Avernum: Escape from the Pit REVIEW
Spiderweb Software’s allererstes Spiel war das 1995 veröffentlichte Exile: Escape from the Pit. Das Spiel war wohl recht erfolgreich, denn es zog zwei Fortsetzungen nach sich. Grafisch war Exile jedoch ziemlich primitiv und erinnerte an alte Ultima-Teile und Gold Box-RPG’s. Jeff Vogel war damit wohl nicht mehr ganz zufrieden, weswegen er seine Exile-Trilogie in den Jahren 2000 bis 2002 unter den Namen Avernum neu auflegte. Die Grafik wurde etwas aktualisiert und in die isometrische Perspektive verlagert. Ferner ging Vogel noch einen Schritt weiter und erweiterte Avernum zu einer Sextalogie, also einer sechsteiligen Serie. Nachdem Teil Sechs 2010 das Licht der Welt erblickte konnte man wohl davon ausgehen, dass nach gut fünfzehn Jahren die Exile/Avernum-Serie in Rente gehen durfte – doch denkste! Avernum durfte kaum zwei Jahre Pause machen, da kam schon ein neues Remake. Ein Remake von Avernum (1), welches wiederum ein Remake von Exile (1): Escape from the Pit ist. Das Ergebnis nennt sich Avernum: Escape from the Pit und läuft nicht nur auf allen modernen Betriebssystemen, sondern wird auch für Mobilgeräte angeboten (deswegen wohl auch das erneute Remake). Eins vorweg: Die vorherigen Versionen Exile (1) und Avernum (1) hab ich nie gespielt. Vergleiche kann ich also nicht aufzeigen. Dieses Remake vom Remake war meine erste Berührung mit dieser Serie, womit ich zumindest einigermaßen neutral an die Sache herangehen kann. Als Fan von Spiderwebs Avadon-Serie habe ich aber schon sehr hohe Erwartungen an dieses Spiel, denn eine Serie welche dermaßen energisch am Leben erhalten wird muss einfach gut sein!
Ein gigantisches Höhlensystem als Deportationslager
Stellt euch vor die gesamte Welt wird von einem tyrannischen Imperium beherrscht, dessen Anführer zu allem übel auch noch nicht mal mehr alle Tassen im Schrank hat. Stellt euch vor ihr gehört zu jenen die nicht hundertprozentig in diese furchtbare Welt der Unterdrückung und Arschkriecherei hineinpassen. Vielleicht habt ihr nur mal nebenbei über die hohen Steuern geflucht oder über einen Adligen gelästert. Vielleicht seid ihr auch einfach nur homosexuell oder noch schlimmer: Ihr habt den schweren Fehler begangen leicht angetrunken durch die Straßen zu torkeln? Tja, wer zu dieser Sorte Leute gehört darf recht bald das gigantische Höhlensystem Avernum sein zuhause nennen. Dies ist nämlich der Ort, an den unerwünschte Elemente mithilfe eines magischen Portals deportiert werden – und ja, das Portal öffnet sich nur in eine Richtung. Eines Tages werden vier weitere Individuen unsanft durchs Portal befördert und finden sich in einer recht ungemütlichen Höhle wieder. An dieser Stelle liegt es nun an euch die Zukunft dieser vier unglücklichen Seelen zu schmieden. Es stellt sich recht schnell heraus, dass sich in Avernum eine eigene Kultur entwickelt hat. Die zivilisierteren unter den Verbannten haben viele Dörfer und Städte errichtet und sogar einen eigenen König gewählt. Leider tummeln sich in den Höhlen auch jede Menge Monster und feindlich gesinnte Kulturen wie z. B. die Nephilim: Katzenmenschen die vom Imperium konsequent ausgerottet oder nach Avernum abgeschoben wurden. Auch die echsenhaften Ureinwohner Avernums die sich Slithzerikai nennen, sind nicht sonderlich gut auf die Immigranten von der Oberwelt zu sprechen. Doch ich greife vor, denn ein großer Reiz Avernums ist es ja die hiesigen politischen Situationen selbst zu entdecken. Die große Frage lautet jedoch was ihr jetzt tun wollt? Werdet ihr euch in die Avernum-Zivilisation eingliedern und zu den hiesigen Nationalhelden aufsteigen? Werdet ihr versuchen einen Fluchtweg aus dem Loch zu finden, wie der Untertitel suggeriert? Oder treibt euch der Hass auf den wahnsinnigen Imperatoren Hawthorne an, der euch dazu zwingt einen Weg zu finden dem üblen Tyrannen den Schädel zu spalten und somit Rache für die Verbannung zu üben? Wahre Helden werden freilich versuchen einfach all diese Ziele zu erfüllen, doch die endgültige Entscheidung liegt natürlich bei euch.
