird. Der 1974 in Shizuoka, Japan geborene Designer wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. Seine Eltern konnten es sich nicht leisten, ihrem Sohn Bücher und Manga zu kaufen, weshalb es Miyazaki in die örtliche Bücherei zog. Dort hat es ihm vor allem englischsprachige Fantasy-Literatur angetan, die er damals aber kaum verstanden hat. Was er nicht verstanden hat, formte Miyazaki in seinen Gedanken aus. Aus einzelnen Fragmenten setzte er sich seine eigenen Geschichten zusammen. Es ist eben diese fragmentarische Erzählung, die sich bisher durch alle Souls-Spiele zieht, die Miyazaki als Schirmherr beaufsichtigt hat. Und sie ist auch in Elden Ring allgegenwärtig. Jedes Item, jede Waffe, jeder Rüstungsgegenstand liefert Anhaltspunkte und bildet eines von unzähligen Mosaiken in diesem Gesamtwerk. Unterfüttert wird dieser Ansatz von der gewohnt unaufdringlichen Narration. Zwischensequenzen gibt es so gut wie keine, das Intro ist kryptisch und die NPCs mögen es in Rätseln zu sprechen.
Bisher waren Miyazaki und sein Team alleinig für die Ausgestaltung der Lore und Geschichte verantwortlich, für Elden Ring hat man sich mit George R. R. Martin (Game of Thrones) werbewirksam mit dem wohl wichtigsten Fantasy-Autoren unserer Zeit zusammengetan. Es wurde im Vorfeld und auch nach Veröffentlichung des Spiels viel darüber spekuliert, welche Rolle Martin denn nun wirklich in der Erschaffung des Spiels eingenommen hat. Glaubt man offiziellen Stellungnahmen, hat er die Hintergrundgeschichte der Welt und ihre wichtigsten Figuren konzipiert. Miyazaki und Co. haben die Ansätze – da haben wir es wieder – ausgefüllt, angereichert und mit dem Spieldesign in Einklang gebracht.
Das Ende der goldenen Ordnung
Elden Ring ist im Kern ein Familiendrama. Welche fatalen Folgen Missgunst in mächtigen Herrscherfamilien annehmen kann, hat Martin ja bereits in seinem „Das Lied von Eis und Feuer“ eindrucksvoll geschildert. Welche katastrophalen Folgen ein Familienzwist annehmen kann, wenn die Beteiligten Götter und Halbgötter sind, illustriert Elden Ring.
In der Erzählung sind Halbgötter ihrem Machthunger anheimgefallen sind und haben ihre Konflikte untereinander in einen alles zersetzenden Krieg ausgefochten. Dieser Krieg führte schließlich das Ende der seit jeher bestehenden Ordnung herbei und sorgte für den Untergang der Lands Between (Zwischenland). Die einstige Größe und Glorie des Königreichs ist nach wie vor sichtbar. Gewaltige Burganlagen tun sich am Horizont auf, Ruinen einst gigantischer Bauten liegen seltsam deplatziert auf weitläufigen Feldern. Der Tod ist allgegenwärtig und doch gibt es ihn eigentlich nicht. Im Osten beherrscht ein gespenstisch roter Himmel die Szenerie, faulende Untote liegen in heruntergekommenen Hütten oder durchstreifen ziellos die Straßen. Überreste der royalen Wache patrouillieren die nach wie vor prunkvolle Hauptstadt des Reiches. Riesige Brücken führen zu Türmen, die Babylon alle Ehre machen. Unter Tage schließlich findet man ein Gebiet, dessen Überreste an die griechische Architektur der Antike erinnert und von einem betörend schönen Sternenhimmel gerahmt wird. Und dann wäre da ja noch der in der Mitte der Lands Between stehende Erdtree, Quell der Macht dieses untergegangenen Königreiches.
