Shin Megami Tensei IV REVIEW

Im Bus, im Zug, in der Vorlesung, auf dem Sofa, im Bett – wann auch immer ich in den letzten Tagen ein paar Augenblicke abzweigen, mich von sozialen Verpflichtungen und dem Alltag losreißen konnte, habe ich meinen Nintendo 3DS geschnappt, mich in eine ruhige Ecke gesetzt und munter drauf los gedaddelt. Mal vergnügt mit einem Lächeln auf dem Gesicht, mal sichtlich gefrustet und mit zusammengekniffenen Augen kurz vor einem Wutausbruch stehend, mal geradezu euphorisch mit Ausrufen wie „Yesss!“ und ähnlichen meine Mitmenschen behelligend. Auf meine Umwelt dürfte ich derzeit also einigermaßen befremdlich wirken. Die „Schuld“ an meinem gegenwärtigen Zustand trägt Shin Megami Tensei IV, ein Spiel auf welches ich – nicht nur gefühlt – schon seit Jahren warte.

In Japan wurde das gute Stück nämlich bereits im Mai 2013 veröffentlicht, der Release in Nordamerika erfolgte kurze Zeit später. Wir Europäer wurden hingegen stets vertröstet, was nicht zuletzt an der unklaren Publishing-Situation des Spieles lag. Ursprünglich wollte Nintendo das Spiel in Europa vertreiben und sogar lokalisieren, dann wurden diese Pläne aus bis heute nicht geklärten Umständen verworfen. Schließlich ist Entwickler Atlus selbst in die Bresche gesprungen und veröffentlicht das Rollenspiel nun doch noch in unseren heimischen Gefilden, wenn auch nur Digital via den Nintendo eShop. Warum dies keinen Rollenspiel-Enthusiasten davon abhalten sollte Shin Megami Tensei IV zu spielen, sollen die nachfolgenden Zeilen klären.

 

Samurai, Burgen, Dämonen & eine Cyberpunk-Version von Tokyo

 

Während die in Japan produzierten Rollenspiele im überwiegenden Teil Anime-Kitsch, große Kulleraugen und Fan-Service aneinanderreihen und so häufig die stilistische und inhaltliche Ausrichtung vorgeben, so stellte das mittlerweile schon seit über 20 Jahren existierende Shin Megami Tensei Franchise früh einen bewussten Gegensatz zum weitgehenden Genre-Tenor dar und vermischt dystopische, zumeist in der Realität verwurzelte Settings mit Fantasy-Elementen, philosophischen Konzepten und düsteren Geschichten. Auch der nunmehr vierte Ableger der Hauptreihe bleibt dieser Herangehensweise treu und bietet eine Spielwelt, wie sie auf den ersten Blick nicht widersprüchlicher sein kann. Denn wie selbst verständlich werden ein mittelalterliches Königreich, Samurai, religiöse Fanatiker und eine apokalyptische Cyberpunk Version von Tokyo vereint und in den Kontext einer großen Handlung gestellt.

Das Spiel beginnt im östlichen Königreich von Mikado, deren Mittelpunkt eine riesige Burgfestung darzustellen scheint. In das Zentrum dieser Anlage wird eines Tages der Protagonist gerufen, denn wie alle Bewohner des Landes, so wird auch Flynn – so der Name des Hauptcharakters, sofern man ihm bei Spielstart keinen anderen gibt – mit dem erreichen seines 18. Lebensjahres auf seine Tauglichkeit als Samurai geprüft. Ähnlich, wie im feudalen Japan, so dienen die Samurai in Mikado als Kämpfer, die König und Volk vor Gefahren schützen sollen. Tatsächlich erweist sich Flynn als würdig und wird zeremoniell in die Kriegerkaste aufgenommen, ebenso, wie vier andere Jugendliche. Es dauert auch gar nicht lange, bis die Novizen ihren ersten Auftrag bekommen. Denn im Königreich ist eine mysteriöse, als Black Samurai betitelte Gestalt aufgetaucht, die unter den Menschen verbotene Literatur verteilt. Den Werken scheint jedoch eine dunkle Macht innezuwohnen, denn viele der Menschen, welche mit den Büchern in Kontakt gekommen sind, verwandeln sich wenig später in Dämonen. Schließlich folgen auch Flynn und seine Begleiter dem Black Samurai. Als sie schließlich einen eigentlich verbotenen Tunnel passieren, finden sich die vollkommen überwältigten Kämpfer schließlich auf der der Spitze eines Wolkenkratzers wieder. Vor ihnen liegt Tokyo, das Land der „Unreinen“…

