Prey REVIEW
Eines gleich vorweg: mit Prey von 2006 hat der aktuelle Titel aus dem Hause Arkane/Bethesda – bis auf den Namen und dem Scifi-Setting– nichts gemein. Das mag eingeschworene Fans des Ego-Shooters erzürnen, nicht zuletzt, da Bethesda vor einigen Jahren die Entwicklung an einer echten Fortsetzung auf Eis gelegt hat. Nun aber die gute Nachricht: das 2017er Prey ist ein fulminantes Spiel geworden, welches so gut ist, das es locker auf diversen Top-Listen des Jahres landen dürfte.
Im Weltraum hört dich niemand schreien
Langsam bewege ich mich durch die spärlich beleuchteten Gänge der Raumstation Talos I. Vorsichtiges Vorgehen – das haben mich die bisherigen Spielstunden bereits gelehrt – ist wichtig, um nicht in die tückischen Fallen meiner außerirdischen Widersacher zu geraten. Ich stehe in einem großen Raum, der zu anderen, lebendigeren Zeiten offenbar ein beliebter Treffpunkt war. Ich kann mir bildlich vorstellen, wie sich das Personal nach der Arbeit hier getroffen hat um eine Runde Billard zu spielen, wie es sich Einzelgänger mit einem Schmöker auf einen der ausladenden Ledersessel gemütlich gemacht haben und wie die Kollegen über Gott und die Welt geredet, über ihre Arbeit geflucht und über ihre Vorgesetzten gelästert haben.
Plötzlich beginnt das Licht zu flackern, auch andere elektronische Geräte scheinen verrückt zu spielen. Ein böses Omen? Ich zücke meine Schrotflinte und suche den Raum nach frischen Ressourcen, Items und potenziellen Informationen ab. Was war das? Ich könnte schwören, das gerade ein Stuhl durch den Raum geflogen ist. Spielt mir meine Fantasie einen Streich? Ich mache mich daran den Raum zu verlassen, als auch schon weitere Gegenstände in meine Richtung fliegen. Wer schmeißt sie auf mich? WAS schmeißt es auf mich? Plötzlich schwebe ich mehrere Meter über dem Boden und schieße wild um mich herum. Ich sehe keinen Gegner, keine der dunklen Gestalten, die mich bereits seit mehreren Stunden durch die Talos I jagen. Panisch scanne ich die Umgebung ab und tatsächlich registriert mein Sensor etwas: ein – wie treffend – Poltergeist genanntes Alien ist für den Spuk verantwortlich. Doch der Kampf ist mir zu heikel, mein angeschlagenes Munitionskonto mir zu wichtig. Ich nehme die Beine in die Hände und haue ab – nicht das Erste und sicherlich auch nicht das Letzte mal.
Ein Ego-Shooter? Mitnichten!
Wer hinter Prey einen reinrassigen Ego-Shooter vermutet, der irrt. Das zeigt auch schon das vergleichsweise spärliche Repertoire, mit welchen wir uns auf der Raumstation gegen fiese Aliens und durchgeknallte Maschinen zur Wehr setzen müssen. Eine halbautomatische Pistole, eine Flinte, eine Rohrzange für den nicht immer vermeidbaren Nahkampf – und das war es dann eigentlich auch schon mit typischen Shooter-Waffen. Darüber hinaus gesellen sich noch diverse experimentelle Waffen, wie eine Taser-Pistole, mit der Menschen bewusstlos und Maschinen für kurze Zeit lahmgelegt werden können. Mit der Q-Strahl Kanone wird ein mächtiger Energiestrahl verschossen und mit diversen Granaten können etwa die übernatürlichen Fähigkeiten der Feinde geblockt oder elektronische Geräte gestört werden.
Meine beiden Favoriten sind aber die Gloo-Kanone und die Recycler-Granate. Im Kampf eingesetzt, können mit der einen schnell hart werdenden Schaum verschießenden Gloo-Kanone Gegner bewegungsunfähig gemacht werden. Die so festgesetzten Aliens können nun etwa mit der Rohrzange malträtiert werden, aus nächster Nähe beschossen oder an Ort und Stelle zurückgelassen werden. Neben ihrem Einsatz als Waffe, ist die Gloo-Kanone aber auch eines der wichtigsten Werkzeuge im gesamten Spiel. So können etwa offene Gaslecks gestopft, Feuer gelöscht und sogar eigentlich nicht erreichbare Orte zugänglich gemacht werden. Sprüht ihr einen diagonalen Strahl an die Wand, so könnt ihr den gehärteten Schaum beispielsweise als Treppe nutzen und so eigene Wege schaffen.
