Stellar Blade REVIEW

In der westlichen Wahrnehmung hat die südkoreanische Videospielkultur bisher kaum stattgefunden. Dabei kommen aus Korea einige Spiele, die auch außerhalb Asiens zu Hits avanciert sind und vor allem eines gemeinsam haben: sie sind auf Mobile und Multiplayer-Erfahrungen ausgelegt. Ragnarok Online, Blade & Soul und Playerunknown’s Battlegrounds (PUBG) – um nur einige zu nennen – waren und sind veritable Erfolge. Und so allmählich wollen koreanische Studios auch den Singleplayer-Markt aufmischen. Spannend ist das allemal, denn andere Kulturen bringen immer auch andere Sichtweisen, Ästhetiken und Geschichten mit und versprechen, dem Bekannten etwas Frisches entgegenzusetzen. Das beste Beispiel hierfür ist das im letzten Jahr veröffentlichte Lies of P, in welchem Souls-like-Elemente auf eine sehr eigenwillige Neuerzählung von Pinocchio getroffen sind. Auch das jüngst exklusiv für die PlayStation 5 veröffentlichte Stellar Blade von Entwickler SHIFT UP setzt vor allem auf etablierte Spielmechaniken, während man bei der Story in eine Sci-Fi-Erzählung geht.

Der halbnackte Elefant im Raum


Wer noch nie von SHIFT UP und deren bisherigen Output an Spielen gehört hat, wird sich wahrscheinlich nicht sonderlich oft in der Games-Kategorie der App-Stores auf Android und Apple Systemen umsehen. Denn dort ist das Studio dank seines Mobile-Dauerbrenners Nikke stets anzutreffen. Der Shooter mit seinen leicht bekleideten und stets den unverhüllten Hintern in die Kamera haltenden weiblichen Spielfiguren ist seit rund zwei Jahren ziemlich erfolgreich unterwegs und beschert dem in Seoul ansässigen Studio monatlich wohl so einige Millionen aufs Konto.

Auf den ersten Blick schlägt Stellar Blade in eine ähnliche Kerbe, zumindest was das Aussehen der Spielfiguren angeht. Das vor einigen Jahren im Rahmen eines PlayStation Showcase noch als Project EVE angekündigte Singleplayer-Spiel ist daher aktuell auch Gegenstand einer ziemlich hitzigen Diskussion auf Social Media. Den einen sind die knappen Outfits von Protagonistin EVE zu knapp, die anderen springen auf den unsäglichen Sweet Baby Inc. Zug auf und vermuten von Publisher Sony gesteuerte Zensur, da ein Outfit nun doch nicht so knapp ist, wie in Werbevideos zu sehen. Wer noch nie von der „Kontroverse“ gehört hat, sollte sich den Gefallen tun, und nicht danach suchen. Man wird beim Lesen der Kommentare beider Seite nur an Denkvermögen einbüßen.

Nun lässt sich kaum von der Hand weisen, dass EVE durch ihre rund 30 freischaltbaren Kostüme mitunter sehr lasziv dargestellt wird und die Kamera vor allem in Zwischensequenzen auffallend häufig auf Busen und Hintern schwenkt. Und natürlich wabern die sekundären Geschlechtsmerkmale von EVE dank Physik-Engine auch munter hin und her. Hätte es das Spiel gebraucht? Nö. Stört es mich? Ebenfalls nö. Muss man deswegen wieder ein riesiges Fass aufmachen? Nö nö. Was mich schon eher stört, ist der Umstand, dass nur die weiblichen Figuren – wenn auch nicht alle – mit Körperbetonten Outfits und tiefen Ausschnitten versehen wurden. Männliche Figuren gibt es auch, diese dürfen aber nicht sexy sein. Bis auf eine Ausnahme, sehen alle männlichen Figuren nämlich aus, als kämen sie von einer Cyberpunk 2077 Cosplay-Veranstaltung, bei der nur Kostüme der Cyberpsychos zugelassen waren. Also liebe Entwickler, wenn schon, dann lasst doch bitte Gleichberechtigung walten und inszeniert auch die nicht-weiblich gelesenen Figuren etwas aufreizend. So haben alle etwas davon.