Dieser Moment, in der plötzlich zwei vollkommen unterschiedliche Welten aufeinanderprallen, markiert den ersten großen Höhepunkt von Shin Megami Tensei IV, welches gekonnt wie eh und je aus vielen vollkommen konträr zueinander wirkenden Elementen eine in sich stimmige Welt schafft. Den roten Faden innerhalb der Storyline stellt zunächst die Suche nach dem Black Samurai dar, gleichzeitig wird aber auch eine große Rahmenhandlung gesponnen, die sich erneut mit durchaus philosophischen Fragen beschäftigt. Immer wieder muss man im aktiven Spielgeschehen nämlich moralisch durchaus schwierige Entscheidungen treffen, die sich auch auf den späteren Spielverlauf auswirken werden. Insgesamt gibt es vier verschiedene Enden, die man nach gut 50+ Stunden Spielzeit erreichen kann.

Schade nur, dass es nach dem guten Start und dem Erreichen von Tokyo recht lange dauert, bis die Handlung wieder etwas in Schwung kommt. Oftmals tut sich das Spiel nämlich schwer auch einfach mal Belanglosigkeiten einzuwerfen, die den Spieler ab und an aus dem eigentlichen Geschehen raus nehmen, und ihm ermöglichen eine Bindung zu den Figuren und deren jeweiliger Motivation aufzubauen. Zum Protagonisten ist dies wie gehabt etwas schwierig, da dieser das ganze Spiel über stumm bleibt, und auch meine beinahe ständigen Begleiter Walter, Jonathan und Isabeau bleiben mir eigentlich recht lange fremd. Vor allem die Persona Ableger machen dies um Längen besser und schaffen es binnen kürzester Zeit das Gefühl von Gruppenzugehörigkeit und Freundschaft zu vermitteln.

 

Wo soll ich hin?

 

Die recht oberflächliche Behandlung der Figuren ist zwar schade, immerhin greift ab ca. der Hälfte der Spielzeit die Rahmenhandlung aber immer mehr und wird von Stunde zu Stunde spannender und mündet spätestens im letzten Viertel in einen waschechten Mindfuck-Thriller, der einen kaum noch vom 3DS loslassen lässt. Gleichzeitig hat das Spiel das große Glück das es als Rollenspiel schlichtweg fantastisch funktioniert. Viele Mechaniken wurden aus dem direkten Vorgänger Shin Megami Tensei III: Nocturne übernommen, hier und dort aber angepasst. Allgemein wollte Atlus die Reihe mit dem vierten Ableger Neueinsteigern öffnen, gleichzeitig aber auch alteingesessene Fans nicht unterfordern. Denn wenn die von Kennern liebevoll MegaTen genannte Reihe für eines bekannt ist, dann ist es ihr bockschwerer, zuweilen unfair wirkender Schwierigkeitsgrad. Tatsächlich ist es den Entwicklern aber gelungen, einen guten Mittelweg zu finden der beide Lager zufrieden stellen sollte. Nichtsdestotrotz macht bereits das anfängliche Tutorial und die ersten Quests sehr deutlich, dass die kommenden Stunden kein Zuckerschlecken werden, zumal wirklich nur grundlegende Mechaniken erklärt werden. Alles andere muss sich der Spieler nach und nach selbst erarbeiten.

Dadurch besitzt der Titel auch eine gewisse Sperrigkeit, was sicherlich nicht jeden Spieler zusagen wird. Hinzu kommt, dass das Spiel aufgrund der Hardware, auf der es läuft, diverse technische Abstriche machen musste, was sich auch ein bisschen auf das Spielgefühl auswirkt. Im überwiegenden Teil bewegt man sich zwar durch erstaunlich abwechslungsreich gestaltete 3D-Areale, allerdings gibt es auch eine sehr spartanisch wirkende 2D-Oberweltskarte, mit der man etwa durch die verschiedenen Distrikte von Tokyo reist. Auch das Reisen an sich ist schon eine Sache für sich, denn einigermaßen vorhandene Kenntnisse von Japans Hauptstadt, seinen Bezirken und Sehenswürdigkeiten sind gar nicht mal so verkehrt um sich gut durch die Spielwelt bewegen zu können. In der Regel bekommt man in den Aufgabenstellungen zwar gesagt in welche Gegend man gehen soll, allerdings besitzt die Oberwelt kaum Ortsbezeichnungen,und wer auf Ingame-Hilfen wie blinkende Pfeile oder NPCs hofft, die den Weg erklären, der ist hier sowieso an der komplett falschen Adresse.

