13 Sentinels: Aegis Rim REVIEW
Bedenkt man, wie zahlreich die narrativen Möglichkeiten von Videospielen sind, so geben sie sich erschreckend selten origineller als Geschichten in komplett linearen Medien. Eine Ausnahme bilden mitunter Visual Novels, die sehr viel häufiger mit verschiedenen Zeitebenen und anderen Formen der Erzählung spielen und allgemein viel offener dafür sind Rezipienten mit komplexen Ansätzen zu konfrontieren (man denke hier einmal an Zero Escape: Virtue’s Last Reward oder Danganronpa). In eine ähnliche Kerbe schlägt 13 Sentinels: Aegis Rim von Vanillaware, welches nach langem Hin und Her und einer nicht gerade einfachen Entwicklungshistorie dieser Tage endlich den Weg auf westliche PlayStation 4´s findet.
Mechas statt Zauberer
Vanillaware (Odin Sphere, Dragon’s Crown) hat sich in der rund 15.-jährigen Firmengeschichte vor allem einen Namen für betörend schöne 2D-Spiele gemacht. Bisher hat sich das in Ōsaka ansässige Studio vor allem klassischer Fantasy-Settings bedient und das Gameplay meist als eine Mischung aus Action-Rollenspiel und Brawler angelegt. Mit 13 Sentinels: Aegis Rim schlägt man sowohl in spielerischer Hinsicht eine gänzlich andere Richtung ein wie auch bei der Wahl des Szenarios. Statt mittelalterlicher Motive, Zauberer und Fabelwesen werden diesmal Mechs, Zeitreisen und in der Science Fiction beheimatete Konzepte aufgegriffen und aus der Sicht von 13 Figuren erzählt.
Der überwiegende Teil der Handlung spielt in einer fiktiven Version des Jahres 1985. Im Zentrum steht eine Gruppe Oberschüler, deren Leben sich schlagartig ändert, als sich Japan einer Invasion außerirdischer Wesen gegenübersieht. Alle Protagonisten haben gemein, dass sie in der Lage sind die titelgebenden Sentinels, riesige Roboter, zu steuern. Mit diesen sollen sie, so der Wille der japanischen Regierung, ihr Heimatland vor den feindlichen Invasoren verteidigen. Soweit, so Neon Genesis Evangelion. Der für das Skript und die Regie verantwortliche George Kamitani hat sich nicht nur vom großen Animeklassiker, sondern auch vielen anderen Werken, wie Krieg der Welten, Terminator und Matrix inspirieren lassen und viele der in diesen auftauchenden Ansätze in seine eigene Erzählung verflochten. Entsprechend tauchen viele motivische und narrative Versatzstücke in 13 Sentinels: Aegis Rim auf, welches dennoch, und das ist erfreulich, kein Patchwork aus seinen Inspirationsquellen, sondern etwas sehr eigenes ist.
Wo und wer bin ich?
Zu Beginn ist das erst einmal ziemlich verwirrend. Die Geschichte wird nämlich nicht linear erzählt, sondern springt munter zwischen den Jahren 1945, 1985, 2025 und noch weiter in der Zukunft hin und her. Figuren tauchen mal als kleine Kinder, mal als Erwachsene, mal mit vollkommen anderen Namen und Aussehen auf. Was hinter den Deimos genannten mechanischen Monstern, den Sentinels, ihren Piloten und der Organisation im Hintergrund steckt, lässt sich lange Zeit schwer deuten. Und dann gibt es ja auch noch Flöckchen, eine sprechende, ziemlich gemeine, aber doch irgendwie liebenswerte Katze. Doch gerade die vielen Fragen, die aufgemacht werden, machen die Geschichte auch so spannend. Wenn sich nach und nach einzelne Teile des riesigen Puzzles zusammensetzen, man eine bekannte Szene später aus einem anderen Blickwinkel spielt, an das Ende eines Kapitels anknüpft und den Fortlauf Stunden später erfährt – all das ist ungemein spannend und zufriedenstellend! Einziger Haken: wer, wie ich, mit den zuvor genannten Werken, von denen Kamitani sich hat inspirieren lassen kennt, wird vielleicht nicht bei jedem Twist mit vom Stuhl fallen. Dennoch hatte ich bis zum Ende hin Spaß an der Erzählung, nicht zuletzt dank der Hauptfiguren.