Videogame the videogame


Stellar Blade ist ein durch und durch interessantes Anschauungsobjekt, denn es vereint einen Haufen von Spielmechaniken und Ansätzen, die man in den letzten zehn, fünfzehn Jahren im Triple-A-Segment antreffen konnte. Das Kampfsystem ist eine Mischung aus Character-Action a la Devil May Cry und Souls-like, es gibt Abschnitte, die an Resident Evil erinnern und sogar Rätsel und Monstrositäten als Gegner inszenieren, die man so 1:1 auch in den Horror-Spielen von Capcom finden könnte. Es gibt einen Scanner, wie in Assassin´s Creed und in zwei Abschnitten mit einigermaßen offenen Spielbereich auch noch Adaptionen der Türme aus den Ubisoft-Open-Worlds. Und die Geschichte? Die erinnert vor allem an Nier: Automata – inklusive Story-Wendungen.

Zwischen Soap Opera und hä?


Die Handlung findet viele Hundert Jahre in der Zukunft statt. Die Erde ist mittlerweile dem Erdboden gleichgemacht, seit die Menschheit den Kampf gegen eine Naytiba genannte Rasse von Monstern verloren hat. Teile der Menschheit hat es nach Xion verschlagen, einer großen Stadt, die ihre besten Tage aber schon lange hinter sich hat. Der andere Teil der Menschheit ist in den Weltall geflüchtet. Von dort aus wird nun zum großen Gegenschlag gegen die Naytibas ausgeholt. Doch der militärische und technische Vorteil scheint den Monstern kaum etwas entgegensetzen zu können. Auch der Landetrupp von EVE wird nahezu komplett ausgelöscht, weshalb man ab sofort recht alleine unterwegs ist.

Es hat mich schon etwas erstaunt, wie sehr die Geschichte und ihr Verlauf und sogar einige Twists an Nier: Automata erinnern. Stellar Blade ist mitnichten eine Kopie, aber auch nicht so ganz weit davon weg. Und das ist ein Problem, welches das gesamte Werk anheimfällt und eines meiner größten Probleme ist. Dem Konsolen-Debüt von SHIFT UP fehlt es an einer eigenen Identität, sowohl spielerisch als auch inhaltlich. Während mich das Meisterwerk von Yoko Taro narrativ vollkommen in seinen Bann ziehen konnte und ich selbst heute immer mal wieder an die Geschichte und ihre Figuren denke, bleibt Stellar Blade ziemlich fad. Die Figuren inklusive EVE sind vollkommen uninteressant, die Dialoge auffallend hölzern, Wendungen innerhalb der Handlung vorhersehbar. Das eingangs erwähnte Lies of P hat sich ebenfalls an vielen anderen Werken bedient, hat erzählerisch mit der eigenständigen Adaption von Pinocchio aber eigene Identität bekommen. Solche Alleinstellungsmerkmale fehlen hier nahezu komplett.

Action wie bei den Besten


Narrativ fällt das schwerer ins Gewicht als spielerisch. Kreative Impulse sind im Triple-A-Bereich ohnehin Mangelware, entsprechend kann man es SHIFT UP nicht verübeln, dass sie auf etablierte Elemente setzen. Diese werden auch wesentlich stimmiger zusammengeführt als die narrativen Versatzstücke. Um nicht zu sagen: Stellar Blade ist ein richtig gutes Videospiel!

Der spielerische Kern liegt im Kampfsystem verborgen. Im Vorfeld habe ich gedacht, man orientiere sich vor allem an Bayonetta und ähnlichen Titeln. Darüber hinaus finden sich aber auch einige Souls-like Mechaniken, darunter Camps, die in der Spielwelt als Lager dienen, an denen man nicht nur Items und Lebensenergie auffüllen kann, sondern auch die Naytibas wieder zum Leben erweckt, sobald man gerastet hat. Außerhalb der Kämpfe steuert sich EVE nicht so akrobatisch, wie das vielleicht den Anschein machen würde, wenn man nur Trailer und Gameplay-Videos kennt. Sicherlich ist die Protagonistin nicht so behäbig in der Bewegung wie ein mit schwerer Rüstung ausgestatteter Ritter in Dark Souls. Ganz leichtfüßig ist EVE aber eben nicht.

