Yakuza 6: Song of Life REVIEW
Zeit, so resümiert Kazuma Kiryu am Ende von Yakuza 6, ist das wichtigste, das wir haben. Zu häufig seien wir uns dessen aber nicht bewusst und gingen mit diesem kostbaren Gut viel zu unachtsam um. Auch Kazuma bereut viele Jahre seines Lebens verschwendet zu haben, anstatt sie mit den Menschen zu verbringen, die ihm etwas bedeuten. Diese letzte große Szene ist einer von jenen Momenten, in denen Yakuza 6 so viel Herz und Menschlichkeit beweist, wie man es in Videospielen leider viel zu selten erlebt. Und er ist bei Weitem nicht der einzige.
Familie ist mehr als Vater/Mutter/Kind
Ein anderer Schwerpunkt, der im Medium Videospiel nahezu keine Rolle spielt, ist der, der Elternschaft. Das mit God of War und Yakuza 6 im April gleich zwei Titel erschienen sind, die das Elternsein nicht nur thematisieren, sondern auch prominent in die Handlung und die Motivation der Protagonisten einflechten, erscheint da fast schon ein bisschen bemerkenswert. Vor allem der Reboot um Götterschlächter Kratos erhält dieser Tage auch reichlich Lob für seine narrative Ausrichtung und wird als Paradebeispiel dafür angeführt, welchen beachtlichen Weg Spiele in den vergangenen Jahren gegangen sind.
Während in God of War eine – mehr oder weniger – typische Vater/Sohn Beziehung im Fokus steht, skizziert Yakuza 6 weniger klassische Familienbilder. Familie ist eben sehr viel mehr, als Vater/Mutter/Kind und das Teilen des gleichen Erbgutes und Nachnamens. Die verschiedenen Ausprägungen von Familie hat die langjährige Reihe von Sega bereits seit ihren Anfängen konstatiert und über die Jahre, als eines der zentralen Themen in den Storylines etabliert. Diese Ausrichtung zeigt sich natürlich vor allem an Kazuma Kiryu, seit dem 2005 erschienenen Erstling der Protagonist der Spiele. Aufgewachsen in einem Waisenhaus, war es ausgerechnet der Mörder seiner Eltern, der zu Kazumas Ersatzvater wurde. Die Umstände für den gewaltsamen Tod seiner leiblichen Eltern erfuhr Kazuma zwar erst später, doch auch die Wahrheit konnte die Zuneigung zu seinem Ziehvater nicht enden lassen. Ein ähnliches Schicksal erfuhr auch Haruka Sawamura, die Tochter von Kazumas großer Liebe Yumi. Nach deren Tod schwor Kazuma das Mädchen aufzuziehen und wie seine eigene Tochter zu lieben – und das tat er auch.
In Yakuza 6 ist aus dem einst jungen Mädchen unlängst eine erwachsene Frau geworden, die jetzt selbst Mutter eines kleinen Jungen namens Haruto ist. Diese Tatsache haut Kazuma zunächst ziemlich um, schließlich erfährt er von Harukas Nachwuchs erst, nachdem er eine dreijährige Haftstrafe beendet hat. In dieser Zeit war der Kontakt zwischen Kazuma und Haruka – aus Gründen – nur spärlich, brach schließlich ganz ab. Und da ist sie wieder, die verlorene Zeit, die nicht mehr zurückgeholt werden kann, die wichtigen Momente im Leben, die man nicht teilen konnte. Doch die ersehnte Familienzusammenführung verläuft nicht nur wegen Baby Haruto unerwartet, denn als Kazuma seine Ziehtochter, die zwischenzeitlich untergetaucht ist, aufspüren kann, liegt sie im Koma. Zuvor wurde sie von einem Auto angefahren, die Gründe dafür liegen im dunklen, der unbekannte Täter ist auf der Flucht. Und auch wer der Vater von Haruto sein könnte, ist vollkommen unklar. Einige Spuren führen schließlich nach Hiroshima, genauer gesagt in das beschauliche Viertel Onomichi. Kazuma macht sich schließlich mit Haruto auf, um zu erfahren, was in den vergangenen drei Jahren geschehen ist.
Takeshi Kitano gibt sich die Ehre
Onomichi ist ein herrlicher Kontrast zum chaotischen Leben in Kamurocho, dem Haupthandlungsort der Reihe. Zwar wechselten die Entwickler schon seit Yakuza 2 die Städte und verfrachten die Handlung auch in anderen Regionen Japans, doch im Vergleich zu den bisherigen Schauplätzen erscheint das verschlafene Onomichi geradezu ländlich. Überhaupt wirkt Yakuza 6 sehr viel ruhiger und geerdeter. Zwar gibt es auch im sechsten Hauptteil, der den Abschluss der Saga um Kazuma Kiryu bilden soll, wieder ein paar Momente, in denen man ungläubig vor dem Fernseher sitzt und sich denkt „Was ist da grade passiert?“, doch entsprechende Szenen sind nun wesentlich sparsamer portioniert.