Gibt eigentlich nicht mehr viel dazu zu sagen. Wie von Spiderweb gewohnt kristallisiert sich die Faszination aus den plastischen Beschreibungen der Spielwelt und Charaktere sowie den generell gut gelungenen Schrifttext heraus. Jedoch sollte einem bewusst sein, dass sich die Präsentation des Ganzen eben auf diesen Schrifttext beschränkt. Pompöse Zwischensequenzen, ein dazugehöriger OST und dergleichen sucht man hier vergebens. Darüber hinaus bleibt nur noch wohlwollend anzuerkennen, dass die Handlung gerade durch ihre Simplizität getragen wird. Man bekommt ein paar schön gezeichnete Intro-Bildchen zu sehen in denen Textboxen über den Hintergrund des Imperiums sowie die Verbannung der Spielfiguren aufklären und schon wird man ins Spiel geworfen! Also auf zum Gameplay-Bereich!
Eine Open World unter Tage – mal was neues!
Wie schon aus den Avadon-Spielen bekannt, gilt es erst einmal die Charakterklasse(n) und den Schwierigkeitsgrad auszuwählen. Der Schwierigkeitsgrad wird auch hier wieder in Form der Grade Casual, Normal, Hard und Torment (Folter) bestimmt. Und auch hier fiel meine Wahl auf den Grad „Hard.“ Das Charaktersystem ist jedoch anders aufgebaut als in Avadon. Zwar suggeriert uns das Spiel, dass man für seine vier Charaktere eine große Anzahl unterschiedlicher Charakterklassen auswählen könne, aber tatsächlich bestimmt diese Wahl lediglich wie die anfänglichen Attributs- und Skillpunkte verteilt werden, mehr nicht. Meine Empfehlung lautet ja statt einer Charakterklasse die Bezeichnung „Custom“ auszuwählen, was euch erlaubt die anfänglichen Punkte völlig selbstständig zu verteilen. Denn echte Charakterklassen wie in Avadon gibt es hier schlicht und einfach nicht, auch wenn versucht wird uns was anderes vorzugaukeln. Dies sorgt aber immerhin dafür, dass man absolut freie Wahl beim Aufbau seiner Charaktere hat – ein nicht zu unterschätzender Vorteil. Fans von selbsterstellten Hybridklassen oder Leute die sich nicht gerne an die Hand nehmen lassen werden hier jedenfalls ihre helle Freude haben.
Die Skillboards werden in die zwei Bereiche Kampf-Skills und Magie-Skills + allgemeine Skills unterteilt. Im Kampfbereich wird freilich hauptsächlich der Umgang mit den vier unterschiedlichen Waffentypen Melee Weapons (Dolche, Schwerter), Pole Weapons (Helebarden, Piken), Bows (Bögen) und Thrown Missiles (Wurfspeere, Shuriken) abgewickelt. Je höher der Gesamtskilllevel für die Weapon-Skills ausfällt, desto mehr Kampftechniken für die „Battle Disciplines“ werden freigeschaltet. Hierbei handelt es sich um spezielle Kampfmanöver und -techniken für die rundenbasierten Gefechte. Der Einsatz einer Battle Discipline im Kampf verbraucht zwar keine Zauberenergie oder dergleichen, sorgt jedoch für Erschöpfung, die den Einsatz weiterer Battle Disciplines unterbindet und erst nach mehreren Kampfrunden abklingt.
Ausgehend von den Basis-Weapon-Skills entwickelt sich ein leicht zu überblickender Skilltree, dessen fortführende Skills hauptsächlich dazu dienen diverse Statusquoten zu verbessern. Somit lassen sich gezielt die Treffer- und Schadensquoten erhöhen oder die unterschiedlichen Widerstandskräfte des Charakters verbessern.