Der Spieler/die Spielerin spielt einen Tarnished (Befleckten). Diese wurden einst aus den Land Betweens verbannt, und ausgerechnet unter ihnen soll sich nun der Anwärter auf den Titel des Elden Lord befinden. Und so macht man sich schließlich auf, um die Prophezeiung zu erfüllen – oder stellt man sich ihr entgegen?
Lücken sind da, um ausgefüllt zu werden
FromSoftware waren schon vor der ganzen Souls-Nummer (King´s Field) geübt in der passiven Erzählung, Stichwort environmental storytelling. Mit Demon´s Souls und unter Miyazaki wurde diese Erzählweise immer weiter ausgearbeitet und ins Gameplay eingebettet. Wer Augen und Ohren offen hält und einen Entdeckerdrang besitzt, wird mit kleinen und großen Geschichten belohnt. Und immer wieder macht man es wie Miyazaki in seiner Kindheit: man füllt Lücken aus, versucht sich einen eigenen Reim auf das Gesehene und Erlebte zu machen.
Zwar hatten schon Dark Souls, Bloodborne und Sekiro große, zusammenhängende Welten. Doch mit Elden Ring entlässt FromSoftware uns erstmals in eine offene Welt – im wahrsten Sinne des Wortes. Man nimmt sich Inspirationen aus Breath of the Wild und Red Dead Redemption 2, bleibt aber der eigenen Philosophie in jeglicher Hinsicht treu. Es gibt eine Karte, allerdings müssen in der Spielwelt verstreute Fragmente (was sonst?) gefunden werden, um grobe Details zu erhalten. Und selbst mit freigelegten Abschnitten lässt die Karte oft nur erahnen, was sich hinter den kleinen Zeichen und Schemen verbirgt. Sind das Umrisse einer Ruine? Könnte sich hinter dem eingezeichneten Kreis eine Höhle befinden? Und was hat es wohl mit dem Wald auf sich? Fragezeichensymbole, Questmarker, ein Logbuch oder andere Utensilien moderner Open Worlds wird man hier nicht finden. Das höchste der Gefühle ist eine Reihe von Symbolen, die man selbstständig auf der Karte einzeichnen und damit selbst für etwas Navigation sorgen kann.
Open World richtig gemacht
Open Worlds gehen nahezu immer mit dem Versprechen der spielerischer Freiheit einher, sind aber vor allem ein Mittel zur möglichst langen Bindung der Spielerinnen und Spieler auf möglichst großer virtueller Fläche. Welches Potenzial offene Welten haben können, haben die bereits von mir erwähnten Breath of the Wild und Red Dead Redemption 2 bewiesen. Keine gängelnde Spielerführung, gekonntes Storytelling über die Umwelt und ihrer Figuren und vor allem ein Verständnis der Spieler als mündige Wesen, die man nicht ständig an der Hand nehmen und zum nächsten interessanten Ort führen muss. Eben hier setzt nun auch FromSoftware in jeglicher Hinsicht an. Es ist nicht übertrieben, wenn ich sage, dass es an nahezu jeder Ecke etwas zu entdecken gibt. Das sind mal kleine Dungeons, mal riesige Burgen. Mal reite ich nichtsahnend durch einen Sumpf bei Nacht, nur um wenige Sehkundebruchteile später ein Skelett zu entdecken, welches auf einem Boot durch die Gegend schippert.
Es ist absurd wie groß Elden Ring ist und wie viel in ihr steckt. Selbst nach 40, 50, 60 Stunden habe ich noch immer neue Areale, Gegner, Bosse, Waffen, NPCs, Items, Rüstungsgegenstände und Lore entdeckt. Immer wieder klappte mein Kiefer angesichts der Szenerien, Ideen und Momente herunter. Mir fehlen wirklich die Worte für das, was FromSoftware hier binnen weniger Jahre geschaffen hat. Nun ist Masse natürlich nicht gleichbedeutend mit Qualität, und ja, auch in Elden Ring ist nicht alles Gold, was glänzt. Viele Bosse werden mehrfach verwendet, gerade von den in ihrer Architektur und Lösungsansätzen ähnlich aufgebauten Minidungeons bin ich enttäuscht. Davon abgesehen steckt in diesem Spiel aber dermaßen viel Wertigkeit, es ist – ich wiederhole mich – absurd.