Alsbald trifft Kazuma in Onomichi auf den Hirose-Clan, der eigentlich nur aus vier jungen Kerlen und ihrem Oyabun besteht. Als Oyabun (was sich auch als Vater übersetzen lässt) bezeichnen Yakuza ihren Vorgesetzten, der im Falle der Hirose-Familie von keinem geringeren als Takeshi „Beat“ Kitano (ja, der Takeshi Kitano!) verkörpert wird. Dieser spielt seinen Toru Hirose so, wie man es von Kitano kennt. Ein bisschen seltsam, ein bisschen schalkhaft und stets mit dieser unverwechselbaren Lache, die man von Kitanos Charakteren gewohnt ist. Neben Kitano haben mit Tatsuya Fujiwara (Battle Royale), Shun Oguri (Crows 0) und Yôko Maki (Like Father, Like Son) noch weitere bekannte Schauspieler aus Japan einen Auftritt in Yakuza 6 und geben ihr Aussehen, ihre Stimme und ihr Schauspiel zum besten. Dieser illustre Cast unterstreicht einmal mehr den cineastischen Ansatz, den die Entwickler verfolgen. Wie gehabt sind gerade die gerenderten Zwischensequenzen wieder ein echter Hingucker und bestechen mit einer fantastischen Regie und Kameraarbeit. Und auch der Umgang mit den Figuren und ihrer Entwicklung im Verlaufe der Handlung ist gewohnt nachvollziehbar gestaltet.
Dennoch merkt man gerade der Story an, das die Geschichte von Kazuma Kiryu allmählich auserzählt ist. Nein, schlecht ist es nicht, was dem Spieler in der rund 20-30 stündigen währenden Haupthandlung geboten wird, aber es sind eben mehr die Nuancen, als die übergreifende Geschichte, welche die narrativen Qualitäten von Yakuza 6 ausmachen. Neben der sehr starken Familienthematik steht auch der Generationenwechsel im Fokus der Erzählung. Und nicht nur dort.
Generationswechsel
Zwar gab es mit Yakuza 0 und Yakuza Kiwami bereits zwei Spiele der Reihe auf der PlayStation 4, Yakuza 6 ist allerdings der erste, eigens für die aktuelle Sony Konsole entwickelte Teil und hat mit der Dragon Engine auch einen neuen Unterbau erhalten. Diese sorgt dafür, das die ohnehin schon ansehnliche Spielwelt in einem noch eindrucksvolleren Licht erscheint. Als langjähriger Spieler kennt man das Rotlichtviertel Kamurocho zwar unlängst und dürfte auch ohne Blick auf die Stadtkarte wissen, wohin es geht. Dennoch ist der noch einmal gesteigerte Detailgrad bemerkenswert. Jedes Poster, jede Werbetafel, jedes Produkt im Konbini genannten Einkaufsladen, jede PET-Flasche ist nun erkenn- und lesbar. Für noch mehr Immersion sorgt die Möglichkeit, nun ohne Ladebildschirm in Gebäude eintreten zu können. Vor allem bei Nacht erstrahlt Kamurocho mit seinen Neonlichtern und dem pulsierenden Leben auf den Straßen des Viertels in einem atemberaubend authentisch anmutenden Glanz und erweist sich als visuelles Spektakel.
Allerdings sind einige Teile der Stadt, die man noch im Vorgänger besuchen konnte, nicht mehr zugänglich, wie beispielsweise der Champions District und Kamurocho Hills. Im Rahmen der Geschichte wird dies zwar mühselig erläutert, dennoch ist der Umstand recht unbefriedigend und so ganz werde ich das Gefühl nicht los, das die beschnittene Spielwelt auch mit dem neuen technischen Gerüst im Zusammenhang steht. Denn auch an anderer Stelle merkt man, dass die Entwickler wohl einige Schwierigkeiten hatten. Gerade bei den eigentlich sehr sauberen Animationen und der sich gerne seltsam verhaltenen Physik-Engine fällt das auf. Hin und wieder schwankt auch die Framerate und geht unter die angepeilten und beinahe konstanten 30 Bilder pro Sekunde.
Es fiel mir allerdings nie schwer, dem Spiel diese Macken zu verzeihen, zumal ich sie zu keinem Zeitpunkt als so störend empfand, als das sie den Spielspaß ausgebremst hätten. Gerade das betörend schön in Szene gesetzte Onomichi entschuldigt nämlich für die gerade aufgeführten Kritikpunkte der Spielwelt. Die ruhigen Straßen der Küstenstadt besitzen ein ganz eigenes Flair, bei welchem ich mich sofort heimelig gefühlt habe. Vor allem in den Abendstunden ist Onomichi eine der in meinen Augen schönsten Orte, die ich jemals in einem Videospiel bereisen konnte. Und auch die kleine Stadt hat mit ihrer Küste, dem auf einem Berg gelegenen Tempel und der verschlafenen Nachbarschaft, die im Vergleich zum schrillen Kamurocho wie aus der Zeit gefallen scheint, ein paar schöne Orte zu bieten.