Der Bereich für Magie- und allgemeine Skills ist ähnlich aufgebaut. Die Basis-Skills werden hier in Mage Spells und Priest-Spells unterteilt, die je nach Höhe der Levelstufe mehr Spells für die jeweilige Magie-Klasse freischalten. Freischalten bedeutet in diesem Fall jedoch nicht gleich erlernen! Für jeden Zauberspruch gibt es drei Levelstufen. Zwei Levelstufen lassen sich bei entsprechenden Lehrmeistern käuflich erwerben und eine Stufe muss aus einem entsprechenden Zauberbuch erlernt werden. Die Zauberbuch-Podeste sind oftmals in den Dungeons der Spielwelt verborgen und wollen erst einmal gefunden werden. Klar das höherstufige Sprüche erst dann gewirkt werden können, wenn der Skilllevel hoch genug ist. Mage Spells weisen dabei eher eine offensive Tendenz auf, während man bei Priest Spells Zugriff auf Heilzauber erlangt. Beide Zauberschulen bieten darüber hinaus individuelle Beschwörungen und Buff/Debuff-Spells feil. Es empfiehlt sich also sowohl einen regulären Magier als auch einen Priester zu schulen.
Neben den Skills die sich auf die magischen Kräfte der Charaktere konzentrieren, werden hier auch allgemeine Skills untergebracht, wie zum Beispiel Tool Use, ein Skill den man benötigt um verschlossene Türen zu öffnen oder Cave Lore, welchen man benötigt um auf der Weltkarte geheime Durchgänge passieren zu dürfen und Schätze auszubuddeln. Die Levelstufe der Basis-Skills (Weapon-Skills sowie Mage und Priest-Spells) reguliert die Maximalhöhe der fortlaufenden Skills des Skilltrees, sind jedoch nicht auf eine bestimmte Levelobergrenze beschränkt, die nachfolgenden Skills lassen sich hingegen nur bis auf Stufe 10 hochpushen. Der Skill „Luck“ ist sogar nur bis auf Stufe 5 begrenzt. Zu guter Letzt gibt es noch die Traits. Jeden zweiten Levelaufstieg darf man einen Trait aussuchen. Diese umfassen unter anderem prozentuale Steigerungen von Lebens- oder Zauberenergie, dauerhafte Attributspunkt-Verbesserungen und viele andere Dinge.
Apropos Attributspunkte: Bei diesen gibt es keine nennenswerten Unterschiede zu den Avadon-Spielen. Die vier Werte Strenght, Dexterity, Intelligence und Endurance sollten für jeden gestandenen RPG’ler sowieso leicht einzuordnen sein. Auch beim Kampfsystem gibt es keine ernsthaften Unterschiede zu Avadon. Es ist das gute alte auf Aktionspunkten basierende Karoraster-Rundenkampfsystem, welches eigentlich in allen Spiderweb-Spielen genutzt wird und für gepflegte taktische Unterhaltung sorgt. Die Unterschiede im Kampf belaufen sich auf Kleinigkeiten, so gibt es in Avernum natürlich zum Teil andere Zaubersprüche als in den Avadon-Teilen. Ärgerlich ist nur, dass die Beschwörungskreaturen in Avernum bei weitem nicht so nützlich sind wie in Avadon, da man diese hier nicht direkt steuern darf und deren K.I. eher schlecht als recht agiert.
Generell leidet Avernum etwas unter gewissen Balancing-Problemen. Nicht nur was Beschwörungszauber betrifft, sondern auch bei diversen Waffengattungen: Thrown Missiles sind z.B. nummerisch begrenzt, was diese im Vergleich zu den Bögen mit ihrer unbegrenzten Pfeilmunition zu sehr unattraktiven Waffen macht. Auch Pole Weapons sind nicht so toll, da die Spielfiguren für solch eine Waffe beide Hände nutzen müssen, was bedeutet, dass man keinen Schild oder eine zweite Melee Weapon ausrüsten darf, was wesentlich effektiver wäre, als den lumpigen „+20% chance to hit foe near target“-Bonus den man z.B. für Helebarden bekommen würde.
