The Red Strings Club REVIEW
Eine regnerische Nacht. Immer wieder zucken Blitze am Himmel auf und erhellen die getrübte Sicht auf die Szenerie. In den Fensterscheiben, auf die ich blicke, spiegeln sich die neonfarbenen Lichter der Stadt wieder, während in der Ferne ein schwermütiges Klavier seine Melodie spielt. Sofort bin ich von der minimalistischen Schönheit gepackt, die mir The Red Strings Club da in seiner ersten Minute präsentiert. Wirklich genießen kann ich die stimmungsvolle Eröffnung aber nicht, denn ein in die Tiefe stürzender, mir zu diesem Zeitpunkt noch gänzlich unbekannter Mann durchbricht die beinahe schon trügerische Ruhe. Warum er in den sicheren Tod stürzt, das kann ich zu diesem Zeitpunkt – wenn überhaupt – nur erahnen. Er lässt mich an den wohl letzten Gedanken seines Lebens teilhaben, fragt sich, wann sich das Schicksal gegen ihn gestellt hat, bevor der Einstieg schließlich abrupt durch das Auftauchen des Titelschriftzug beendet wird.
Cyberpunk-Allerlei
In der nächsten Szene befinde ich mich in einer Bar. Der Mann, der kurz zuvor noch in den Tod stürzte, sitzt nun an einem Klavier und spielt für das nicht vorhandene Publikum. Sein Name lautet Brandeis und er ist ein selbsternannter freiberuflicher Hacker/Revoluzzer/Held. Hinter den Tresen steht sein Freund Donovan, einige Jahre älter und um einiges zynischer. Gemeinsam philosophieren sie über Gott, die Welt und das Leben in der technologisierten Dystopie. Was einem eben so an einem ruhigen Abend in einer schlecht besuchten Kneipe in den Sinn kommt. Das Gespräch findet just ein Ende, als eine sichtlich verletzte Person in die Bar stürzt. Schnell stellt sich heraus, dass es sich um einen Androiden des Typen Akara-184 handelt, der ersten künstlichen Intelligenz, die zu Empathie und nach moralischen Abwägungen getroffenen Entscheidungen fähig sein soll. Akara-184 gibt an, aus den Laboren des Supercontinent-Konzerns geflohen zu sein. Die sich altruistisch gebende Firma soll in Kürze ein Projekt starten, mit welchen negative Gefühle und Empfindungen wie Wut und Angst, aber auch Depression und Hass unterdrückt werden können. Brandeis und Donovan sehen darin aber weniger eine Chance für die Menschheit, sondern vielmehr eine groß angelegte Gehirnwäsche und wollen den Plan zu Fall bringen…
In den folgenden rund fünf bis sechs Stunden Spielzeit liegt es also am Spieler das Projekt von Supercontinent zu beenden, bevor Schlimmeres angerichtet werden kann. Eingebettet ist die Handlung in einem Cyberpunk-Setting, welches auf den ersten Blick nicht klischeehafter hätte sein können. Ein böser Konzern, der sich über Regierung und Gesetze hebt? Check! Eine künstliche Intelligenz, die menschlicher als manche Menschen wirkt, denkt und handelt? Check! Viel Regen? Check. Neonlichter? Check.
Obwohl diese Aneinanderreihung von bekannten Tropen des Genres unkreativ anmutet, wie nur eben möglich, würde man dem Spiel aber unrecht tun, beschränke man es nur auf die genannten Versatzstücke. Denn einmal abgesehen davon, dass die bekannten Elemente eben sehr viel zur (grandiosen) Stimmung des Spiels beitragen, hebt die Tatsache, dass Entwickler Deconstructeam etwas eigenes zu erzählen hat und spannende Gedankengänge aufkommen lässt, sehr dazu bei, dass sich The Red Strings Club aus der Masse hervorhebt.
Lest ihr auch immer fleißig eure AGBs?
