Flashbacks: Persona
Düster, komplex, mit okkulten Motiven aufgeladen und beinahe immer in der realen Welt verhaftet – Shin Megami Tensei bildete im Genre der japanischen Rollenspiele seit dem Serienerstling Digital Devil Story: Megami Tensei von 1987 eine krasse Ausnahme von den Konventionen und kocht bis heute sein eigenes Süppchen. In der nun 30-jährigen Existenz des Franchise hat Entwickler Atlus unzählige Nachfolger und Ableger geschaffen. Über sechs Hauptreihen und 30 Spiele existieren im Megami Tensei Kosmos, wobei das heute bekannteste und populärste Spin-Off die Persona Reihe ist, deren Startschuss 1996 fiel.
Nieder mit den Konventionen, Analytische Psychologie und Adolf Hitler
Revelations: Persona wurde im September 1996 auf der noch jungen PlayStation 1 in Japan, etwas später auch in den USA veröffentlicht. Viele der seinerzeit etablierten Elemente prägen die Serie noch heute und sind weiterhin fester Bestandteil. Ein vornehmlich aus Oberschülern bestehender Cast, die mit Hilfe der titelgebenden Personas gegen böse, Schatten genannte Dämonen und das nahende Ende der Welt kämpfen, das zunächst simpel anmutende, aber eine nach und nach eine angenehme Tiefe entfaltende Kampfsystem und das große Augenmerk auf Charaktere und Handlung bilden die Kernessenz jedes Serienteils.
In einer Zeit, in der JRPGs zwar durchaus schon in der Lage waren komplexe Geschichten zu erzählen, aber in der Regel in abstrakten Fantasy-Welten stattfanden, stellte Revelations: Persona mit seinem im modernen Japan verhafteten Setting eine willkommene Abwechslung dar. In seinem Heimatland aufgrund der Nähe zur eigenen Lebenswirklichkeit beliebt, dürfte die Serie außerhalb Japans vor allem deshalb populär sein, da sie ein durchaus realistisches Abbild seines realen Vorbildes schafft und in der Lage ist den Spieler in eine zwar vertraut wirkende, aber dennoch fremde Welt zu entführen.
Die geschaffenen Welten faszinieren aber auch deshalb, weil sie mit okkulten und christlichen Motiven angereichert werden und einen selbst heute noch ungewohnt düsteren Ton anschlagen. Ziemlich einmalig sind auch die Motive des Spieles, in deren Zentrum auch die Analytische Psychologie von Carl Gustav Jung eine entscheidende Rolle spielt. In der Psychologie bezeichnet der Persona Begriff die nach außen gestellte Persönlichkeit eines jeden Menschen, die nicht zwangsläufig sein wahres Wesen wiedergibt, sondern oftmals als Maske dient. Die Serienväter Kouji Okada und Kazuma Kaneko nutzen diese Idee und implizierten sie in das Spiel, machten es gar zu einer Kernmechanik. In Persona können entsprechend fähige Figuren ihr wahres Wesen in Form eines übernatürlichen Mitstreiters manifestieren und heraufbeschwören und schließlich gegen das Böse in Form der Schatten kämpfen.
Mitunter nehmen die Handlungen aber auch schräge Abzweigungen. In Persona 2: Innocent Sin etwa trifft der Spieler am Ende auf eine sehr bekannte Figur der realen Welt – Adolf Hitler. Hitler als Endboss? Das führte selbst in Japan zu Kontroversen, weshalb man den Auftritt Hitlers in späteren Portierungen und Versionen abmilderte und ihn hinter einer schwarzen Sonnenbrille und der Bezeichnung „Fuhrer“ versteckte.
Alles auf Anfang
Die stets breit erzählte Handlung zählt seit jeher zu den wichtigsten Merkmalen, wird aber mit jeden Teil quasi auf Null gesetzt. Einzig das seinerzeit Japan exklusive Persona 2: Innocent Sin (1999) und Persona 2: Eternal Punishment (2000) bauen aufeinander auf. Nach Europa haben es die ersten drei Spiele übrigens nie geschafft. Lediglich das PSP-Remake von Persona 2: Innocent Sin wurde 2011 auch auf dem alten Kontinent veröffentlicht, alle anderen Veröffentlichungen blieben in Japan und den USA. Die teilweise komplizierte Veröffentlichungspolitik von Atlus in Europa setzt sich übrigens bis heute fort und sorgt dafür, dass manche Spiele (Shin Megami Tensei IV) erst nach Jahren auch bei uns erhältlich sind.
Obwohl die Geschichten aller bisher erschienenen Teile voneinander losgelöst sind, so gibt es für Langzeitspieler dennoch immer wieder Insider und Querverweise zu entdecken. Dennoch unterscheiden sich gerade Persona und Persona 2 sehr stark von den jüngeren Ablegern. Die ersten Einträge der Serie sind noch stark der Shin Megami Tensei Formel verhaftet, erst mit Teil 3 sollte sich das Konzept vollständig etabliert und verselbständigt haben.
Aus heutiger Sicht erscheinen die ersten Teile etwas altbacken. Während sie in narrativer Hinsicht den Zahn der Zeit überdauert haben und nach wie vor in ihren Bann ziehen, so sieht das beim Gameplay schon etwas anders aus. Die in einer isometrischen 2D-Sicht dargebotenen Spiele mit aus der Ego-Perspektive gespielten Dungeon-Crawler Abschnitten dürften daher nur für eingefleischte Fans und Liebhaber des Genres einen Blick wert sein, alle anderen Spieler dürften sich mit den veraltet wirkenden Mechaniken schwertun. Sehr viel einfacher dürfte der Einstieg in Persona 3 fallen, welches in Japan 2006, in den USA 2007 und mit reichlich Verspätung auch in Europa 2008 für die PlayStation 2 erschien.
