Never Alone REVIEW

Weit und breit nichts weiter als Eis und Schnee, dazu ein tobender Wind, dessen pfeifender Klang alleine Kälte in jede einzelne Faser des Körpers zu treiben scheint. Entgegen den immer wieder aufkeimenden Böen, stapfe ich durch die weiße Wüste. Zum Glück bin ich auf meiner Reise aber nicht alleine, denn an meiner Seite ist stets ein treuer Polarfuchs, der mir immer wieder hilft, die Widrigkeiten der eigentlich menschenfeindlichen Umgebung Alaskas zu überwinden. Niemals alleine – das ist auch das Stichwort von Never Alone, einem ambitionierten Kleinod, das mich einen Abend lang geradezu verzaubert hat.

Kisima Inŋitchuŋa

Personen meiner Altersklasse dürften beim fallen des Wortes Lernsoftware mit den Augen rollen, denn wie so viele Kinder, die in den 90er und 00er Jahren aufgewachsen sind, so musste auch ich mir häufig anhören, dass ich mit meinem Computer doch mal was anderes machen sollte, als ständig meine Zeit mit Videospielen zu verschwenden. Dementsprechend wurden auch mir in regelmäßigen Abständen entsprechende Programme aufgezwungen, die mir Mathematik, Geschichte und andere schulische Fächer näher bringen sollten. In meinen Augen waren diese Versuche mir Lerninhalte „spielerisch“ näher zu bringen die tatsächliche Zeitverschwendung vor dem Bildschirm – wenigstens meinte man es gut mit mir. Hätte man mir damals aber Never Alone vorgesetzt – ich hätte heute eine komplett andere Einstellung zu entsprechenden Programmen.

Denn auch dieses, bei Upper One Games entstandene Spiel hat den Anspruch Wissen zu vermitteln. In diesem Falle Wissen über das Volk der Iñupiat, einem indigenen Volk Alaskas, welches Aktiv in die Realisierung des vorliegenden Spieles integriert wurde. Die Iñupiat haben eine lange, sehr traditionsreiche Geschichte, welche mit viele Sagen und Mythen durchsetzt ist und von Generation zu Generation weitererzählt werden. Eine dieser Geschichten ist die Erzählung des jungen Mädchens Nuna. Als Nuna eines Tages von der Jagd in ihr Dorf zurückkehrt, findet sie ihr Dorf vollkommen verwüstet vor. Schuld daran sind seit einiger Zeit immer stärker werdende Schneestürme, welche das Leben der Menschen bedrohen. Also zieht Nuna los, um der Ursache für die starken Stürme auf den Grund zu gehen. Auf ihrer Reise wird das Mädchen von einem schneeweißen Polarfuchs begleitet, der ihr nicht nur einmal das Leben retten soll…

In den kommenden, knapp drei Stunden erzählt Never Alone ein wunderschönes Märchen, in deren Kern eben das „niemals alleine sein“ steht. Der Titel des Spieles steht dabei für sehr viel mehr, als die Freundschaft zwischen Nuna und ihrem pelzigen Begleiter, er umfasst auch eine spirituelle Ebene, die nicht zuletzt das Naturverständnis der Iñupiat einschließt. Im spirituellen Glauben des Volkes besitzen nämlich nicht nur Menschen und Tiere eine Seele und ein Bewusstsein, sondern auch das Wetter, der Schnee, das Eis, ja die Erde selbst. Insofern ist der Schneesturm, der Nuna und ihr Volk bedroht, auch nicht böse und man bekämpft ihn und seine Ursachen auch nicht, vielmehr ist er Teil des Lebens auf der Welt.

Das mag nun vielleicht leicht esoterisch und verkopft klingen, ist aber durch die hier dargebotene Erzählweise des Märchens gelungen in den spielerischen Kontext verwoben. Dies gilt übrigens für den gesamten narrativen Aufbau, der nicht nur durch den aus dem off sprechenden Erzähler erfolgt, sondern auch durch das Gameplay und die audiovisuelle Präsentation.