Das 13 Sentinels: Aegis Rim komplett aus der Sicht von Oberschülern erzählt wird, sollte nicht abschrecken, denn auch wenn die Inszenierung nicht um die Bedienung gewisser Klischees und für Vanillaware-Verhältnisse erstaunlich wenig Fanservice herumkommt, so sind die Protagonisten weit mehr als die Stereotypen, die sie zunächst zu sein scheinen. Durch die intensive Zeit, die man mit jeder Figur verbringt, lernt man diese nicht nur besser kennen, sondern baut auch eine starke Bindung zu ihnen auf. Zu meinen Lieblingen gehören Takatoshi Hijiyama und Keitaro Miura, die beide aus dem Jahr 1945 stammen und zunächst noch verblendet von den Idealen des untergehenden Kaiserreichs sind. Während Ersterer die Nachkriegszeit nicht zuletzt wegen seiner kulinarischen Highlights, insbesondere dem Yakisobapan (Nudeln mit Sauce in einem Briochebrötchen), zu schätzen weiß, ist die Geschichte von Miura, der zunächst auf der Suche nach seiner kleinen Schwester ist, ziemlich berührend. Für ein japanisches Spiel werden erstaunlich viele Parallelen zur jüngeren und zeitgenössischen Geschichte gezogen, in denen immer wieder auch gesellschaftliche Kritik mitschwingt.
Visual-Novel im Gewand eines Adventures
Der individuelle Pfad jeder Figur setzt sich aus sechs Episoden mit einer Laufzeit von rund 20 bis 30 Minuten pro Part zusammen. Wann man wessen Geschichte spielt, ist einem frei überlassen. Allerdings kann man nicht jeden Pfad auf Anhieb beenden, da an manchen Punkten gewisse Anforderungen erfüllt sein müssen, beispielsweise ein Fortschritt bei Figur x bis Punkt y. Daher springt man unweigerlich zwischen den Protagonisten hin und her. Die Flowchart, mit der die Progression jeder Figur festgehalten wird, hilft hier beim Überblick und gibt auch nützliche Hinweise. So kann man einigen Stellen die Fortführung nur auslösen, indem man ein bestimmtes Stichwort oder Item besitzt und dieses verwendet. 13 Sentinels: Aegis Rim gibt sich hier aber ziemlich umgänglich. Überhaupt scheint den Machern ein entspannter Spielfluss wichtiger, als spielerische Komplexität. Unterschiedliche Antwortmöglichkeiten in den Dialogen gibt es nämlich nicht, auch gibt es keine alternativen Enden und ein wirkliches Scheitern in den Adventure-Parts existiert ebenfalls nicht.
Das Spiel als Adventure zu bezeichnen, ist daher vielleicht sogar irreführend, denn im Kern ist 13 Sentinels: Aegis Rim eher eine Visual Novel. Die Interaktion mit der Umwelt beschränkt sich auf ein Mindestmaß, stattdessen liest man vor allem Dialoge. Diese sind nicht nur gut geschrieben, sondern wurden auch ziemlich gelungen ins Deutsche übersetzt. Die japanische Sprachausgabe ist ohnehin über jeden Zweifel erhaben. Zur Veröffentlichung wird außerdem noch eine englische Sprachfassung via Patch nachgeliefert. Das eigentliche Highlight ist aber, und da bleibt sich Vanillaware treu, die visuelle Gestaltung. Und meine Güte liefert das Studio hier ab! Insbesondere die Hintergründe, die mich stilistisch immer wieder an van Gogh erinnert haben, sind schlicht atemberaubend schön.
Sprichwörtliche Turmverteidigung
Einen sowohl stilistischen als auch spielerischen Bruch verüben die Entwickler mit den Kämpfen. Diese finden aus einer Draufsicht statt und setzen auf eine Mischung aus Elementen der Echtzeittaktik und Tower Defense. Tatsächlich gilt es stets darum einen Turm zu verteidigen, wobei man mit bis zu sechs Figuren die anstürmenden Gegner abwehren kann. Jede Figur hat unterschiedliche sowohl offensive als auch defensive Möglichkeiten. Manche können einen großen Teil des Schlachtfelds mit einem Artillerieangriff bedecken, andere setzen gebündelte Laser ein, um ein einziges Ziel unter starken Beschuss zu nehmen. Mit Schilden kann man die eigene Mannschaft vor Angriffen schützen, EMP-Angriffe legen gegnerische Schutzschilde lahm und lassen fliegende Gegner zu Boden fallen. Zu Beginn habe ich die Kämpfe noch auf normalen Schwierigkeitsgrad gespielt, allerdings waren die Auseinandersetzungen weder anspruchsvoll, noch sonderlich spaßig, weshalb ich nach einiger Zeit auf den leichten Schwierigkeitsgrad umgesattelt bin. Auch wenn die Kämpfe zwar inhaltlich Sinn machen, so hätte 13 Sentinels: Aegis Rim auch ganz gut ohne sie funktioniert.
Pro & Kontra
- toller Figuren-Cast
- stimmungsvolle Interpretation bekannter Sci-Fi-Motive
- spannende Erzählung
- betörend schöne Grafik
- wenig herausfordernde RTS-Kämpfe
- gelegentlich ziehen sich die Adventure-Parts