Shenmue I & II REVIEW
Es gibt wenige Spiele, an denen so viele Anekdoten, Erinnerungen und Emotionen hängen, wie an Shenmue. Es ist zum einen die Geschichte eines Visionärs, der Großes vorhatte und das Medium revolutionieren wollte, es ist aber auch die Geschichte eines absurd teuren Projektes, das mit Vollgas gegen die Wand gekracht ist und eine ganze Firma in den beinahe Ruin getrieben hat. Und es ist die Geschichte von einer überschaubaren, aber sehr vokalen Minderheit, die das Ansehen dieser Reihe über nun fast zwanzig Jahre hinweg hoch gehalten hat. Es waren auch eben jene Fans, die sich mit der #SaveShenmue Kampagne in den sozialen Netzwerken für eine Neuveröffentlichung von des 1999 erschienenen Klassikers und seinem Nachfolger (2001) starkgemacht haben, ein Wunsch, dem Sega nun nachgekommen ist. Gut für mich und all jene, denen die Reihe bisher in Ermangelung einer Dreamcast oder Xbox verschlossen geblieben ist. Doch lässt sich die Faszination nach rund zwei Jahrzehnten noch nachvollziehen?
Mord, Rache und ein großes Mysterium
Die Geschichte von Shenmue beginnt in den letzten Monaten des Jahres 1986. Wir befinden uns in Yokosuka, einer Hafenstadt unweit von Tōkyō. Es ist eine bedächtige Szenerie, die durch den langsam vom Himmel herab fallenden Schnee und der verträumt daliegenden Stadt weiter verstärkt wird. Ryo Hazuki, ein 18-jähriger Schüler, befindet sich gerade auf dem Weg nach Hause. Schnell wird ihm jedoch klar, dass etwas nicht stimmt. Vor dem Anwesen der Familie parkt ein schwarzes Auto, ein eigentlich am Eingangstor angebrachtes Schild welches Besucher informiert, dass sich auf dem Anwesen auch ein Dojo befindet, ist zerbrochen. Ryo eilt zu eben jener Übungshalle und wird Zeuge eines Streites zwischen seinem Vater und fremden Männern. Die Situation ist angespannt, Ryo will dazwischen gehen, wird aber niedergeschlagen. Schließlich muss er mit ansehen, wie sein Vater ermordet wird…
Mit dem für heutige Verhältnisse erstaunlich kurzen Intro ist die grundlegende Prämisse nicht nur für die kommenden Stunden, sondern für die für das gesamte Spiel und darüber hinaus vorgegeben. Ryo sinnt auf Rache und will die Mörder seines Vaters zur Strecke bringen und beginnt auf eigene Faust, nach Hinweisen zu suchen. Sonderlich viele Anhaltspunkte gibt es zunächst nicht, weshalb Ryo beginnt in der Nachbarschaft nach Zeugen zu suchen, die etwas beobachtet haben könnten.
Shenmue und seine Rahmenhandlung umhüllt oft die Aura von einem B-Movie und in der Tat dürften entsprechende Filme eine Inspirationsquelle für Yu Suzuki gewesen sein, der die Heldenreise von Ryo mit probaten Mitteln anstößt. Mit der Zeit wird immer mehr deutlich, dass hinter dem Mord an Ryo´s Vater mehr steckt. Nach und nach eröffnet Suzuki neue Mysterien und strickt aus der zunächst banal anmutenden Ausgangslage sein Epos. Bis heute ist die Geschichte unvollendet, denn ursprünglich war die Geschichte auf mehrere Episoden ausgelegt. Der zweite Teil endet schließlich mit einem der wohl unbefriedigendsten Cliffhanger in der Videospielgeschichte. Kein Wunder, das die Euphorie enorm war, als Yu Suzuki vor einigen Jahren im Rahmen einer mittlerweile legendäre E3-Präsentation Shenmue III ankündigte, welches im August 2019 endlich erscheinen soll.
