Lost Dimension REVIEW
Ein eher uninspiriert wirkender Titel, veraltete Grafik und eine Story die nach 08/15 Videospielkost schreit: das alles scheint Lost Dimension auf den ersten Blick zu sein. Trotzdem hatte ich schon längere Zeit ein Auge auf das Spiel geworfen, was nicht zuletzt an der Tatsache lag, dass Lost Dimension von Lancarse stammt, die beispielsweise mit Atlus bereits an dem von mir sehr geschätzten Shin Megami Tensei: Strange Journey gearbeitet haben. Darüber hinaus hat mich die Ambition Elemente aus dem Taktik-Rollenspiel und Visual Novel Genre zu mischen hellhörig gemacht. Nun wurde das Spiel mit der gewohnten Verspätung gegenüber dem Japan- und US-Release auch bei uns veröffentlicht. Und das warten hat sich gelohnt, denn trotz einiger Macken wirkt das Rollenspiel überraschend frisch.
13 Tage bis zum Weltuntergang
Dabei erfindet Lost Dimension zu keiner Zeit das Rad neu. Viele Elemente sind bereits bekannt, die Handlung arbeitet sich an etablierten Strukturen und Kniffen ab und der Eindruck der altbackenen Technik bestätigt sich. Allerdings setzt das Taktik-Rollenspiel Bewährtes stimmig um und bringt gleichzeitig frische Ansätze mit und besticht durch seine dichte Atmosphäre.
Hier merkt man gleich die Nähe von Lancarse zu Atlus, denn Lost Dimension erzählt eine düstere Handlung, in deren Mittelpunkt 11. Mitglieder einer Spezialeinheit stehen. Das Kommando wurde gegründet um das Ende der Welt abzuwenden, droht doch ein Terrorist namens The End mit der Zerstörung der Erde binnen 13. Tage. Um The End aufzuhalten, wurden Menschen mit übernatürlichen Kräften zu der S.E.A.L.E.D. genannten Gruppe zusammengestellt und zu einem mysteriösen Turm geschickt, welcher inmitten von Tokyo aufgetaucht ist und an deren Spitze sich der gesuchte Terrorist befinden soll.
Soweit, so vertraut, möchte man sagen. Ein inhaltliche und vor allem atmosphärische Nähe zu den verschiedenen Ablegern der Shin Megami Tensei Reihe lässt sich nicht von der Hand weisen. Zusätzlich bringt Lost Dimension einen interessanten Kniff mit, denn inmitten von S.E.A.L.E.D. befindet sich ein von The End eingeschleuster Verräter. Neben dem Ziel, den Kopf der geplanten Weltzerstörung zur Strecke zu bringen, muss man also auch in den eigenen Reihen auf Spurensuche gehen.
Wer spielt falsch?
Dieses narrative Stilmittel hat Auswirkungen auf das Gameplay und den Spielverlauf. Der Maulwurf in den eigenen Reihen muss nämlich aktiv vom Spieler entlarvt werden, was sich aber alles andere als einfach gestaltet, denn obwohl die Gewissheit über einen Verräter stets im Hinterkopf schwebt, so muss man gleichzeitig als Team und damit mit dem Abtrünnigen zusammenarbeiten um die insgesamt fünf Etagen des Pillar genannten Turmes bis zu The End zu meistern.
Erschwerend kommt hinzu, dass man die einzelnen Figuren und ihre Hintergründe mit der Zeit immer näher kennenlernt und dadurch auch gewisse Sympathien bzw. durchaus auch Antipathien aufbaut. Schütze ich jemanden, weil er mir im Kampf ein guter Soldat ist, wohl wissend das Indizien darauf deuten, dass er oder sie der Verräter ist? Oder lasse ich einen Unschuldigen fallen, weil er mir schlichtweg unsympathisch ist und ich keinen großen Nutzen aus seinen Fähigkeiten ziehen kann? Solche Überlegungen treten durchaus auf und machen einen Reiz von Lost Dimension aus.
Um herauszufinden, wer welches Spiel spielt, müssen viele Gespräche mit den einzelnen Figuren geführt werden. Je mehr man mit den S.E.A.L.E.D. Mitgliedern spricht, desto enger wird die eigene Bande zu den sehr unterschiedlichen Charakteren. Ist man mit einer oder mehreren Figuren vertraut, so kommen diese auch auf den Spieler zu und fragen ihn, wer seiner Meinung nach der Verräter ist. Damit kann man auch auf die Meinung der anderen Einfluss nehmen und den Spielverlauf lenken.
Jeder ist sich selbst am nächsten
Am Ende einer jeden Etage steht das Gericht, in welchem die Gruppe über den Verräter abstimmen muss. Wer die meisten Stimmen erhält, der wird – egal ob er nun schuldig ist oder nicht – auf der Stelle exekutiert. Theoretisch könnte sogar der Spielcharakter Sho von den Anderen mit den meisten Stimmen nominiert werden, womit das Spiel sofort Game Over wäre. Auch wenn einiges schief gehen muss, das der Spielverlauf ein solches Ende nimmt, zeigt sich das Konzept doch angenehm konsequent.
