Ghost of Tsushima REVIEW
Mit Infamous: Second Son haben Sucker Punch als eine der ersten die Ära der PlayStation 4 eingeläutet. Nun, rund sechs Jahre später, beenden sie den Zyklus der vierten Konsolengeneration von Sony mit Ghost of Tsushima und veröffentlichen das letzte große First-Party-Spiel für die Plattform. Dieses nimmt sich eines historischen Settings an und erzählt vom ersten Versuch der Mongolen Japan im Jahr 1274 einzunehmen.
Historischer Ausgangspunkt, fiktive Geschichte
Als die mongolischen Truppen unter Kublai Khan Ende des 13. Jahrhunderts erstmals eine Invasion Japans durchführten, war Tsushima, eine kleine Insel zwischen dem bereits unterworfenen Korea und dem japanischen Festland, nicht viel mehr als ein Zwischenstopp. Rund 80 Samurai versuchten zu verteidigen, was angesichts Hunderter mongolischer Schiffe und Tausender mongolischer, koreanischer und chinesischer Soldaten nicht zu verteidigen war. Zügig nahmen die Invasionstruppen die Insel ein und zogen weiter Richtung Festland. Die Bestrebungen, das Shogunat zu Fall zu bringen, fand allerdings ein jähes Ende, was vor allem schweren Taifunen zu verdanken war.
Auch der zweite mongolische Angriff auf Japan im Jahr 1281 scheiterte vor allem an äußeren Umständen, woraufhin sich der Begriff des Kamikaze (göttlicher Wind) im japanischen Sprachgebrauch etabliert hat.
In Ghost of Tsushima ist es Jin Sakai, ein fiktiver Krieger zwischen Samurai und Assassine, der als Ein-Mann-Armee durch die Reihen der Mongolen wütet, um sein Zuhause zu verteidigen. Mit der Realität hat das Spiel abseits der Ausgangslage also nicht viel gemein. Stattdessen vermengen Sucker Punch Stilmittel und Stereotype, wie man sie insbesondere aus dem Chanbara, den Samuraifilmen, her kennt.
Spielbares Historiendrama
Dass man sich vor allem die Popkultur und Werke von Regisseuren wie Akira Kurosawa (u.a. Die sieben Samurai, Rashomon) und Kenji Misumi (u.a. Zaitoichi) als Inspiration genommen hat, merkt man dem PS4-Exklusivtitel in beinahe jeder digitalen Faser an. Der dramaturgische Aufbau der Duelle etwa deckt sich beinahe Bild für Bild mit der Inszenierung der minutiös arrangierten Auseinandersetzungen in Filmen wie Sword of Doom (Kihachi Okamoto, 1965) und Harakiri (Masaki Kobayashi, 1962).
Wie groß die Liebe und Verbeugung vor den Vorlagen ist, merkt man nicht zuletzt dem Kurosawa-Modus an, der das komplette Bild in schwarz-weiß Optik hüllt. Zusammen mit der dumpferen Geräuschkulisse versucht es, die Erfahrung zu imitieren, die man hat, wenn man einen der alten Filme aus den 1950er und 1960er Jahren sieht. Dass es sich in diesem Modus eher bedingt gut spielen lässt (Warnhinweise für nicht blockbare Angriffe gehen etwa komplett unter), ist da schon eher nebensächlich.
Sämtliche Klischees über Japan, kondensiert auf eine Insel
Ansonsten ist die visuelle Inszenierung vor allem eines: pompös!
Die Entwickler versuchen in ihrer Version von Tsushima weniger die Realität abzubilden, als vielmehr jegliche ästhetischen Klischees, die man über Japan haben kann. Glühwürmchen erhellen dunkle Zedernwälder bei Nacht, der Wind setzt riesige Felder mit Pampasgras auf beinahe hypnotische Weise in Bewegung. Rote Ahornblätter wehen über das Schlachtfeld, während man sich in beinahe choreografiert schönen Posen mit einem Gegner duelliert.
Insbesondere die Lichtstimmung mit ihrer vibrierenden Farbpalette und die absurde Intensität an Partikeln trägt zur Stimmung bei und macht die Spielwelt zu einer der schönsten, die ich in dieser Generation erlebt habe.
Wohin des Weges?
Tsushima ist aber nicht nur wunderschön, sondern belohnt auch jene, die gerne abseits der gesicherten Pfade auf Entdeckung gehen.
Grotesk viele Stunden habe ich damit zugebracht, zu Fuß oder mit dem Pferd die Insel zu erkunden. Ich habe diese Trips in die virtuelle Natur als geradezu erholsam empfunden, zumal man eher selten auf Gegner trifft und diese meist ohnehin gut umgehen kann, um sich nicht bei den virtuellen Spaziergängen über die Insel stören zu lassen.