FREE
Bleiben wir aber im hier und jetzt und damit bei Shenmue und seinem Nachfolger. Gerade der Erstling war seinerzeit eine Revolution. Es wurden viele Elemente vorweggenommen, die heute selbstverständlich sind. Da wäre beispielsweise die offen gestaltete Welt. Das Stichwort Open World oder Sandbox gab es damals noch nicht, stattdessen schuf Suzuki die Bezeichnung „FREE“ (Kurz für full reactive eyes entertainment).Selbst wenn man die Ausgestaltung der Welt und seiner Bewohner mit heutigen Standards vergleicht, erscheint die hohe Grad an Details beachtlich. Yokosuka ist eine vergleichsweise kleine Spielwelt, dennoch steckt in ihr ein hohes Maß an Authentizität. Jeder NPC füllt eine eigene Rolle aus und besitzt eine – mal oberflächliche, mal ausgereiftere – Charakterisierung. Man kann mit jeder Person auf der Straße sprechen und hört dabei oftmals unterschiedliche Stimmen und Dialoge. Es gibt keine copy & paste NPCs, jede Figur hat ihr eigenes Aussehen und einen Namen.
Eine wichtige Rolle spielt außerdem die Zeit. Ein Ingame-Tag entspricht in etwa einer realen Stunde. Wenn man mit jemanden in einem Geschäft sprechen will, welches von 10:00-20:00 Uhr geöffnet hat, dann hat man dazu nur zu diesen Zeiten die Möglichkeit. Wenn man sich mit einem Charakter um 21:00 Uhr vor der städtischen Arcade treffen soll, dann geht das nur zu diesem Zeitpunkt – und nicht wieder. Manche Spieler könnten dies als Gängelung verstehen, zumal es in Shenmue keine Möglichkeit gibt, die Zeit zur benötigten Uhrzeit springen zu lassen (Shenmue II hingegen hat eine entsprechende, aber dennoch an gewisse Vorgaben geknüpfte Möglichkeit). Es sind aber eben diese Designentscheidungen, die stark zur Glaubwürdigkeit der Welt beitragen. In der Realität kann man schließlich auch nicht einfach die Uhr vor- und zurückdrehen, wie es einem gerade passt. Doch was tun, wenn man mal wieder ein bisschen Freizeit hat?
Geld wächst nicht auf den Bäumen
Möglichkeiten zum Zeitvertreib gibt es einige. So kann man etwa in der Arcade an Klassikern wie OutRun und Space Harrier Hand anlegen oder das Geschick bei einer Runde Dart und einem Reaktionstest austesten, man kann das Geld aber auch in Gachagacha-Automaten werfen und sich über spielerisch total unnütze Figuren verschiedener Sega-Marken freuen. In Shenmue II kann man das Glück außerdem in verschiedenen Glücksspielen erproben oder auch an zwielichtigen Hinterhof-Kämpfen teilnehmen. Doch man sollte vorsichtig mit Geld umgehen. Im zweiten Teil, der zum großen Teil in Hong Kong spielt, muss man etwa jeden Morgen das Hotelbett bezahlen. Hat Ryo nicht genug Geld in der Tasche, muss er es sich daher verdienen. Die genannten Glücksspiele sind eine Methode, zeitintensiv, dafür aber sicherer sind diverse Nebenjobs, die man annehmen kann.
Fremd und doch vertraut
Interessant ist nicht zuletzt die Darstellung der 1980er Jahre. In einer Zeit, in der diese Epoche wieder en vogue ist und von Filmen, Musik und anderen Medien- und Kunstformen aufgegriffen und zitiert wird, wirken die 80er Jahre in Shenmue geradezu unspektakulär. Hier gibt es keine grellen Farben, keine poppigen Anspielungen, stattdessen taucht man in das Milieu einer japanischen Kleinstadt ein, die ganz ohne Glanz und Glamour auskommt. Yokosuka versprüht eine ganz eigene Stimmung, die ich am ehesten als heimelig beschreiben würde. Auch Hong Kong und Kowloon aus Teil 2 sind stimmungsvoll gestaltet, bilden dabei aber den genauen Gegenentwurf. Wo ich in Yokosuka schon nach kürzester Zeit jeden Straßenzug kannte und mich irgendwie heimisch gefühlt habe, blieben mir die wesentlich größer gestalteten Orte in Shenmue II lange verschlossen. Doch irgendwie passt das zu der Reise von Ryo, schließlich ist auch er ein Fremder in Hong Kong.