Damit es gar nicht erst so weit kommt und der tatsächliche Verräter ausfindig gemacht werden kann, stehen dem Spieler diverse Werkzeuge zur Verfügung. Denn wie die anderen Charaktere, so besitzt auch Sho übernatürliche Kräfte. Nicht nur kann er das Abstimmungsergebnis vorhersehen, auch ist Sho in der Lage nach jedem Gefecht die Gedanken der im Kampf beteiligten Figuren zu hören.Wer aber was denkt bleibt unklar. Zusammen mit den Dialogen lassen sich trotzdem erste Indizien schließen.
Wirklich stichhaltige Beweise liefert aber nur Deep Vision, ein Minispiel, in welchen man direkt in die Gedanken eines Charakters eintaucht und am Ende Gewissheit über dessen Haltung bekommt. Um in die Gedanken einzutauchen, benötigt man allerdings Vision Points, die lediglich in den Hauptquests erspielt werden können. Wer der oder die (?!?) Verräter in den eigenen Reihen ist/sind, wird übrigens vor jedem neuen Spielstart zufällig festgelegt. Dadurch unterscheidet sich jeder Spieldurchlauf und auch die Enden. Letztlich braucht es mehrere Spieldurchgänge, bis man das tatsächliche Ende erspielt hat.
Bekanntes gut umgesetzt
Eine Motivation zum mehrmaligen Durchspielen liefert Lost Dimension glücklicherweise auch abseits von Charakteren und Handlung. Zwar sind die Visual Novel und Detektiv-Elemente sehr umfangreich und machen das Spielerlebnis zu einem großen Teil aus, das eigentliche Hauptelement ist hinsichtlich des Gameplays aber in den rundenbasierten Kämpfen zu finden. In jeder Quest, egal ob Haupt- oder Nebenmission, befehligt man sechs Gruppenmitglieder in Echzeit auf der Karte. Allerdings hat jeder Charakter nur einen bestimmten Radius, in welchen er sich pro Runde bewegen kann. Die Möglichkeit hinter Gegenständen Deckung zu suchen, wie etwa in dem sehr ähnlich gelagerten Valkyria Chronicles, gibt es leider nicht.
Dafür werden andere strategische Optionen geboten. So richten Attacken mehr Schaden an, die von hinten kommen. Ist man von mehreren Gegnern umzingelt, lohnt es sich eine Flächenattacke einzusetzen, sofern die eigene Spielfigur über einen solchen Angriff verfügt. Durch eine Defer genannte Mechanik kann man einen Charakter, der bereits seinen Zug in der laufenden Runde absolviert hat, übernehmen und diesen noch einmal befehligen. Außerdem gibt es diverse Statusverschiebungen. Etwa können Gegner vergiftet oder eingeschläfert werden. Auch kann man beispielsweise durch eine entsprechende Granate den Feind verzücken und ihn für einige Runden auf die eigene Seite ziehen. Das Ausloten der diversen taktischen Finessen wird spätestens ab der dritten Etage auch dringen notwendig, denn der Schwierigkeitsgrad zieht nach und nach an.
Genretypisch besitzt auch Lost Dimension ein Levelsystem. Wichtiger ist allerdings die Fähigkeitentafel jedes Charakters. Hier lassen sich durch gesammelte Erfahrungspunkte neue Fähigkeiten freischalten, wobei jede Figur individuelle Eigenschaften erlernen kann. Stärkere Heilzauber, die nicht nur einzelne Mitglieder, sondern die ganze Gruppe wieder auffrischen, starke Feuer- und Eisattacken oder einfach nur stärkere Resistenzen gegenüber diverse Angriffsarten. Letztere lassen sich durch Gadgets und Apps noch weiter verstärken. Natürlich lassen sich nach und nach auch neue Waffen ausstatten.
Stimmiger Gesamteindruck trotz technischer Mängel?
RPG-Vielspieler werden sich in Lost Dimension schnell heimisch fühlen, denn hinsichtlich des eigentlichen Rollenspiel-Gameplays werden wenige Experimente eingegangen und sich auf etablierte Stärken besonnen. Technisch hingegen gibt es viel Luft nach oben. Mich persönlich stören die sehr monoton wirkenden Dungeons und das generische Gegner-Design kaum, denn Artdesign und vor allem die Umsetzung der Dialoge, in denen die Figuren in den meisten Fällen animierte Porträts erhalten haben, wirken sehr stimmungsvoll. Selbiges gilt für den düsteren und mitreißenden Soundtrack.
Als störend sind mir hingegen gelegentliche Einbrüche in der Framerate in Erinnerung geblieben. Zum Glück treten diese in der Regel aber lediglich beim Start einer neuen Karte auf und verschwinden nach einigen Sekunden wieder. Eklatanter sind die Spielabstürze, die immer wieder aufgetreten sind. Ebenfalls nicht sonderlich schick ist die teilweise zweifelhafte KI der Gegner mit anzusehen. Gelegentlich bringen diese es nämlich nicht zustande an eigenen Kameraden vorbeizulaufen und rennen stattdessen in diese hinein. Auch kommt es vor, das Gegner eigene Kameraden verwunden, während sie den Spieler angreifen. Immerhin gilt Friendly Fire auch für den Spieler, weshalb man darauf achten sollte vor Angriffen die eigenen Leute aus der Schusslinie zu ziehen. Diskussionsbedürftig dürfte für manche Hardcore-Fans auch der Umstand sein, das lediglich die englische Tonspur auf der Blu-ray vorhanden ist und man auf die japanischen Originalsprecher verzichten muss.