Tiefseetauchen und den eigenen Baseball-Verein managen
Auch die in Onomichi stattfindenden Nebenbeschäftigungen und Substories passen wunderbar zum ländlichen Appeal. So kann man in einer ausgedehnten Nebenbeschäftigung etwa Teil eines örtlichen Baseball-Teams werden und gegen andere Mannschaften antreten. Der Ablauf einer Partie läuft dabei hauptsächlich als Simulation ab, dennoch sollte man stets einen Blick auf den Zustand der eigenen Spieler haben und diese bei Bedarf auswechseln. In bestimmten Momenten kann man außerdem selbst den Schläger in die Hand nehmen und den Ball möglichst weit zu schlagen. In einer örtlichen Kneipe kommt man hingegen mit Anwohnern ins Gespräch und nimmt an deren Leben teil. Hier entwickeln sich auch einige, für die Serie so typischen Lebensgeschichten, die einem noch länger im Kopf bleiben. Etwa weil sie etwas bizarr anmutend, oder weil sie einfach eine schöne Schlusspointe bieten. Natürlich kann man in besagter Bar auch Dart spielen oder sich an der Karaoke-Maschine austoben. Mein Lieblingsminispiel in Onomichi ist aber zweifellos das abgedrehte Sperrfischen, welches wie ein Rail-Shooter funktioniert (Ocean Hunter lässt grüßen) und einen am Meeresgrund vor allem bedrohte Arten jagen lässt.
In Kamurocho gibt es ebenfalls einen gewaltigen Batzen an Minispielen. In den beiden Sega Arcade Läden kann man sich wie gehabt an den Vollversionen von Klassikern wie OutRun und Space Harrier probieren, vollkommen neu sind die vollwertige Arcade-Version von Virtua Fighter 5 und der Knobler PuyoPuyo. Bei Mahjong lässt sich Geld gewinnen und verlieren, im Fitnessstudio stählert man den sowieso schon muskelbepackten Körper von Kazuma noch mehr, während man im Clan Creator seine eigene Gang zusammenstellt und diese in Echtzeitkämpfe aus der diagonalen Vogelperspektive gegen andere Banden antreten lässt. Leider ist der Clan Creator ein nicht zu Ende gedachtes Feature und funktioniert nach der Devise „Klasse statt Masse“. Taktische Finesse ist hier nämlich nicht vonnöten, Hauptsache die eigenen Kämpfer haben einen möglichst hohen Level. Gerade gegen Ende artet das in zehrenden Grind aus und lässt den sowieso eher rudimentären Spaß an der Sache ganz flöten.
Zwischen Kloppereien und Windelwechseln
In wieder einem anderen Minispiel muss man Haruto beruhigen, sobald dieser anfängt zu quengeln. Um den kleinen Fratz wieder zu besänftigen, hebt man ihn daher in die Luft oder schaukelt ihn. Die entsprechenden Befehle werden durch das Bewegen des Dualshock 4 Controllers ausgelöst, was für ein- oder zweimal ganz nett ist, spätestens beim dritten Mal aber dann doch nervt. Glücklicherweise ist besagtes Minispiel nur innerhalb eines Kapitels integriert und nein, die Windeln von Haruto muss man nicht selbst wechseln (wobei es mich nicht überrascht hätte, hätten die Entwickler ein entsprechendes Feature eingebaut). Was mich hingegen doch sehr überrascht hat, ist das Fehlen diverser bekannter und beliebter Minispiele der Vorgänger. So wurden beispielsweise das Bowling, die Kampfarena, Billard, UFO Catcher und diverse japanische und westliche Glücksspiele ersatzlos gestrichen. Wie es zu dieser Entscheidung gekommen ist, ist mir nicht wirklich klar, allerdings habe ich an anderer Stelle durchaus das Gefühl, als hätte die Entwicklungszeit noch ein paar Monate mehr vertragen können. Denn nicht nur fehlen Minispiele und Teile von Kamurocho, auch wirken manche Zwischensequenzen zuweilen abgehackt und gerade gegen Ende verzettelt sich die Narration in seltsamen Sprüngen.
Dennoch ist das Gesamtbild erneut stimmig. Nicht zuletzt das mal wieder überarbeitete und sich jetzt eine Spur weniger arcadig anfühlende Kampfsystem zeugt von diesem Umstand. Die Keilereien fühlen sich noch einmal eine Spur wuchtiger an, die Spezialmanöver, bei denen Kiryu seine Kontrahenten regelmäßig in Kontakt mit der Bordsteinkante, Wände oder auch mal Motorrollern kommen lässt, sind gewohnt brachial inszeniert und sehen schon beim zusehen schmerzhaft aus.