Everybody´s Gone to the Rapture REVIEW
Apokalyptische Szenarien erfreuen sich seit einigen Jahren einer großen Beliebtheit bei Entwicklern und Spielern. Häufig finden die erzählten Geschichten Jahre nach einem Supergau, Krieg oder ähnlichen Ereignis in verwüsteten Wastelands oder von der Natur zurückeroberten urbanen Gebieten statt und werden von einem actionlastigen Spieldesign getragen. Das von The Chinese Room (Dear Esther) in Zusammenarbeit mit Sony´s Santa Monica Studio entwickelte Everybody’s Gone to the Rapture wählt in vielerlei Hinsicht einen komplett anderen Ansatz. Unaufgeregt, minimalistisch und verworren gibt sich der Weltuntergang, welcher hier inmitten einer verschlafenen britischen Idylle stattfindet. Doch gleichzeitig sind die knapp sechs Stunden in Everybody’s Gone to the Rapture auch aufwühlend, wunderschön und auf eine seltsame Art und Weise beruhigend.
Everybody´s gone…
Kein wirkliches Intro, keine großen Vorworte: nach Spielstart befinde ich mich am Ende einer Straße. Hinter mir und abgesperrt von hohen Zäunen rangt ein Observatorium in die Höhe. Zu meinen Füßen befindet sich eine Landstraße, die in ein kleines Städtchen zu führen scheint. Es ist ruhig, aber nicht still. Ich höre meine eigenen Schritte im Gras, ich höre den Wind und das Rauschen der Blätter. Obwohl ich mich dem kleinen Ort immer weiter nähere, ändert sich an dem Klangbild nichts. Keine Stimmen, keine Motorengeräusche. Nichts, das auf andere Menschen hindeutet. Viele Häuser sind abgesperrt, manche Türen stehen offen. An Informationstafeln hängen Blätter, die von einer Grippe-Welle und eingeleiteten Quarantäne-Maßnahmen berichten. Doch der so friedlich anmutende Ort namens Yaughton ist verlassen. Aber: er ist nicht leer.
Denn auf meinen ersten Metern durch die britische Postkartenidylle treffe ich immer wieder auf umher schwebende Lichtkugeln. Leiten sie mir einen Weg? Wenn ja, wohin? Sind sie mir freundlich gesonnen? Was genau sind diese Lichterscheinungen überhaupt? Nach einigen Minuten verwandelt sich der zuckende Lichtkegel plötzlich in eine menschliche Silhouette, die zu sprechen beginnt. Dieser ersten Begegnung mit einem der (ehemaligen?!) Bewohnern werden in den kommenden Stunden noch viele folgen. Denn die Lichterscheinungen dienen als maßgebliches narratives Instrument von Everybody´s Gone to the Rapture und erzählen, was in Yaughton und der Umgebung und mit den dort lebenden Menschen geschehen ist.
Alltagssorgen
Obwohl „Everybody’s Gone to the Rapture“ einen Sci-Fi Überbau mit übernatürlichen Elementen besitzt und offensichtlich in einem Weltuntergangs-Szenario angesiedelt wurde, so ist das Spiel primär eigentlich eine Erzählung über Menschen, ihren Beziehungen zueinander und Problemen miteinander. Denn den Fokus der Narrative bilden die Bewohner von Yaughton. Probleme in der Ehe, zerrüttete Verhältnisse zwischen Eltern und ihren Kindern, unerfüllte Liebschaften etc. Die Entwickler verknüpfen geschickt die Einzelschicksale und entspinnen eine spannende Geschichte. Tatsächlich hat mich das Spiel ursprünglich einmal mit seinen Science-Fiction Elementen gelockt, doch am Ende waren es die ganz irdischen und eigentlich so alltäglichen Bestandteile der Handlung, die mich berührt haben.
Mit berührt meine ich, dass mich manche der Schicksale so sehr mitgenommen haben, dass ich nicht nur Gänsehaut bekommen und hier und da eine kleine Träne in den Augen hatte, sondern zwischendurch innegehalten und über mein eigenes Leben nachgedacht habe. Vielleicht habe ich das Glück, das ich zu einigen der Schicksale eine persönliche Brücke schlagen kann. Und sicherlich muss man für Everybody´s Gone to the Rapture auch in der richtigen Grundstimmung sein, damit man persönlich etwas aus der Spielerfahrung mitnehmen kann. Doch es ist natürlich auch der Verdienst von Entwickler The Chinese Room, das ihr Werk eine solche Wirkung entfaltet.