Auch wenn die große Welt zum verirren einlädt, so punktet sie doch gleichzeitig durch ihren enormen Umfang. Atlus hat sich sichtlich Mühe gegeben möglichst unterschiedliche Areale zu gestalten, was alleine schon durch den starken Kontrast zwischen dem mittelalterlichen Mikado und dem apokalyptischen Tokyo geschieht. Letztere ist das eigentliche Hauptsetting von Shin Megami Tensei IV und führt den Spieler in von Dämonen besetze Dungeons, U-Bahn Stationen, in denen die Menschen mittlerweile leben, aber auch diverse Wahrzeichen der Stadt. Für Handheld-Verhältnisse machen die 3D-Umgebungen einen guten Eindruck. Vor allem das zuweilen bizarr anmutende Art-Design schafft es eine hervorragende Stimmung und interessante Locations zu kreieren.

Die zuweilen grandiose Stimmung wird aber nicht zuletzt durch den fantastischen Soundtrack geschaffen. Die Musik besticht durch ebenso große Abwechslung, wie auch das grafische Design. So gibt es treibende Jazz-Kompositionen, ebenso wie psychedelische Elektro- und ruppige Rockklänge. Hinzu kommt, dass für einen Handheld-Titel unglaublich viele verschiedene Stücke vorhanden sind, welcher ganze vier CDs füllt. Auch die englische Sprachfassung ist sehr umfangreich. So sind nahezu alle Dialoge und Zwischensequenzen vertont worden, hinzu kommt, das die Synchronisation von einer sehr hohen Qualität zeugt und fast immer passend wirkt. Spielen lässt sich Shin Megami Tensei IV übrigens lediglich in Englisch, deutsche Bildschirmtexte und eine entsprechende Sprachfassung gibt es nicht.

 

Burroughs, eine K.I. zum verlieben

 

Als ich vorhin davon gesprochen habe, dass es eigentlich keine Charaktere gibt, die mir in irgendeiner Weise wirklich im Gedächtnis geblieben sind, da habe ich bewusst die einzige Ausnahme ausgeklammert. Diese hört auf den Namen Burroughs, ist eine künstliche Intelligenz und so etwas wie die gute Seele der Truppe rund um den Protagonisten. Eigentlich nimmt Burroughs zwar nur Quests an, informiert über deren Fortschritt und gibt hier und da mal ihren Senf zum Geschehen. Doch das wirkt geradezu sympathisch und ist dank der mal flapsig, mal schwarz-humorig geschriebenen Kommentare beinahe immer ziemlich amüsant.

Fast noch wichtiger als Burroughs ist allerdings der technologisierte Handschuh, den alle Samurai in Shin Megami Tensei IV tragen. Dieser dient gleichzeitig als Menü, in welchen man neben dem speichern und laden von Spielständen auch Zugriffe auf diverse Apps und die Verwaltung der Dämonen hat. Bei den Apps handelt es sich um freischaltbare Spielerleichterungen, die im Regelfall so etwas wie zusätzliche Sonderfähigkeiten darstellen. So gibt es etwa Apps, die es den Protagonisten erlauben während des Laufens Lebensenergie und Mana zu generieren, oder mehr Skillplätze freizulegen. Um neue Apps zu aktivieren, muss man jedoch erst einmal entsprechende Punkte sammeln, die das ermöglichen. Und dies führt uns auch gleich zu den Kämpfen, die den eigentlichen Kern des Spieles darstellen.

