Perfect Blue REZENSION
Anime sind infantiler Mumpitz?! Wer dieser Meinung ist, der sollte sich mit dem Medium einmal genauer befassen und sich Werke ansehen, die – zugegebenermaßen oftmals – nicht zum Mainstream gehören. Denn das japanische Zeichentrickkunst eben sehr viel mehr ist, als große Kulleraugen, Fanservice und seichter Humor, das beweisen Filme wie Perfect Blue.
Realfilm? Oder doch Anime?
Perfect Blue basiert auf dem gleichnamigen Roman von Yoshikazu Takeuchi und erzählt die Geschichte der jungen Japanerin Mima. Diese ist Sängerin in einer Mädchenband, beschließt aber ihre Gesangskarriere aufzugeben, um sich stattdessen im Schauspiel zu probieren. Doch das harte Showgeschäft und ein irrer Stalker machen Mima zusehends zu schaffen…
Mehrere Jahre nach dem Erscheinen der Vorlage versuchte man die Geschichte in einen Film zu packen, welcher für den in Japan Anfang der 1990er Jahre florierenden Videomarkt produziert werden sollte. Letztlich ist das Projekt irgendwann bei Satoshi Kon, einem damals noch recht unbekannten Mangaka und Regisseur, gelandet. Perfect Blue sollte schließlich sein Debüt als Filmemacher werden. Schon längst wurde das Vorhaben aus der Geschichte einen Realfilm zu machen begraben, stattdessen wollte man einen (nach wie vor auf den heimischen Videomarkt abzielenden) Anime produzieren.
Es mag fast ironisch wirken, doch viele Kritiker fragten sich stets, warum Perfect Blue ein Anime und eben kein Realfilm wurde. Denn die Geschichte, der Zeichenstil, die gesamte Inszenierung sind eigentlich sehr untypisch für das Medium. Ein Markenzeichen, welches Kon auch in seinen späteren Produktionen (Paranoia Agent, Paprika) beibehalten hat.
Traum, Realität…oder realer Alptraum?
Kon´s Einfluss auf die Umsetzung war immens, er holte sich gar das Recht ein, die Geschichte so umzusetzen, wie es in seinem Sinne war. Das Ergebnis gibt ihm recht, denn Perfect Blue landete schließlich nicht nur im heimischen Kino, sondern auch auf internationalen Filmfestspielen. Heute gilt der Film als prägender Klassiker und wird in einem Satz mit Anime wie Akira und Ghost in the Shell genannt – allesamt Werke, die weit über die Grenzen der üblichen Zielgruppe hinaus ihre Zuschauer gefunden haben.
Da Vergleiche dem Unwissenden immer behilflich sind ein Werk einzuordnen nur soviel: man stelle sich eine Mischung aus dem Suspense von Alfred Hitchcock, den abgedrehten Mindfuck von David Lynch und der gespenstischen Stimmung eines Dario Argento vor – irgendwo dazwischen würde sich Perfect Blue einordnen lassen.
Das der Film ganz anders ist, wie er zunächst scheint, wird eigentlich schon recht früh deutlich und mit fortschreitender Spielzeit festigt sich die Vermutung, dass wir es hier nicht mit einem gewöhnlichen Anime, nein, nicht einmal mit einem gewöhnlichen Film zu tun haben. Was noch als zaghafte Geschichte eines jungen Mädchens und ihrer großen Träume beginnt, verkommt immer mehr zum düsteren Thriller, bei welchen man irgendwann überhaupt nicht mehr weiß, was nun eigentlich Realität ist und was Traum. Kon verwischt beide Grenzen vollkommen, selbst am Ende kann man sich noch immer nicht so wirklich sicher sein, in welcher Ebene die Geschichte ihr Ende findet.
