State of Mind REVIEW
Egal ob im Kino (Blade Runner 2048, Denis Villeneuve), in der Gegenwartsliteratur (Die drei Sonnen, Cixin Liu) oder in Videospielen (Detroit: Become Human, David Cage/Quantic Dream) – düstere Zukunftsbilder sind derzeit wieder mächtig en vogue und haben unlängst ihren Weg in den Mainstream gefunden. Auch State of Mind, das neue Spiel von Martin Ganteföhr (The Moment of Silence) und Daedalic Entertainment, beschäftigt sich mit den Folgen der technologischen Entwicklung, was diese für die Menschheit bedeutet und welche Gefahren der Fortschritt birgt. Verpackt wird das Ganze dabei im Rahmen eines Familiendramas, welches sich im Berlin des Jahres 2048 abspielt.
Düstere neue Welt
Die nicht allzu ferne Realität von State of Mind unterscheidet sich dabei gar nicht einmal so sehr von der unseren. Zwar gibt es im Jahr 2048 unlängst fliegende Autos und BOTs genannte Roboter, die den menschlichen Alltag erleichtern sollen, doch gegenwärtige Sorgen und Nöte bestehen weiterhin, haben sich teils drastisch intensiviert. Die Staaten denken wieder in Ost und West, Kriege in der Ferne und terroristische Anschläge in der Heimat gehören zum Leben der Menschen ebenso, wie ein staatliches Überwachungssystem und Umweltverschmutzung samt ihrer Folgen. Diese Probleme tangieren Richard Nolan aber eher wenig, denn nach einem Unfall leidet der Journalist nicht nur unter Amnesie, sondern stellt alsbald auch noch fest, dass seine Frau und der gemeinsame Sohn spurlos verschwunden sind.
Von dieser Prämisse aus entwickelt sich in den folgenden Stunden eine durch und durch spannende Suche nach der Wahrheit, die immer wieder mit Wendungen und interessanten Perspektivwechseln durchsetzt ist. Man spielt im Laufe der Geschichte nämlich nicht nur einen, sondern mehrere Charaktere. Neben Richard Nolan ist sicherlich Adam Newman der wichtigste unter ihnen. Adam hatte ebenfalls einen Unfall und leidet nun unter den Folgen. Newman lebt allerdings nicht in Berlin, sondern in City 5, welches der genaue Gegenentwurf ist. Während Berlin dreckig und düster wirkt, ist City 5 hell und einladend. Der immer wieder stattfindende Perspektivwechsel geht auch mit unterschiedlichen Zeitebenen ein, denn immer wieder gibt es auch Rückblenden in die Vergangenheit der Figuren.
Wie für viele Werke der Science-Fiction üblich, so richtet auch State of Mind den Blick aber nicht nur in die Zukunft, sondern auch in die Gegenwart. Der allgemeinen Glaubwürdigkeit des Szenarios hilft, dass das im Spiel dargestellte Berlin nicht zu abgehoben wirkt und trotz seiner Inszenierung als Cyberpunk-Metropole (beständiger Regen, riesige Wolkenkratzer, Neonreklame etc.) nahbar und vertraut wirkt.
Zäher Anlauf, spannendes Finish
Die große Stärke von State of Mind liegt zweifelsohne in der Geschichte verborgen. Zwar erzählt Ganteföhr prinzipiell nichts, was man nicht bereits aus anderen Werken um Utopien und Dystopien kennt, dafür hangelt er sich aber geschickt durch verschiedene Anknüpfungspunkte und fügt sie zu einer durchweg spannenden Erzählung zusammen. Gerade zu Beginn muss man aber mit einem recht langsamen Aufbau leben, der ein, zwei Stunden anhält und sich dadurch etwas zieht. Das man sich außerdem des ziemlich ausgelutschten „der Protagonist hat alles vergessen“ Kniffs bedient und diesen Umstand als Entschuldigung für die anfänglich prominente Exposition nimmt, wirkt ebenfalls etwas uninspiriert. Umso erfreulicher, wie gut die Narration ansonsten gelungen ist.