The Red Strings Club ist immer dann am besten, wenn es sich auf seine Narration und seine Figuren fokussiert. In diesen Momenten, die den großen Teil der Spielzeit ausmachen, erhält man nicht nur interessant geschriebene Charaktere, sondern ebenso toll verfasste Dialoge. Letztere besitzen immer wieder auch Multiple-Choice Antworten, die den Verlauf der Story verändern können. Die angesprochenen Themen bewegen sich zwar ebenfalls in den bekannten Cyberpunk-Mustern, wirken aber sehr viel greifbarer, wie die teils abstrakten Gedankengänge eines Blade Runner und Co. So spielen zwar Themen wie künstliche Intelligenz und die Frage, wie weit Menschen beim technologischen Fortschritt gehen sollten, eine Rolle, gleichzeitig werden aber auch aktuelle und sehr viel nachvollziehbarere Probleme aufgegriffen.
Inwiefern haben AGBs etwa eine legale Gültigkeit, wenn man bedenkt, dass die meisten Menschen die ellenlangen Texte in der Regel nur bis zum Ende scrollen, ohne auch nur ein Wort gelesen zu haben, und dennoch ihr Einverständnis geben? So lange es nur um den Download von Software geht, mag sich niemand an diesen Umstand stören, doch was, wenn ohne Bedacht unterzeichnete Einwilligungen tatsächlich in das Leben eingreifen? An einer anderen Stelle geht es hingegen um die Selbstpräsentation in sozialen Netzwerken und der Problematik, wie weit Menschen bei der Suche nach Aufmerksamkeit und Selbstdarstellung gehen. Im Falle von The Red Strings Club lässt sich eine Cosplayerin ein Implantat installieren, welches das Charisma in den sozialen Netzwerken steigern soll. Dadurch erhält sie zwar einen Popularitätsanstieg, gleichzeitig zieht sie aber auch mehr Hater und Trolle an, was sich wiederum auf ihren Gemütszustand niederschlägt.
Eben weil viele der Geschichten und Gedankengänge erstaunlich wenig nach Sci-Fi schmecken, wirken sie nachvollziehbar und eignen sich besser zur Reflexion, als die ebenfalls abgehandelten Themen um künstliche Intelligenz und böse Konzerne und selbst bei den eigentlich ausgelutschten Cyberpunk-Themen hat The Red Strings Club noch den ein oder anderen interessanten Kniff im Ärmel.
Implantate töpfern und Drinks mixen in der Dystopie
Abseits der Dialoge werden immer wieder auch klassisch spielerische Abschnitte eingestreut. Als Barman Donovan mixt man seinen Gästen beispielsweise Drinks. Diese haben die Fähigkeit bestimmte Stimmungen beim Gegenüber anzusprechen, was es leichter macht an Informationen zu kommen oder das Gespräch in eine gewisse Richtung zu lenken. Das entsprechende Minispiel gestaltet sich einigermaßen simpel: man klickt eine Spirituose an, schüttet den Inhalt ins Glas und achtet darauf, dass sich das Icon an die richtige Stelle bewegt. Bald schon reicht es aber nicht mehr, einfach nur Wodka, Absinth und Eiswürfel ins Glas zu füllen, dann nämlich wollen Cocktails gemixt werden. Das funktioniert mit der simplen Maussteuerung auch noch ganz bequeme, anders, als der geradezu nervtötende Abschnitt mit Akara-184, in welchen man Implantate aus organischer Masse „töpfern“ muss. Hierbei sind Geduld und ein gewisses Maß an filigraner Mausarbeit gefragt, andernfalls kann man das Resultat in die Tonne kloppen. Zumindest mir ist es häufiger so ergangen, als mir lieb war. Und auch gegen Ende forderte The Red Strings Club ein bisschen zu viel Geduld von mir, als ich mich durch unzählige Telefonate klicken, immer wieder mit anderen Identitäten wieder und wieder die gleichen Personen anrufen musste, um an neue Informationen zu kommen.
Letztlich überwiegt aber der positive Eindruck, der neben Handlung, Figuren und Dialogen vor allem durch die audiovisuelle Präsentation entsteht. Zwar gibt es nur wenige Schauplätze, dafür wurden diese aber wunderbar in Szene gesetzt und versprühen inklusive des treibenden Synthie-Soundtracks eine wunderbare Cyberpunk-Atmosphäre, wie sie im Buche steht.