Das Erkunden lohnt sich im übrigen auch deshalb, da man immer wieder Orte entdeckt, die spielerisch einen mal mehr, mal weniger relevanten Einfluss haben. In heißen Quellen kann man etwa die maximale Energie steigern, während man an Trainingsstationen aus Bambus mit dem Schwert möglichst schnell das Holz zerteilt, um damit die Entschlossenheit zu steigern. Entschlossenheit dient als Ressource, um sich zu heilen und besonders starke Attacken im Kampf auszuführen. Folgt man Füchsen, führen diese an Inari-Schreine, um vor diesen zu beten. Das schaltet wiederum neue Talismane mit verschiedenen Buffs (mehr Schaden, erhöhte Lebensenergie, etc.) frei.
Was mir in diesem Zusammenhang vor allem gefällt, ist die Unaufdringlichkeit, mit der man auf besondere Orte aufmerksam gemacht wird. Es gibt weder eine Minimap, noch blinkende Pfeile, noch irgendeine Art von Kompass. Stattdessen kündigen goldene Vögel an, dass man ihnen doch vielleicht mal folgen sollte. Will man einen bestimmten Punkt bereisen, dann ruft man die Karte auf, markiert den gewünschten Ort und folgt anschließend dem Wind, den man mit einem sanften Wisch über das Touchpad aktivieren kann. Das ist visuell derart schön umgesetzt, dass es mich im Nachhinein erstaunt, dass es noch kein anderes Spiel derart einfach und doch zielführend geschafft hat, mich durch eine Open World zu navigieren.
Mehr, als nur ein Schnappschuss
Viel Zeit habe ich mit dem Fotomodus verbracht. Dieser bietet abseits der bekannten Bearbeitungsmöglichkeiten ein paar Features, die ich so noch nicht gesehen habe. So kann man beispielsweise Partikel, Wolken und andere Animationen (außer die der Figuren) sowie Umgebungsgeräusche weiter laufen lassen. Selbst individuelle Hintergrundmusik kann man auf Wunsch aktivieren. Außerdem lässt sich auf Knopfdruck das Wetter ändern, die Intensität von Partikeln bestimmen, Farbfilter einsetzen, die Brennweite optimieren, usw.
Zwischen Romantisierung und historischen Bewusstsein
Bei all dieser Schönheit kann man oftmals vergessen, dass die Thematik des Spiels eine ziemlich ernste ist, in der auch Kriegsgräuel, Folter und Mord auf teils drastische Art und Weise gezeigt werden. Die Samurai und ihr Ehrenkodex sind darüber hinaus ein elementarer Bestandteil der Narration und zunächst auch eine zentrale Motivation für Jin Sakai.
Dass man als nahezu übermächtiger Krieger die Heimat von ausländischen Invasoren befreit, ist in Anbetracht des grausamen Imperialismus Japans und des derzeitigen Premierministers Shinzo Abe, der vor allem auch durch nationalistische Äußerungen und ebensolche Bestrebungen auffällt, brisant und kann in Verbindung mit einer Romantisierung der Samurai und ihres Ehrenkodexes nach hinten losgehen.
Tatsächlich ist das Spiel schon insofern entschärft, da die Invasoren nur aus Mongolen bestehen und nicht, wie in der Realität, auch aus chinesischen und koreanischen Truppen. Diese Abänderung dürfte man auch in Hinblick auf die entsprechenden Märkte gemacht haben, in denen man Ghost of Tsushima ebenfalls verkaufen möchte. Gleichzeitig sind die Entwickler bemüht und versuchen das Bild des Samurai als ehrenhaften Krieger nicht zu stark zu verklären.
Jin Sakai, das wird im Laufe der Handlung deutlich, ist eine durchaus ambivalente Figur, die vor enorm brutalen Mitteln nicht zurückschreckt und teilweise auch von den Menschen gefürchtet wird, denen er vermeintlich helfen will.
Und nicht nur Jin, auch andere Japaner nutzen die Wirren des Kriegs für ihre eigenen Interessen. Herrenlose Samurai, die Ronin, schlagen sich etwa auf die Seite der Mongolen. Banditen überfallen Flüchtlinge auf der Straße und Sklavenhändler verkaufen selbst Kinder und Frauen, um sich zu bereichern.