Artdesign schlägt Technik
Auch wenn man mit der technischen Finesse von Rockstar Games oder auch dem kürzlich erschienenen Horizon Forbidden West nicht mithalten kann, so erschaffen FromSoftware in dieser offenen Welt immer wieder Orte, Szenerien und Momente, die mich sprachlos gemacht haben. Dabei kostet man die gesamte Palette der Dark-Fantasy aus, lässt Spieler/Spielerinnen in düsteren Katakomben gegen Skelettkrieger kämpfen, hetzt in dunklen Wäldern Wölfen auf die Tarnished, gestaltet Burgen wie kleine Labyrinthe oder inszeniert vermeintliche sichere Ruhe auf Berggipfeln. Allgegenwärtig ist eine spektakulär inszenierte Weitsicht, welche zeigt, was noch vor oder bereits hinter mir liegt.
Obwohl man sich erneut für eine „westliche“ Spielwelt entschieden hat, wird kein westliches Studio sein Werk jemals so inszenieren wie FromSoftware. Die Japaner nutzen zwar Motive aus dem Christentum, dem Mittelalter und der westlichen Fantasy, aber sie arrangieren sie mit japanischen Augen und Denkweisen. Das spiegelt sich eben nicht nur in der Gestaltung der Welt, sondern auch im Design der Figuren wieder. Insbesondere die Monstrositäten, die man im Laufe dieses Abenteuers zu Gesicht bekommen wird, sind einmal mehr eine Augenweide.
Sinnvoller Rückzug
Die weiten Strecken bereist man entweder zu Fuß oder mit dem astralen Pferd Torrent. Das via Knopfdruck herbei gepfiffene Reittier ist aber nicht nur für den schnellen Transport unerlässlich, sondern auch in manchen Kampfsituationen. Der Kampf vom festen Sattel aus ist vor allem gegen manch großen Feldboss ratsam. Neben den Souls-typischen Nebelwänden, die abgegrenzte Bossareale markieren, gibt es die starken Widersacher nun auch – wenn man so will – auf der Oberwelt. Der Vorteil: hat man keine Chance gegen einen Drachen oder Riesen, dann kann man sich auch schnell aus der Schlacht zurückziehen.
In dieser Hinsicht ist Elden Ring übrigens ein angenehmes Stück zugänglicher als seine spirituellen Vorgänger. Hing man in Dark Souls oder Bloodborne bei einem Boss fest, dann gab es in der Regel kein Ausweichen. In der offenen Welt ist Rückzug nun aber eine valide Option und bereichert den Spielfortschritt. Theoretisch kann man sehr früh in sehr späte Gebiete vordringen, wird sich dort aber eben ziemlich überfordert fühlen.
Es ist wunderbar, wie früh Elden Ring die neu gewonnene Freiheit vermittelt. Kurz nachdem man erste Schritte in die offene Welt und in das Stargebiet Limgrave macht, wird man einen berittenen Reiter bemerken, der das Gebiet patrouilliert. Die meisten werden gegen den Tree Sentinel getauften Krieger wohl das Nachsehen haben. Das Spiel sieht gar nicht vor, dass man gegen diese erste harte Nuss gewinnt. Klar, man kann es versuchen. Manch Spieler/Spielerin wird den Tree Sentinel sicherlich auch besiegen können und sich früh über die für das Aufleveln der Spielfigur wichtigen Runen und starke Ausrüstung freuen. Was FromSoftware hier aber vor allem sagt ist: geht weiter. Erkundet die Welt. Werdet stärker. Kommt später zurück.
