A Silent Voice REZENSION
Mobbing ist ein Phänomen, welches – gefühlt – in den letzten Jahren zugenommen hat. Ob dies wirklich der Fall ist oder der Eindruck durch die verstärkte mediale Berichterstattung und Soziale Medien, die häufig auch als (Verbreitungs-)Werkzeug von Mobbing-Videos etc. genutzt werden, sei einmal dahin gestellt. So oder so ändert es nichts an dem Umstand, das die Opfer von Schikanen und Ausgrenzungen oft viele Jahre, wenn nicht gar ihr ganzes Leben lang leiden und durch die Hölle gehen. Der Film A Silent Voice nimmt sich dem Thema auf eindrucksvolle Weise an, denn er gibt Opfern wie Tätern eine Stimme und zeigt nicht nur die Grausamkeiten, die mit Mobbing einhergehen, sondern schafft es auch Hoffnung zu geben.
Kinder können grausam sein
Shoko ist seit ihrer Geburt nahezu gehörlos. Zwar trägt sie Hörgeräte, sonderlich viel helfen diese aber nicht, weshalb das junge Mädchen in ihrem Alltag auf die Rücksicht anderer Menschen angewiesen ist. Diese bekommt sie auch von ihren neuen Klassenkameraden, die von der neuen Mitschülerin zunächst sehr angetan sind. Die eigentlich schüchterne Shoko wird akzeptiert, ihre Mitschüler und Lehrer helfen ihr und nehmen sich die nötige Zeit, die Shoko braucht, um etwa am Unterricht teilzunehmen. Doch irgendwann kippt die Stimmung, die anderen Kinder und auch die Lehrkräfte empfinden Shoko zunehmend als Belastung. Shoya, einer von Shokos Mitschülern, ist gar so angenervt, das er irgendwann beginnt das Mädchen zu hänseln. Nach und nach steigern sich die Schikanen, auch andere Kinder der Klasse stimmen in das Mobbing mit ein. Sie verstecken Shokos Hefte und Bücher, grenzen das Mädchen bewusst aus und zerstören gar immer wider ihre Hörgeräte. Erst als Shokos Mutter eingreift und ihre Tochter von der Schule nimmt, reagieren die Lehrkräfte. Der Schuldige ist schnell in Shoya gefunden. Schließlich wird Shoya selbst von der Klassengemeinschaft ausgegrenzt.
Jahre später tristet Shoya ein ziemlich isoliertes Leben. Die Freundschaften von einst gibt es nicht mehr, zu anderen Gleichaltrigen an der Mittelschule findet er keinen Kontakt. Auch, weil ihm sein Ruf als Mobber vorauseilt. Unlängst plagen ihn Schuldgefühle für sein einstiges Verhalten. So sehr, dass er gar Selbstmordgedanken hat. Vor einem möglichen Freitod will er sich aber bei Shoko entschuldigen und versucht sie daher aufzusuchen. Die neuerliche Begegnung wird das Leben der beiden
Versöhnung statt Ausgrenzung
Wie so viele Anime, so basiert auch A Silent Voice auf einen Manga. Die gleichnamige Vorlage von Yoshitoki Oima wird zwar zu überwiegenden Teilen von der Adaption abgedeckt, muss aber einige inhaltliche Abstriche machen. So wirkt die Episode aus der Kindheit von Shoya und Shoko etwas schnell abgehandelt. Nichtsdestotrotz liegt die große Stärke des Filmes von Regisseurin Naoko Yamada (K-On!) in der feinfühligen Erzählung. Eine Geschichte über Mobbing und Ausgrenzung sowie Behinderung kann schnell ins Melodramatische abdriften, ein Schicksal, vor welchem A Silent Voice verschont bleibt.
Dazu trägt unter anderem die Charakterisierung bei, die weitestgehend auf Stereotypen verzichtet und sehr gekonnt das Gefühlsleben der auftretenden Figuren widerspiegelt. Zwar stehen insbesondere Shoya und Shoko im Fokus der Geschichte, immer wieder nimmt sich der Film aber auch den Menschen aus dem näheren Umfeld der beiden an. Beispielsweise auch die Mütter der beiden Kinder, die auf ihre ganz eigene Weise mit der Vergangenheit umgehen. Mobbing und seine (Spät-)Folgen betreffen eben mehr Menschen, als nur die Opfer und Täter. Auch wenn A Silent Voice mit den Opfern sympathisiert, so wird auf einfache Antworten verzichtet. Auch wenn die Täter nicht verteufelt werden, so werden die Folgen von Mobbing drastisch dargestellt. Dennoch erlaubt der Film auch viel Leichtigkeit und Humor. Das Anliegen ist es eben nicht den einfachen Weg, sondern Versöhnung zu suchen und zu zeigen, das der Teufelskreis zu durchbrechen ist, auch wenn dies nicht einfach ist.
Der wunderschöne Klang der Stille
Für die Adaption des Manga zeichnet sich mit Kyoto Animation (u.a. Love, Chunibyo & Other Delusions!) ein kleines, aber durchaus erfahrenes Studio verantwortlich. Der sehr farbenfrohe Stil anderer Produktionen setzt sich auch in fort. Es überwiegen kräftige Farben, die der gesamten Szenerie eine wundervolle Ästhetik bescheren. Die Zeichnungen der Locations wirken mitunter enorm realistisch, während die Figuren schon eher nach Anime „aussehen“. Dennoch hebt sich der Stil der Figuren angenehm von anderen modernen Produktionen ab und setzt weitestgehend auf authentische Proportionen. Schön auch, wie wunderbar Klang und Stille stellenweise mit den gezeigten Bildern aufeinander abgestimmt werden und eine geradezu mitreißende Homogenität entfalten. Toll sind auch die japanischen und deutschen Sprecher ausgewählt, die sehr ihren Rollen sehr viel Feingefühl verleihen.
Die von KAZÉ vertriebene Blu-ray kommt ohne jeglichen Makel daher. Sound- und Bildqualität sind auf einem sehr hohen Level und lassen diesen auch audiovisuell wunderbaren Film im richtigen Licht erstrahlen. Als Extras finden sich auf der Blu-ray außerdem noch Interviews mit den Machern, zwei Musikvideos sowie Bilder, welche die Locations aus dem Anime mit ihren realen Vorbildern vergleichen.
Adrian sagt
A Silent Voice gelingt es das eigentlich sehr ernste Thema Mobbing und Ausgrenzung mit einer gewissen Leichtigkeit zu begegnen, die gut tut und sich so auf angenehme Art und Weise von ähnlich gelagerten Filmen abhebt. Der sicherlich nicht leicht zu bewerkstelligende Spagat der Thematik auf der einen Seite die nötige Ernsthaftigkeit gegenüber zubringen, gleichzeitig aber auch ein hoffnungsvolles Bild zu zeichnen, gelingt fantastisch. Nicht zuletzt auf audiovisueller Ebene ist der Film ein Meisterwerk. Man sollte sich von den – zugegebenermaßen – etwas kitschig wirkenden Standbildern nicht täuschen lassen, der tatsächliche Film entfaltet eine wunderbare Ästhetik, die das Talent der Animateure bei Kyoto Animation eindrucksvoll unter Beweis stellt.