Allerdings muss man ehrlicherweise auch sagen, dass Everybody´s Gone to the Rapture trotz seiner großen narrativen Qualitäten angreifbar ist. Vor allem die Verortung in dem gerne abschätzig als walking simulator betitelten Genre dürfte das Spiel für manche Zielgruppen von vornherein uninteressant machen. Und ja, ich kann absolut nachvollziehen, wenn man nach einer halben Stunde gelangweilt die Konsole ausschaltet und das Spiel nie wieder anfasst. Und ich selbst, der von dem Werk sehr angetan ist, kann nicht unter den Tisch kehren, dass es Momente der Langeweile und Anstrengung auf meinem Abenteuer durch das wunderschöne Südengland gab.
Spiel mit der Geduld
Das hat dreierlei Gründe. Zum einen ist Everybody´s Gone to the Rapture ein in Sachen Gameplay sehr minimalistisch gestricktes Spiel. Banal ausgedrückt, läuft man durch die Spielwelt und folgt den Haupt- und Nebenpfaden um dabei mehr und mehr Rückblenden zu finden und so das Puzzle nach und nach zu komplettieren. Interaktion innerhalb der Welt findet dabei kaum statt. Mit den Analogsticks bewegt man sich, mit der X-Taste öffnet man Türen oder betätigt Radios und Telefone, durch welche ebenfalls Nachrichten klingen, die mehr Inhalt zur Geschichte beitragen. Manche Lichtkegel muss man zusätzlich durch das drehen den Dualshock-Controllers aktivieren. Und das war es dann auch schon mit dem Gameplay im klassischen Sinn. Gerne hätte ich zusätzlich noch die Möglichkeit gehabt Briefe oder Bücher aufzuheben und zu lesen oder ein kleines Rätsel gelöst.
Ein weiteres Problem ist die Spiellänge. Ungefähr sechs Stunden habe ich für das erstmalige Durchspielen gebraucht, wobei ich sehr viel Zeit in die Erforschung der Welt investiert habe und selbst die kleinsten Wege abgelaufen bin. Sechs Stunden sind für ein solch mit wenig spielerischer Abwechslung ausgestattetes Werk aber fast schon viel zu lang. Dieser Eindruck hat sich bei mir ab der Spielhälfte immer weiter verstärkt. Das dritte Problem von Everybody´s Gone to the Rapture schließt hier mehr oder weniger an: die Laufgeschwindigkeit. Diese ist – um es mal nett auszudrücken – bedächtig. Sehr, sehr bedächtig. Sonntagsausflugs-bedächtig.
Das diese Schrittgeschwindigkeit aufgrund dramaturgischer Entscheidungen gewählt wurde, ist mir zwar einleuchtend und überwiegend hätte ich mich sowieso ruhigen Schrittes durch die Umgebung bewegt. Doch gerade, wenn ich mal wieder in einer Sackgasse gelandet bin oder an den leider oftmals unschönen Levelbegrenzungen angestoßen bin, habe ich mich sehr nach einen Lauf-Knopf gesehnt. Diesen gibt es nämlich nicht, was mit der Zeit Nerven raubend wird. (Anmerkung: Mittlerweile haben sich die Entwickler zu diesem von vielen Spielern geäußerten Problem zu Wort gemeldet und verlautbart, dass das gedrückt halten der R2-Taste sehr wohl die Schrittgeschwindigkeit anhebt. Dem ist tatsächlich so, allerdings ist der Unterschied nur minimal spürbar.)
Die Schönheit des Weltuntergangs
Trotzdem bin ich an Everybody´s Gone to the Rapture dran geblieben und habe es fast in einem Rutsch durchgespielt. Nicht nur, weil mich das Spiel auf emotionaler Ebene gepackt hat, sondern auch aufgrund der wunderschönen Präsentation. Anstatt die Apokalypse mit der totalen Zerstörung der Spielwelt zu visualisieren, zeigt The Chinese Room einen geradezu friedlichen Weltuntergang. Die malerischen Landschaften versprühen eher Urlaubsgefühle, anstatt Unwohlsein und bilden so einen tollen Kontrast zu anderen Titeln mit ähnlicher Thematik. Zwar sieht man dem verwendeten grafischen Motor, der Cry-Engine, an, dass sie schon etwas in die Jahre gekommen ist. Doch in seinen besten Momenten staunt man ob der grafischen Klasse nicht schlecht und will die britische Countryside eigentlich gar nicht mehr verlassen.
Eine Klasse für sich ist nicht zuletzt der von Jessica Curry geschriebene Score, der sich religiösen, hin und wieder auch experimentellen Motiven bedient und einen atmosphärisch ungemein dichten Klangteppich entwirft, der mich geradezu umgehauen hat. Eigentlich bin ich kein großer Freund allzu kirchlicher Musik, doch was in Everybody´s Gone to the Rapture aus den Lautsprechern ertönt, das nimmt mich mit. Auch der Einsatz von Musik ist dramaturgisch exzellent gewählt und betont wichtige Momente umso stärker. Grandios!