In den Kämpfen hingegen wird offenbar der innere Motor aktiviert und man kann mit flotten Ausweichrollen Angriffe aus dem Weg gehen, greift mit einem beherzten Sturmangriff nach vorne und kettet nach und nach freigeschaltete Kombinationen aneinander, um möglichst viel Schaden anzurichten. Wichtig ist auch das Blocken sowie das genaue Parieren. Das Zeitfenster hierfür ist angenehm großzügig, durch entsprechende Erweiterungen kann man den Zeitpunkt zwischen Eingabe und Parry sogar noch etwas erweitern. Hat man einen Angriff punktgenau abgeblockt, bringt man Gegner ins Straucheln und kann im besten Fall zu einem mächtigen Gegenschlag ausholen.

Wuchtige Kämpfe vor nicht immer imposanter Kulisse


Die Kämpfe gegen zunehmend grässlicher entstellten Monstern sind das, was Stellar Blade ausmacht und über den teils zähen Mittelteil hinwegrettet. Egal ob man nun mit flotten Nahkampfangriffen auf die Gegner einprügelt oder sich in den Fernkampf zurückzieht und mit wuchtigen Schussangriffen Schaden austeilt: das Kämpfen macht richtig Laune und ist bis zum Ende motivierend. Gesamt betrachtet, fällt das zweite Drittel gegenüber dem tollen Auftakt sowie dem grandiosen Schlussakt aber ab. Das hängt auch mit der generellen Struktur zusammen, die mehr Wert auf Spielzeitstreckung als qualitative Kohärenz legt.

Eigentlich ist das ziemlich geradlinig gestaltet. EVE wird in abgesteckte Areale geschickt, die einen klaren Anfang und ein klares Ende haben. Um weiterzukommen, muss man Fusionszellen finden, um Generatoren in Gang zu setzen, Keycards und Codes ausfindig machen, um Türen zu öffnen oder Geräte zu bedienen, oder kleinere Minirätsel lösen, die meist angenehm kreativ umgesetzt sind und nicht vollkommen banal sind, aber auch nicht frustrieren. Dazwischen schnetzelt man sich durch jede Menge Kleinvieh sowie durch Zwischen- und Endbosse. Die spielerische Herausforderung dieser, ihr visuelles Design als auch die visuelle Gestaltung der Level sind okay, aber nie richtig herausragend. Kanalisationen, Labore, U-Bahnschächte – all das hat man schon x-mal gesehen. Hinzu kommt ein offener Abschnitt in einer Wüstenregion, in der es zwar immer wieder etwas Interessantes zu entdecken gibt, die optisch aber keinerlei Reize bietet.

Das Wüstenareal hängt an Xion, jener Stadt, die als letzte Zuflucht der Menschheit dient und quasi der Hub der Spielwelt ist. Hier findet man diverse Geschäfte, Auftraggeber und eine schwarze Tafel, an der es Fetchquests gibt. Letztere kann man sich komplett sparen, außer man hat Freude daran eine x-fache Anzahl eines bestimmten Gegnertypen oder bestimmte Dokumente zu finden. Oder man braucht ganz dringend eine der verschiedenen Ressourcen und Erfahrungspunkte, um EVE aufzurüsten. Wirklich notwendig ist das aber nicht, denn zumindest auf dem normalen Schwierigkeitsgrad wird man selten eine Knappheit erleben.

Ein Finale, nachdem ich denke: Bitte mehr!


Im finalen Akt fängt sich Stellar Blade und wird wieder stärker von den Entwicklern gelenkt. Auf einmal bringt man EVE nicht nur an frische Locations, die visuell richtig, richtig toll aussehen (Stichwort Schnee und Weltall), sondern auch eine komplett neue Palette an Bossen bietet, die sich nicht nur visuell von den bisherigen Bossen unterscheiden, sondern auch mehr vom Spieler/Spielerin abverlangen. Dazwischen gibt es noch einige Plattformer-Einlagen, von denen ein Abschnitt absolut scheußlich und frustrierend ist, die ansonsten aber ebenfalls gelungen sind. Das letzte Drittel hat bei mir den Eindruck geweckt, als hätten die Entwickler ursprünglich mal ein insgesamt geradlinigeres Spiel geplant gehabt. Oder aber sie hatten keine Zeit mehr, die offenen Abschnitte und den Mittelteil interessanter zu gestalten.