Zur Nachhaltigkeit verdammt
Ebenso cool ist die Recycler-Granate, mit der Gegner schnurstracks kompostiert und in eine biologische Ressource verwandelt werden. Darüber hinaus können mit besagter Granate aber auch andere Materialien und Gegenstände in handliche kleine Bälle verwandelt werden. Diese braucht ihr nämlich dringend, denn Munition, Medikits, Anti-Strahlen Medizin und andere wichtige Gegenstände sind der Talos I ein wertvolles und vor allem seltenes Gut.
Prey verdammt euch förmlich dazu zum wandelnden grünen Punkt zu werden und alles einzusammeln, was Schränke, Mülleimer und verborgene Ecken hergeben. Egal ob zusammengeknülltes Papier, braune Bananenschalen, durchgeschmorte Kabel – sammelt alles, was ihr finden könnt, und bringt es zu einem der großen Recycler-Automaten. Werden diese mit dem vermeintlichen Müll gefüttert, hagelt es ebenfalls genannte Ressourcenbälle. Diese wiederum können an einem Fabrikator-Automat (eine noch coolere Variante eines 3D-Druckers) in Munition, Gesundheitsgegenstände, Upgrade-Kits für Waffen usw. verwandelt werden. Die entsprechenden Blaupausen solltet ihr vorher aber gefunden haben, ansonsten steht die Maschine still.
Mach dir dein eigenes Abenteuer
Man sollte die Talos I mit aufmerksamen Augen durchqueren und nicht immer blind dem Missionsmarker folgen. Prey ist zwar kein Open World Spiel, allerdings kann die Raumstation vollkommen und ohne wirkliche Einschränkung frei erkundet werden. Abseits der eigentlichen Wege finden sich darüber hinaus viele versteckte Räume, die nur mit den richtigen Zugangskarten oder Passwörtern geöffnet werden können. Oder aber ihr habt bereits fleißig in die verschiedenen Fähigkeiten investiert und könnt Terminals oder Safes hacken und verschlossene Türen mittels Muskelkraft aufstemmen. Oder ihr seid ganz schlaue Füchse und nutzt neben den verschiedenen menschlichen Fähigkeiten auch die Skills der Aliens und verwandelt euch beispielsweise in eine Tasse (kein Scherz) um durch einen kleinen Spalt zu rollen. Weitere Fähigkeiten erlauben es euch die Kontrolle über Maschinen, Aliens und Menschen zu übernehmen, mit verschiedenen Angriffsskills könnt ihr außerdem eure Optionen im Kampf erweitern und beispielsweise explodierende Energieattacken verschießen.
Jede neue Fähigkeit kostet Neuromods, welche – ihr könnt es euch denken – so sparsam verteilt sind, wie alle anderen Items auch. Entsprechend genau sollte abgewogen werden, welchen Weg euer Abenteuer einschlagen soll. Um an die Fähigkeiten der Außerirdischen zu gelangen, müssen diese im übrigen zuvor abgescannt werden. Praktisch: so erhaltet ihr auch gleich einen Einblick in die Schwächen und Resistenzen eurer Widersacher.
Diese haben es übrigens ganz schön in sich und trumpfen mit verschiedensten Karten auf. In Erinnerung bleiben vor allem die Mimics. Das sind kleine, aber fiese Gestalten, die in der Lage sind sich in jedes nur denkbare Objekt zu verwandeln. Um die kleinen Gestaltwandler ausfindig zu machen, bedarf es einen wachen Geist. Stehen an einem Schreibtisch etwa zwei Stühle, so sollte euch dies ebenso seltsam vorkommen, wie eine Kaffeetasse auf dem Herrenklo. Trotz ihrer kleinen Größe können schon wenige Angriffe den sicheren Bildschirmtod bedeuten. Noch hartnäckiger sind die Phantome genannten Aliens, die, je nach Ausführung auch mit Blitzen und Feuer um sich werfen können. Im etwas fortgeschrittenen Spielverlauf gesellen sich noch andere Alien-Typen vor eure Flinte, zu viel möchte ich hierzu aber nicht verraten.
Wer bin ich?
