Wasteland 3 REVIEW
Der Sommer befindet sich in seinen letzten Zügen, die Hitze weicht der Kälte, auf Sonnenschein folgt Regen, die Tage werden kürzer. Genau die richtige Zeit also, um sich in zeitintensive Spiele zu stürzen, bei denen man sich so richtig verlieren kann und die Welt um sich herum vergisst. Da kommt das jüngst erschienene Wasteland 3 doch wie gerufen. Also hoch die heiß befüllten Teetassen und rein ins spannende Rollenspiel-Abenteuer!
Kalte Postapokalypse
Die beiden Vorgänger (1988 und 2014) und nicht zuletzt Fallout, welches ursprünglich aus Wasteland erwachsen ist, haben die Art und Weise, wie die Wirklichkeit in einer Welt nach dem atomaren Krieg aussehen könnte, stark geprägt. Karge Wüsten, einstige Metropolen, die in Schutt und Asche liegen, durchgeknallte und weniger durchgeknallte Fraktionen, die sich an Ideen der einstigen Zivilisation orientieren und ein ziemlich schräger Humor mit allerhand popkulturellen Anspielungen. Mittlerweile haben Spiele wie Horizon Zero Dawn, The Last of Us und Metro Exodus das Setting zwar um Nuancen erweitert. Doch wenn ich an Postapokalypse in Videospielen denke, denke ich vor allem an die Interpretationen von Interplay (Wasteland) bzw. Black Isle Studios (die frühen Fallouts) und Bethesda (die neueren Fallouts).
Zumindest mit der Sandwüste bricht Wasteland 3. Diesmal geht es nämlich nach Colorado, welches nahezu komplett von Schnee und Eis bedeckt ist und in welchem jegliches Leben außerhalb der wenigen sicheren Zufluchtsstätten unmöglich ist. Ein aus Desert Rangern bestehender Konvoi, in welchen man selbst sitzt, wird in den eisigen Bergen des Buntstaats überfallen und man selbst kommt gerade so mit dem Leben davon. Was und wer steckt dahinter? Und wie formatiert man sich nun neu? Und wer ist man überhaupt selbst? Zumindest die Frage nach der eigenen Identität wird gleich nach dem schick inszenierten Intro geklärt.
Die Protagonisten, die diesmal im Doppelpack kommen, bastelt man sich entweder im Editor zusammen und legt Klasse, Attribute etc. fest. Oder man greift auf einen Pool aus vorgefertigten Figuren zurück. Ich habe Letzteres gemacht und mich für ein Vater-/Tochtergespann entschieden, die laut Backstory seit dem gewaltsamen Tod der Ehefrau/Mutter als Desert Ranger für Recht und Ordnung in der anarchischen Zeit nach der atomaren Apokalypse sorgen. Obwohl eine Hintergrundstory Spielfiguren umrissen wird und das Spiel zumindest zu Anfang auch hinsichtlich der Rahmenhandlung ein paar interessante Ausgangspunkte setzt, so ist die eigentliche Geschichte kaum der Rede wert. Der narrative Schwerpunkt liegt ohnehin nicht im Hauptplot, sondern in den unzähligen Dialogen, die fantastisch geschrieben und (auf Englisch) vertont sind, sowie einigen Nebenhandlungen, an die man sich noch einige Zeit nach ihrer Beendigung erinnern wird.
Reagans Harem
Das Colorado der Endzeit ist ein offensichtliches Spiegelbild der Gegenwart und Vergangenheit. Gleich zu Beginn trifft man auf den Patriarchen, der mit eiserner Faust herrscht und sich als amerikanischer Held stilisiert. Parallelen zu Donald Trump sind gewiss beabsichtigt, denn Politik spielt eine große Rolle in Wasteland 3. Und das kann man nicht nur daran festmachen, dass mit Ronald Reagan auch ein ehemaliger Präsident in einer recht prominenten Rolle auftaucht. Der Narration gelingt dabei ziemlich gut der Spagat zwischen Ernsthaftigkeit und Albernheit. Reagan existiert nämlich nicht mehr aus Fleisch und Blut, sondern existiert nur noch als künstliche Intelligenz. Was ihn übrigens nicht davon abgehalten hat einen Harem und Kult um sich zu scheren, die einen riesigen Roboter mit Reagan Antlitz anbeten.
Am meisten hat mich erstaunt, wie gut es gelingt mich in die Welt zu entführen – und das, obwohl ich weder mit den Protagonisten meiner bis zu sechsköpfigen Party noch mit der eigentlichen Handlung sonderlich warm geworden sind. Dennoch habe ich mich stark in die Irrungen und Wirrungen investiert, die im Laufe der Zeit immer wieder auch mein Gewissen auf die Probe gestellt haben. Da verspricht mir eine Sklavenhändlerin etwa geheime Codes, mit denen ich die riesigen aber leider auch verschlossenen Tore inmitten meines Hauptquartiers öffnen kann. Die Krux: ich soll eine entflohene Sklavin ausfindig machen und zu ihrer „Besitzerin“ zurückbringen. Mache ich das, erhalte ich eventuell Zugriff auf tollen Loot, bin aber eben auch ein ziemliches Arschloch. Natürlich könnte ich der Geflüchteten auch helfen und ihre Verfolger umbringen, was nicht nur für sie, sondern auch viele andere Menschen in Colorado definitiv das Beste wäre. An einer anderen wird mir von einer wortkargen Figur ein verschlossener Aktenkoffer überreicht, welchen ich natürlich auf gar keinen Fall öffnen soll. Mache ich es doch?