Denn natürlich ist die Reise durch die Katakomben unter Mikado und das apokalyptische Tokyo gepflastert mit jeder Menge Dämonen, die sich uns in den Weg stellen. Gegen diese tritt man in rundenbasierten Kämpfen an, wobei Atlus hier im Grunde das bereits aus dem Vorgänger bereits bekannte Press Turn Battle System übernommen hat. Wie in beinahe allen Japano-Rollenspielen, so spielen auch im vorliegenden verschiedene Statuswerte und Elementzugehörigkeiten eine entscheidende Rolle. Dämonen mit Feuerattacken sind etwa anfällig gegen Eisangriffe, besitzt eine Kreatur dunkle Magie, so sind Angriffe mit heller Magie ein gutes Mittel gegen sie usw. Das besondere am Press Turn Battle System ist, dass der Spieler, sobald er einen Schwachpunkt des Gegners getroffen hat, einen weiteren Angriff in der laufenden Runde erhält. Dadurch entsteht eine zusätzliche taktische Ebene, denn gerade gegen die Bossgegner, die häufig nicht einmal Schwachpunkte haben, ist es entscheidend, dass man sie vorher genau studiert, eigene Dämonen und Angriffe bzw. Verteidigungen entsprechend wählt. Aber selbst normale Gegner können ziemlich happige Brocken sein, vor allem, wenn man keine Angriffspalette gegen sie besitzt.

 

Zu mir oder zu dir?

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Deshalb sollte man früh damit beginnen sich eine möglichst breit aufgestellte Dämonen-Truppe zusammenzustellen. Diese werden in Shin Megami Tensei IV rekrutiert indem man mit ihnen während des Kampfes spricht und versucht sie zu überzeugen die Seite zu wechseln. Dabei stellen die Dämonen stets diverse Fragen und wollen Items oder auch ein bisschen Geld haben. Selbst wenn man den Entsprechungen erfüllt, heißt dies aber noch lange nicht, dass ein Dämon die in das Team des Spielers wechselt. Insgesamt gibt es im Spiel über 400 verschiedene Kreaturen, die man antreffen und in seine eigene Gruppe aufnehmen kann. Der Vergleich zu Pokemon wirkt naheliegend. Wo Nintendos hauseigene Maskottchen aber in der Regel niedlich, beinahe immer kinderfreundlich ausfallen, da stellen die hier anzutreffenden Ungeheuer das genaue Gegenteil dar.

Manche Dämonen kann man außerdem nur durch Fusion erhalten, ein Vorgang, der in der Cathedral of Shadows erledigt wird. Bevor man Dämonen fusioniert, sollte man allerdings darauf achten diese erst ein bisschen zu leveln und dadurch neue Fähigkeiten freizuschalten. Diese lassen sich nicht nur beim fusionieren auf das neue Wesen übertragen, sondern können auch vom Protagonisten erlernt werden. So kann dieser im Kampf neben Schwert- und Pistolenangriffen also auch auf magische Attacken zurückgreifen.

Obwohl sich das Spiel über weite Strecken sehr knackig gibt, wirkt es im Vergleich zu manchen Vorgängern und anderen JRPGs wesentlich besser durchdacht und verzichtet darauf den Spieler mit nervtötenden Grinding-Orgien zu belästigen. Ein Erfahrungspunkte-System gibt es zwar, allerdings läuft das leveln in der Regel angenehm nebenher. Selten sah ich mich dazu genötigt aufgrund eines staken Boss-Gegners noch einmal losziehen zu müssen und ein, zwei Stunden damit zu verbringen schwächeren Gegnern die Erfahrungspunkte aus dem Leib zu kämpfen. Allerdings wirkt das Balancing hier und da, gerade bei den Bosskämpfen, ein bisschen unfair, sodass nicht selten ein bisschen Glück als letztendlicher Garant für den Sieg herhalten muss.

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Spiel Bewertung
Singleplayer
86
86
Gut
-
Multiplayer

FAZIT

Shin Megami Tensei IV erweitert die sowieso schon mit vielen Klassikern gesegnete Software-Bibliothek des Nintendo 3DS um eine weitere Perle und stellt das nahezu beste JRPG der Plattform dar. Obwohl der Versuch, einen Kompromiss für Neueinsteiger und Serien-Veteranen zu finden, gut gelungen ist, erweist sich das Spiel nach wie vor als sperrig und zuweilen ziemlich knackig, hier und da sogar ein bisschen unfair. Doch dies täuscht nicht darüber hinweg, dass man ein nahezu grandioses Spielerlebnis bekommt, welches Stunde um Stunde dahinschreiten lässt und selbst zu einem zweiten und dritten Durchlauf motiviert.

- Von  Adrian

Nintendo 3DS

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