Denn Prey beherbergt einige Überraschungen und Wendungen, die mich mitunter erstaunt haben. Dabei ist der eigentliche Plot zunächst nichts spektakuläres. Ihr schlüpft in die Rolle von Morgan Yu, der/die (das Geschlecht könnt ihr bei Spielstart bestimmten) sich als Laborratte für die Experimente auf der Talos I zur Verfügung gestellt hat. Während die Haupthandlung ein wenig vor sich hin plätschert und neben dem gelungenen Einstieg und dem letzten Drittel ein bisschen an Leerlauf leidet, so haben mich die vielen kleinen Nebenschauplätze förmlich in ihren Bann gezogen.
Der eigentliche Star sind nämlich die Nebenaufgaben und die darin erzählten Geschichten. Mal jage ich einen durchgeknallten Killer, mal erlebe ich eine berührende Liebesgeschichte, mal werde ich Dank gefundener Audiologs Zeuge einer in der Vergangenheit liegenden Versammlung einer Rollenspiel-Gruppe die mächtig abnerdet. Sehr schön ist auch die Entscheidungsfreiheit, die mir das Spiel innerhalb der Nebenmissionen gelegentlich in die Hände legt. Wage ich den gefährlichen Trip um einer Kranken ihre Medizin zu holen? Oder folge ich doch lieber der Hauptmission und überlasse der Bittstellerin somit den sicheren Tod? Verfolge ich mühsam die Spur einer verschollenen Technikerin, oder ignoriere ich sie vollkommen und beschäftige mich mit anderen Dingen?
Die Art und Weise, wie es Prey den Spielern ermöglicht ein individuelles Abenteuer zu erleben, ist zwar nichts komplett neues, in dieser Art und Weise aber doch selten und weckt wohlige Erinnerungen an System Shock und dessen Nachfolger. Auch wenn sämtliche Nebentätigkeiten vollkommen optional sind und sie gerade im fortgeschrittenen Spielstadium zum Backtracking fordern, so sind sie in meiner Wahrnehmung eine der wichtigsten Säulen, die das Spielerlebnis so einmalig machen.
Mick Gordon mal wieder
Technisch gibt Prey ein gutes, wenn auch nicht überragendes Bild ab. In visueller Hinsicht glänzt das auf der Cry Engine 3 fußende Spiel vor allem mit seinem gelungenen Stilmix, der euch in eine Welt zwischen Art Deco, einer 1960er Jahre Vision der Zukunft und Stanley Kubrick´s 2001 entführt. In Sachen Abwechslung überzeugt die Talos I mit unterschiedlichen Arealen: kalt wirkende und ein beklemmendes Gefühl verbreitende Gänge gibt es ebenso, wie Gewächshäuser mit reichlich Vegetation, düstere Industriehallen und stilsicher gestaltete Lounges. Auf der PlayStation 4 läuft der Titel ziemlich sauber und hält die 30 Frames recht konstant, allerdings werden Texturen häufig einen Tick zu spät nachgeladen und die Ladezeiten beim Wechsel von Arealen innerhalb der Station sind mit einer Minute spürbar lang.
Außer einem Spielabsturz und gelegentlich auftretenden Grafikfehlern sind mir aber keine weiteren, oder gar grobe Bugs aufgefallen. Der noch in der Demoversion auftretende Input-Lag wurde mit dem Day 1 Patch beseitigt, dennoch ist die Steuerung etwas träge, was gerade in den schnell in Hektik ausartenden Kämpfen krampfhaft ist. Allerdings gehört diese Trägheit auch ein bisschen zum Spielgefühl, schließlich will Prey kein Shooter per se sein.
Die deutschen Sprecher sind okay, ein paar wenige Ausreißer nach oben sind vorhanden. Richtig gut ist hingegen die unter der Leitung von Mick Gordon entstandene Musik. Dieser hatte mich bereits durch seinen fetzigen Score für DOOM im vergangenen Jahr vom Hocker gerissen und überzeugt auch diesmal mit einem atmosphärischen Soundtrack, der zwischen hektischen Bässen, locker gezupften Akustikgitarren und stimmungsvollen Elektronikbeats mit munteren Synthesizereinsatz wechselt. Auch beim Sounddesign setzen die Entwickler auf die richtigen Töne und erzeugen eine wunderbar gespenstische Stimmung die Anspannung und Angst erzeugt. Nur bei der Abmischung muss das Studio in Zukunft etwas mehr Sorgfalt üben, denn gelegentlich wechselte die Lautstärke von Stimmen, Musik und Soundeinsatz zwischen laut und leise und einige Dialoge wurden mit Stottern abgespielt.