Eine Offenbarung
Nicht nur die neuen technischen Möglichkeiten der PlayStation 2, auch der Wechsel zu Katsura Hashino als Produzent und Director haben der Serie ab Teil 3 ein neues Gesicht verliehen. Der schon immer stark auf Anime-Ästhetik ausgelegte Look wurde nun wesentlich eigenständiger und verspielter, was sich nicht nur auf das Charakter-Design ausgewirkt hat, sondern auch auf die Inszenierung der Spielwelt und den etwas gelockerten Humor. Nachhaltig in Erinnerung bleibt seit Persona 3 aber auch der Soundtrack aus der Feder von Shoji Meguro. Dieser ist schon seit dem ersten Serienteil bei Atlus als Hauskomponist angestellt und verblüffte immer wieder mit seinen ungewöhnlichen Genremixen. Der sich aus Jazz, J-Pop und Hip Hop zusammensetzende Score von Teil 3 setzte innerhalb des Genres aber neue Maßstäbe und ist ein Ohrwurm, wie er im Buche steht.
Auch in Persona 3 begleitet man über eine Zeit von mehreren Dutzend Spielstunden eine Gruppe japanischer Oberschüler bei ihrem Kampf gegen das Böse. Nun spielt aber auch das Leben abseits der Dungeons eine wichtige Rolle. Der Tagesablauf ist klar strukturiert, schließlich können Schüler nicht die ganze Nacht wach bleiben und die Welt retten, sondern müssen auch die Schulbank drücken und für Prüfungen bestehen. Für diese muss der Spieler lernen, im Unterricht gar immer wieder Fragen beantworten. Der Lebenssimulations-Aspekt wird aber vor allem durch die ebenfalls neu eingeführten Social Links zu einer elementaren Spielmechanik. Durch die Social Links erhält man die Möglichkeit stärker mit anderen Figuren zu interagieren und mit diesen freundschaftliche Bande zu schließen. Als Belohnung winken viele interessante Nebenhandlungen und Vorteile im Kampf.
Das Kampfsystem wurde für den dritten Serienteil ebenfalls überarbeitet und modernisiert – bis heute zählt es als eines der besten rundenbasierten Systeme und wird von JRPG-Traditionalisten für seine Komplexität geliebt.
Endgültig angekommen
Richtig durch die Decke ging das Franchise spätestens mit Persona 4, welches in Japan und Nordamerika 2008, ein Jahr später auch in Europa erschienen ist. Und das, obwohl die gewählte Plattform erneut die PlayStation 2 darstellte und nicht die bereits seit 2006 auf dem Markt erhältliche PlayStation 3.
Bis heute ist Teil 4 der bei vielen Fans beliebteste Teil. Die verschiedenen Mechaniken sind hier am zugänglichsten, die Story am besten erzählt und die Charaktere entsprechen am ehesten bekannten Anime-Tropen. Dennoch tut man dem Spiel unrecht, wenn man es auf seine visuelle Ästhetik und offenbar typischen Anime-Figuren reduziert, denn wie auch schon bei dem doch etwas erwachsener wirkenden Persona 3 hat es Katsura Hashino erneut geschafft ein überraschendes und mit vielen Wendungen gespicktes Spiel zu kreieren, dessen Stärke auch im Spiel mit den Erwartungen liegt.
Hat Persona 4 sein Publikum nicht auf der PlayStation 2 erreicht, so wurden neue Spieler spätestens mit dem PlayStation Vita Re-Release von 2012 erschlossen. Es folgten zwei Anime-Serien, unzähliges Merchandise, eine Adaption für´s Theater und diverse Genre-fremde Ableger. In Persona 4 :Arena kloppen sich die Charaktere in bester 2D-Beat ´em Up Manier, in Persona 4: Dancing All Night wird getanzt und in Persona Q an die Serienursprünge und ihre Dungeon-Crawler Elemente erinnert.
You Are Slave. Want Emancipation?
Es ist also kein Wunder, das die Erwartungen an Teil 5 mit den Jahren ins unermessliche gestiegen sind und die Enthüllung 2013 zum viralen Event wurde. Ursprünglich sollte Persona 5 bereits 2014 für die PlayStation 3 erscheinen, doch die Entwicklung verzögerte sich schließlich bis ins Jahr 2016. In dieser Zeit wurde Atlus von Sega aufgekauft, was bei vielen Fans die Befürchtung nährte, dass der traditionsreiche Entwickler seine Unabhängigkeit verlieren würde. Dies hat sich bisher nicht bewahrheitet, in der Tat scheint es dem Unternehmen und seinen Möglichkeiten im Rückblick gar gut getan zu haben.
Persona 5 ist in Japan seit Herbst vergangenen Jahres für PlayStation 3 und PlayStation 4 erhältlich. Dort ist es der sich bisher am besten verkaufende Serienteil und hat hat sämtliche Erwartungen übertroffen. Glaubt man dem Echo aus Japan, so haben Katsura Hashino und sein Team die lange Entwicklungszeit sinnvoll genutzt und erneut ein großartiges Spiel vorgelegt. Dabei dürfte die Serie erneut an einen Wendepunkt stehen, denn mit den vielen Vorschusslorbeeren und der lautstarken Fangemeine im Rücken weckt der neueste Teil nun selbst das Interesse von westlichen Spielern, die dem Genre und mit Persona 5 das erste Mal mit der Serie in Berührung kommen dürften.
Ab dem 4. April 2017 wird es noch einmal spannend, denn dann steht Persona 5 endlich auch in Europa und Nordamerika in den Läden.