Ach, ist das schön

Letztere setzt hauptsächlich auf minimalistische Elemente. Die dominierenden Weiß- und Blautöne in der Farbgebung werden immer wieder durch kleine Nuancen in selbiger ergänzt. Zur Spielmitte etwa sehen Nuna und ihr Fuchs am Himmel grüne Polarlichter, die in Geister ähnliche Wesen umgemünzt wurden und im dunklen Nachthimmel geradezu gespenstisch wirken. Während sich die Spielwelt in diesem Fall dem Spieler ein weiteres Mal entgegenstellt, hilft sie ihm an anderer Stelle aber auch. So trifft man immer wieder auf freundlich gesinnte Naturgeister, welche vormals unzugängliche Passagen erreichbar machen.

Der optische Stil wird ergänzt durch ein auf das Wesentliche zurückgefahrene Sounddesign. Als dominierender Klang tönt immer wieder der Sturm durch die Lautsprecher, ebenso sind aber auch die leisen Fußstapfen von Nuna und ihrem Fuchs und die bedächtig eingesetzte Musik zu vernehmen. Die folgerichtige Entscheidung, die Narration aus dem off komplett in der Iñupiat-Sprache zu belassen, rundet das Gesamtbild ab. Kurzum: Never Alone ist ein schlicht und ergreifend wunderschönes Spiel, an welchen ich mich bis zum Abspann nicht sattgesehen und -gehört habe. Toll auch: Nach dem Spielende laden im Menü über 20., meist recht kurze Dokumentarvideos dazu ein, sich mit den verschiedenen Aspekten der Iñupiat-Kultur noch weiter auseinanderzusetzen.

Spielerisch wird an dem Konzept der Schlichtheit angeknüpft. Primär haben wir es hier mit einem 2D-Plattformer zu tun, welcher neben Jump ’n‘ Run Passagen auch kleinere Rätseleinlagen bietet. Dabei werden die Anforderungen mit dahinschreitender Spielzeit immer fordernder, sodass man hin und wieder auch einmal innehalten muss um das weitere Vorgehen zu überdenken. Im Spiel kann man jederzeit zwischen Nuna und den Fuchs per Knopfdruck wechseln. An manchen Stellen kommt Nuna etwa nicht weiter, weshalb ihr Begleiter übernehmen und etwa Felswände rauf trotten muss, um von dem erreichten Plateau ein rettendes Seil herunter zu lassen, oder seine Fähigkeit, mit den Naturgeistern zu interagieren, einsetzt, um neue Plattformen zugänglich zu machen.

Dadurch, dass das Pacing die meiste Zeit über langsam in seinem Aufbau gehalten ist, funktioniert das Ganze trotz der zuweilen leicht hakeligen Steuerung mit dem Dualshock 4 Controller der Playstation 4 ganz gut. Dies ändert sich allerdings, sobald ein wenig Hektik in das Spielgeschehen eingreift und man beispielsweise Fluchtszenen meistern muss, bei denen man immer wieder zwischen den beiden Spielfiguren wechseln muss. Etwas besser funktioniert das, wenn man einen Mitspieler hat und mit diesem die Aufgaben im Koop-Modus meistert.

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Spiel Bewertung
Singleplayer
84
84
Gut
-
Multiplayer

FAZIT

Never Alone ist zwar mit knapp drei Stunden Spielzeit ein kurzes Vergnügen, dafür aber eines, das nachhaltig in Erinnerung bleibt. Die reine Spielmechanik selbst mag nichts Besonderes sein, doch die Kombination aus 2D-Plattformer, der hübschen Präsentation und dem Ansatz Wissen und Kultur verpackt in einem spannenden Abenteuer zu vermitteln, geht voll und ganz auf und hat mir eines der schönsten Spielerlebnisse des Jahres beschert.

- Von  Adrian

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USK 0 PEGI 3

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