Spürbare Konsequenzen
Wasteland 3 erfüllt dabei ein von Videospielen häufig gemachtes aber selten eingelöstes Versprechen und lässt mich die Konsequenzen meiner Handlungen tatsächlich spüren. Verscherze ich es mir mit einer der zahlreichen Fraktionen, so reagieren diese mir gegenüber nicht nur kalt bzw. feindlich. Teilweise kann ich bestimmte Händler nicht mehr aufsuchen, da ich einen derart schlechten Ruf in Colorado besitze, dass selbst meine vollen Taschen keinen Anreiz mehr zum Handeln bieten. Und ganze Questlines können ebenfalls versperrt werden. Auch sollte man Notrufe und andere Hilfsgesuche durchaus ernst nehmen. So habe ich beispielsweise verplant eine befreundete Fraktion darüber zu informieren, dass sie eine andere Gruppierung sie angreifen will. Als ich ein paar Spielstunden später in das Hauptquartier der Kumpanen marschiert bin, um meine Vorräte aufzustocken, waren jeder in dem einst belebten Bunker hingerichtet.
Zug um Zug
Abseits dieser packenden Immersion, sind es die rundenbasierten Kämpfe, die mich gefesselt haben. Jede Spielfigur und auch jeder Gegner verfügt über eine bestimmte Anzahl an Aktionspunkten (AP). Jede Aktion (Angreifen, Heilen, von Punkt A nach Punkt B laufen, gefallene Kameraden wiederbeleben etc.) verbraucht AP. Die schachbrettartigen Kampffelder sind so aufgebaut, dass man hinter Sandsäcken oder anderen Barrikaden Schutz suchen kann, allerdings sind diese oft zerstörbar, ebenfalls wie verschiedene Fässer, die bei Beschuss explodieren und einen praktischen Schaden in einem großen Radius anrichten.
Gerade auf den beiden höheren Schwierigkeitsgraden ist das Vergleichen von Statistiken und das Berücksichtigen von Trefferchancen während eines Kampfes essentiell. Greift man etwa mit einer Waffe an, die einen geringeren Durchschlagsschaden anrichtet, als der Gegner Rüstung hat, so kann man viele Kugeln verschießen, ohne wirklich Schaden anzurichten. Sehr mächtig sind die unterschiedlichen Fähigkeiten, allen voran der Präzisionsschutz, mit welchen man bestimmte Bereiche (etwa Kopf oder Gliedmaßen) anvisieren kann und auch höhere Chancen auf zusätzliche Effekte, wie Blutung, erhält. Die Kämpfe sind ungemein befriedigend, nicht zuletzt, da die Gegner taktisch recht vernünftig agieren. Zwar gibt es hin und wieder Aussetzer, bei denen Gegner sich mit dem Flammenwerfer gegenseitig abfackeln. Entsprechende Fälle sind aber in meiner Spielzeit eher selten aufgetreten.
Fremdwort Qualitätskontrolle
Dafür haben sich andere, teils ziemlich ärgerliche Fehler gehäuft. So ist meine PlayStation 4 immer wieder abgestürzt. Meistens in Situationen, in denen ich in der Welt unterwegs war, gelegentlich auch in Kämpfen. Oftmals Speichern ist daher Pflicht! Zwar gibt es auch ein automatisches Speichersystem, dennoch sollte man sich regelmäßig absichern. Die ohnehin schon nicht gerade übersichtlich gestalteten Menüs spinnen auch gerne einmal rum, sodass ich nicht mehr zwischen den einzelnen Unterpunkten durchschalten könnte. Immerhin konnte ich dieses Problem stets beheben, indem ich das Menü geschlossen und wieder geöffnet habe. Nervig sind außerdem die langen Ladezeiten beim Betreten neuer Areale. Und ein wirklicher Hingucker ist Wasteland 3 auf Konsole auch nicht. Man sollte also verwaschene Texturen und immer wieder auftretende Ruckler vertragen können. Und bei der deutschen Lokalisation der Texte gibt es auch noch reichlich Nachholbedarf. Hier hat die Qualitätskontrolle schlichtweg versagt!
Wer braucht denn bitte einen Toasterreparatur-Skill?
Und trotz dieser in der Summe ziemlich zahlreichen und teilweise gravierenden Fehler (manche Spieler berichten gar von kaputten Spielständen), die trotz einiger bereits erschienener Updates noch immer nicht behoben sind, könnte ich Wasteland 3 kaum beiseite legen. Denn als Rollenspiel funktioniert es fabelhaft und gibt derart viele Freiheiten, wie kaum ein anderer Vertreter seines Genres. Selbst mit dem Zusammenstellen meiner Party hatte ich großen Spaß, wie schon in lange nicht mehr. Dabei zählt auch hier die Divise: je diverser, desto besser. Es bringt also nichts, wenn man sechs Leute in der Gruppe hat, die alle Schlösser knacken und mit Gewehren hantieren können. Auch den eher exotisch wirkenden Fähigkeiten, wie etwa Toasterreparatur, sollte man eine Chance geben. Es lohnt sich.
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- spannende Kämpfe mit vielen taktischen Möglichkeiten
- tolles Worldbuilding
- spürbare Konseqeuenzen für getroffene Entscheidungen
- tolle Sprecher und Musik
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- viele Abstürze und Bugs auf der PS4
- fehleranfällige deutsche Lokalisation
- Plot und Hauptfiguren wenig interessant
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Pro & Kontra
- spannende Kämpfe mit vielen taktischen Möglichkeiten
- tolles Worldbuilding
- spürbare Konseqeuenzen für getroffene Entscheidungen
- tolle Sprecher und Musik
- viele Abstürze und Bugs auf der PS4
- fehleranfällige deutsche Lokalisation
- Plot und Hauptfiguren wenig interessant