Wobei ich mir Letzteres eigentlich kaum vorstellen kann, denn Stellar Blade ist ein bemerkenswert poliertes und fehlerfreies Spiel. Das man das herausstellen muss, ist eigentlich traurig, angesichts von Spielen, die erst nach Wochen oder gar Monaten in einem fertigen Zustand gepatcht wurden, ist das Konsolendebüt von SHIFT UP eine schöne Ausnahme. Der visuelle Stil ist natürlich Geschmackssache (ich finde ihn selten einfallsreich, aber okay), über die grafische Qualität hingegen kann man sich kaum streiten. Bei den drei angebotenen Grafikmodi kann man sich für konstante 60 Frames (Leistungs-Modus), 30 Frames mit 4k-Auflösung (Qualitäts-Modus) oder 40-45 Frames mit höherer Auflösung entscheiden. In allen Optionen läuft das auf der Unreal Engine 4 gebaute Spiel wunderbar, wobei für mich die 60 Frames bei dieser Art Spiel am meisten Sinn machen.

Auch die Musik ist mit ihrer Mischung aus orchestralen Klängen, K-Pop-Einschüben und einigen von Keiichi Okabe komponierten Stücken durch und durch gelungen und bietet einen schönen Kontrast zu der Musik, die in solchen Spielen normalerweise zum Einsatz kommt. Und ja, Keiichi Okabe war bereits der Komponist von unter anderen Nier: Autoamta. Und ja, man hört, welche Songs er gemacht hat. Und ja, auch hier versucht Stellar Blade sich für meinen Geschmack etwas zu sehr an die große Inspiration zu heften. Gut ist es dennoch.

Pro & Kontra

thumbs-up-icon

Pros
  • wuchtiges Kampfsystem mit tollen Feedback
  • grandioses letzte Drittel mit spannenden Bossen
  • abwechslungsreiches Gameplay welches nicht nur auf Kämpfe, sodnern auch auf Rätsel und Platforming setzt
  • teils schön gestaltete Level
  • technisch auf hohem Niveau mit verschiedenen Grafikmodi und sauberer Performance

thumbs-up-icon

Cons
  • uninspirierte Story, du zu sehr an Nier: Automata erinnert
  • zäher Mittelteil
  • langweilige Bosse und Level im Mittelteil

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Spiel Bewertung
Singleplayer
83
83
Gut
-
Multiplayer

FAZIT

Stellar Blade vermisst eine eigene Vision und hat keine klar erkennbare Identität, die sie von anderen Spielen abhebt. Das klingt ziemlich hart, ist aber genau der Eindruck, den ich nach einem und einem zweiten, zur Hälfte beendeten Durchgang habe. Das ich nach dem Abspann aber noch einmal ins New Game Plus eingestiegen bin, spricht wiederum aber für den Konsoleneinstand von SHIFT UP. Denn spielerisch ist Stellar Blade mitunter grandios, vor allem der Einstieg sowie der finale Akt sind toll und warten mit tollen Leveln und interessanten Bossen auf. Das grundlegende Kampfsystem ist ohnehin über jeden Zweifel erhaben und besitzt einen angenehmen Tiefgang. Gleichzeitig erweitert man das Spektrum an Spielerinnen und Spielern mit einigen Designentscheidungen, die den hohen Schwierigkeitsgrad etwas abfedern. Wer es herausfordernd haben möchte, wird also ebenso abgeholt wie all jene, die nicht mehrere Abende an einen Boss hängen wollen. Ich bin trotz der Schwächen ziemlich angetan von Stellar Blade und werde SHIFT UP ab sofort im Blick behalten. Egal ob sie aus dem Spiel nun eine Reihe machen, einen DLC nachschieben oder sich einem anderen Genre widmen: die Koreaner dürften für einen interessanten Output sorgen. Das einzige, was ich dem Studio ans Herz legen würde, wäre etwas mehr Mut zu eigenen Ideen, vor allem in Hinblick auf die Erzählung.

- Von  Adrian

PlayStation 5

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