Astrale Mitstreiter
Die Ausgestaltung der eigenen Spielfigur ist gewohnt frei. Bei Spielstart hat man zwar die Wahl zwischen zehn „Klassen“. Allerdings hat die anfängliche Wahl so gut wie keinen Einfluss auf den weiteren Verlauf. Startet man also mit einer Klasse, die den frühen Fokus auf Magie legt und damit nicht zurechtkommt, dann kann man ohne große Probleme andere Attribute und somit andere Spielweisen umsatteln.
Interessanterweise fließt Magie nun sehr viel stärker in das Gameplay ein als zuvor. Ich habe in den Vorgängern immer mal ein bisschen mit Magie experimentiert, mein Fokus lag aber vor allem auf schnelle Klingen und mächtige Großschwerter. So habe ich auch meinen ersten Durchlauf in Elden Ring gestaltet, gleichzeitig habe ich aber immer wieder auf Magie als Rettungsanker und Unterstützung zurückgegriffen. Für Fernangriffe habe ich so gut wie nie Pfeil und Bogen benutzt, stattdessen magische Angriffe. Vor allem aber die Ashes of War (Kriegsasche) haben es mir angetan. Hier kann man unter Einsatz von Manapunkten Geisterwesen heraufbeschwören, welche im Kampf helfen. Meine Favoriten sind ein Rudel Wölfe sowie ein Abbild meiner eigenen Spielfigur. Selbst wenn die heraufbeschwörten Kumpanen Gegner nur ablenken, ist das mitunter schon ziemlich hilfreich und macht manche Kämpfe wesentlich entspannter. Wie gehabt, lassen sich auch andere Spielerinnen und Spieler in das eigene Spiel beschwören, um schwere Abschnitte oder Bosse gemeinsam anzugehen.
Mehr Masse als Klasse?
Ein paar Worte möchte ich noch über die Bosse verlieren. Wenn Souls für etwas berühmt wurde, dann sicherlich für seine legendären Widersacher. Bis heute erinnere ich mich an den schweißtreibenden Kampfgegen Ornstein und Smough, alleine der Gedanke an den Waisenknabe von Kos löst bei mir Angstzustände aus. Und dann wäre da ja auch noch Sekiro, in welchem wirklich jeder Boss eine Klasse für sich war. Ausgerechnet in dieser Paradedisziplin fällt Elden Ring aber ab, ausgerechnet hier wirkt der scheinbar grenzenlose Ideenreichtum der Entwickler auf einmal gebremst.
Das fängt bei den vielen kleineren Bossbegegnungen an und geht weiter zu den Storybossen. Vor allem die Begegnungen mit den Demigods habe ich (mit einer Ausnahme) als regelrecht enttäuschend empfunden. Teilweise weil sie schlicht nervige Mechaniken besitzen, teilweise, weil ihre Angriffsmuster und die generellen Themen abgenutzt erscheinen. Gerade gegen große Bosse kommt eine Problematik erschwerend hinzu, die FromSoftware einfach nicht in der Lage ist zu lösen: die Kamera. Wenn ich einen riesigen Drachen bearbeite, aber nicht sehe, dass er Angriffe gegen mich startet, ist das ebenso frustrierend wie Angriffe, die man weder ausweichen und blocken kann. Ein Paradebeispiel hierfür ist der finale Boss, der einen zielsuchenden Angriff besitzt, gegen den man schlicht machtlos ist.
Pro & Kontra
- eine interessant gestaltete offene Welt mit vielen Geheimnissen
- stellenweise überwältigende Inszenierung der Welt
- vielschichtiges Kampfsystem mit unzähligen Möglichkeiten und Kombinationen
- packende Dark-Fantasy Atmosphäre mit einer Geschichte, die man sich selbst erschließen muss
- bombastischer Soundtrack mit Gänsehautgarantie
- Bosse sind selten erinnerungswürdig
- Minidungeons häufig nach ähnlichem Muster und Lösungsansatz aufgebaut