Die Narration ist unterm Strich dennoch nicht so geschickt im Umgang mit vielen Themen, wie ich es mir gewünscht hätte und im Nachhinein sind mir zwei, drei Momente in Erinnerung geblieben, die mit dem historischen und gegenwärtigen Kontext im Hinterkopf durchaus einen Nachgeschmack haben. Gleichzeitig ist es bedauerlich, dass man zwar in den narrativen Momenten durchaus mit den eigenen Taten konfrontiert wird, diese aber abseits einiger Cutscenes spielerisch keinen Einfluss haben. Dass die gleichen Entwickler, die in Infamous: Second Son ein Moral-System integriert haben, es ausgerechnet hier nicht tun, ist daher eine verpasste Chance.
Samurai auf leisen Sohlen
Zwischen alldem steckt natürlich auch noch jede Menge Spiel in Ghost of Tsushima. Sucker Punch bedienen sich etablierter Formeln, ohne allzu viel Eigenes beizumischen, setzen aber nahezu alle Elemente so gut um, dass ich mich an der mangelnden Innovation kaum gestört habe. Ausgerechnet die Kämpfe haben mir zu Beginn jedoch so gut wie keinen Spaß gemacht.
Oft steht man Gruppen von drei, vier, fünf Gegnern gleichzeitig gegenüber. Dabei gibt es keine Möglichkeit, einzelne Feinde manuell anzuvisieren und die Kamera hat Probleme, dem schnellen Geschehen zu folgen. Somit endeten meine ersten Auseinandersetzungen im Chaos und stellenweise auch im Frust.
Je mehr Möglichkeiten man zum Angreifen, Parieren und Blockieren erwirbt und desto besser man sich mit den Widrigkeiten des Kampfsystems arrangiert, desto mehr Spaß zieht man aus den Auseinandersetzungen. Vor allem wenn man alle der vier verfügbaren Haltungen freigeschaltet hat, die je gegen Schwertkämpfer, Schildträger, Gegner mit Speeren und „Barbaren“ geeignet sind, und man zusätzliche Waffen wie Kunai, Rauchbomben und Bogen mit unterschiedlichen Typen von Pfeilen im Inventar hat, entfaltet sich mit der Zeit ein sehr schöner Flow.
Zusätzlich zum offensiven Kampf hat man die Möglichkeit auch auf leisen Sohlen Gegner zu meucheln, aus dem Verborgenen zu vergiften oder mit Böllern für Verwirrung zu sorgen. Die Stealth-Option ist ziemlich mächtig, unter anderem, weil die KI der Gegner insgesamt enttäuscht. Diese merken oftmals nicht, was wenige Meter vor ihnen geschieht und auch im direkten Kampf könnte das Verhalten gerne etwas ausgefuchster sein.
[joomdev-wpc-pros-cons disable_title=“no“ title=“Pro & Kontra“ button_text=““ disable_button=“no“ button_link=““ button_link_target=““ button_rel_attr=““][joomdev-wpc-pros]
- wunderschöne offene Welt, die nicht nur zum Erkunden einlädt, sondern dieses auch belohnt
- atemberaubende Lichtstimmung und Partikeleffekte sorgen für eine geradezu surrealistische Stimmung
- spannende Erzählung, insbesondere in den Nebenhandlungen
- zwar kein innovatives, aber kompetent umgesetztes Gameplay
- süchtig machender Fotomodus mit vielen Möglichkeiten
[/joomdev-wpc-pros][joomdev-wpc-cons]
- Anfangs wirkt das Kampfsystem fummelig
- KI der Gegner lässt zu wünschen übrig
- Umgang mit den verschiedenen Themen nicht immer so kritisch, wie es angebracht wäre
[/joomdev-wpc-cons][/joomdev-wpc-pros-cons]
Pro & Kontra
- wunderschöne offene Welt, die nicht nur zum Erkunden einlädt, sondern dieses auch belohnt
- atemberaubende Lichtstimmung und Partikeleffekte sorgen für eine geradezu surrealistische Stimmung
- spannende Erzählung, insbesondere in den Nebenhandlungen
- zwar kein innovatives, aber kompetent umgesetztes Gameplay
- süchtig machender Fotomodus mit vielen Möglichkeiten
- Anfangs wirkt das Kampfsystem fummelig
- KI der Gegner lässt zu wünschen übrig
- Umgang mit den verschiedenen Themen nicht immer so kritisch, wie es angebracht wäre
So anschaulich schön beschrieben, sehr immersiv und teilweise schon fast poetisch!
Hätte große Lust, das Game auszuprobieren. Schade, dass es PS4-exklusiv ist.
Ghost of Tsushima ist eines dieser Spiele, bei denen ich nicht nur riesige Freude beim Spielen selbst, sondern auch beim Schreiben gehabt habe. Entsprechend freut es mich sehr, wenn dir die Besprechung gefallen hat 🙂
Ich liebe dieses Spiel einfach 🙂
Ich will es mir demnächst auch zulegen 🙂