Die Steuerung, das Inventarsystem samt Junkbag-Funktion, sowie das überflüssige Beleuchtungssystem sind mehr oder weniger aus Avadon bekannt. Was jedoch negativ auffällt, ist dass es hier schwieriger ist die Kampfeinheiten mit dem Mauscurser zu klicken, da es, anders als in Avadon 2, erforderlich ist das Charakter/Monstersprite-Bruchstück innerhalb des kleinen Rasterquadrats anzuklicken statt einfach nur das Charakter/Monstersprite generell anzuklicken, was wesentlich besser funktioniert. Dies hat bei mir zu so einigen ungewollten Fehlzügen geführt, aber dies ist jedoch ein etwas unfairer Kritikpunkt, da Avadon 2 nach Avernum: EftP erschien. Und wo wir schon mal grob bei dem Thema Avadon vs. Avernum sind. Im Vergleich zu Avadon wurden hier zwei größere Dinge abgeschafft:
Erstens gibt es keinen Trainer mehr, der die verdienten Skillpunkte zurücksetzen kann und somit eventueller Verskillung vorbeugt. Man sollte also zusehen, dass man sich frühzeitig einen Charakterentwicklungsplan zurechtlegt. Alternativ gibt es nun jedoch Trainer, bei denen man für gewisse Goldsummen diverse Skills um bis zu zwei Levelstufen erhöhen darf – auch eine attraktive Möglichkeit sich das Leben leichter zu machen.
Zweitens wurde der nervige Level-Cap der Avadon-Spiele entsorgt, was dafür sorgt, dass die Motivation auch nach dem Erreichen von Level 30 bestehen bleibt. Ab Level 31 erhält man abgesehen vom generellen Level-Up-Bonus für Lebens- und Manapunkten sowie einer automatischen Verbesserung eines Attributs zwar nur noch alle fünf Stufen Skill- und Attributspunkte zum Selbstverteilen, aber dennoch ist dies ein gewaltiger Vorteil gegenüber der Avadon-Konkurrenz aus dem gleichen Hause!
Ein noch viel größerer Vorteil ist jedoch das Open World-Konzept, welches in Avernum Verwendung findet. Das Höhlensystem ist gigantisch und voller Siedlungen und abwechslungsreicher Dungeons, bietet unzählige Geheimgänge und Schätze, eine frei begehbare Weltkarte die man theoretisch nach verlassen des Startgebietes völlig frei erkunden kann sowie dutzende von Quests (über 120 Stück)! Das sind Zutaten die euch seeehr lange bei der Stange halten werden. Ich selbst hab locker über 100 Stunden in dieses Spiel investiert. Viele dieser Stunden waren übrigens sehr fordernd, denn auch hier macht der Schwierigkeitsgrad „Hard“ seinen Namen alle Ehre! Stellenweise musste ich mich wirklich umgucken, wo ich Gegner finden kann, die meiner aktuellen Levelstärke entsprechen und mich nicht direkt von der Platte putzen. Dies sorgte zwar auch dafür, dass ich sehr viel hin und herlatschen musste (was ein generelles Problem von Avernum ist), aber immerhin kann man Zugriff auf ein Teleportationssystem erlangen, welches die Laufpassagen etwas abkürzt. Die Krönung ist ein simples aber feines Reputationssystem. Für das Lösen bestimmter Quests oder allgemeiner Heldentaten erhält man jeweils 1-3 Pluspunkte für die eigene Reputation. Diese hat natürlich geringfügige positive Auswirkungen auf den Spielverlauf. So bekommen wir eventuell günstigere Preise bei Händlern, müssen keinen Brückenzoll zahlen oder werden allgemein freundlicher empfangen. Ich liebe solche Kleinigkeiten, denn sie steigern Motivation und Immersion ungemein!
Grafik, Sound und weiteres
Das Spiel unterscheidet sich in audiovisueller Hinsicht nicht wirklich von den Avadon-Spielen. Die Grafik setzt sich auch in Avernum: EftP aus relativ trist eingefärbten, eckigen Raster-Maps zusammen. Bei den Charakter- und Monstersprites wird auch nichts neues geboten. Erschwerend kommt noch hinzu, dass das Spiel in einem unterirdischen Höhlensystem stattfindet. Dies bedeutet, dass ihr noch nicht mal die Abwechslung wechselnder Szenariengebiete wie Wald, Wüste usw. geboten bekommt. Lediglich einige Dungeons lassen da etwas Abwechslung aufkommen, denn sogar die Siedlungen sehen sich recht ähnlich. Das einzige was optisch heraussticht sind abermals die tollen Artwork-Zeichnungen für Intro, Outros und Charaktere.
Spiderweb-typisch sieht’s auch beim Soundtrack äußerst spartanisch aus. Es gibt nur die Avernum-Titelmelodie und ansonsten eben die altbekannten Ambient- und Kampfgeräusche, die man schon aus Avadon kennt, mehr nicht. Glücklicherweise geht es in Spiderweb-Spielen um andere Dinge als Grafikpomp und dergleichen.