„Have you seen…“
Nicht nur im fernen Hong Kong muss man sich übrigens durch die Bewohner fragen und nach neuen Hinweisen und Ansatzpunkten suchen. Würde Shenmue heute in dieser Form veröffentlicht werden, würden es viele wohl als Walking-Simulator abtun. Ich würde die spielerischen Wurzeln aber noch mehr im Adventure-Genre verwurzeln. Man zieht aus den Gesprächen Hinweise, die zu einer neuen Spur führen. Man löst Hinweise, kombiniert Fakten und kommt so dem Ziel immer ein bisschen näher. Das ist manchmal ein bisschen mühselig, zumal man tatsächlich sehr genau hinhören muss, was kommuniziert wird. Denn es gibt keine blinkenden Hinweise, keine Zielpunktmarkierung. Als einzige Hilfe dient ein Notizbuch, in welchem Ryo Informationen niederschreibt.
Gerade der erste Teil haushaltet sehr bedacht mit Action, was der Narration und ihrem Pacing aber gut in die Hände spielt. Die meist kurz gehaltenen Actionmomente bestehen dabei entweder aus Quick-Time-Events (noch so etwas, das Shenmue vorweggenommen hat) und Echtzeitkämpfen, die sich am ehesten mit der Mechanik von Virtua Fighter vergleichen lässt. Die Kämpfe wirken heute etwas umständig, nicht zuletzt, da die Steuerung nicht so wirklich griffig erscheint und ihre Eigenheiten mit sich bringt.
Guter Port mit Macken
In vielerlei Hinsicht wirkt Shenmue heute altbacken, was bei Spielen, die fast zwei Jahrzehnte auf dem Buckel haben, aber keine Überraschung sein sollte. Anders, als etwa die jüngsten Remakes von Segas Yakuza Reihe, wurde bei der Neuauflage von Shenmue das technische Grundgerüst beibehalten. Für die Umsetzung der Portierung hat Sega mit D3T zusammengearbeitet, die in der Vergangenheit bereits Umsetzungen wie SEGA Mega Drive Classics und Burnout Paradise Remastered realisiert haben. Diese haben die Auflösung nach oben geschraubt und einen angenehmen Weichzeichner über das Bild gelegt. Gerade die Figurenmodelle wirken dadurch etwas runder, an den matschigen Texturen und hölzernen Animationen wurde nichts geändert. Wer will, kann die HD-Extras übrigens ausschalten, auch ist man nicht auf das 16:9 Bild angewiesen, sondern kann im Menü zum originalen 4:3 Format wechseln. Schön: neben der legendär schlechten englischen Vertonung, befindet sich erstmals in einer Veröffentlichung für die westlichen Märkte jetzt auch die japanische Tonspur.
Im Großen und Ganzen ist die Portierung gelungen, allerdings ist sie nicht frei von Fehlern und Macken. Die englische Sprachausgabe im ersten Teil liegt gar in einer derart schlechten Qualität vor, das es zuweilen anstrengend wird. Außerdem traten in der mir vorliegenden PlayStation 4 Version immer wieder ärgerliche Bugs auf. Im ersten Teil konnte ich immer wieder einige Zwischensequenzen nicht sehen, da das Bild eingefroren ist oder auf einem bestimmten Objekt hängen geblieben ist, während der Ton normal weitergespielt ist. Neben einigen Abstürzen in Shenmue II hatte ich außerdem auch ein einen kaputten Speicherstand und musste auf einen anderen Save ausweichen. In einer Übungsszene, in der ich einen Kampfmove lernen soll, konnte ich funktionierten hingegen meine Bewegungen nicht.