Das brutale Showgeschäft
Um die Tragweite von Perfect Blue vor allem in seinem Heimatland einzuordnen, muss man eigentlich verstehen, welche integrale Rolle das hiesige Showgeschäft spielt. Vor allem die Idol-Kultur ist noch einmal eine ganz eigene Sache für sich. Wer in Japan ein Idol ist, der steht unter stetiger Beobachtung der Öffentlichkeit, Privatssphäre gibt es keine. Ein Idol verkauft stets das Image des Reinen und Unschuldigen. Wie Fans reagieren können, wenn ihr Idol mit diesen Regeln bricht, zeigt Kon auf eindringliche Art und Weise.
Mit dem Ausstieg aus ihrer Band versucht Mima sich ein neues Image zu geben. Sie will nicht mehr als unschuldiges Mädchen von Nebenan wahrgenommen werden, sondern als reife Frau. Das scheint einem übereifrigen Fan aber gar nicht zu passen. Nicht nur schickt er ihr unmissverständliche Drohungen, auch stalkt er ihr und scheint über jeden Schritt, ja über jeden Gedanken von Mima genaustens Bescheid zu wissen.
Kon´s Kritik am japanischen Showgeschäft, aber eben auch gegenüber der exzessiven Fankultur ist unmissverständlich. Und er präsentiert sie auf eine solch unangenehme Art und Weise, dass man als Zuschauer immer wieder mit den eigenen Emotionen kämpft. Insbesondere die berüchtigte und mit aller Kompromisslosigkeit gezeigte Szene, in der Mima vor laufender Kamera eine Vergewaltigung spielt, zeigt, wie weit Kon bereit war zu gehen, um seine Botschaft zu transportieren, aber eben auch, um seine Geschichte zu erzählen.
Mad…
Auch in visueller Hinsicht schwimmt Perfect Blue den vermeintlichen Anime Archetypen entgegen. Das mit der Umsetzung beauftragte Studio Madhouse liefert nämlich realistische Körperproportionen, inszeniert das gegenwärtige Tokyo als düstere, wenn auch faszinierende Metropole und setzt mit einem sehr hohen Detailgrad in den einzelnen Szenen immer wieder auffällige Akzente. Insbesondere im Zusammenspiel mit der oftmals gemächlichen, aber immer stärker ins Psychedelische abdriftenden Musik entsteht hier ein eindrucksvolles Animationswerk.
In der nun veröffentlichten Blu-ray Fassung, wie über Rapid Eye Movies vertrieben wird, konnte die visuelle Pracht des Filmes sehr gut zur Geltung, obwohl augenscheinlich kein HD-Master vorlag. Stattdessen dürfte das Bild auf das aktuelle Format gestreckt worden sein, was zwar keine ideale Lösung ist, aber dem Film keinen großen Schaden bereitet. Woran sich manch Zuschauer schon eher stören könnte, ist das körnige Bild. Normalerweise würde ich dies auch kritisieren, doch ich muss zugegeben, dass dieser eigentliche Mangel irgendwie zur Atmosphäre von Perfect Blue beiträgt. Nicht umsonst setzen ja manche Genrefilme mittlerweile auf entsprechende Filter, die Filme älter aussehen lassen, als sie es sind.
Die aktuelle Blu-ray kommt in einem sehr schicken Schuber. Drinnen befindet sich eine Amary-Hülle mit einem alternativen Cover. Zusätzlich gibt es, wie von Rapid Eye Movies gewohnt, ein Booklet mit einer Auseinandersetzung des Werkes. Auf dem Silberling selbst befindet sich außerdem noch eine Lesung mit dem Regisseur, in welcher Einblick in die Entstehung des Filmes und thematische Hintergründe geliefert werden, sowie ein kleines Making of.
Fazit
Mit Perfect Blue hat Satoshi Kon sich unsterblich gemacht und nicht nur einen Anime-, sondern einen Filmklassiker geschaffen. Die nun veröffentlichte Neuauflage von Rapid Eye Movies ist ebenso über jeden Zweifel erhaben und bringt das Werk endlich im Blu-ray Format in die Händlerregale. Zwar gibt es hinsichtlich der Bildqualität leichte Abzüge zu machen, doch das sollte keinen Filmpuristen davon abhalten, sich Perfect Blue endlich, sofern noch nicht geschehen, anzusehen.