Ganteföhr spricht viele Themen an. Transhumanismus und Augmentierungen, die Frage, ob künstliche K.I. dem Menschen gleichwertig ist, sobald sie beginnt eigenständig zu denken und zu handeln, und der Orwellsche Überwachungsstaat sind nur einige Themenfelder, die im Rahmen der Handlung Gegenstand der Narration sind. Dabei geht es vordergründig gar nicht mal zwingend um die brennenden Fragen der Gegenwart und der Zukunft, sondern vor allem um Richard Nolan und seiner Suche nach der verschwundenen Familie. Die angesprochenen Themen werden nicht auf Teufel komm raus in die eigentliche Haupthandlung reingequetscht, sondern fügen sich homogen in das Gesamtbild ein. Beispielsweise kann man viele Hinweise auf die Realität des Jahres 2048 verpassen, wenn man nicht zufällig mal die Nachrichten anschaltet oder mit NPCs spricht.
Stilvoller Look
Neben der sehr gelungenen Narration besticht State of Mind auch mit einer fantastischen Regie, die durch die herausragenden deutschen Sprecher und der melancholischen Musik wunderbar abgerundet wird und einen inszenatorisch einwandfreien Eindruck hinterlässt. Schön auch, das man aus stilistischen Gründen auf einen überladenen Bildschirm verzichtet hat. Abgesehen von den durch grüne Icons symbolisierten Objekten, mit denen man in der Spielwelt interagieren kann, gibt es keine störenden Elemente zu sehen, weder UI noch aufblinkende „geh hier entlang“ Hinweise stören.
Nicht minder gelungen ist die Darstellung des futuristischen Berlins. Dieses ist für meinen Geschmack zwar etwas zu sehr an Großstädten aus vergleichbaren Werken angelehnt, dennoch hat das Setting einen eigenen Touch und besitzt nicht zuletzt hinsichtlich der Architektur und der Inneneinrichtungen einen markanten Stil. Überhaupt ist die visuelle Präsentation sehr stilsicher gehalten. Daedalic setzt nämlich auf einen Low-Poly-Stil, der mich mitunter an Another World (1991) von Éric Chahi erinnert hat und immer wieder eigene Akzente setzt. Gerade das Design der verschiedenen Sets hat mir auf Anhieb zugesagt und birgt immer wieder sehenswerte Details. Und auch die bewusst „eckige“ Umsetzung der Figuren besitzt einen eigenen Charme. Mehr Feinschliff hätten derweil die Animationen vertragen können, denn sowohl Gestik als auch Mimik wirken ziemlich hölzern und mitunter unfreiwillig komisch.
Weniger Point & Click, mehr Dontnod & Telltale
Auch spielerisch schlägt Daedalic neue Pfade ein. Das vor allem für seine klassischen Point & Click Adventures bekannte Studio orientiert sich für State of Mind an narrativen Erlebnissen a la Life is Strange. Der überwiegende Teil des Spiels besteht daher auch aus Dialogen. Schade: zwar kann man in der Regel zwischen verschiedenen Antwortmöglichkeiten wählen, allerdings wirken sich diese spürbar kaum auf den Verlauf der Handlung aus, erst im letzten Drittel gibt es Entscheidungen, die zu unterschiedlichen Enden herbeiführen.
Aufgelockert werden die vielen Gespräche durch kurze, nie sonderlich anspruchsvolle Abschnitte, in denen man kleinere Rätsel und Aufgaben lösen muss. Mal muss man eine Drohne durch Lüftungsschächte fliegen, mal verschiedene Hinweise kombinieren, um auf die richtige Fährte zu gelangen. Schön auch, das man selten die gleichen Minispiele machen muss und diese in der Regel sehr kurz gehalten sind.